Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION OEKOLOGIE - Reaktionäre Naturphilosophie
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DIE VERSTAATLICHTE NATUR
Mit dem biblischen Gebot "Macht euch die erden untertan!" hat der
Kapitalismus auf seine Art ernst gemacht. Er verfügt dazu über
die nötigen Mittel - die Wissenschaft von der Natur und der mo-
dernen Technik - und ein gesellschaftliches Interesse: das Ge-
schäft. Damit ist aber auch schon klar, daß auf Land und Leute
nur sehr begrenzt Rücksicht genommen wird, eben nach Maßgabe des
Geschäfts. Angesichts der Resultate, vom sauren Regen bis zu er-
schlagenen Robbenbabies, entdeckt ein Teil der zivilisierten
Menschheit die heiße Liebe zur Natur. Die Gewalt kann damit le-
ben; und woran "Umweltpolitik" sich garantiert nicht versündigt,
das ist der Profit.
Das "Umweltproblem"
Was Natur i s t und welchen Gesetzen sie unterliegt, steht in
Fachbüchern der Physik, Chemie und Biologie.
Was aus der Natur w i r d, wie sich das lebendige wie leblose
Inventar der Erde v e r ä n d e r t, entscheiden ganz andere
Gesetze. Nämlich die der Produktionsweise und der politischen
Herrschaft, die per Gewalt entscheidet und wacht, wie die Natur
verwendet wird.
Wo der Staat mit der freien Marktwirtschaft die Vermehrung des
Reichtums, der sich in Geld bemißt, gebietet und fördert, ist die
N a t u r auch M i t t e l d e s E i g e n t u m s. Dessen
Freiheit im geschäftstüchtigen Umgang mit der Natur ist ebenso
exklusiv wie ihre Wirkungen universell. Was die Natur als
M i t t e l d e r A u s b e u t u n g hergibt, verliert sie in
ihrer Eigenschaft als L e b e n s m i t t e l. Das ist das ganze
Geheimnis des "Umweltproblems".
Über die inneren Gesetzmäßigkeiten der Naturstoffe und der zwi-
schen ihnen ablaufenden Prozesse kann und will sich auch das Ka-
pital nicht hinwegsetzen: Es macht sie sich für seine Vermehrung
zunutze. In seinem Produktionsprozeß verwendet es alle möglichen
Substanzen, setzt mittels der Arbeit der von ihm Beschäftigten
physikalische, chemische oder biologische Vorgänge in Gang, um
Produkte entstehen zu lassen, die mit Gewinn verkäuflich sind.
Dabei interessieren den Eigentümer des Produktionsprozesses und
seiner Resultate weder die Wirkungen der von ihm in der Produk-
tion angewandten Natursubstanzen und -prozesse noch die natürli-
chen Eigenschaften seiner Produkte a l s s o l c h e. Er be-
nutzt sie allein unter einem Gesichtspunkt: dem des Geschäfts.
"Produktionsfaktor Arbeit"
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Dieser kalkulierte Umgang mit der Natur hat zuallererst ganz un-
mittelbare Konsequenzen für diejenigen, die auf den Verkauf ihrer
Arbeitskraft angewiesen sind, weil sie den Lohn zum Leben brau-
chen. Im kapitalistischen Produktionsprozeß kommt es auf die Ver-
fügbarkeit und Leistungsfähigkeit des "Produktionsfaktors Arbeit"
an, nicht auf das Leben und Gesundheit der Arbeiter. Daß deren
physische Substanz allein schon durch die Dauer und Intensität
der ihnen abverlangten Arbeit in einem Maße beansprucht wird, das
jedermann als Verschleiß bekannt ist, gilt als normal. Wenn das
Kapital die physische Leistungsgrenze bzw. unmittelbare Gesund-
heitsschädigung seiner Arbeiter berücksichtigt, dann nur, sofern
und soweit sie sich direkt im Produktionsprozeß geltend macht.
Wenn Veränderungen in der Produktion mit einer Verminderung von
Lärm, Staub, Hitze etc. einhergehen, dann um einer Steigerung der
Arbeitsproduktivität willen. So verkündet manches Unternehmen
nach vollzogener Rationalisierung, daß sich der Betrieb schon
wieder um die Schaffung "sauberer" und "humaner" Arbeitsplätze
verdient gemacht habe.
Im übrigen besteht der kostengünstigste Umgang des Kapitals mit
den gesundheitszerstörenden Auswirkungen des Produktionsprozesses
immer noch darin, die Vermeidung dieser Wirkungen durch Warnhin-
weise etc. der Aufmerksamkeit der Arbeiter selbst
anzulasten und sie ansonsten durch die Zahlung von Lärm-, Dreck-,
Hitze-, Gefahren-Zulagen zu einem f i n a n z i e l l e n
A n r e i z zu machen. So erhalten durch dieses Produktionsver-
hältnis Schwerhörige, Frühinvalidität, verkürzte Lebenserwartung
ihren in Mark und Pfennig bezifferten Preis.
Für den Lebensunterhalt, an den sie anders als durch ihre Bereit-
schaft, ihre Arbeitskraft ausbeuten zu lassen, nicht herankommen,
nehmen Arbeiter die Zerstörung ihrer Gesundheit im kapitalisti-
schen Produktionsprozeß "freiwillig" i n K a u f. Deshalb hat
sich an dieser alltäglichen Schädigung menschlichen Lebens in den
Fabriken auch keine Umweltbewegung entzündet. Deren Bezugspunkte
sind andere Wirkungen der kapitalistischen Produktionsweise,
freilich auch nicht a l s s o l c h e.
"Neben"wirkungen unvermeidlich
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Wo der Umgang mit den Naturstoffen, ihre Be- und Verarbeitung,
ihr Ge- und Verbrauch, dem einen Prinzip unterworfen ist - was
k o s t e t es, diese oder jene nützliche Natureigenschaft für
die Vermehrung des privaten Reichtums in Anspruch zu nehmen -
bleibt die (Um-)Welt nämlich nicht ganz verschont. Die Natur läßt
sich nicht in eine "ungeheure Warenansammlung" verwandeln, ohne
daß sich mit den nützlichen, weil gewinnbringenden Eigenschaften
und Wirkungen der Produkte auch eine flotte Liste von - durchaus
nicht nützlichen - "N e b e n"w i r k u n g e n einstellt. Und
die sind von ziemlich universeller Reichweite.
