Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION VOLKSZAEHLUNG - Vom Volkszählungsboykott


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       Volkszählungsboykott
       

FUNDAMENTALOPPOSITION ZUM NULLTARIF

Während Politiker, die sich ein einwandfrei demokratisches Volks- zählungsgesetz erlassen haben, sich daran machen, dieses mit treuherzigen Augenaufschlägen vollziehen zu lassen, weil es doch das selbstverständlichste Anliegen der Welt sei, daß sie ab und zu einmal bei ihrer Mannschaft durchzählen lassen, rüsten die al- ternativ-demokratischen Leistungsträger dieser Mannschaft wieder einmal zum (vorläufg) hinterletzten Gefecht um die Demokratie mit derselben: Nach Pershing-Aufstellung, WAA-Durchsetzung und Um- weltzerstörung ist sie (wieder einmal) endgültig zu weit gegan- gen, wenn sie per Volkszählung jetzt auch noch anfängt, sich selbst "scheibchenweise abzuschaffen", wie es die Volkszählungs- gegner angeblich stark befürchten. Solidarische Kritik: Teuer, überflüssig, ohne Impressum ------------------------------------------------------- Das erste schlagende Argument gegen die Volkszählung ist der Sa- che nach ein sehr solidarischer guter Rat an die anerkannt zu- ständigen Instanzen der politischen Zukunftsplanung, der sich diesen Zwecken ebenfalls verpflichtet weiß. Es kommt nichtsdesto- weniger als wuchtige Kritik daher, die die Veranstalter an ihrer Verwalterehre packt: Die Totalerhebung ist "überflüssig", da man "mit freiwilligen re- präsentativen Umfragen wissenschaftlich gleichwertige Ergebnisse erzielen kann (ein Flugblatt der Bundestagsfraktion der Grünen); die Ergebnisse sind "unbrauchbar", weil es "nach Auskunft der Statistiker" - denen die Veranstalter darin keineswegs widerspre- chen - "zwei bis sechs Jahre dauern wird, bis die Daten ausgewer- tet sind." (ebd.) Für eine runde Milliarde Mark soll - hier spricht der Anwalt des Volksvermögens - "teurer Datenschrott" produziert werden. Noch dazu ist bei der Vorbereitung des Zählungswerks geschlampt wor- den; von unsauberen Gesetzesformulierungen angefangen, die womög- lich einem neuen Verfassungsgerichtsurteil - das niemand bean- tragt hat - nicht standhalten könnten, bis hin zu presserechts- fehlerhaften Fragebögen, die einen teuren Neudruck nötig ma- chen... Die mit so unerbetenen Ratschlägen bedachten Politiker lassen diese gerechterweise locker abtropfen. Sie finden, daß das bür- gerliche Beschwerdewesen mit dem dummen Verfassungsgerichtsurteil neulich, einer mehrjährigen Verzögerung und dem Zwang zur Verän- derung des Fragebogens mehr als genug bedient worden ist. Und wenn sie beschlossen haben, daß 1 Stück Volkszählung mal wieder sein muß und notfalls auch 1 Milliarde kosten darf, wenn's billi- ger nicht geht, dann ist sie auch nicht zu teuer. Außerdem haben sie sich auch den Unterschied zwischen Mikrozensus und Totalerhe- bung von i h r e n Statistikern erklären lassen; den ersteren lassen sie deshalb als statistische Dauerveranstaltung längst durchführen, und die zweitere bestellen sie sich eben ab und zu auch noch zusätzlich. Kritik unter Gleichgesinnten: Trotz Statistik fehlentschieden! -------------------------------------------------------------- Die Volkszählung bleibt für ihre Kritiker ein "untaugliches In- strument" der politischen Planung; und sie stehen nicht an, zum Beweis die "politischen Fehlentscheidungen" der letzten Jahre aufzufahren, die "auch bisher von keiner Zwangsumfrage verhin- dert" wurden: "Trotz" früherer Volkszählungen wurde "die Milliar- denruine des schnellen Brüters" gebaut und "das überflüssige Mi- litärspielzeug Tornado" angeschafft; zur "Schaffung von mehr