Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...
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Der BSZ-Schwerpunkt
PERSPEKTIVENBOOM: MENSCH '85
Die Bochumer Studentenzeitung debattiert seit 9 Ausgaben über die
"Perspektiven '85" bzw. den "Psychoboom" und tut damit genau das,
was heutzutage die Linke in der BRD noch bewegt. Sie hat nämlich
nur das eine Problem (und das dafür sehr) was man eigentlich un-
ter "Politik-machen" verstehen soll, ob linke Politik überhaupt
noch möglich sei und ob die Linke nicht in einer Krise stecke.
Ihre Politik i s t nämlich die Besprechung des Anspruchs, den
man an sich und andere stellen zu müssen glaubt und die Begutach-
tung der Leute, ob sie als politische Subjekte diesen Anspruch
angemessen vorexerzieren.
"Warten auf die Bewegung"
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Schon das Motto der Debatte: "Wie weiter mit uns Studenten" ver-
rät, daß es nicht um die Diskussion und theoretische Lösung eines
tatsächlich vorhandenen Problems geht, nimmt man doch seltsame
Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt: Wer soll das denn eigentlich
sein: "wir Studenten"? Was d i e Studenten bewegt, läßt sich ja
leicht ausmachen: Sie besuchen ihre Vorlesungen, lassen sich auf
jede Verrücktheit der bürgerlichen Wissenschaft ein, absolvieren
damit auch ihre Examina, werden Lehrer, Staatsanwälte oder Be-
triebswirte, erfüllen also ihre Funktionen für Staat und Wirt-
schaft, was ihnen keineswegs zum Schaden gereicht, - und haben
nebenbei ihre im Studium vertieften bürgerlichen Ideologien auf
Lager, mit denen sie sich's einrichten. D i e Studenten als
welche zu betrachten, die wie "wir" nach einer politischen
P e r s p e k t i v e suchen, die noch mehr als die "wir"
p a s s i v, i s o l i e r t und s i n n e n t l e e r t
seien, ist ziemlich albern, weil man dem Rest der Menschheit die
Probleme andichtet, die man sich als problembewußter Linker sel-
ber zum Programm gesetzt hat, also so tut, als wäre das eigene
Ideal, das man sich von der Welt zurechtgelegt hat, recht eigent-
lich das eben bloß heimliche Ideal aller übrigen Studenten. Nur
so kommt man übrigens auch auf die sinnreiche Frage, warum es
heute k e i n e Studentenbewegung gibt: Hat man sich erst ein-
mal eine linke Bewegung - wie immer sie auch aussehen mag - unter
Studenten als das natürlichste von der Welt ausgedacht, muß man
nach Gründen suchen, warum die Studenten heutzutage ihrer vor-
nehmsten Pflicht nicht - so wie man es für sich als "Anspruch"
hat - nachkommen. Entsprechend hergeholt sind denn auch die Ana-
lysen der "objektiven und subjektiven Faktoren", die als Bedin-
gungen für die Nichtexistenz einer Bewegung inzwischen Allgemein-
gut der Linken sind:
"Im Verlauf der 70er Jahre hat sich der ehemalige CDU-Obrigkeits-
staat unter der Agide der SPD/FDP-Koalition als technokratischer
Ordnungsstaat wiederhergestellt, der a l l e Bereiche des ge-
sellschaftlichen Lebens - bis in die Bedürfnisstruktur der Indi-
viduen - organisiert und verwaltet. Das Kapital hat mittlerweile
auch die Hochschulen weitestgehend unter seine Kontrolle ge-
bracht, Bis in die Linke hinein tragen die Beziehungen zwischen
den Menschen Warencharakter."
Schuldige gibt's: Staat und Kapital, die offensichtlich nichts
anderes zu tun haben, als die "Bedürfnisstruktur" der Bürger im-
mer mehr zu manipulieren, damit diese willenlos sich dem fügen,
wogegen sie im tiefsten Herzen eigentlich sind (Perspektive:
"1984"). (Das glaubt ihr, egal wie oft euch die ach so ausgelie-
ferten "Individuen" recht eindeutig demonstrieren, daß sie von
linkem Zeugs nichts wissen w o l l e n). Dazu muß man sich den
Staat nur als jenen big brother-Machtapparat vorstellen, dessen
charakteristische Kennzeichen "Ordnung" (sehr originell als Ty-
penbezeichnung für einen Staat!) und "technokratisch" heißen (das
sagt inzwischen auch schon jeder, wenn auch gängiger derzeit die
eingedeutschte Form: "Macher"), insbesondere aber, daß er in
a l l e Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingreift, - weil
ausgemachte Sache ist, daß, w a s er tatsächlich und auf welche
Weise macht, nicht weiter interessiert. Ebenso steht's mit dem
Kapital: ein Moloch, der sich alles unterwirft, wobei auch hier
der abstrakte Spruch hinreichend Klarheit verschafft, freilich
empfiehlt es sich, ein konkretisierendes "weitestgehend" einzu-
bauen für irgendwelche "Widersprüchlichkeiten", die "Perspektive"
stiften können. Auf der anderen Seite sind die Individuen:
dermaßen total unter der Fuchtel - bis in die "Bedürfnisstruktur"
(ihr übernehmt auch jeden psychologischen Quatsch oder treiben
euch Strukturen zum Bäcker?) hinein -, daß sie selber sich wie
K a p i t a l e gegenüber stehen: in der Form von W a r e n.