Da ruiniert schon der Produktionszweig, der Nahrungsmittel her-
vorbringt, die kapitalistisch betriebene Landwirtschaft, mit
ihrer Steigerung des Ernte- und Vieh e r t r a g s nicht nur
ihre eigene Produktionsgrundlage, den Boden. Überreichlicher Dün-
gereinsatz, mit dem das Geschäft von der an der Konkurrenz
gemessen unzureichenden Ertragskraft des Bodens unabhängig
gemacht werden soll, versaut die Trinkwasserqualität. Und die
Substanzen, die Tieren und Pflanzen verabreicht werden, um sie
möglichst schnell und möglichst lange marktfähig zu machen,
lassen diese zu "Lebensmitteln" von höchst zweifelhafter, Leben
und Gesundheit kaum förderlicher Qualität werden. Da vergiftet
sich mancher aufgrund einer Geschäftspraxis, die das Vieh binnen
kurzer Zeit zur Verkaufsfähigkeit zu mästen gebietet und es
hinterher noch sechs Wochen lang als frische Ware feilbieten
läßt.
In der Industrie lassen sich die diversen "Nebenwirkungen" des
kapitalistischen Umgangs mit der Natur vor allem unter dem Stich-
wort "Abfallbeseitigung" zusammenfassen. Stoffe, die für eine
profitable Verwendung nicht mehr tauglich sind, werden in allen
Aggregatszuständen auf möglichst kostensparende Weise aus dem
Produktionsprozeß entfernt: in die Luft, in Flüsse und Meere, auf
irgendwelche Müllhalden. Die Wirkungen, mit denen sie von dort
aus das menschliche Leben und die übrigen natürlichen Lebenspro-
zesse beeinträchtigen, fallen außerhalb der eigenen Geschäftskal-
kulation.
Diese Wirkungen sind durch die segensreiche Erschließung des
"Weltmarkts" inzwischen so weit gediehen, daß ganze Gegenden un-
brauchbar geworden sind - für Leute, die in ihnen l e b e n
wollen. Während sich in den Heimatländern des Kapitals dessen
Dreck zu manchem Beinahe-Skandal eignet und eine Serie von
"Zivilisationskrankheiten" hervorgerufen hat, ist die Freiheit
des Geschäfts in den Hinterhöfen der Welt viel gründlicher
genützt worden. Dort kam es erst gar nicht darauf an, die vorhan-
dene Natur auch nur entfernt als Lebensmittel der zufällig anwe-
senden Bimbos in Betracht zu ziehen.
Ein Ding namens Volksgesundheit
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Die Wirkungen, die das Eigentum durch seinen freien Gebrauch der
Natur hervorruft, sind dem Staat nicht gleichgültig. Die verur-
sachten S c h ä d e n registriert er entsprechend der Grund-
rechnungsart seiner Wirtschaftsordnung als K o s t e n - die ihm
und dem auf Vermehrung abonierten Eigentum entstehen. Von diesem
Standpunkt aus, mit dem Interesse, die an der Natur vollbrachten
Werke in Geld zu beziffern und ihre Bewältigung wirtschaftlich zu
verrechnen, betreibt der bürgerliche Staat U m w e l t p o l i-
t i k. Die Beeinträchtigung des zählbaren wirtschaftlichen Er-
folgs dient ihm dabei als Leitfaden für die E n t d e c k u n g
der "Fälle", die er für unerträglich hält.
Die bedenkt er dann als Gesetzgeber, dem die Kategorie der
E n t s c h ä d i g u n g nach vollzogener Tat genauso geläufig
ist wie die Unkosten eines Dings namens V o l k s g e s u n d-
h e i t.
Daß trotz zweihundert Jahren moderner Naturwissenschaft - die
über die Gesetze der einschlägigen Vorkommnisse einiges weiß -
laufend neue schädliche Wirkungen mit mehr oder weniger öffentli-
chem Aufsehen e n t d e c k t werden, verweist darauf, daß sie
nie systematisch e r f o r s c h t wurden, weil es unter den
gegebenen ökonomischen Verhältnissen kein Interesse gab, derglei-
chen abzustellen oder zu verhindern. Auch der Staat, die Ord-
nungsmacht "der Gesellschaft", verfiel nicht darauf, ausgerechnet
das von ihm geschützte und geförderte Privateigentum bei seiner
wirtschaftlichen Nutzung der Natur zu bremsen. Denn schließlich
sind es Wirkungen des sich betätigenden freien Eigentums, d e r
Sorte Reichtum, für die die politische Gewalt sich zuständig weiß
und die ihr selbst als Quelle dient. Wenn der Staat hier an etwas
Anstoß nimmt, dann geht es ihm darum, diese Wirkungen und die von
ihnen ausgehende Beeinträchtigung der Produktion zu begrenzen,
handhabbar zu machen, o h n e die Freiheit des Eigentums ernst-
haft zu beschränken.
Schutz der Arbeiternatur
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Und diesem Grundsatz seiner "Umweltpolitik" gehorcht der Staat
schon lange, so neu der Name dafür ist. Mit den Gesetzen und Re-
gelungen zum A r b e i t s s c h u t z nimmt er Partei für das
Prinzip der Ausbeutung gegen ihre zerstörerische Praxis: In sei-
ner Sorge um die Sicherheit am Arbeitsplatz und den Schutz vor
gefährlichen Stoffen geht es nicht darum, die Lohnarbeit zu einer
ungefährlichen und gesunden Sache zu machen. Es geht darum, das
Kapital daran zu hindern, die Quelle seines Reichtums, die Ware
Arbeitskraft, in einer Weise zu vernutzen, die aus den verfügba-
ren Lohnarbeitern der Nation eine arbeitsunfähige Masse von Inva-
liden macht. Der Standpunkt der V o l k s g e s u n d h e i t
sieht ein Ü b e r maß an Ruinierung als Gefahr an, und er ver-
trägt sich mit manchem Arbeiter"schicksal", das sich durch Er-
werbsunfähigkeit und Krankheit auszeichnet - solange eben genü-
gend arbeitsfähige Bevölkerung erhalten bleibt und nachwächst.
Die einschlägigen Statistiken liefern da gerade fürs fortschritt-
liche 20. Jahrhundert eindrucksvolle Belege.