Ar- beitsplätzen" haben vergangene Volkszählungen ebenso wenig ge- taugt wie zur Verhinderung "anonymer und menschenfeindlicher Großstadtsiedlungen" oder von "Mammutschulen, die den Bedürfnis- sen der Kinder widersprechen" (Grünen-Flugblatt). Solche Kritik muß die Kleinigkeit beiseite lassen, daß Schneller Brüter und Tornado sich eben energie- und militärpolitischen Ent- scheidungen verdanken, daß die Blocks des Märkischen Viertels ge- nau so hoch sind, wie die Städteplaner sie haben wollten, und daß die geplante Schaffung wie Abschaffung von Arbeitsplätzen Sache eines freien Unternehmertums ist, das sich an seinen Bilanzen orientiert und nicht an grünen oder gewerkschaftseigenen Stati- stiken über "soziale Folgen" ihrer Entscheidungen. Zum ersten - und keineswegs zum letzten - Mal stellt sich die Frage, warum die Volkszählungsgegner alles, was sie am staatlichen Wirken stört, a n d e r V o l k s z ä h l u n g kritisieren wollen - also ausgerechnet da, wo es gerade gar nicht stattfindet. Offenbar nehmen sie die demokratische Manier, unter Berufung auf Sach- zwänge - die in "harten Zahlen" ihre scheinbar härteste Gestalt annehmen - Politik zu machen und dafür zu werben, als Chance, sich als die besseren Kenner genau dieser "Sachzwänge" zu profi- lieren und sich so als die weitsichtigeren Militär-, Energie- und Kulturpolitiker zu empfehlen. Die Klage, daß "trotz umfangreicher Datenerhebungen bisher immer wieder politische Fehlentscheidungen von gravierendem Ausmaß getroffen wurden" (Was Sie gegen Mikro- zensus und Volkszählung tun können, Ein Ratgeber von V. Rottmann und H. Strohm; im folgenden zitiert als "Ratgeber"), drückt ja nur die Ideologie aus, eine redliche Zählung könnte im Grunde gar nichts anderes als eine grüne Politik begründen und rechtferti- gen. So als würden grüne Zahlen den kapitalistischen Staat zu mehr Gemütlichkeit veranlassen - also: viel unheimlich sanfte En- ergie fürs nationale Geschäft; nur die noch wendigen Waffen gegen den Feind statt "Spielzeug"-Tornados; viele fleißfordernde Ar- beitsplätze, an denen bescheidene Leute für ihre Dienste am frem- den Eigentum den Lohn verdienen könnten, den sie für ihre indivi- duellen und menschenfreundlichen Großstadtwohnungen wieder ausge- ben könnten... Die Alternative: Zählung klein also mein ---------------------------------------- Wenn schon aus einer solchen sanften Revolution nichts wird, dann möchten sich die Kritiker wenigstens eine andere, nettere Art der Zählung vorstellen und wünschen dürfen: "...nicht Zwang und totale Erfassung aller Bürger, sondern Stich- proben und kleinräumige Befragungen, deren Sinn jeder einsieht. Die Betroffenen würden bereitwillig und ehrlich Auskunft geben, wenn es erkennbar um ihre eigenen Interessen vor der Haustüre geht - um die Planung einer Altstadtsanierung, um eine Buslinie oder die Größe einer Schule." (Stern) Einer bewährten Lüge zufolge, die von grünen Stadträten wie von christlichen Bürgermeistern gerne verbreitet wird, richtet sich Politik besonders "nach den Interessen der Betroffenen", wenn sie in der kleinen Münze der Kommunalpolitik daherkommt. "Besonders im kommunalen Bereich muß den Betroffenen eine tatsächliche Entscheidungskompetenz vorbehalten bleiben." (Ratgeber) Daß auch auf der untersten Ebene der Staatsverwaltung, wo sie Ma- gistrat oder ähnlich heißt, eben diese entscheidet, ändert nichts an diesem freundlichen Urteil über die "kommunale Selbstverwal- tung". Es genügt, daß sich da in Bezirksausschüssen und ähnlichen Bürgerforen jeder mit seiner ganz speziellen Buslinienkenntnis einmal als Berater aufspielen und sich unheimlich einbringen kann, bevor ihm der obrigkeitliche "lnteressenausgleich" hinge- semmelt wird. An der anstehenden Volkszählung ist nun aber für die Fanatiker des demokratischen Mitmachertums ums Verrecken kein kleinräumig einsehbarer "Sinn" und kein billigenswerter Planungs- und Kon- trollzweck zu entdecken, dem die ganze Zählerei dienen könnte. Und das gibt zu denken: Statt Kritik ein Verdacht: Staat will übel! ------------------------------------------- Wenn dem so ist und die Volkszählung erkennbar nicht zur Beseiti- gung "konkreter sozialer Mißstände" veranstaltet wird, dann, so "schließen" die Kritiker der Zählung messerscharf, muß in der Staatsmaschine, die doch sonst immer so "an die Interessen und Bedürfnisse der Betroffenen und der Gesellschaft 'angekoppelt'" sein soll (Ratgeber), etwas ganz Neues und Unerhörtes in Gang sein: Ein großer "Machtmißbrauch", das "Abkoppeln der Verwaltung" vom Bürgerinteresse wird durch die Volkszählung ins Werk gesetzt; diese bringt den Übergang vom "demokratischen Rechtsstaat zum to- talen Erfassungs- und Überwachungsstaat auf kaltem Wege" (Ratgeber). Denn die "Lebensfähigkeit der Demokratie ist gefähr- det", wenn "menschliches Verhalten in einem bisher unerhörten Maß überwacht und analysiert wird", um "die Bürger/innen in Zaum zu halten", "der demokratischen Willensbildung möglichst jede Ent- scheidung abzunehmen" und die "zentrale soziale Kontrolle durch- zusetzen" (alles aus dem 'Ratgeber'). Als hätte es der bundesdeutsche Staat bislang an der Herstellung braver, rundherum nützlicher Untertanen fehlen lassen! Die BRD hat doch mustergültig - als "Modell Deutschland" - vorexerziert, wie ein moderner Staat gerade m i t t e l s Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Willensbildung seine Bürger/innen "im Zaum hält", sie "kontrolliert" und "steuert", indem er ihnen streng rechtsstaatlich gestaltete Lohnarbeitsverhältnisse einrichtet, die die Bürger/innen mit Vor- und Nachbereitung von der Wiege bis zur Bahre in Atem halten, und indem er ihnen lebenslang den Feh- ler einbleut, das Funktionieren der Gewalt, von der sie per Mono- polisierung aller Lebensumstände abhängen, sei ihnen Vorteil und Freiheit. Daß ausgerechnet ein solcher Staat, der bei der In- dienstnahme seiner Bevölkerung auf diese Tour und deren Kosten so erfolgreich war, für und durch eine Handvoll Bits seinen Charak- ter ändern und zum "Überwachungsstaat" werden sollte, ist schon ein seltsamer Verdacht. Der Horror: Zählen = Macht! --------------------------- Die Absurdität vom inhaltslos bösartigen, abstrakt machtgeilen Bescheidwissenwollen des Staates, der sich erst dadurch überhaupt als Herrschaft geltend macht, will plausibel gemacht sein. Das führt zu einem wüsten Durcheinander wilder Verdächtigungen und ab und zu auch zu einem kleinen Kompliment an die existierende Macht: Da wird im zitierten "Ratgeber" liebevoll das Grauen des "totalen Überwachungs- und Erfassungsstaates" ausgepinselt, in dem ewige Menschheitswerte wie die "Anonymität des Marktes" keinen Pfiffer- ling wert sind und die "Privatsphäre" nicht viel mehr, obwohl sie unser zeitgenössisches Bundesverfassungsgericht noch extra er- laubt hat. Dessen leicht absurde Rechtsfigur eines "Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung" ist überhaupt der sicherste Boden, den die Volkszählungsgegner unter de Füßen zu haben glau- ben. Dabei stört es sie überhaupt nicht, daß das Bundesverfas- sungsgericht damit p r a k t i s c h gar nicht mehr festgelegt hat als die Unterscheidung und Trennung zwischen Daten, die b l o ß für die Statistik erhoben werden, und solchen, die erst einmal anderen, viel gewichtigeren materiellen Zwecken des Staa- tes - und erst in ihrer