(Womit die Linke wieder einmal gezeigt hätte, daß sie über das
erste Kapitel des "Kapital" nicht hinauszulesen bereit ist,
reicht es ihr doch allemal, aus einem dort vorkommenden Wort ein
soziologisches Interpretationsschema zu basteln, unter das sich
herrlich alles mögliche auf der Welt subsumieren läßt.) - Für die
Vorstellung wird dieser linke "Allgemeinplatz" durch eine
Mischung von Studentenvertreterphrasen und linker wie reaktio-
närer kulturkritischer Sprüche aller sozialwissenschaftlichen
Disziplinen veranschaulicht:
"Verschiedene Faktoren, die wir seit Jahren beobachten und gegen
sie zu Felde ziehen: Erziehung zu Konkurrenz und Leistungsverhal-
ten in den Oberstufen der Schulen-, Verschulung und Formalisie-
rung des Studiums, Verschärfung der Prüfungsanforderungen; unbe-
wußte Selbstzensur erzeugende politische Disziplinierung in Uni
und Gesellschaft; auf Konsum, Passivität, Individualität und Kon-
formität orientierende gesellschaftliche Zwänge und anderes (!)
haben eine qualitativ neue, eigentümliche Mentalität produziert,
die es zu erforschen gilt. Unsere Gesellschaft hat, indem sie
a l l e s (schon wieder!) unter die Verwertung des Kapitals
zieht, eine Sinnentleerung, eine Entsinnlichung des gesellschaft-
lichen wie individuellen Lebens erzeugt, hat ihre eigenen alten
wie auch fortschrittliche neue Werte, indem sie sie dem Markt un-
terwarf, als solche aufgelöst. (Weshalb Marx wahrscheinlich auch
a.a.O. behauptet, daß in den Waren, wenn sie auf dem Markt er-
scheinen, ein Wert steckt!)"
Wertverlust, Sinnentleerung, Entsinnlichung des gesellschaftli-
chen und individuellen Lebens... das sind doch mal Sprüche! Of-
fensichtlich sind auch die Linken der Auffassung, daß es der
Menschheit um's Höhere gehen sollte, weshalb Konsum und Indivi-
dualität so furchtbar abträglich sind. Ist Euch noch nicht aufge-
fallen, daß es auf nichts im Kapitalismus so wenig ankommt, wie
darauf, daß die Menschen auch wirklich das haben, was sie zum Le-
ben benötigen, daß "totale Versorgung und Konsumzwang" Ideologien
einer Gesellschaft sind, in der es Leute zu Hauf gibt, die die
Tugend der Bescheidenheit tatsächlich nötig haben?
(Damit meinen wir natürlich nicht, wie es in linken Kreisen auch
wieder üblich ist - die Studenten, die in intelligenten Berufen
einmal ihren Lebensunterhalt mit der Produktion und Verbreitung
von Ideologien recht gut verdienen.) Ist euch auch nicht aufge-
fallen, daß es bei der kapitalistischen Produktionsweise auf die
Individualität einen Dreck ankommt? Weshalb man auch etwas vor-
sichtiger sein sollte mit dem Lob all dessen, was bei uns schon
"gesellschaftlich" ist!
Sinn und Werte braucht schließlich ja auch nur der, der sonst
nicht auf seine Kosten kommt; "Passivität" erweist sich schon
deshalb als ein blödes Schlagwort, weil es so tut, als wenn die
Leute nichts machen würden. Normalerweise wird auf diese Tour
kritisiert, daß sich die Leute nicht genug für das einsetzen, wo-
von sie nichts haben, daß sie sich b l o ß einrichten.
Als Hinweis auf die Dummheit der Ideologien, derer sich die Linke
bedient, um zu begründen, warum es heute keine Studentenbewegung
mehr gibt, wo es sie doch eigentlich geben müßte, soll das hier
reichen. Die bürgerlichen Lehnsprüche, die alle nur belegen sol-
len, daß es fast unmöglich ist, heute dagegen zu sein, bezeugen
schließlich ja nur eines, daß ihre Anwender selber nicht wissen
(wollen), warum sie eigentlich gegen was sind.
"Wir wollen anders"
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Nebenbei sei einmal von gestandenen "Dogmatikern" bemerkt, daß
derjenige, der etwas kritisiert und die Beseitigung der Sache
sich vornimmt, alles dafür tut, dieses Ziel zu erreichen, und
sich weiß Gott nicht fragt ob dazu vielleicht gar keine
M ö g l i c h k e i t e n bestehen. Daß es den Zustand, den er
erreichen will, noch nicht gibt, ist ja sein Ausgangspunkt, warum
soll er also darüber jammern, daß die Bedingungen so schlecht
sind?