Da solche Rechtsbestimmungen, etwa über das Verbot der Kinder-
Nachtarbeit, der maximalen Arbeitsdauer an einem Stück, über das
erlaubte Maß der Schädigung der Arbeiter durch giftige Substanzen
(MAK-Werte), über Sicherungsvorkehrungen gegen die ständige Ge-
fährdung im Umgang mit den Arbeitsmitteln u.a. nicht nur die
Freiheit des Kapitals in der Anwendung der Arbeit einengen, son-
dern auch die Freiheit der Lohnarbeiter, sich dem Kapital so
nützlich wie möglich zu machen, sind Übertretungen dieser Bestim-
mungen die anerkannte Regel. Die entsprechende staatlichen Insti-
tutionen tragen ihnen in geeigneter Weise Rechnung. Die
G e w e r b e a u f s i c h t s ä m t e r sind nicht dazu da,
den Normalumfang solcher Übertretungen abzustellen; ihre Aufgabe
ist es, im Namen gleicher Konkurrenzbedingungen über das normale
Maß hinausgehende Verstöße wegen der mit ihnen verbundenen Wett-
bewerbsverfälschung zu ahnden. Auf diesen begrenzten Auftrag ist
auch ihre personelle Ausstattung ausgerichtet. Und in den
B e r u f s g e n o s s e n s c h a f t e n, denen anzugehören
jeder "Arbeitgeber" gesetzlich verpflichtet ist, werden die Ge-
sundheitsschädlichkeiten des Arbeitslebens und die notwendigen
Maßnahmen zur Tauglicherhaltung der Arbeiterklasse von vornherein
in Form ihrer Bilanzierung als Kostenfaktor berücksichtigt. Aus-
gerechnet die Geschäftskalkulation derer, die von Berufs wegen
auf die Ergiebigkeit der ihnen unterstellten Arbeitskräfte aus
sind, gelangt in diesen Organisationen zu der Ehre, den angerich-
teten Schaden in betriebsdienlichen Grenzen zu halten. Anhand der
Kostenentwicklung der aus den Beiträgen der Unternehmen zu be-
streitenden Kompensationszahlungen an die Beschäftigten wegen Ar-
beitsunfällen, Berufskrankheiten, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit
halten sie diese Berechnungen auf dem neuesten Stand und reagie-
ren mit preiswerten Initiativen zur Eindämmung kostenträchtiger
gesundheitsschädlicher Wirkungen überall dort, wo die fälligen
Kompensationszahlungen das kalkulierte Durchschnittsmaß wesent-
lich zu überschreiten beginnen.
Schutz des Eigentums an Natur
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Daß die Benutzung der Natur zur Vermehrung des Eigentums nicht
nur ungesund für die ist, die sich in seinen Dienst zu stellen
gezwungen sind, sondern daß sie durch den Verbrauch allgemeiner
Produktions- und Lebensbedingungen, die sich der exklusiven pri-
vaten Aneignung entziehen, auch f r e m d e n E i g e n t u m
die Grundlage seines gewinnträchtigen Wirkens zerstört, hat den
Staat auch ohne große Kämpfe der Betroffenen auf den Plan geru-
fen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch berücksichtigt er diese negativen
Wirkungen - konsequenterweise in Form einer Garantie der Freiheit
des Eigentums:
Paragraph 906. (Einwirkungen vom Nachbargrundstück) (1) Der Ei-
gentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen
und und Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen
und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen
insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines
Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.
(2) Das gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchti-
gung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks
herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden
kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat
der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von
dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich
in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung
seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hin-
aus beeinträchtigt.
Klargestellt ist damit von Rechts wegen, daß sich die Inanspruch-
nahme der Natur durch das Eigentum an keinen anderen Kriterien
als diesem selbst zu messen hat:
- Die wirtschaftliche Nutzung der Natur als Eigentum und ihre in
Geld bezifferbare Beeinträchtigung sind das Maß des Schadens;
- die Freiheit der Inanspruchnahme der Natur muß sich dem vom Ei-
gentum bereits gesetzten "ortsüblichen" Standard anbequemen: Mit-
ten in Duisburg oder Oberhausen sein Grundstück und Kapital für
die Eröffnung eines Luftkurheims verwenden zu wollen - so gehen
die üblichen Witzeleien zu diesem Thema - stehe zwar jedermann
frei; wegen dessen ausbleibender Rentabilität dann von den be-
nachbarten Hüttenwerken Maßnahmen zur Herstellung kurgeeigneter
Luftqualität oder finanziellen Ausgleich zu verlangen, wäre aber
wohl einigermaßen abwegig.
der Nachweis und die Bezifferung des durch eine Industrieanlage,
ein Kraftwerk, einen Flugplatz etc. erlittenen Vermögensschadens,
die Auseinadersetzungen um "wesentliche Beeinträchtigungen",
"ortsübliche Nutzung" und "wirtschaftliche Zumutbarkeit" werden
zum dankbaren Feld der juristischen Bemühungen, wenn Betroffene
beschließen, den Rechtsweg zu beschreiten. Wenn dabei schon ein-
mal eine Vereinbarung zwischen Bürgerinitiative und Elektrizi-
tätsgesellschaft erzielt wird, sich die Hinnahme des bekämpften
neuen Kohlekraftwerks durch einen "angemessenen Ausgleich in
Geld" von ein paar Tausend Mark pro Betroffenen "vergolden" zu
lassen, wie vor einigen Jahren bei einem STEAG-Kohlekraftwerk im
Rheinland, dann mag das zwar den Fans der Natur als Verrat, den
Fanatikern der Freiheit des Eigentums als rechtsmißbräuchliche
Erpressung gelten. Es ist aber ganz im Sinne von Staat und Recht.
"Wirtschaftlicher Bestandsschutz"
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Ein "U m w e l t p r o b l e m" wird aus der Feststellung, Be-
urteilung und Kompensation von Schäden an Leben und Eigentum erst
später. Da muß die Beeinträchtigung der Nutzbarkeit von Wasser
und Luft, Boden und Nahrungsmitteln schon den Charakter einer
"N e b e n"w i r k u n g der kapitalistischen Industrie und
Landwirtschaft verlieren. Das ist dann der Fall, wenn sich die
Beeinträchtigung zu einer Gefährdung wichtiger allgemeiner Vor-
aussetzungen auswächst, die der Staat dem dem marktwirtschaftli-
chen Leben zuliebe "verantwortet" und verwaltet. Wo die Kontinui-
tät der Produktion und die schlichten Lebensbedingungen der Be-
völkerung einer Region in Frage stehen, wo Boden, Luft und Wasser
die Gestalt einer akuten Krankheitsursache annehmen, mag Vater
Staat nicht mehr einfach zusehen. Dann merkt er schon an seinen
Unkosten für Kläranlagen und den Verlust an Waldbeständen, daß er
zu "U m w e l t p o l i t i k" "herausgefordert" ist.