nachträglichen Zusammenfassung a u c h statistischen - dienen und die deswegen kraft anderer Gesetze als des Volks z ä h l u n g s gesetzes einzuholen, zu überprüfen und zu speichern sind. Erst recht kommt es keinem Helden der freien, unbeaufsichtigten Privatsphäre in den Sinn, daß das schöne Men- schenrecht auf rechtsförmlichen Schutz der Informationen über die eigene Person lauter berechtigte Interessen voraussetzt u n d a n e r k e n n t, für die die eigene Person - am Ende auch noch als computerisierter Datensatz - das Material abgibt: Man/frau ist Steuerzahler, Rentenversicherter, Sozialhilfeempfänger, Auto- fahrer, Wehrpflichtiger usw. und als solcher ein offenes Buch mit eigener Registriernummer, deren Verwendung das oberste Gericht nun wirklich nicht dem privaten Belieben anheimgestellt hat. Steuern und Renten scheinen aber sowieso weit erträglicher zu sein - folgt man der Logik der Volkszählungsphobiker - als die dazugehörige Nummer. Denn nicht durch die zahllosen materiellen Pflichten, auf die der Staat wert legt, sondern durch "zentrale soziale Kontrolle", die nichts als sich selbst und die Perfektio- nierung ihres Nummernwesens zum Inhalt hat, wird der freie Bür- ger, der sich angeblich heute noch tagein tagaus als Subjekt des Staates betätigt, zum "bloßen Objekt", was unweigerlich seine "Entpersönlichung" nach sich zieht. Und will er dann deswegen einmal richtig auf den Tisch hauen, muß er feststellen, daß er gar nicht mehr weiß, bei welchem Helmut oder Hansjochen, weil er dann vielleicht schon "von anonymen Mächten und Automaten verwal- tet" wird, statt von einem leibhaftig-personalen dicken Strauß. D e n e n muß er daher, bevor das Verhängnis seinen Lauf nimmt, unbedingt noch melden, daß der Schutz der zu erhebenden Daten v o r U n b e f u g t e n keineswegs 100-prozentig gesichert ist, wenn sogar Gymnasiasten als Zähler herangezogen werden, was sich mit der v e r s p r o c h e n e n Anonymität nun wirklich nicht vereinbaren läßt... Dabei ist der "schwerwiegendste Einschnitt in sämtliche bürgerli- chen Rechte" noch gar nicht benannt, der darin bestehen soll, daß "der Mensch" per computerisierter Genom-Analyse "genetisch mit allen seinen Mängeln und Schwächen lesbar" sein wird und damit als buchstäblich "gläserner Datenmensch bis in seine Zellkerne durchsichtig". Solange aber "das größte Problem... in der Gefahr eines politi- sche Umsturzes" liegt "und darin, daß sich d i k t a t o r i- s c h e Kräfte dieses Überwachungsapparates bedienen werden", solange herrscht doch trotz allem selbst bei den radikalsten Datenschützern noch das gewisse Urvertrauen in unsere d e m o k r a t i s c h e n Herren. Kritik am Polizeistaat - ausgerechnet da, ----------------------------------------- wo es mal nicht um seinen Ausbau geht! -------------------------------------- Dennoch werden zur Abrundung des "düsteren Panoramas" (Grünen- Flugblatt) die Polizeiperfektionierungsgesetze der jüngeren Zeit über die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei, über ZE- VIS und maschinenlesbaren Ausweis, über Schleppnetz-, Rasterfahn- dung und "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" durch Anwendung ge- heimdienstlicher Mittel der Polizei als Quasi-Unterfälle der Volkszählung mit dieser zusammengeworfen. Dabei sind die Sicher- heitsgesetze sehr praktisch gemeint; sie geben neu entwickelten Techniken Gesetzesform bzw. legalisieren längst übliche Methoden. Sie sind zur unmittelbaren Anwendung gegen Reste von vorhandenem oder nur staatlich definiertem "Widerstand" gedacht, dem man auch künftig - da sind sich die Politiker und ihre waffentragenden Exekutoren sicher - genug Gründe