Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION REVIS - Links von der SPD
zurück
Bremer Hochschulzeitung Nr. 14, 06.05.1980
Unsere Meinung
MSB: FÜR DEUTSCHLAND
1
Sind die Revisionisten über den jüngsten Ereignissen im Iran völ-
lig verrückt geworden? Nach ihrer Sicht der Dinge ist unlängst
ein amerikanischer Bürger namens Jimmy Carter dem Irrenhaus ent-
sprungen, in die Rolle des US-Präsidenten geschlüpft und hat in
einem Anfall von Größenwahn den Einsatzbefehl gegeben. Nicht Ta-
bas war der Schauplatz der versuchten Geiselbefreiung, sondern
Hollywood, "Hauptfigur ein größenwahsinniger Cowboy" (DKP-Kommu-
nist).
Während Carter aller Welt vorführt, wie ein Präsident der Welt-
macht Nr. 1 a g i e r t, ganz Sorge, ganz Verantwortung, ganz
Entschlossenheit, sehen MSB und Konsorten in ihm ein willenloses
Nervenbündel, getrieben von bösen Mächten. "Carter reagiert wie
ein angeschossener Eber." (Jagdszenen des MSB) Und was den
"Amokläufer" im Weißen Haus nicht alles getrieben haben soll:
"Außenpolitische Niederlagen" (wie der Tatsache, daß es in Moskau
zur Sommerzeit recht leer bleiben wird); "bevorstehende Wahlen"
(weswegen ihm seine Mitbewerber dankten für die gezeigte Verant-
wortung); "handfeste Interessen der US-Monopole" (wohl weil die
Firma Sikorsky ihre neuesten Helicoptermodelle einmal in südli-
chen Gefilden testen wollte).
2
Ob vielleicht Leonid Breshnev in Sachen Afghanistan auch verrückt
gespielt hat? Die Parallelfrage ist aus revisionistischer Sicht
natürlich unzulässig, weil 1. Leonid vom Naturell her kein
"Abenteurer" ist, 2. der Weltfriedensmacht vorsteht, 3. besonnen
ein Hilfsgesuch der Afghanen angenommen hat, 4. überhaupt die
Welttendenz verkörpert. Womit auch schon die ganze revisionisti-
sche Weltsicht fertig wäre. Kein Wort braucht dabei zu fallen
über die Art und Weise, wie der oberste Ami die imperialistische
Macht ausübt, wie seine europäischen Partner eifrig an ihr teil-
haben. Jimmy ist ein Abweichler von der Welttendenz, das genügt,
ihn fÜr verrückt zu erklären.
"Als Marxisten wissen wir, daß der Imperialismus historisch zum
Untergang verurteilt ist. Aber was die Führung dieses Systems zur
Zeit bietet, ist der Zukunft weit voraus (daß die Amis auch nie
warten können!). Bedrohlich ist der Versuch, per Dekret (schön
gesagt!) aus dem Weißen Haus die welthistorische Entwicklung
rückgängig zu machen und die USA zur stärksten Macht der Welt zu
erheben." (rote blätter 5/80).
3
Verrückte hier, Besonnene dort, wo bleiben die Deutschen? Klar,
daß sie sich nicht auf die Seite der verrückten Cowboys schlagen
sollen. Aber bei der Warnung vor dem entsprungenen Irren will es
der MSB nicht bewenden lassen. Er erfindet neben dem Hollywood-
Carter noch eine zweite Karikatur:
"Wird die Bundesrepublik jetzt zu einer Bananenrepublik der Ver-
einigten Staaten? Oder werden wir der 51. Bundesstaat der USA?"
(SDAJ-Flugblatt zum 1. Mai)
NPD-Parolen? Nein, um diese Sorte Nationalismus des Jahres 1980
macht sich die Linke verdient. Ihre Auffassung von der Nibelun-
gentreue der BRD gegenüber den USA, ihre Kritik am "Ausverkauf
nationaler Politik" (wieder nicht v. Thadden, sondern SDAJ) be-
schwört das Bild der kleinen, mangels eigener Weltmachtstellung
hilflosen, integren BRD, die unglücklicherweise mit ihren Ver-
pflichtungen gegenüber der Schutzmacht, nun wo diese anfängt,
verrückt zu spielen, in die Klemme gerät, aus der es nur einen
Ausweg gibt (zumindest für die hier besprochene Fraktion des
zeitgenössischen deutschen Nationalismus): Bündnistreue gegenüber
der Weltfriedensmacht. Die Nuancen der revisionistischen Agita-
tion für den Anschluß an die Welttendenz haben sich etwas verän-
dert; nicht einfach hinter dem Ideal des Weltfriedens soll der
deutsche Mensch herlaufen, sondern sich dabei voll auf seine
n a t i o n a l e n Interessen besinnen, die nirgends anders als
gen Osten drängen.
"Es ist besser, wenn die bundesdeutsche Flagge im Moskauer Sta-
dion aufgezogen wird als auf Kriegsschiffen im Indischen Ozean"
(schreibt eine soziallistische Arbeiterjugend).
4
Für wen wohl? Für MSB und Konsorten, die mit dem Nationalismus
hierzulande offenbar nur ein Problem haben: wie setzt man ihn zur
Bündnistreue mit dem Osten ein, weil nicht jeder seinen Anti-Ame-
rikanismus gleich als Grußadresse an Leonid verstanden wissen
will. Die Heuchelei um Afghanistan und den Frieden in der Welt
("Es gibt keine Bedrohung des Friedens durch die Sowjetunion")
hat im Aufruf an die friedliebende deutsche Nation einen würdigen
Abschluß gefunden.
Während der Kanzler am 1. Mai demonstriert, was Bündnistreue ist
und dabei ganz und gar nicht wie eine amerikanische Marionette
ausschaut; während Carstens der Bremer Öffentlichkeit vorführt,
wie sehr das Kriegsgeschäft zum Alltag der demokratischen Repu-
blik gehört, fällt der Linken die Verantwortung der deutschen Na-
tion ein: Gewissensprobleme der d e u t s c h e n Linken.
Scheißegal, was passiert, in der Welt - Hauptsache
"Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen!" (Aufruf
zur Demo am 6. Mai)
Das i s t Wahnsinn, aber er braucht deshalb noch lange nicht
Methode zu werden.
zurück