Die Kriterien der hier fälligen Beurteilung bleiben dabei die be-
kannten. Weil die Aufwendungen für staatliche oder vom Staat an-
geordnete Maßnahmen zur Behebung, Verminderung oder Kompensation
solcher schädlichen Wirkungen so oder so als Kosten gegen den
produzierten Reichtum, gegen die Früchte des Eigentums zu Buche
schlagen, will ihre Notwendigkeit ganz besonders gründlich ge-
prüft sein. Und selbst wenn diese zweifelsfrei feststeht, ist im-
mer noch ein gesamtwirtschaftlich verantwortungsvoller Umgang mit
Maßnahmen gefordert, die das Eigentum in seiner freien Entfaltung
beeinträchtigen, auch wenn sie nur zu seiner Erhaltung da sind.
Entsprechend fallen die Gesetze und Verordnungen aus, die als Im-
misionsschutzgesetz, Technische Anleitung Luft, Großfeuerungsan-
lagenverordnung Natur und Kapital miteinander versöhnen. Sie set-
zen neue Rahmenbedingungen für "umweltverträgliche" zukünftige
Geschäfte, und im Interesse l a u f e n d e r U n t e r n e h-
m u n g e n des Kapitals eignen sich die Auflagen auch dazu,
bisweilen "gelockert" zu werden.
Mit dem "wirtschaftlichen Bestandsschutz" untersagt der Staat es
sich selbst, bereits vollzogene geschäftliche Kalkulationen durch
Änderungen der rechtlichen und wirtschaftlichen Daten zu durch-
kreuzen und so womöglich unprofitabel zu machen. Mit den Begrif-
fen "Stand der Technik", "wirtschaftliche Zumutbarkeit" bzw.
"Verhältnismäßigkeit" legt er die allgemeinen Kriterien für die
neuen Produktionsbedingungen fest. "Stand der Technik" in Sachen
"umweltschonende Produktion" sind solche Produktionsmittel und
-verfahren, deren Anwendung vom Kapital bereits für rentabel er-
achtet wird und sich deshalb "am Markt durchgesetzt" hat.
"Wirtschaftlich zumutbar" sind Maßnahmen, die das Gewinnemachen
mit dem einzusetzenden Kapital nicht behindern. Und
"verhältnismäßig" - Zimmermanns neueste "Verschärfung" der Um-
weltpolitik - sind Maßnahmen, die keinen "enteignungsgleichen
Eingriff" in das Eigentum darstellen, also keine - in verringer-
ter Profitabilität sich messende - Entwertung des inventarisier-
ten Kapitals zur Folge haben, - siehe "wirtschaftliche Zumutbar-
keit".
Wo die Gründe des Drecks feststehen, die gesamtpolitische Verant-
wortung es aber gebietet, nichts zu unternehmen, erweisen sich
schließlich auch Badeverbote für Flüsse, Seen und Meeresstrände,
Smog-Warnanlagen in den Städten oder das Verbot, Gemüse aus dem
eigenen Garten zu essen, als zugleich wirksame und kostengünstige
"Schutzmaßnahmen", die zudem "uns allen" eindringlich den "Ernst
der Lage" vor Augen führen.
Und d e n wollen auch verantwortungsbewußte Bürger entdeckt ha-
ben. Allerdings ist ihre Sicht der Dinge zu einer Weltanschauung
geraten, die sich durch den konsequenten Verzicht auf eine polit-
ökonomische Kritik auszeichnet.
Täter "Mensch" - Opfer "Umwelt"
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D i e M o r a l von der Geschicht' besorgen unterdessen zwei
Figuren, die sich durch seltsame Eigenschaften auszeichnen. Er-
stens sind sie e r f u n d e n e Subjekte, zweitens sehr
a b s t r a k t e. Das tut aber ihrer Beliebtheit keinen Abbruch
- sie heißen nämlich M e n s c h und U m w e l t. "Der
Mensch" ist das Opfer seiner eigenen Sünde, und begangen hat er
sie an "der Umwelt". Wenn er ü b e r leben will, muß er wohl ei-
nige Opfer bringen, und zwar zugunsten "der Umwelt", die gerettet
sein will.
Desgleichen gilt im aufgeklärten 20. Jahrhundert nicht nur als
plausible Erklärung für die Abfallprodukte des Kapitals, sondern
auch als schlechtes Gewissen, das man nur genügend ausbreiten
muß, um als guter Mensch dazustehen.
Leider war mit der Entdeckung, daß eine rücksichtslose Benützung
der Natur durch das Kapital stattfindet, auch schon über die fäl-
lige Besorgnis entschieden. Die Protestbewegung, die über die
Veröffentlichung einiger hundert Skandale entstanden ist, nennt
sich "grün"; und sie hat sich nicht der anti-kapitalistischen
Minderheit im Lande angeschlossen, um sie zu stärken. Im Gegen-
teil. Diese Bewegung ist von Anfang an sehr kritisch denen gegen-
über aufgetreten, die im freiheitlichen Wachstum des Kapitals
auch die Wurzel des nun "Umweltverschmutzung" getauften Übels
ausmachen wollten. Mit dem Bewußtsein etwas v i e l
G r u n d s ä t z l i c h e r e s zum Programm erhoben zu haben
als die "s o z i a l e n G e g e n s ä t z e", welche die Welt
von Freiheit und Gleichheit so ungemütlich machen, ist eine Deu-
tung der rechtsstaatlich genehmigten Werke des Kapitals verfer-
tigt worden, die erst mal gründlich mit allen ökonomischen Befun-
den aufräumt.
Marx hat aus dem Zweck der kapitalistischen Produktionsweise er-
klärt, was diese mit ihren eigentümlichen Fortschritten ausrich-
tet: "Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die
Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozes-
ses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtum unter-
gräbt: die Erde und den Arbeiter."