geben wird und gegen den man deshalb auch nicht perfekt genug gerüstet sein kann. Hierher ge- hören alle Sorten der auf den Einzelfall gerichteten Überwachung, die Umfeld-Sumpf-Erkundung und allerlei g e h e i m e Volkszäh- lung, die wenig zu tun hat mit der statistischen, die auf das Mitwirken der Ausforschungsobjekte angewiesen ist und als Service für zupackende Staatsanwälte wenig taugt. Es ist schon seltsam, daß die Volkszählungsgegner den "Sicherheits- und Überwachungsstaat", den sie doch - denkt man - kennen, ausgerechnet bei einer Staatsaktion "bekämpfen" wollen, wo gerade mal gar nicht er, sondern die Statistik vervollkommnet werden soll. Wenn sie, als Berufungsinstanz für die Bedrohlich- keit der Zustände, den Volksmund zitieren, der wegen der polizei- lichen Überwachungsmaßnahmen rund um Wackersdorf mault: "Haben wir denn schon Rußland?", dann hat das mit der Volkszählung eben- sowenig zu tun wie mit den "Sicherheitsgesetzen". Es ist aber da- mit das Thema des Streits angegeben, den sie der Politik aufma- chen wollen: ein Streit um die Formalia der demokratischen Herr- schaft. Für den interessieren Volkszählung und Sicherheitsgesetze der Sache nach gar nicht (und erst recht nicht, was da gezählt und gesichert wird), sondern sie dienen als gleichgültiges Beleg- material für einen k r i t i s c h e n I d e a l i s m u s d e s d e m o k r a t i s c h e n R e g i e r e n s u n d R e g i e r t w e r d e n s. Der Appell ans privatpersönliche Ressentiment --------------------------------------------- gegen "Bevormundung" -------------------- Dem Volk wird dieser Standpunkt mit einem Appell an sein leicht zu beleidigendes Ehrgefühl nahegebracht: "Nur Schafe werden ge- zählt! "Das schmeichelt dem Ressentiment des freien Bürgers, der zwar alles mit sich machen läßt, aber irgendwo dann auch mal als Privatmensch respektiert und in Ruhe gelassen werden möchte. Die- ses Selbstbewußtsein ist der Ursprung der bekannten Absurdität, daß ein moderner Mensch um so nachdrücklicher auf seine Freiheit pocht, je belangloser die Sache ist, um die es geht. In den wich- tigen Fragen, das sieht ja jeder ein, kann es nicht nach der be- sonderen Meinung der Betroffenen gehen; da halten gerade gut er- zogene Demokraten F ü h r u n g für das einzig Senkrechte. Des- wegen muß es ihnen aber doch um so mehr erlaubt sein, die Taten der Führermannschaft mit einer ganz und gar e i g e n e n M e i n u n g zu begleiten, die den Willen, sich nicht weiter einzumischen, als Kritik, die Unterordnung als Distanzierung aus- drückt. Wo gesetzliche Vorschriften und die Interessen und Taten der politischen Führung die Festigkeit sachlicher Lebensbedingun- gen gewonnen haben, da betätigt ein freies Subjekt sich erst recht nicht als Störenfried, sondern als Genie der Anpassung und beharrt nur auf der Lüge, es gäbe für die geschickte Privatperson in der fertig eingerichteten Welt des Privateigentums jede Menge Chancen auszunutzen. Wenn sich praktisch erweist, daß die gar keine sind, dann ist dagegen nichts zu machen; aber theoretisch läßt man sie sich nicht nehmen: Damit stände die Freiheit auf dem Spiel. Ins Zurechtkommen will sich keiner hineinreden lassen, und schon gar nicht in den wackligen Stolz, irgendwie wäre man noch mit allem alleine zurechtgekommen und hätte jede gesetzte Lebens- bedingung zum Material freier Lebensentscheidungen verarbeitet. An d i e s e r Stelle wird ein Bürger dann auch selbstbewußt und sogar frech, wenn auch nicht kritisch gegen seine Obrigkeit, von der er sich in Sachen Lebenskunst nicht bevormunden, also auch nicht ausforschen lassen möchte: Zur A n g e b e r e i mit der privaten Trickkiste