Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION TERRORISTEN - Die Gegengewalt der Ohnmacht
zurück Bremer Hochschulzeitung Nr. 33, 28.04.1981DIE RAF UND DER RECHTSSTAAT - 1981
1. "Innere Sicherheit" heute ---------------------------- Die Zeiten, in denen Politiker eine riesige "terroristische Her- ausforderung", eine "Gefahr für den Rechtsstaat" beschworen und mit diesem Argument die umfassende Aufrüstung der "inneren Si- cherheit" mit dem Schein der Notwendigkeit zur Selbsterhaltung versahen, sind längst vorbei. Heutzutage kommt der angeblich staatsbedrohende Terrorismus hauptseitig dadurch in die Schlag- zeilen, daß einsetzende Mitglieder der RAF den Staat mit der An- drohung ihres eigenen Todes bedrohen. Der Hungerstreik von Sigurd Debus und anderen wollte der Strafju- stiz die Anerkennung der Einsitzenden als "Kriegsgefangene" und die Zusammenlegung der Gesinnungsgenossen abverlangen. Die Antwort des Staates: "Wir reagieren grundsätzlich nicht im Erpressungszustand". So der niedersächsische Justizminister. Für "unannehmbar" hielt auch Bundesjustizminister Schmude die Forderung der Gefangenen, weil sie "dem Zweck dient, den Zusammenhalt ihrer kriminellen Ziele aus dem Gefängnis heraus weiter zu verfolgen." Daß der "Erpressungszustand" keiner war, hat der Tod von Debus bewiesen. Daß die Politiker sich für 10 Millionen Mark einen Hochsi- cherheitstrakt mit einer Mauerstärke geleistet haben, die zur Aufweichung des Rechtsstaates durch die Knastmauern geradezu ein- lädt, glaubt im Ernst niemand, auch Schmude nicht. Beide Erklärungen vollstrecken an den Hungerstreikenden das rechtskräftige Urteil über sie. Ihre Verbrechen haben den rigoro- sen Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Zweck, den die Inhaf- tierten auch da nicht aufgeben, wo dieser Wille von der Strafju- stiz und ihren Hochsicherheitstrakten gebrochen wird. Also muß er gebrochen werden, und von daher verbietet sich für Schmude und seine Gehilfen jedes Eingehen auf die aufgestellten Forderungen, die schon deshalb ein Anschlag auf den Rechtsstaat sind, weil sie g e f o r d e r t werden. Diese Behandlung des inhaftierten staatsfeindlichen Willens ist wie bei jedem Gefangenen ohne die Ruinierung der Physis dieser Leute nicht zu machen. Kein Hochsicherheitstrakt ohne Intensiv- station. Und ihre Fortsetzung hat diese Behandlung an den Hunger- streikenden darin erfahren, daß die Ablehnung ihrer Forderung das Opfer ihres Lebens einschließt. Das erfundene "Dilemma" des Staates zwischen dem "Respekt vor dem Willen der Gefangenen" und dem Anliegen "Schutz des Lebens" haben vom Standpunkt der Strafjustiz die Hungerstreikenden für ihn ge- löst: durch ihre Unnachgiebigkeit. Denn Respekt verdient sich der Wille nicht nur der Gefangenen dadurch, daß er die Prinzipien des Staates anerkennt, statt gegen sie aufzubegehren. Konsequent insofern die Mitteilung von Schmude an Amnesty Inter- national, "für die Zeit n a c h Beendigung des Hungerstreiks" solche Maßnahmen der Justiz "in Aussicht" zu stellen, die n i c h t zu den Forderungen der Hungerstreikenden gehören, zum Beispiel das zur Diskussion gestellte Angebot, die RAF-Leute mit Nicht-Gesinnungsgenossen zusammenzulegen. Ebenso konsequent der "Schutz des Lebens", der in Form von Zwangsernährung in dem Au- genblick einsetzte, wo die Bewußtlosigkeit des S. Debus von sei- nem renitenten Willen nichts mehr übriggelassen hatte, und sein Organismus irreparabel war. Daß das Ableben von Debus rechtsstaatlich einwandfrei war, steht außer Frage: dem "Respekt vor dem menschlichen Willen" wurde in Hamburg Fuhlsbüttel ebenso genüge getan wie dem "Schutz des Le- bens". 