Das erscheint Bürgern des 20. Jahrhunderts, die bemerken, daß aus
elementaren Lebensbedingungen lauter Gesundheitsrisiken geworden
sind, als "zu wenig". Wo das "Leben" und "Überleben" in Frage
steht, kann und darf es unmöglich um ein Problem des
R e i c h t u m s gehen - lautet der erste grüne Beschluß. Daß
der in Geld bezifferte Überfluß munter wächst, während die Armut
so weit geht, daß die bloßen V o r a u s s e t z u n g e n für
sämtliche modernen Lebensbetätigungen - die natürlichen Lebens-
mittel eben - nichts mehr taugen, wissen sie zwar auch. Aber als
A u s s c h l u ß vom Reichtum wollen sie das nicht auffassen,
und schon gleich gar nicht als einen, der sich der S o r t e
Reichtum verdankt, auf die es allein ankommt. Umgekehrt fassen
sie die ausgiebige B e n u t z u n g der Natur als deren unzu-
lässigen V e r b r a u c h auf. Aus dem maßlosen Anspruch des
Kapitals, das wegen seines Wachstums sämtliche Arbeits- und Le-
bens b e d i n g u n g e n in Gefahren und S c h ä d e n ver-
wandelt, schließen sie auf das I d e a l e i n e r N a t u r,
die als Lebensbedingung taugt, weil und solange sie
e r h a l t e n wird. Nicht die Q u a l i t ä t des Umgangs
mit der Natur ist da Gegenstand der Kritik, obwohl ihr Ausgangs-
punkt, sondern ein V e r g e h e n a n i h r, das mit
"Zerstörung" gekennzeichnet wird.
Dabei handelt es sich allerdings nicht um die abkürzende Benen-
nung des Tatbestandes, daß wesentliche Bestandteile der Natur
u n b r a u c h b a r und der Gesundheit abträglich gemacht wor-
den sind. Allen Ernstes ergreifen die engagierten Kritiker des
Drecks P a r t e i f ü r die "geschädigte Umwelt". Die ver-
mißte Brauchbarkeit setzen sie mit Unversehrtheit gleich, und
darüber werden sie zu A n w ä l t e n "d e r" U m w e l t.
Aus den Erfordernissen, denen sie Stimme verleihen, leiten sie
Ge- und Verbote im Umgang mit der Natur ab; und die Maßstäbe des
Erlaubten erstehen im ökologischen Denken nicht aus den Bedürf-
nissen der Leute, die das Kapital mit Dreck überschüttet, sondern
aus vorgestellten Notwendigkeiten der Natur selbst, die Achtung
verdienen.
Diese der Ö k o l o g i e zu verdankende Charakterisierung des
"Unrechts", das an den Prinzipien der Natur verübt worden sein
soll, verleugnet auch in ihrer zweiten Abteilung, der Schuld-
frage, ihren M o r a l i s m u s nicht. Gemäß einem erzbürger-
lichen Brauch, nach dem nichts so verwerflich ist wie ein
p a r t i k u l a r e s I n t e r e s s e, das g e g e n an-
dere durchgesetzt werden soll, haben die öffentlichen Ankläger
von Dreck und Gift sich von Anfang an darauf verlegt, s i c h
in den Kreis der Schuldigen mit aufzunehmen. Als ob die allge-
meine B e t r o f f e n h e i t durch die versaute Natur auch
schon den Schluß nahelegen würde, daß für die Abkehr vom
"Mißbrauch" der Natur ein ebenso allgemeines S u b j e k t
haftbar zu machen ist, stand von Anfang an d e r M e n s c h
im Mittelpunkt dieser Philosophie. Auf die Anklagebank kommt
diese Gestalt, weil sie keinen Unterschied aufweist - weder den
zwischen Regierenden und Regierten noch den zwischen Betreibern
eines Atomkraftwerks und denen, die den Strom bezahlen und die
Verstrahlung gratis dazu nehmen müssen - und nur die eine Sünde
gutzumachen hat. Sie hat sich an den Gesetzen der "Umwelt" ver-
gangen, indem sie diese schamlos als M i t t e l für sich be-
handelt.
In ihrem Bestreben, die Ehrenhaftigkeit ihres Anliegens ganz
glaubwürdig zu demonstrieren, ist die ökologische Bewegung sehr
fundamental geworden. Als ob die großen und kleinen Katastrophen,
an denen sich ihr Protest entzündet hat, nicht das genaue Gegen-
teil beweisen würden - daß nämlich der vollzogene Umgang mit der
Natur n i c h t j e d e r m a n n s Mittel, wohl aber der
d e s k a p i t a l i s t i s c h e n G e s c h ä f t s ist -,
spricht sie stets im Namen der Gattung. Locker bringen ihre Theo-
retiker Sätze wie die folgenden zu Papier:
"Denn der Mensch selbst ist ein Teil des natürlichen Ökosystems,
und wenn er dieses System zerstört, so zerstört er sich selbst."
"Wenn sich jedoch nicht die Erkenntnis durchsetzt, daß der Mensch
selbst den Naturgesetzlichkeiten unterworfen ist, so gefährdet er
auch sich selbst."
Es gehört schon eine unverwüstliche Demut und Hochachtung vor der
"Schöpfung" oder "Mutter Natur" dazu, sich als Gattung zur
A n p a s s u n g an die heiligen Gesetze der Natur aufzurufen -
und damit glatt die bewußte Veränderung der Natur aufgrund der
Kenntnis ihrer Gesetze und für menschliche Zwecke (die wirklich
in der Natur nicht anzutreffen sind!) zu verdammen. Und noch mehr
(natur-)religiöse Gesinnung braucht es, um die - wohl aus Dioxin-
fässern, tonnenweisen Schwefelverbindungen in der Luft und Unmen-
gen seltener Metalle im Wasser gewonnene - Erkenntnis aufzuti-
schen, "daß der Mensch selbst den Naturgesetzlichkeiten unterwor-
fen ist". Denn das k a n n nur als Auftakt für die Botschaft
taugen, die "Hybris" fallen zu lassen und auf den technischen
Einsatz der erkannten Naturgesetzlichkeiten zu verzichten. Zur
Erläuterung: Die Schädigungen der Gesundheit, die von Tag zu Tag
als Folge gewisser Verfahren in Landwirtschaft und Industrie be-
kannt gemacht werden, sind ganz bestimmt nicht die Konsequenz
mangelnder Beherzigung oder der "Unkenntnis"
ö k o l o g i s c h e r E i n s i c h t e n, sondern die gar
nicht unbekannten Wirkungen ö k o n o m i s c h e r
B e r e c h n u n g e n, die keineswegs "auf Kosten" der Natur
in die Tat umgesetzt werden.
