Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION OEKOLOGIE - Reaktionäre Naturphilosophie
zurück Bahr und Gronemeyer predigen das alternative LebenHASTE NIX, BISTE WAS
"Was wir gegenwärtig erleben, ist ja nichts- Geringeres als ein öffentlicher Streit über Leben und Tod dieser Gesellschaft" (Hans-Eckehard Bahr) Daß es für den Bochumer Forscherkreis um Hans-Eckehard BAHR nichts Höheres gibt, als die drohende Todesgefahr dieser Gesell- schaft zu beschwören, liegt wohl an deren Metier. Für einen kri- tischen Friedens-, Partizipations- und Theologieprofessor ist es offensichtlich erhebend, weit jenseits aller alltäglichen Pro- bleme und Sorgen den Rahmen anzugeben, in dem sie erst eigentlich zu einem Problem werden: Stirbt die Gesellschaft? Was liegt daher näher, als der Menschheit ein Ziel zu verkündigen, für das sich ein "alternatives Leben" lohnt: die Gesellschaft soll überleben! Das eigentliche Elend der Armut ------------------------------- Bei seiner kritischen Untersuchung, des gesellschaftlichen Ge- sundheitszustandes ist BAHR auf ein merkwürdiges Phänomen gesto- ßen: auf der einen Seite ist die BRD "Wachstumsgesellschaft" - andererseits gibt es in ihr massenweise Armut. So fand er "in einer der stärksten Wachstumsgesellschaften der Erde 6 Mil- lionen Menschen, die mit weniger auskommen müssen als mit dem, was nach dem Bundessozialhilfegesetz als unerläßlich für ein men- schliches Dasein definiert ist." Der damit angesprochene Sachverhalt könnte einem einige Illusio- nen austreiben. Etwa die Rederei von dem unbezahlbaren Gut der Menschenwürde - bei den Schleuderpreisen, zu denen sie einem hierzulande - ob man will oder nicht - ausgehändigt wird. Erst recht die Sache mit der "Wachstumsgesellschaft", einer Ideologie, die mit der Vorstellung einer an allen Ecken und Enden üppig wu- chernden Gesellschaft hausieren geht und dabei vornehm übersieht, wie hierzulande der gesellschaftliche Reichtum wächst und ge- deiht: nicht auf der Basis, daß er für keineswegs bloß 6 Millio- nen Bundesbürger fremdes Eigentum ist und damit die Armut bleibt. BAHR's Schlußfolgerungen freilich gehen in eine etwas andere Richtung. Warum und inwiefern die Armut für die Armen überhaupt ein Problem darstellt, fand er einer Frage wert und die Antwort sieht auch entsprechend aus: Weil sie als Kinder unserer Zeit nichts als "Wachstum" im Kopf haben: "Eine letztlich barbarische, die Menschen besitzindividualistisch herabwürdigende Politik den Immer-mehr-Haben-Müssens und des Al- les-Behalten-Wollens die quantitative Wachstumspolitik, nimmt ih- nen die wirtschaftliche Zukunft, beraubt sie damit aber (!) auch Ihrer Identität." Erstens teilt der fromme Wissenschaftler hier mit, worin das ei- gentliche Dilemma der Armen liegt: sie sind Habenichtse in einer Welt, in der eine "barbarische" Politik aus den Menschen uner- sättliche Gierlappen gemacht hat. Und solange es ihnen allein darauf ankommt, "immer mehr" haben und behalten zu wollen, schaf- fen sie es auch nicht, arm aber glücklich zu sein. Zweitens wird daher dargetan, wie unglücklich das Streben nach Reichtum macht. Daß er eine "besitzindividualistisch herabgewürdigte" Kreatur ab- gibt, wird zwar dem, der Besitz h a t, keine schlaflosen Nächte bereiten. Für den aber, der nichts hat, sieht die Sache schon ganz anders aus. I h m könnte die Erkenntnis, wie menschenun- würdig es ist, immer nur "haben" zu wollen, einiges geben: Geld allein macht auch nicht glücklich. Drittens ist BAHR damit zum Kern der gesellschaftlichen Überle- bensproblems vorgestoßen. Wo es doch heute so sehr auf den g a n z e n Menschen ankäme, daß er es bringt, seine Armut mit Anstand und Würde zu