Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION WAA - Von Wackersdorf
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Wackersdorf
DAS ATOMPROGRAMM SETZT STAATSENERGIE FREI
Massenaufgebot und Masseneinsatz der Staatsgewalt; Hunderte von
Festnahmen und agen auf der einen Seite. Die Polizei schafft Ord-
nung gegen ein paar hundert Demonstranten. Auf der anderen Seite
Kreuze und Hütten, Mahnwachen und Gewaltfreiheit gegenüber poli-
zeilichen Rollkommandos. Seit Wochen das immergleiche Schauspiel.
Politiker, Gerichte und Polizei
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demonstrieren, was sie von Einwänden gegen die Wiederaufberei-
tungsanlage halten: gar nichts; sie werden unterbunden. Die Ge-
richte weisen die Klagen zurück. Die Christpolitiker überweisen
den Protest umstandslos in den polizeilichen Aufgabenbereich. Die
Polizei bedient sich ihrer schlagenden Methoden. Auf der einen
Seite wird jeder nur denkbare 'Widerstand' kriminalisiert und im
Keim erstickt. Daß es bei der Belagerung, Einkesselung und Abräu-
mung der Demonstranten durch die Ordnungshüter bisher nicht blu-
tiger zuging, verdankt sich jedenfalls nicht der Rücksicht der
Polizei, die sich an den Grundsatz hält: Jederzeit Herr der Lage
sein und immer über die überlegenen Kräfte verfügen. Auf der an-
deren Seite leistet sie sich wegen ihrer Überlegenheit taktische
Überlegungen für den zweckmäßigsten Gewalteinsatz. Lässig und
rücksichtslos sortierte die Polizei anfangs zwischen Sonntags-
Massenprotest mit grüner Ministerbeteiligung und dem Häufchen von
Dauerbesetzern, die es teuer zu stehen kommt, daß sie sich der
politischen Gewalt ausliefern. Über Weihnachten und Neujahr, wäh-
rend die Rodungsarbeiten ruhten, und an den Plätzen, wo noch gar
nicht abgeholzt werden sollte, ließ sie die Unentwegten in ihrer
"freien Republik Wackerland" aus Blockhütten und Zelten unter
Aufsicht gewähren, um sich nur um so besser für die nächste
Räumaktion zu präparieren. Ein paar Tage alternatives Pfadfinder-
treiben unter den wachsamen Augen der Polizei, dann gilt dasselbe
wieder als Widerstand gegen die Staatsgewalt und wird schlagartig
und -kräftig unterbunden.
Genau das lassen die 'Bauplatzbesetzer' bereitwillig über sich
ergehen.
Der 'symbolische Widerstand' hat nämlich mit Widerstand nichts zu
tun - der geht ausgerechnet auf dem Baugelände und ausgerechnet
als pure Konfrontation mit der Polizei sowieso nicht. Vielmehr
leisten sich da Unentwegte eine Demonstration, die nichts behin-
dert, sondern nur sie selbst teuer zu stehen kommt: Sie halten an
ihrem Protest fest und lassen es auf eine generalstabsmäßige Be-
handlung durch die Polizei ankommen. Sie liefern sich der Taktik
von Gewährenlassen und Abräumen aus und verpflichten sich auf
strikteste Gewaltfreiheit. Mit ihrem persönlichen Opfermut vor
Ort wollen sie ihr höheres Recht auf Protest demonstrieren - Als
Opfer rechtsstaatlicher Befriedungsaktionen gegen ihr bißchen La-
gerromantik klagen sie ausgerechnet die Aushöhlung des Rechts-
staates an, so als sei der eine Erfindung zum Schutz von Bürger-
beschwerden. Gegen den "radioaktiven Zerfall von Grundrechten"
und die "Unverhältnismäßigkeit der Mittel" bei der Polizei treten
sie den Beweis an, daß sie eigentlich die besseren Bürger sind,
nämlich heimatverbundener als die regierenden Patrioten. In ihrem
Hüttendorf mitten in der 'bedrohten Umwelt' schaffen sie sich
deshalb ein Sinnbild friedlichen und friedliebenden Gemein-
schaftslebens und berufen sich darauf, daß die Bevölkerung, die
aufrechten Christen und alle guten Menschen auf ihrer Seite ste-
hen, auf der des "Lebens", und des "Friedens" - gegen den Wahn-
sinn der "Atompolitiker". Wo die Staatsgewalt klarstellt, was Ge-
meinwohl und Vernunft in den 80er Jahren gebieten, da beschwört
dieser Protest die höchsten Werte eben dieses gemeinen Wohls,
nämlich die Gemeinschaft aller Demokraten und den Patriotismus.