Daß ausgerechnet Leuten, die sich über eine Schädigung ihrer ele-
mentaren Lebensmittel empören, eine V e r z i c h t s h a l-
t u n g einfällt, also eine A l t e r n a t i v e d e s
S c h a d e n s, den sie haben, ist ärgerlich. Es ist, als
wollten sie den bürgerlichen Gemeinsprüchen wie "Alles hat seinen
Preis" und "Arm, aber gesund" endgültig und unwidersprechlich
recht geben. Daß "Wachstum" ein schlechter Zweck ist, weil er die
"Umwelt" zerstört und darüber seine Rache am "Menschen" nimmt,
spricht ein Grüner locker aus - ohne auch nur eine Sekunde darauf
zu verschwenden, w a s da wächst! Freilich wäre das eine
Überlegung, die von der Ö k o l o g i e wegführt und geradewegs
in die Ö k o n o m i e hinein. Und in der Beliebtheit bei
Bürgern des 20. Jahrhunderts verhält es sich bei diesen beiden
Lehren wie mit der Astrologie und der Astronomie. Der Sache nach
übrigens auch.
Dabei kriegen gerade missionarische Ökologen die sehr unökologi-
sche Seite der Sache reichlich zu spüren:
"Leider setzt sich diese Erkenntnis nur sehr langsam gegen den
Widerstand von Politikern, Behörden und der Industrie durch, die
nicht ihr Geld, ihre Macht und ihren Einfluß verlieren wollen."
Vielleicht findet aber auch gar kein Streit zwischen grünen Er-
kenntnissen und etabliertem Egoismus statt - und eine Weltan-
schauung läuft bei der politischen Gewalt und den ihr heiligen
Geschäftsinteressen auf. Denn mit einer ökologischen Auffassung
von der Pflicht des "Menschen" im Verhältnis zur "Umwelt" bei
denen überzeugend zu wirken, die andere "Menschen" und die Natur
als legitimes Mittel ihres Geschäfts zu gebrauchen gewohnt sind,
ist noch nicht einmal eine Feindschaftserklärung. Umgekehrt hat
die ökologische Bewegung sich dazu bereit gefunden, die Schuld-
frage in der Streitsache Mensch-Natur auf keinen Fall in den
prinzipiellen Angriff auf die für Gewalt und Reichtum Zuständigen
zu überführen - und zwar konsequent den Sitten deutscher Demokra-
tie gemäß durch den Blick nach drüben. Gemäß der Logik: Wären das
Kapital und seine Produktionsweise die Ursache, so dürfte die
"Umwelt" im Osten nicht ähnlich versaut sein - ist ihnen die Ge-
schichte von "Mensch und Umwelt" noch einmal so richtig plausibel
geworden. Darauf, daß vielleicht drüben die gesetzlich geschütz-
ten ökonomischen Maßstäbe des "realen Sozialismus" zum Bau von
Atomkraftwerken veranlaßten, sind sie ebensowenig gekommen wie
auf die Verkehrtheit ihres Schlusses: daß - weil drüben auch -
noch lange nicht hier hier n i c h t das Kapital und sein
"Industriestaat" der Grund sind...
Ökologischer Idealismus
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Die Entdeckung der "Umwelt", der geschundenen, läßt deren Anwälte
nicht zur Ruhe kommen. In der Ausarbeitung ihrer Plädoyers haben
sie die Naturwissenschaft für ziemlich untauglich befunden und
sie um die Ö k o l o g i e ergänzt. Ganz Mensch und voller
Liebe zur Natur, bemüht sich dieser Philosophenschlag um den Auf-
weis von Gesetzen neuer Art, an denen sich ihre eigene Gattung
versündigt haben soll. Ihren "Erkenntnissen" bezüglich der Anfor-
derungen der "Umwelt", denen ihre Ehrfurcht gilt, lassen sie Ap-
pelle und Taten in Sachen opferbereites a l t e r n a t i v e s
L e b e n folgen.
Angesichts einer Naturwissenschaft und Technologie, die sich in
den Diensten am Geld blendend bewährt und in den zweckmäßigen
Veränderungen sämtlicher Naturstoffe quasi den Beweis ihrer Rich-
tigkeit geliefert bekommt, nimmt sich die Weltanschauung einer
v e r k e h r t e n Behandlung der Natur erst einmal seltsam
aus. Denn im Wissen der Physik, Chemie und Biologie finden sich
zwar viele Gesetze, die e r k l ä r e n, warum der eine oder
andere Naturprozeß gerade s o abläuft. Doch enthält der "Kanon"
des angehäuften Wissens keinen Buchstaben über Z w e c k e in
der Natur, die in ihr Gültigkeit beanspruchen und gegen die man
sich vergehen könnte. Wenn gute Menschen oder Philosophen der-
gleichen ausmachen, so geraten sie bestenfalls auf die höchst mo-
ralische Achtung vor dem L e b e n - das zwar den Zweck der lie-
ben Viecher ausmachen mag, aber sie wenig angeht, weil sie keine
Ahnung davon und auch keine Achtung davor haben.
Genau diesen Materialismus der Naturwissenschaft, die weder mit
dem Waidwerk und seinen Ausleseabsichten noch mit dem Tierschutz
etwas zu tun hat - sie dient mit dem Wissen als Hilfsmittel für
entsprechende Vorhaben -, erscheint der Ökologie als entscheiden-
der Mangel. Wer meint, daß der Natur im wahrsten Sinne des Wortes
z u w i d e r gehandelt wird, will sich eben nicht mit der
E r k l ä r u n g von Eingriffen in und Veränderungen von Natur
begnügen, deren Resultate i h m zu schaffen machen. Er macht
ernst mit der Suche nach G e s e t z e n n e u e r A r t, in
denen die Natur S u b j e k t ist - und sei es auch ein so ab-
straktes wie ein auf Selbsterhaltung bedachtes "System". Und der
Wille, dergleichen zu finden, ist auch fündig geworden. Seitdem
gibt es G l e i c h g e w i c h t e der herrlichsten Art, an
deren Nichtexistenz "natürlich" - "der Mensch" schuld ist. Eine
Wiese, auf der sich früher Frösche und Gräser, Würmer und Mücken
zwanglos getummelt haben, erscheint in der korrigierten Natur-
kunde als ein M o d e l l des wunderbar eingerichteten Kreis-
laufs: ein B i o t o p! Und damit sollen nicht die erfaßten Zu-
sammenhänge zwischen den da aufeinander angewiesenen Spezies ge-
meint sein, sondern eben ein in diesem Hin und Her von Wachsen
und Welken, Fressen und Gefressenwerden w a l t e n d e r
Z w e c k d e s G a n z e n. Wodurch die Viecher und Gewächse
lauter T e i l e werden.