gehört die ebenso jämmerliche G e h e i m n i s k r ä m e r e i. Auch das sprechen die Volks- zählungskritiker berechnend an und finden gar nichts dabei, ge- nauso wie ihre Adressaten die Staatsgewalt die immer an ganz an- deren Stellen großzügig und kleinlich ist als der moralische Un- tertan und als der sich das denkt - und die neugierigen Nachbarn durcheinanderzuwürfeln: "'Ich habe doch nichts zu verbergen!' mag da mancher gute Bürger denken. - Wirklich nicht? ein Berliner Rentnerpaar, das seit Jah- ren zusammenlebt aber gar nicht verheiratet ist und seine Lebens- verhältnisse nicht offenlegen will, weil es um das Wohngeld fürchtet... die Frau, die einer Nebenbeschäftigung nachgeht und ihrem Partner gegenüber ihre privaten Einkünfte nicht angeben möchte... Leute, die ihr Auto bei Verwandten auf dem Lande ange- meldet haben, um dort eine billigere Fahrzeugversicherung zu be- kommen... Alle Menschen müssen befürchten, daß ihre intimen Le- bensumstände, ihre kleinen Geheimnisse herauskommen und sie die Konsequenzen zu tragen haben." (Grünen-Flugblatt) Natürlich weiß jeder Bürger, daß er überall da, wo ein süßes kleines Geheimnis in Sachen Schwarzarbeit, Versicherungsbetrug oder Steuerhinterziehung sich ein bißchen lohnt, mit ganz anderen Fahndungs- und Kontrollmaßnahmen zu rechnen hat als einer gele- gentlichen Volkszählung. Und dagegen ist noch nie ein Aufstand propagiert worden, geschweige denn populär geworden. Denn wo Aus- forschung und Überwachung der Bürger an den rechtsförmlichen Zweck geknüpft sind, für den sie stattfinden, da gilt Datenbe- schaffung ganz unbesehen als B e s c h r ä n k u n g a u f d a s N ö t i g e. Ausgerechnet ein solches materielles Staats- interesse ist bei der Volkszählung aber nur schwer abzusehen; und das stiftet nicht Erleichterung - endlich mal ein Fall, wo die Obrigkeit bloß ein paar Daten will! -, sondern Mißtrauen und den selbstbewußten Standpunkt: Dann gehen d i e s e Daten den Staat auch nichts an! Auch mit diesem Urteil im Kopf macht ein normal tickender Bürger trotzdem zehnmal eher mit bloß halb schlechtem Gewissen einen falschen Eintrag auf seinen Fragebogen als einen Boykott; und überhaupt zählt er die Volkszählung, wenn sie denn mal stattfin- det - bestellt hat er sie ja auch nicht -, schon allein deswegen zu den Sachen, über die er eine kritische Meinung hat und auch um so berechtigter haben darf, als er sie selbstverständlich mit- macht. Sein antiautoritäres Ressentiment reicht von sich aus noch nicht einmal zu der matten "Praxis" eines Boykotts; dazu gehört schon ein höheres Maß an moralischer Energie. Boykott - Existenzbeweis eines ------------------------------ radikaldemokratischen Oppositionsgefühls ---------------------------------------- Die bringen allenfalls Leute auf, die folgende freie demokrati- sche Selbstverständnis verinnerlicht haben: "Die Volkszählung basiert auf einem Demokratieverständnis, das verinnerlicht hat, daß 'die da oben' sich einen Überblick verr- schaffen und dann für die Betroffenen 'da unten' entscheiden" (Grünen-Flugblatt) Daß man/frau selber Demokratie anders und viel besser versteht - etwa so, daß die "da unten" denen "da oben" dauernd auf die Fin- ger sehen und Bescheid stoßen -, ist Ehrensache. Frau/man ist es s i c h s c h u l d i g, "was" zu tun, um die eigene demokrati- sche Gesinnung zur Tat werden zu lassen. Ein moralischer Impera- tiv verlangt "action": "Gegen staatliche Maßnahmen, die... uns zu fremdbestimmten Mario- netten degradieren, müssen wir uns wehren." (Ratgeber) Von dem, was die Staatsgewalt mit ihren Bürgern macht, steht nichts in diesem ersten Gebot radikaldemokratischer Sittsamkeit; ebensowenig