Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION VOLKSZAEHLUNG - Vom Volkszählungsboykott
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Die Volkszählung und ihre Gegner
STATISTIK UND STATISTEN
Am 25. Mai läßt die Regierung durchzählen. Sie will die Einwoh-
nerstatistik überprüfen; und bei der Gelegenheit wird gleich noch
mit abgefragt, wie es um die Ausbildung und die Berufstätigkeit
des nationalen Menschenmaterials, ums Wohnen und Heizen, um den
Weg zur Arbeit und ähnliches steht.
Dagegen gibt es ein bißchen Aufruhr. Gegner der Volkszählung
fürchten, es ginge darum, sie auszuspähen und jedem staatlichen
Zugriff auszuliefern. Da müssen sie allerdings etwas verpaßt ha-
ben: Dort, wo es dem Staat wirklich um einen Zugriff auf seine
Bürger geht - von der Finanzverwaltung bis zur Auskundschaftung
einer falschen politischen Gesinnung -, da hat er sie längst un-
ter Kontrolle und die nötigen Daten jedes einzelnen gespeichert.
Fürs Rentenzahlen und -sparen, für Stahlsubventionen und AKW-Bau,
für alles praktisch Wichtige verläßt der Staat sich wahrhaftig
nicht auf ein Nachzählen alle paar Jahre - und dann noch von so
vergleichsweise belanglosen Dingen.
Irgendwie wissen die Volkszählungsgegner das natürlich auch. Aber
statt die l a u f e n d e Benutzung von Daten und Leuten durch
Staat und Kapital zu k r i t i s i e r e n, erheben sie lieber
einen seltsamen Verdacht gegen die "Bürokratie": Mit der Zählung
am 25. Mai soll in der BRD das Reich der Unfreiheit beginnen. Vor
lauter Angst vor unsäglichen Gefahren, die sie in einer möglichen
Zukunft auf die Bürger zukommen sehen, wenn der Staat Statistik
macht, sehen sie glatt davon ab, was g e g e n w ä r t i g
t a t s ä c h l i c h läuft.
Die Staatsgewalt wiederum, die nun einmal ein allgemeines
"Hier!"-Sagen angesetzt hat, läßt auch da nicht mit sich spaßen.
Sie reagiert auf Boykottaufrufe mit Durchsuchungen, droht mit
Verhaftungen und drakonischen Geldstrafen. Gleichzeitig nehmen
die Veranstalter der Zählung das Gemecker der Zählungsgegner als
öffentlichkeitswirksamen Anlaß dazu her, um noch nachdrücklicher
und ungenierter auf allen Kanälen das
Märchen von der "menschenfreundlichen Planung"
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zu verbreiten, die durch die Zählung möglich werden soll. Da wird
so getan, als ob ohne die vollständige Erfassung durch die Volks-
zählung nichts mehr ginge "in diesem unserem Lande" als ob z.B.
die Bundeswehr sich demnächst wegen Mangels an verläßlichem Zah-
lenmaterial über die soldatische Jugend am Ende der 80er Jahre
auflösen müßte. Und als ob Norbert Blüm bisher nicht in der Lage
gewesen wäre, die Renten zu kürzen, bloß weil er nicht haargenau
wußte, wieviele Fünfzigjährige sich in deutschen Fabriken tum-
meln. Überhaupt bekommt ein Wort bei dieser Gelegenheit einen
guten Klang, das man sonst immer mit "Unfreiheit" zusammendenken
soll, mit der DDR und den "Leiden" "unserer Brüder und Schwe-
stern" drüben: P l a n u n g steht ganz hoch im Kurs. Von den
abgehalterten Bundespräsidenten bis zu den albernen sprechenden
Zahlenkugeln im Fernsehen erweckt die staatliche Propagandama-
schine zur Abwechslung mal den Anschein, als wäre ausgerechnet
bei uns staatliche Planung dafür zuständig, als was einer zur Ar-
beit gehen muß und wo, wie gut und wie teuer die Wohnungen für
kinderreiche Familien sind usw.
In Wahrheit vergißt natürlich kaum jemand, und die staatlichen
Volkszählungsveranstalter zuallerletzt, daß alles das und noch
viel mehr und wichtigere Sachen hierzulande anders eingerichtet
sind: als Mittel und Zwänge der f r e i e n K o n k u r-
r e n z, in die der demokratische Staat alle seine Bürger
hineinhetzt. Aus der hält sich die Staatsgewalt zwar überhaupt
nicht heraus, wie liberale Gerüchte es weismachen wollen; da ist
schon eine ganze Staatsgewalt vonnöten, damit die Bürger ihr
Dasein als zivilisierten kapitalistischen "Lebenskampf" ab-
leisten. Aber P l a n u n g: d a s bietet das marktwirtschaft-
liche Staatswesen nicht, und das w i l l auch keiner - weder
ein Statistiker aus den Zählämtern noch ein Politiker, der Zahlen
sehen will. Wenn Thyssen in Hattingen entlassen und BMW in Din-
golfing einstellen will, kümmern sich beide einen Scheißdreck
darum, wieviel Dreißigjährige sich in derjeweiligen Region herum-
treiben oder wieviele Hauptschulabsolventen 1993 zu erwarten
sind. Anzahl und Beschaffenheit der Arbeitsplätze werden auch
nach der Volkszählung nicht der Anzahl und Beschaffenheit der
Leute angepaßt werden, die von der Arbeit leben müssen. Und wer
schon allein deshalb nicht von der Lohnarbeit leben kann, weil er
für den Profit der Unternehmer überflüssig ist, kann auch nach
der Zählung nicht erwarten, daß die staatlichen Kassen, die er
mit seinen Beiträgen finanziert hat, für seinen Lebensunterhalt
geradestehen. Ebensowenig wird der Wohnungsbauminister den Bau
von bezahlbaren Großwohnungen in Auftrag geben, wenn sich bei der
Zählung mal wieder herausstellt, daß sich die meisten kinderrei-
chen Familien mit ein paar Quadratmeter Wohnraum begnügen müssen.