Dieser t h e o r e t i s c h e I d e a l i s m u s der neuar-
tigen Naturphilosophie verhilft denen, die das zur Kritik am
"Menschen" brauchen, zum naturkundlich untermauerten Glauben an
eine M i ß-Handlung der Natur, von der ein schnaufender Rentner
dann (nur) die F o l g e sein soll! Auch eine Art, die seichten
Mahnungen von früher, Gottes Schöpfung zu e h r e n ("Weißt du,
wieviel Mücklein spielen...?"), in das Gewand lateinischen Wis-
senschaftsjargons zu kleiden!
Die Folgerungen, die p r a k t i s c h aus der Lehre hervorge-
hen, könnten einen kalt lassen - wenn sie nicht einerseits offi-
ziell anerkannt wären, und zwar als Geschäftsmittel. Und wenn sie
nicht andererseits als g e l e b t e M o r a l einer Minder-
heit daherkämen, die alles andere im Sinn hat, als irgendwem auf
die Füße zu treten, der ihm seine schöne "Umwelt" kaputt macht.
Die erste Abteilung beschränkt sich eben nicht auf das bißchen
Naturschutz, das es immer schon gab, wo Wald und Geziefer wieder
einmal Platz machen mußten. Als sollte der zur Ökologie gehörigen
Lehre von der Knappheit der Natur zusammen mit der offiziellen
Lehre vom Preis auf einmal recht gegeben werden, ist von der
Geld-Sammlung bis zur Ausstellung mit Eintritt alles fällig. Da
darf die Menschheit für 12.- DM eine nachgestellte Wiese der 50er
Jahre auf der Gartenschau bewundern - mit dem Schild "Biotop".
Daß unter den gängigen Nahrungsmitteln manches nicht so recht
schmecken will und andere zur Ausrottung ganzer Familien taugen,
ist kapitalistischer Usus. Daß aber noch ein extra Geschäft unter
dem Titel "Reformkost" blüht, dient weniger dem guten Geschmack
und der Gesundheit, als schon wieder einer Bande von Halsab-
schneidern. Hämisch berichtet dann die Konkurrenz der etablierten
Nahrungsmittelindustrie, daß die Bio-Produkte - schließlich
i s t die liebe "Umwelt" ja sehr allgemein in Mitleidenschaft
gezogen - dieselben "werte" an Schadstoffen enthalten.
Dessen ungeachtet machen sich gläubige Ökologen daran, die Gummi-
stiefel anzuziehen, ein "alternatives Leben" zu führen und
"alternative Bauernhöfe" anzuwerfen. Bescheidenheit ist für diese
Art Ökonomie auf dem Lande allemal die Voraussetzung - und leider
auch die Botschaft, die aus den grünen Stuben ertönt. Leuten, die
sich beim Kaufen einteilen müssen und den ortsüblichen Kram er-
stehen, wird eine K o n s u m k r i t i k erteilt; und ihr biß-
chen Essen und Trinken erfährt eine sehr abschätzige Würdigung.
Die "Ansprüche" der konsumvergesellschafteten Bürger tauchen da
auch noch als Grund für das "Leiden an der Umwelt" auf, das sich
die Protestler von heute zugelegt haben. Klar, daß ein paar Ton-
nen Schwefeldioxyd leicht zu verkraften sind und die Arbeitsbela-
stung in der Fabrik dazu, wenn das öffentliche Rauchen erst ein-
mal aufhört!
Mit d i e s e r Militanz den paar Genüssen anderer Arschlöcher
gegenüber läßt es sich gut leben - für Staat und Kapital, die
schon lange wissen, wer zuviel "Ansprüche" stellt, die "die Wirt-
schaft" gar nicht verträgt. Und "realistische Umweltpolitik" läßt
sich auch treiben. Man kann sie sogar als "Einsicht" in die be-
rechtigten Warnungen jener Partei verkaufen, die "grün" heißt und
mit ihrer "Politikfähigkeit" das w i r k l i c h e, s t a a t-
l i c h e "W i r" anerkannt und als Opposition ausgedient hat.
Für die Sache "des Menschen", für das "Über-Leben" sein - ob in
Gift- oder in Friedensangelegenheiten -, ist wirklich ein Arme-
Leute Programm. Politik geht schon um etwas mehr, wenn sie diese
Bescheidenheit würdigt.
Ökologischer Realismus
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Eine etwas anders geartete Ökologie betreibt dagegen der demokra-
tische Staat. Als b e r u f e n e r Anwalt der "Menschen", für
deren kapitalistisches Zusammenleben er sorgt, berechnen Wissen-
schaftler in seinen Diensten akkurat die M a ß z a h l e n
sämtlicher Schädigungen, von denen sie Kunde haben - und die
"realistischen", weil mit Kosten vereinbarten werte, die beim
wirtschaftlichen Umgang mit den "Faktoren" von Bedeutung sind.
Das oberste Gebot des solchermaßen angeleiteten "Umweltschutzes"
lautet: "Umweltpolitik kann nicht gegen die Wirtschaft, sondern
nur mit ihr gemacht werden!"
So gibt es wenigstens noch eine Instanz, die bei aller ideologi-
schen Aufbereitung des Tatbestandes seine ö k o n o m i s c h e
Grundlage nicht aus den Augen verliert. Dieser Staat und seine
Vertreter wissen, daß sie nicht für den imaginären "Menschen" und
seine "Umwelt", sondern für das G e s c h ä f t d e s K a p i-
t a l s zuständig sind.
Für den Staat ist die "Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts"
eine einzige Herausforderung, im Namen dieses Gleichgewichts tä-
tig zu werden. Und da das nicht einfach ist, wie ihm seine Na-
turwissenschaftler bestätigen, erfordert es umso mehr Bereit-
schaft zur Verantwortung seitens der Umweltpolitiker.