von Verhindern. Das Bild von der Marionette, die man natürlich nicht sein will, drückt das Selbstgefühl des "Linken" aus, der sich am politischen Geschäft in seiner Heimat zu wenig beteiligt sieht - was auch schon der ganze Inhalt eines linken Standpunkts heute ist. Und die Aufforderung, sich zu wehren, ver- langt nichts Unmögliches - wofür man/frau "auf die Revolution warten" müßte -, sondern verspricht die Rettung eines ehrbaren Selbstbewußtseins durch sofortige symbolische Aktion. D i e findet dann auch statt, und zwar als ein Boykott, dessen Bedeutung vor allem in der sehr gewagten Interpretation liegt, die ihm angehängt wird: Damit fände die "konkrete" Absage des Volkes an eine Obrigkeit statt, die soweit sind die Volkszäh- lungsgegner mit ihrem Karussell der Verdächtigung inzwischen vor- angekommen - auf ihren Fragebögen extra unschuldige Fragen stellt, nur um den Boykott zu brechen und zu testen, ob das Volk schafsmäßig genug ist, sich - zählen zu lassen. Denn wenn der Staat trotz aller vorgebrachten konstruktiven, kritischen und sorgenvollen Einwände die Zählung einfach durchführt, dann kann es ihm gar nicht auf die bloßen Daten anommen. Dann will er sein Volk strammstehen sehen und erleben, wie alle "Hier!" brüllen. Und das nicht, weil er wissen will, ob alle da sind, sondern um seine Untertanen durch einen inhaltslösen Herr-im-Haus-Standpunkt zu demütigen. So erscheint die Volkszählung ihren Gegnern am Ende als ein bös- artiger Anschlag auf ihren Boykott. Der Reaktion der amtierenden Innenpolitiker, die, ihrerseits mit viel staatsmoralischem Erzie- hungseifer, kräftig an die Waffe des Bußgelds erinnern, die gegen Verweigerer zum Einsatz zu bringen sei, entnehmen sie den Beweis für die Brisanz ihres Vorhabens. So billig ist heutzutage das Ge- fühl zu haben, man ließe sich denn doch nicht alles gefallen. Bei aller eingebildeten Aufmüpfigkeit vergessen die Volkszäh- lungsgegner übrigens nicht die Erinnerung an den n a t i o n a l e n K o n f o r m i s m u s ihres demokra- tieidealistischen Oppositionsgefühls. Die Schlechtigkeit der volkszählenden Obrigkeit sehen sie erst durch den rechten Ver- gleich ins richtige Licht gerückt: "Solche Praktiken sind anderswo unbekannt, es sei denn etwa in Südafrika oder eben im andern deutschen Staat: in der DDR." (Ratgeber) Irgendwie wissen sie sich in ihrem teuflischen Überwachungsstaat eben schon zu Hause; der vertraute Antikommunismus - "Haben wir denn schon Rußland:" - macht scharfzüngig, aber nicht kritisch gegen die Obrigkeit, die zählen will, Und sei es nur, weil sie sich ja noch tummeln dürfen und den regierenden Demokraten den Hohlspiegel vorhalten - mehr wollen und mehr tun sie ja wirklich nicht, Verweigern leicht gemacht ------------------------- Der Schrecken, den Volkszählungsgegner vor der Allgegenwart und Allmacht des kontrollwütigen "Großen Bruders" verbreiten wollen - "...eine Welt des Gesinnungsterrors und der Bürokratie, der amt- lichen Verlogenheit und Manipulation, psychischer Schrecknissie (?!) und verletzter Menschenwürde, der Vernichtung von Liberali- tät und Persönlichkeit - dies ist zur greifbaren Realität gewor- den" (Ratgeber) -, erweist sich folgerichtig als berechnender, aufs demokratische Konkurrenzgebaren zugeschnittener Theaterdonner, sobald es an die Durchführung der oppositionellen Gewissensprüfung geht. Mit der dramatisierenden Rhetorik kontrastiert nämlich ein wenig die loc- ker-angeberische, pennälerhafte Art, in der für den Boykott ge- worben wird. Es herrscht kein Mangel an Vorschlägen, wie man eine ungeheure Aufmüpfigkeit hinkriegt, ohne gleich unangenehm aufzu- fallen: den Fragebogen auf chinesisch