leben, zählen für eine "quantitative Wachs- tumspolitik" nur Zahlen und der Mensch nichts. Die so bitter nö- tige "Identität" ist Ihnen (auch noch) geklaut worden, "Wegwerfmentalität" macht sich im Volke breit: "Denn wer in der Arbeitswelt ersetzbar oder womöglich überflüssig ist, erfährt auch an sich selbst nicht mehr, daß er 'wer ist'. Selbstzweffel elementarer Art sind die Folge. Und - wer sich aus der Arbeit weggeschoben erfährt, wirft sich selbst nur zu leicht hinterher, paradoxerweise nicht unähnlich demjenigen, der nach 8 Stunden entwürdigend infantiler Arbeit den Rest des Tages auch nur noch hinterherwerfen kann. W e g w e r f m e n t a l i- t ä t, das gefährlichste gesellschaftliche Destruktionsreser- voir." An solchen Umhergestoßenen kann eine Gesellschaft schon kaputtge- hen. Da bringt es die "Arbeitswelt" nicht mehr, den Menschen als ganzen zu fordern und beschäftigt ihn stattdessen stundenlang an Fließbändern mit Kindereien oder verzichtet bei dem einen oder anderen überhaupt darauf, aus ihm rauszuholen, was in ihm steckt. Die Folgen für die Moral des derart unwürdig ausgebeuteten Ar- beitsmannes sind verheerend: Jene schöne Erfahrung, d a ß man "wer ist", die sich dann am ehesten einstellt, wenn es einem ge- rade nicht um sich selbst, umso mehr aber darum geht, das eigene Opfer für das große Ganze als Beweis der eigenen gesellschaftli- chen Bedeutung zu feiern, diese treffliche Tugend sieht BAHR in bedrolichem Ausmaß einfach weggeworfen. Früher war das noch anders: ohne Fließbänder bauten die Arbeiter i h r Auto zusammen (auch wenn es das U n t e r n e h m e n war, das daran verdient hat), ohne war Maschinen war nur i h r körperlicher Einsatz, der den Betrieb auf Schwung brachte (auch wenn der e i g e n e Schwung dafür im Eimer war). Und schließ- lich: wer kann noch stolz darauf sein, daß er auch als Arbeiter ein wertvolles Mitglied der menschlichen Gemeinschaft ist, wenn ihm bedeutet wird, daß er derzeit als nicht arbeitender Arbeiter für das Wohl der Nation am nützlichsten ist? Daß es den Lauten schwer gemacht wird, als arbeitender Teil der "Arbeitswelt" ihre Erfüllung zu finden und zu feiern, das ist also die "alternative" Kritik an Rationalisierungen und Entlas- sungen. Den keineswegs fernliegenden Schluß, dem Staat wieder den Bau von ein paar Autobahnen vorzuschlagen, um es seinem brachlie- genden Arbeitspotential zu ermöglichen, den schmerzlich vermißten Sinn ihres Daseins praktisch erfahren zu können, zieht BAHR frei- lich nicht. Sein Rettungsprogramm geht so weiter: "Die großen Technosysteme konzentrieren sich primär auf wirt- schaftliches Wachstum und sehen die Identität der Bürger ermög- licht vor allem durch die quantitative teilhabe an den materiel- len Reichtümern der Gesellschaft (Systemintegration durch "H a b e n"). Die technokratischen Wachstumsgesellschaften zer- reißen dadurch aber das netz sozialer Beziehungen der Menschen (Sozialintegration durch "Sein"). Sie werfen den einzelnen auf sich selbst zurück und treiben ihn so in den Konsum von Dingen (Für-Sich-Haben-Wollen), wodurch das Fehlen von Sozialbeziehungen "verschmerzt" werden soll." Die lebensbedrohende Krankheit, an der unsere Gesellschaft lei- det, ist damit vollständig geortet. Daß nun plötzlich von den "materiellen Reichtümern der Gesellschaft" die Rede ist, an denen der Bürger in einem Ausmaß "teilhat", daß er sich des Konsums gar nicht mehr erwehren kann, in den ihn die Schlaraffenlandgesell- schaft "treibt", wo doch eingangs Armutsstatistiken referiert worden waren, darf nicht weiter verwundern. So geht nun einmal Ö k o logik. Die Armut ist ja schließlich deswegen ein Riesenpro- blem, weil der