Das tragbare Maß der Schädigung
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Hinsichtlich des Waldsterbens etwa sind sich die Wissenschaftler
zwar inzwischen einig, daß tatsächlich "neuartige Waldschäden"
vorliegen, deren Ursachen man erforschen muß. Und man ist sich
sogar weitgehend einig, daß Schwefeldioxyd aus der Verbrennung
fossiler Brennstoffe, Stickoxyde (aus sämtlichen Verbrennungsvor-
gängen bei hohen Temperaturen über 800 - 900 Grad C) in Verbin-
dung mit Ozon, auch schwermetallhaltiger Industriestaub, zum vor-
zeitigen Absterben der Bäume "beitragen". Wie diese Substanzen
auf die biologischen Prozesse der Bäume einwirken, ist auch be-
kannt. Aber jetzt fängt erst einmal die Unklarheit an: Ein ver-
antwortungsbewußter Forstbiologe z.B. weiß nämlich, daß der Staat
sich mit diesen grundsätzlichen Auskünften über die Schädlichkeit
des Industriedrecks nicht zufrieden geben kann. Denn schließlich
geht es um schwerwiegende = kostenträchtige Investitionsentschei-
dungen. Aussagen müssen also her über das genaue Verhältnis, in
dem die verschiedenen Bestandteile der Luftverschmutzung, dazu
die diversen "natürlichen Faktoren" (Klima, Schädlinge etc.) an
den Schäden als Ursache beteiligt sind.
"Es muß trotz der hohen Plausibilität einer Beteiligung von Luft-
schadstoffen im Ursachen-Wirkungs-Gefüge der neuartigen Waldschä-
den offen bleiben, welche Schadstoffe im Einzelfall eine Rolle
spielen und wie hoch dabei ihr Beitrag in quantitativer Hinsicht
zu veranschlagen ist, bzw. wie hoch der Beitrag natürlicher Scha-
densursachen ist." (Sachverständigenrat für Umweltfragen im Bun-
destags-Hearing zum Waldsterben am 24./25.10.83)
Da ist noch viel Meßarbeit zu leisten, um die Gefahr auszuschal-
ten, daß eine Sorte Dreck durch "teure Fehlinvestitionen" stärker
reduziert wird, als ihrem Anteil am Schaden entspricht! Wo sound-
soviele "Faktoren" b e k a n n t sind, fühlt sich der
"Sachverstand" herausgefordert, die R e l a t i v i t ä t und
nur b e d i n g t e Wirkung dieser oder jener Maßnahme zu beto-
nen. Und gemäß ökonomischer "Vernunft" verfahren die Praktiker
der Umweltpolitik sehr "realistisch" und nehmen auch einmal Ab-
stand von ebenso kostenträchtigen wie "einseitigen" Maßnahmen.
Die gebotene Zurückhaltung in der Einführung von neuen Auflagen
und Vorschriften für die freie Entfaltung des Eigentums in der
Natur, ihre Beschränkung auf das "unbedingt Nötige", ist für die
Naturwissenschaftler im Dienste der Umweltpolitik die generell
akzeptierte Ausgangsbedingung ihrer Forschung. Diese widmet sich
also nicht einfach der Schädlichkeit der diversen im kapitalisti-
schen Produktionsprozeß erzeugten und angewandten Substanzen, ih-
rer physikalischen, chemischen und biologischen Wirkungsweise.
Mit der Ermittlung von G r e n z w e r t e n der Konzentration
schädlicher Substanzen in der Lebenssphäre von Pflanzen, Tieren,
Menschen stellen Naturwissenschaftler sich der verantwortungs-
vollen Aufgabe, das vom Standpunkt der Volkswirtschaft und
Volksgesundheit her tragbare Maß der Schädigung zu ermitteln. Daß
man bei diesem Unterfangen, zumal es mit naturwissenschaftlicher
Forschung nur noch sehr wenig zu tun hat, untereinander ins
Streiten kommt, mit anderen Worten: einen fröhlichen Gelehrten-
pluralismus nährt, stört die "handelnden Politiker" wenig. Im Ge-
genteil, die Notwendigkeit ihres Handelns nach i h r e n Krite-
rien wird eindrucksvoll unterstrichen. Und schließlich ist es ja
der Staat, der den Grenzwerten zur R e c h t s v e r b i n d-
l i c h k e i t verhilft, ohne die sie bis zum Jüngsten Tag
umstritten bleiben.
Der ökologische Standpunkt
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Dem staatlichen R e a l i s m u s, der sich dergestalt in der
naturwissenschaftlichen "Umweltforschung" geltend macht, weiß
sich die Ökonomie schon längst verpflichtet. Aber während sie ihn
noch vor nicht allzu langer Zeit offensiv gegen "die Umweltschüt-
zer" vortrug und "Ökonomie oder Ökologie?" ein beliebtes Diskus-
sionsthema für echt demokratische Kontroversen vom Typ "Realismus
oder Idealismus/Utopismus?" war, streiten heute "politikfähige"
Grüne und Umweltfreunde, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler,
Wirtschaftsprofessoren und Hausökonomen der Industrieverbände
vorzugsweise darüber, wie die Ökonomie die Herausforderung der
Ökologie am besten annimmt, welche wirtschaftspolitischen Instru-
mente für den umweltpolitischen Einsatz in der Marktwirtschaft am
tauglichsten sind.
Mit der soliden Etablierung der "Grünen" als vierte parlamenta-
rische Partei ist schließlich dafür gesorgt, daß die öffentliche
"Umweltdebatte" zum normalen Thema der Parteienkonkurrenz gewor-
den ist und sich endgültig um "konkrete politische Handlungsmög-
lichkeiten" auf der Grundlage seriöser volkswirtschaftlicher Ko-
stenrechnungen dreht: Vor "langfristigen Fehlinvestitionen" war-
nen schon längst die Umweltschützer die Industrie und nicht mehr
nur umgekehrt diese die Öffentlichkeit. Mit dem schönen Instru-
mentarium der öffentlichen Expertenanhörung durch die zuständigen
Bundestags-Ausschüsse, wie jüngst zum Thema "Waldsterben und
Luftverunreinigungen", demonstrieren die Repräsentanten des
Volkswillens sich und dem Volk, wie vielfältig sich die Betrof-
fenheit durch Umweltschäden und Umweltschutz darstellt. Und da
das Bewußtsein", daß "wir alle Opfer bringen müssen für eine sau-
bere Umwelt", ebenso allseitig gepflegt wird wie die Einsicht,
daß der Staat die Instanz zur gerechten Verteilung dieser Opfer
ist, steht dem Allgemeinwohl und seiner Grundlage, dem Wachstum
des Kapitals, keine "Umweltkatastrophe" mehr im Wege.
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