ausfüllen - von der Amts- sprache steht nämlich nichts im Gesetz; oder vor dem 25.5, zu ei- ner Weltreise aufbrechen - aber dann die polizeiliche Abmeldung nicht vergessen! Da werden "99 Wege, einen Fragebogen zu zerstö- ren", vorgestellt; in einer Manier, als solle ein Tölpel durch gelungene Streiche hereingelegt werden: "...die einfache Zerstörung durch Reißen, Schneiden, Kaffeeaus- schütten (in alternativen WGs 30 Minuten lang gezogener Malven- tee, wegen der schönen Farbintensität) ...differenzierte Methoden für den Volksaushorchungsboykotteur, der mit viel Liebe und Engagement an die Verarbeitung seines Bo- gens geht... Die hohe Kunst des Boykotts besteht im legalen Verschwindenlassen des Fragebogens... an die deutsche Botschaft in Botswana schicken... ", (Grünen-Flugblatt) Da führt das clever-aufmüpfige Comic-Pärchen Hase - "Wir lassen uns nicht erfassen!! Wir sind doch nicht blöd!" - beispielgebend vor, wie man mit einem garantiert ungefährlichen, legalen, alle Rechtsmittel ausschöpfenden "weichen Boykott" die Finsterlinge an den Staatscomputern zur Verzweiflung treiben kann: "...tipp, tipp, stöpsel, programmier! PUH!" (Ein Finster- ling) Und was für ein Hauptspaß das ist, die "Aushorcher" an der Nase herumzuführen. Neben alledem wird auch markig zum offenen Bekenntnis zum Boykott aufgerufen, nicht ohne den Hinweis, daß die staatlich angedrohten Zwangs- und Bußgelder bis 10.000 DM "unrealistische Horrorsummen" seien; da solches ja "der Regel der Verhältnismäßigkeit" unter- liege, würden die Beträge "eine Höhe von 50 bis 300 DM kaum über- schreiten". "Die Risiken, die jeder einzelne durch den Boykott eingeht, sind also überschaubar und kalkulierbar." (Grünen-Flugblatt) Die eigenartige Auskunft, man könne als real existierendes Ideal des raffinierten Individuums und lebendig gewordene Staatsbürger- Comicfigur den "längst fahrenden Zug des totalen Erfassungs- und Überwachungsstaats, von dem wir überfahren zu werden drohen" (Ratgeber), mit einem dicken Marmeladeklecks auf dem Fragebogen festkleben und mit einer Woge von Malventee die "Welt des Gesin- nungsterrors" wegspülen, läßt nur einen Schluß zu: Wenn die ganze Boykott-Bande den Staat selbst noch in der erfundenen Monströsi- tät des "totalen Überwachungsstaates" als letztlich harmlosen Großtrottel vorführt, dem man sich durch ein paar aufgeweckte Tricks entziehen kann, um ihn hilflos blamiert dastehen zu las- sen, und der einem selbst dafür noch die Rechtsmittel schenkt, dann hat sie selbst nie an ihren Schmus vom "Großen Bruder" ge- glaubt. Sondern nur an ihre Ehre als freiheitliches Individuum, das sich selbst aussucht, was es sich gefallen läßt und was nicht, und das sich so, ideell und prinzipiell gesehen, gar nichts ohne Selbstbestimmung gefallen läßt. Wer nicht das gewöhnliche Staatsgeschäft, sondern dessen stati- stische Auflistung skandalös findet, denkt auch nie an praktische Behinderung der Politik, sondern nimmt eine gute Gelegenheit wahr, an einer abseitigen Stelle, wo der Staat sich sogar von der Auskunftsbereitschaft seiner Bürger abhängig macht, seinen idealen Protest zu inszenieren. Deswegen ist es mit dieser "Oppositionsbewegung" auch schon wieder aus und vorbei, sobald die Volkszählung über die Bühne gegangen ist. Spuren wird sie ausschließlich in den sentimentalen Erinnerungen alternder Spon- tis an ihre aufmüpfige Vergangenheit hinterlassen, in der sie ja sogar mal so getan haben, als dächten sie ans Revoluzzen - und die Demokratie hat es ihnen nicht gedankt... Es bleibt ein Angebot, und das ist bestechend: eine Fundamental- opposition, die wirklich niemandem schadet und die sich jeder leisten kann. zurück