Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 2, 30.10.1979
       

GRUSSWORT AN RUDI BAHRO

Wie auch Sie sicher erfahren haben, bemüht sich Franke in seiner Funktion als Wissenschaftssenator darum, Sie für "eine geeignete Beschäftigung auf Zeit" an der Bremer Uni zu gewinnen. Sie zögern mit Ihrer Zusage, weil Sie - so teilte Ihre Sprecherin mit - "sich über die Gegebenheiten in der Bundesrepublik und die Arbeit an westdeutschen Hochschulen erst orientieren müssen." Orientie- ren Sie sich! Um unbegründete Vorbehalte auszuräumen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen, geben wir im Folgenden einige Hinweise darauf, warum die hiesige Universität an Ihrem Namen im Lehrkörper interessiert ist, obwohl Sie doch von Beruf Wirt- schaftsfunktionär waren, der ein Buch geschrieben hat. Ihre Absichtserklärung: "Was ich in der BRD bekämpfen will, ist nicht die gesamte Wirtschaftsverfassung. Das System in der BRD reduziert sich nicht auf den Kapitalismus" greift einen Gedanken auf, der an unserer Hochschule fast ein Gemeinplatz ist, auch wenn man sich ein wenig anders ausdrückt. Die hiesigen Professo- ren bestreiten bezüglich dieses Themas ihre Lehrstuhltätigkeit mit dem einen Gedanken, daß jenseits des praktischen Wirkens des Staates zur Sicherung der "Profitproduktion" ihm eine Nützlich- keit zukommt, die ihn als 'soziale', dienende oder sonstwie brauchbare Institution für die Leute ausweist. Daß es sich hier- bei um eine 'eigentliche' Nützlichkeit handelt - wissenschaftlich gesprochen: um Idealismus statt Erklärung - beweisen diese Theo- retiker, sooft sie Gründe dafür beibringen, warum es diesen Staatsdienst an der Menschheit (noch) nicht (ganz) gibt. Erfunden haben sie in ihrer theoretischen Not den Widerspruch zwischen dem eigentlichen "Dienstleisterstaat" und seiner ihm dauernd in die Quere kommenden "Herrschaftsfunktion". Sie merken sicher schon, daß es sich bei diesen Lehrkörpern um künftige Kollegen handelt: Ihr Gedanke, daß es neben der kapita- listischen Ökonomie, gegen die Sie etwas haben, auch noch den Staat gibt, gegen den Sie nichts einzuwenden haben, wenn man seine Schokoladenseite erstmal freilegt, ist einfach aus Bremen nicht wegzudenken. In Ihrem Buch, das Sie mit diesem Gedanken ge- füllt haben, präzisieren Sie, daß es ein viel "zu spezifischer Begriff des Staates" ist, "der n u r seine Herrschaftsfunktion ins Blickfeld rückt". Ihre Perspektive, die Sie in Ihrer Eigen- schaft als Wirtschaftsfunktionär in eine "Alternative" gekleidet haben, daß nämlich "primär der Staat d i e Institution zur Zi- vilisierung" ist, findet in Bremen ein wohlbeackertes Arbeitsfeld vor, in dem Sie sich schon zurechtfinden werden. Um- und einstellen müssen Sie sich allerdings ein wenig. Sie kri- tisieren an der DDR, daß ihre leitenden Funktionäre durch die "Indolenz des Bürokraten" die Menschen "auf ihren Egoismus zu- rückverweisen" und deshalb den Gegensatz des DDR-Staates zu sei- nen Bürgern heraufbeschwören. Und das, obwohl doch auch Sie als "innerstes Bedürfnis" des Menschen ausweisen, seinen Egoismus für den Staatsnutzen aufzugeben: schließlich "kostet uns die materi- elle Unersättlichkeit die Freiheit der höheren Entwicklung". Die Anwendung dieser Logik auf hiesige Verhältnisse verlangt einfach, "Funktionär" durch "Monopol" zu ersetzen, weil hierzulande keine volkseigenen Fabriken stehen, die der Staat von seinen Funktio- nären leiten, sondern kleine und große Kapitale, die er machen läßt: "Im 18. und 19. Jahrhundert... suchten die kleinen Kapita- listen und Händler ohne Rücksicht auf menschliche und gesamtge- sellschaftliche Konsequenzen ihren Gewinn zu maximieren. Doch während wir damals eine für die Gesamtgesellschaft und den Be- stand der Zivilisation relativ harmlose Schar von kleinen Ge- schäfts und Profitmachern hatten, da haben wir jetzt eine Herde stampfender Mammute, die unsere ganze Zivilisation zugrunde rich- ten: die großen Monopole". Sie haben sich sicher nicht abgespro- chen, aber Ihr Gedanke, als Verhinderer eines Staatsideals die Ökonomie, besonders das Große in ihr auszupinseln, der die staat- liche Gewalt dient, gehört zum festen Bestandteil Bremer Kalauer. Ihre Ausgestaltung umfaßt das weite Spektrum von mehr Mitbestim- mung, echtem Sozialstaat bis zur "politischen Produktion". Bei all diesen Gemeinsamkeiten wollen wir aber auch nicht ver- schweigen, daß Sie mit Ihren Ideen nicht ungeteilten Beifall fin- den werden. Von Seiten der Theoretiker der antimonopolistischen Demokratie wird der Vorwurf zu hören sein, daß Sie das gemeinsame Gedankengut revisionistischer Ideen ausgerechnet polemisch gegen das Mutterland ihrer Verwirklichung wenden, die DDR nämlich. Da hört der Spaß schon auf. Umgekehrt wird die Freude des linken An- tikommunismus über ihre "Alternative", deretwegen Sie in Bautzen einsitzen mußten und in den Ruf eines Zeitzeichens für das "große Gefängnis DDR" für die Leute diesseits der Mauer gebracht wurden, einigermassen abkühlen. Sooft Sie nämlich darauf beharren, mit Ihrer Kritik an der BRD wie der DDR den deutschen demokratischen Sozialismus auf der anderen Seite der Mauer voranzubringen, wird die Gemeinsamkeit zum Problem: "Ich bin nicht bereit, die DDR von anderen Vorraussetzungen als von ihren eigenen aus zu beurtei- len". Und "das ist der Punkt", fügten Sie hinzu, womit Sie etwas sagen. Die fruchtbare Diskussion, die sich - da sind wir uns ganz sicher - in Bremen künftig entwickelt, wird von zwei unglückli- chen Liebhabern geführt, die nicht dieselbe Braut haben. Während Sie Ihrerseits auch und gerade w e g e n Bautzen (so äußerten sie sich im SPIEGEL) zu Ihrer unglücklichen Liebe stehen und Sie in Ihrem unkonventionellen Äußeren dokumentieren (das Hemd!), ist für die deutsche Linke nicht nur auf den Lehrstühlen längst klar, warum sie so scharf auf den "Systemvergleich" ist: sie liebt eben die andere Hälfte, wenn auch ebenso unglücklich wie Sie. Alle Vorraussetzungen für eine Diskussion in Bremen sind also ge- geben, wenn auch, wie gesagt. Das "Was" und "Warum" der Diskus- sion ist dabei von untergeordneter Bedeutung, weil Ihre Anstel- lung im Lehrkörper für sich bereits eine lohnende Ausstellung ist, mit der der demokratische BRD-Sozialismus wieder einmal seine Überlegenheit beweist: im Unterschied zu drüben kann er un- terscheiden zwischen solchen Kritikern, denen man den Beruf ver- bietet und solchen, die man einfach berufen muß - zumindest "auf Zeit". zurück