Wachstumsbürger darin seine "Identität" nicht fin- den kann, und dies ein ungeheures "Destruktionspotential", weil eine Gesellschaft mit einer Wegwerf-Arbeiterklasse nun mal keine runde Sache ist. Die Überlebenstrategie der Gesellschaft lautet daher: kann der Bürger nicht gefälligst seine "Identität" in der Armut finden, glücklich sein, w e i l er arm ist? Der wahre Reichtum der Armut ---------------------------- Wenn man die Sache wie ein BAHR sieht, könnte er schon: man muß sich nur klarmachen, daß die Welt der Genüsse ein großes un- menschliches "Technosystem" von "Dingen" ist, das einem auch kei- neswegs deswegen so verlockend vorkommt, weil man so manches von dem gern hätte, was es gibt und man nicht hat. Nichts als das Streben nach billiger Ersatzbefriedigung ist es, denn recht ei- gentlich drückt einen doch ganz was anderes. Und wo es nun darum geht, den dringend anzuratenden "Verzicht" den Leuten als ihren großen "Gewinn" in Aussicht zu stellen, mag auch Assistentin GRO- NEMEYER nicht zurückstehen: Wenn sie nämlich mit ihrer Auffassung richtig liegt, "daß die "Über"-befriedigung der physischen Grundbedürfnisse nicht die absolute Verelendung im Bereich der sozialen Bedürf- nisse - die gleichermaßen existenzgefährdend ist - aufhält, daß vielmehr die soziale und humane Armut gerade der Preis für den ökonomischen relativen Wohlstand ist, dann sind die 'Grenzen des Wachstums' zugleich "Neulandgewinnung". dann können für die ver- langte Lernleistung G e w i n n e in Aussicht gestellt werden. Dann kann Verzicht Leiden vermindern auch bei den Verzichtenden." Wie man sieht, versteht die Pädagogin in Sachen Armut ihr Ge- schäft. Um die "Lernleistung", die sie den Bürgern abverlangt se- hen möchte, ein wenig zu erleichtern, geht sie in zwei Schritten vor: Erstens ist der V e r z i c h t nicht weiter schlimm: inzwi- schen ist sie nämlich schon darauf gekommen, daß sich die Leute hierzulande ü b e r fressen. Und auch im Madigmachen des Wun- sches nach einem Sonntagsbraten ist die Nachwuchstheologin schon längst Profi. Sie liefert "uns drastisch der Einsicht (aus), daß wir infantiler Hilflosig- keit an den Nahrungsschläuchen unserer Versorgungskultur hängen." Bleibt zweitens die spannende Frage nach dem in Aussicht gestell- ten G e w i n n. Das ist du weite Field der "sozialen Bedürf- nisse", auch "qualitative" oder "Seins-Bedürfnisse" genannt, die sich unter der Hand zu den "eigentlich menschlichen Bedürfnissen" gemausert haben (damit auf die anderen nochmal das Licht fällt, in dem sie stehen sollen): "Erhohlung, Freundschaft, Liebe, Vermittlung, künstlerische Betä- tigung, Selbstverwirklichung in Objektivationen, Spielen und mo- ralische Aktivität." Was man mit diesen schönen Dingen anstellen muß, damit sie auch wirklich den Gewinn darstellen, auf den es zum Überleben ankommt, darüber läßt sie uns nicht im unklaren: "Wenn für das Überleben alles darauf ankommt, die Haben-Bedürf- nisse einzudämmen, so kann das nur durch die Entwicklung der Seins-Bedürfnisse geschehen: Die unbegrenzte Akkumulation der quantitativen - der entfremdeten (!) Bedürfnisse läßt sich nur durch einen einzigen Prozeß verhindern und unterbrechen: durch die Entwicklung der qualitativen Bedürfnisse." Die Quantität der Haben-Bedürfnisse einzuschränken, das ist also die armselige Qualität der Seins-Bedürfnisse.. Haste nix, biste was. Zitate aus: H.-E. Bahr, Alternative Lebensformen in der Ersten Welt H.-E. Bahr, Liebe, Glück: Zunehmende Verlassenheit - neue Solida- rität. M. Gronemeyer, lebenlernen unter dem Zwang der Krise in: Anders leben - überleben M. Gronemeyer, Gegen die Reduzierung sozialer Wahrnehmung in: Der grüne Protest zurück