Daß die angekündigte "menschenfreundliche Planung" eine bessere,
"lebenswertere" Zukunft für die Gezählten bringen würde, ist
schlichtweg ein Märchen, an dem selbst die staatstreuesten Idio-
ten ihre Zweifel haben dürften. Schließlich sind die Daten, die
über die Bürger bereits gespeichert s i n d, ganz und gar nicht
dafür da, um ihnen das Leben leichter zu machen:
- Die Finanzämter kennen die Einkommen ihrer Pappenheimer sehr
genau, um sich daran zu bedienen. Bei den Besitzern von Lohnsteu-
erkarten liegen dabei alle Daten so offen vor, daß sie im Unter-
schied zu anderen kaum eine Chance haben, sich dem Zugriff auf
den Lohn zu entziehen.
- Rentenkassen und Arbeitsämter sammeln Daten über die Dauer der
Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, um genauestens darüber wachen
zu können, daß kein Pfennig zuviel ausgezahlt wird.
- Kreiswehrersatzämter haben alle nötigen Informationen um zu
wissen, wann wer wo zu holen ist. Und so weiter.
Daß durch die
"10 Minuten, die sich lohnen"
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irgendetwas besser würde für die Bundesbürger, wird im Ernst ja
auch gar nicht versprochen. Befriedigt wird ein Wissensdurst der
Staatsgewalt, der reichlich luxuriös, ja überflüssig anmutet -
verglichen mit dem, was die Staatsverwaltung sonst so alles wis-
sen will u n d w e i ß über ihr Menschenmaterial. Gezählt wird
da nach dem seltsamen Motto: Wenn der Staat schon nicht plant,
muß er um so mehr so tun als ob. Seiner Aufmerksamkeit darf
nichts entgehen von den Lebensumständen seiner Bürger -
g e r a d e w e i l diese Lebensumstände das Ergebnis der
freien Konkurrenz sind, die er den Leuten als den allerwichtig-
sten "Lebensumstand" aufzwingt. Denn damit das Konkurrieren
klappt, und die Ergebnisse, die dabei herauskommen, die staatli-
che Macht nicht stören, müssen die Politiker ja dauernd Einfluß
nehmen: dort eine Beihilfe, da eine Zusatzsteuer beschließen;
hier etwas einrichten, an anderer Stelle was abschaffen. Bei die-
sen Eingriffen die der Katalog der demokratischen Staatsaufgaben
ihnen im Prinzip vorgibt - verfolgen die Politiker ein wider-
sprüchliches Ideal: Sie wollen der f r e i e n Konkurrenz sol-
che Bedingungen setzen, daß garantiert nur die
g e w ü n s c h t e n Ergebnisse herauskommen. D a s klappt
zwar n i e - aber das ist ja gerade der Witz an Idealen. Und
insgesamt klappt der Laden n u r a l l z u g u t.
Demokratische Politiker möchten also am liebsten ihre sämtlichen
Untertanen so m a n i p u l i e r e n, daß bei allem Treiben
nur der größte Staatsnutzen herausschaut. Deswegen geben sie sich
Mühe bei ihren Entscheidungen und schlagen die Statistiken nach -
bei Bedarf! Mit dieser ungeheuren Mühe möchten sie sich auch vor
ihrem Volk sehen lassen und verlangen Beifall dafür, wie furcht-
bar sie nachgedacht und wie tapfer sie am Ende entschieden hät-
ten. Sie verfügen für jede politische Maßnahme über das passende
Zahlenmaterial, mit dem eine Verlängerung des Wehrdienstes ebenso
begründet werden kann wie die Aufhebung von Mieterschutzgesetzen,
die Erhöhung von Rezeptgebühren ebenso wie die Finanzierung der
europäischen bemannten Raumfahrt, eine Handvoll neuer Atom-
kraftwerke ebenso wie der Bau eines Autobahnzubringers. Zahlen
sind ja bekanntlich geduldig. Und jede bei der Volkszählung
"gewonnene" Zahl wird so letztendlich zum guten, nämlich stati-
stisch belegten Grund dafür, daß die Politik mit den Zumutungen
an den Bürger haarscharf richtig liegt. Der "Datenschutz" ist da-
bei garantiert garantiert.
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