Und er muß sich darüber belehren lassen, daß in der Demokratie
auch die allerschönsten Sinnsprüche v o n o b e n mit Leben
erfüllt werden, und keinesfalls jedermann für seinen Privatspleen
zur freien Verfügung stehen.
Die Öffentlichkeit
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spielt nur zu gerne den Sittenwächter über die rechte Lesart und
die korrekte demokratische Form politischen Vorgehens und staats-
bürgerlicher Beschwerden. Die Journalisten wälzen genau die ord-
nungspolitischen Gesichtspunkte, vor denen sich jeder Protest
letztendlich blamiert: Wieweit ist der Polizeieinsatz verhältnis-
mäßig und nötig, wieweit der Protest gut gemeint und friedlich?
Wann erfolgt die nächste größere Polizeiaktion? Werden die braven
Demonstranten mit den 'Krawallmachern' in den eigenen reihen fer-
tig? Wieviele Verletzte und Verhaftete hat es wieder mal gegeben?
Über solch heißen Fragen und den verständnisvollen Erlebnisbe-
richten vom christlich-friedensbewegten Lagerleben und -treiben
geht.
Das staatliche Atomprogramm
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völlig unter, um das es in Wackersdorf letztlich geht. Es ist nur
noch der ziemlich gleichgültige Anlaß für die Auseinandersetzung
um die Erlaubnis bzw. Erledigung von Kritik in diesem Lande. Nur
daß sich der Staat nicht 'erpressen' läßt oder lassen darf, davon
geht noch jeder Begutachter aus. Schließlich wird in Wackersdorf
weit mehr vorangetrieben als nur das politische Programm einer
billigen und national gesicherten Energieversorgung für die Wirt-
schaft sowie der Ausbau einer exportfähigen Atomindustrie. Si-
cher, auch dafür liefert Wackersdorf ein weiteres Stück angewand-
ter Atomtechnologie. Darüber hinaus aber dient die WAA einem
weitreichenderen strategischen Programm: Atomkraftwerke produzie-
ren ja 'Abfall', der sich als Rohstoff für die Herstellung von
Atombomben aufbereiten läßt. Und als NATO-Partner teilt die BRD
ganz selbstverständlich die Auffassung, daß zur Durchsetzung
weltpolitischer Ansprüche Atomwaffen notwendige Mittel sind, über
die sie mit ihrer politischen Rolle im Bündnis bereits mitver-
fügt. Allerdings: Nur einen Bündnis-Finger am Drücker zu haben,
nur an der nuklearen Planungsgruppe der NATO teilzunehmen, das
ist vom Standpunkt des Ideals einer europäischen Führungsmacht zu
wenig. Deutsche Interessen verlangen möglichst jede militärische
Option in eigener Regie und möglichst alle technischen Mittel da-
für in eigener Hand. Darum ging es der alten sozialliberalen Ko-
alition; darum geht es jetzt der Wenderegierung mit ihrer
"höchsten Priorität" für die Wiederaufbereitung von Brennelemen-
ten und für die Produktion von Plutonium; und daran läßt die
bayerische Staatsregierung überhaupt nicht rütteln.
Praktisch taugt dieser Protest nur zu einem: Die demokratischen
Parteien benutzen ihn als Material ihrer Selbstdarstellung. Die
SPD heuchelt Verständnis für die "Angst vor dem Atomstaat". Die
Grünen demonstrieren ihre "Basisnähe" durch eine symbolische
Fraktionssitzung im Taxöldener Forst. Die Christlich-Liberalen
führen durch den Einsatz der Ordnungskräfte den Beweis, wie sehr
es auf sie als Garanten des "inneren Friedens" ankommt.
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