2. Öffentlichkeit und staatstreue Ethik --------------------------------------- Eine Schuldfrage wie zu Zeiten des zu Tode gekommenen Holger Meins ist bei S. Debus in der Öffentlichen Debatte gar nicht erst aufgekommen. Sein Tod war rechtsstaatlich sauber, Ärzte waren auch dabei, von angeblich eingeschmuggelten Pistolen und etwaigem Mißbrauch ist nichts bekannt geworden. Der Schuldige am Tod von Debus steht von vornherein fest: Debus. "Ein sinnloses Opfer", so der Blätterwald von FAZ, FR, SZ etc., denn sinnvoll sind nur Op- fer, die für den Rechtsstaat statt gegen ihn erbracht werden, ob an der Lohnfront oder gegen den Feind. Ein "ideologischer Über- zeugungstäter" muß deswegen allen staatstreuen ideologischen Schreibtischtätern von vornherein "fanatisch vorkommen". Dessen Bosheit kann nur begründen, warum er die ordinäre Art des staat- lichen Strafvollzugs an ihm nicht dankbar als Erweis besonderer rechtsstaatlicher Güte entgegenommen hat: "Seit Februar im Nor- malvollzug", Debus hatte "insofern als Person am wenigsten Grund, gegen die Haftbedingungen zu protestieren." (FR) Ob mit oder ohne Zwangsernährung der Menschenwürde besser gedient sei, ist der einsame Gipfel dieser philosophisch-ethischen Grund- satzdebatte, wie sie der SPIEGEL und andere Magazine vom Zaun ge- brochen haben. Eine wirklich starke Alternative. Daß jede Gefängnisstrafe die Individualität der Gefangenen ruiniert, war noch immer der rechtsstaatlich verordneten Menschenwürde angemessen. Ein Verstoß gegen sie fällt diesen Leuten da ein, wo ein ärztlicher Eingriff auf die E r h a l t u n g des Lebens für die Exekution der Strafe zielt, das ein RAF-Häftling opfert. Die zweite Alternative erspart sich diese Verletzung der Ethik dadurch, daß sie den wi- derständischen Willen zu seiner Würde, d.h. "ohne Zwangsernäh- rung" zu Tode kommen läßt. Daß die Politiker Herren über Leben und Tod sind, steht bei dieser Debatte außer Frage. Und daß auf dieser Grundlage das Ableben des S. Debus nicht nur rechtsstaat- lich, sondern deswegen auch moralisch einwandfrei verlief, hat diese Diskussion ebenso bewiesen wie zu ihrer Voraussetzung ge- habt. Häßliche Töne über zwielichtige Verhältnisse im deutsch-de- mokratischen Strafvollzug sind nicht aufgekommen. Das Ausland hat sich seine Anwürfe an die "häßlichen Deutschen" wie zu Zeiten des Andreas Baader weitgehend gespart. Ob mit oder ohne Zwangsernährung - am staatlichen Humanismus hat es beim Tod von S. Debus mal wieder nicht gefehlt. 3. Der Hungerstreik der RAF --------------------------- Die RAF-Gefangenen ließen in einer Erklärung nach dem Tode ihres Gesinnungsgenossen Debus verkünden: "Sein Wille konnte nicht ge- brochen werden." Die damit vollzogene Idealisierung der mit töd- licher Konsequenz betriebenen Hungerstreikaktion macht auf maka- bre Weise deutlich: Daß man noch in der selbstmörderischen Ergän- zung der staatlicherseits exekutierten Gewalt eine G e l e- g e n h e i t begreift - eine letzte und durch das Todes- o p f e r unwiderlegbare Bewährung der eigenen "revolutionären Identität". So verrückt es ist, in der systematischen Verwei- gerung der Nahrungsaufnahme, in der Z e r s t ö r u n g der eigenen Physis ein Mittel gegen die Staatsgewalt zu erblicken; so illusionär es ist, damit auf eine m o r a l i s c h e Wirkung beim Gegner zu setzen, die ihn zum Nachgeben bewegen könnte - die einsitzenden Hungerstreikenden haben diese vermeintlichen Waffen eingesetzt, o h n e in ihnen ernstlich ein taugliches Mittel zu Durchsetzung ihrer Forderungen zu sehen. Als Gefangene aller Mittel des militanten Widerstands gegen die Staatsgewalt beraubt, führen sie an sich selbst und ihrem Leben den letzten Beweis, daß sie ihrem selbstzerstörerischen Programm der demonstrativen Konkurrenz gegen das Gewaltmonopol treu bleiben. 4. Die Solidarität der "Szene" ------------------------------ stellte diese Wahrheit des Anarchismus auf ihre Weise unter Be- weis. Ihre Parole: "Der Widerstand lebt!", denn Sigurd Debus ist tot. zurück