Die Linke ist allerdings recht undogmatisch, wenn sie "dagegen"
ist. Denn ihr geht es ja nicht um etwas bestimmtes, was sie sich
abzuschaffen vorgenommen hat, - um so mehr aber um den Anspruch,
k r i t i s c h z u s e i n.
In der Sache ist man dann durchaus offen, weswegen sich eine
linke Weltanschauung auch so zusammenfassen läßt:
"Wir alle mögen (!) die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht
mitsamt ihrer strukturellen Gewalt und Politischen Repression,
mitsamt der Entfremdungserscheinungen und der Zerstörung von Per-
sönlichkeitsstrukturen. Das ist uns gemeinsam."
Da sind sie nun ja alle versammelt, die linken Kalauer!
- "Kapitalistische Wirtschaftsordnung", hier darf man sich alles
vorstellen, was man nicht mag: sei es, daß die Leute nicht genug
m i t e i n a n d e r schaffen, daß es ihnen aufs Geld ankommt,
daß viele nicht mitentscheiden dürfen, - auch, wer's mag,
i r g e n d e t w a s Ökonomisches,
- "die strukturelle Gewalt": Eltern, die ihre Kinder schlagen,
Seminarteilnehmer, die einander nicht ausreden lassen, Terrori-
sten und ihre Gegner, alles mögliche also, denn der
"S t r u k t u r" ist es ziemlich schnuppe, was man sich unter
ihr ausmalt,
- "politische Repression": Berufsverbote, Formalisierung des Stu-
diums (Testatpflicht abgeschafft, multiple choice - Prüfungen),
etc.
- "Zerstörung der Persönlichkeitsstrukturen": hier ist jeder psy-
chologische Unsinn als Beleg erlaubt. Denn Klarheit besteht dar-
über, daß e i n e s damit nicht gemeint ist - von wegen
"platter Ökonomismus" - daß die Leute in der Arbeit ihre Gesund-
heit und ihren Geist ruinieren. Als Linker verlegt man sich lie-
ber aufs Philosophieren, spricht von "Entfremdungs(!)erschei-
nungen(!)" und fragt sich mit so manchem, ob die W e l t heute
noch für den M e n s c h e n ist, oder ob nicht vielmehr beide
in eine unselige Spannung zueinander getreten seien und derlei
mehr.
Wogegen man ist, ist ziemlich wurscht, Hauptsache, man betreibt
es als Linker, und ist sich im klaren, daß man sich da einen ho-
hen Anspruch gesetzt hat:
"Wir Psychoboomverfasser wollen durch anstrengende (!) radikalde-
mokratisch-sozialistische Politik dazu beitragen (hier ein
Scherflein, da ein Scherflein), eine Gesellschaft jenseits (in
Transsylvanien?) der alten zu errichten, die allerdings die guten
(alles hat ja seine zwei Seiten) Elemente der alten Gesellschaft
in sich aufhebt (hepp!). Wir alle lehnen den Kapitalismus ab, ne-
gieren (das ist hart!) ihn. Wir, die BSZ-Autoren, negieren auch
diese Negation (jetzt wird's schwierig, wohl dialektisch!) und
versuchen (drei Versuche hat jeder), etwas (!) Positives (Gott
sei Dank, wir dachten schon!) aufzubauen."
Das Gelaber hat also durchaus Methode: als Linker stellt man an
sich und die übrige Welt die Forderung, nicht einfach stinknormal
das zu machen, was von einem verlangt wird. Man i s t kritisch
und das ist eben nichts anderes als ein G e s t u s, den man
an allem auf der Welt gleichermaßen praktizieren kann. Ihr ganzes
moralisches Gewicht zeigt diese kritische Haltung vor, wenn sie
bekundet, es sich mit ihrem Dagegensein nicht zu einfach machen
zu wollen. Verantwortlich will man sich erweisen, weshalb zur
Vorschrift für die Kritik gemacht wird, auch Gutes zu sehen und
sich um die "Negation" zu plumper Kritiken verdient zu machen.
Das eigene Anliegen ist eben eminent p o s i t i v und so ist
es kein Wunder, daß die Leute, die am Kapitalismus in der BRD
ausgerechnet ein "System" stört, nichts dabei finden, sich das
kritische Geseiche von kulturbeflissenen Hängern aller Schattie-
rungen zueigen zu machen, die auch Probleme "unserer Zeit" plagen
- ob die nun "Abendland", "Werte" oder "Sinn" heißen. In der BSZ
finden sich massenhaft Sprüche dieser vertrauten Art etwa in Sa-
chen "Elite der Nation":
"Der durchschnittliche Student von heute studiert nicht mehr: er
reißt seine Pflichtstunden, seine Scheine, seine Prüfungen herun-
ter,"
oder in Sachen Engagement für die Gesellschaft:
"... er flieht die Politik, weil sie seinem privaten Glücksstre-
ben im Wege steht..."
oder in Sachen Wissenschaft:
"Uns fehlt heute eine fächerübergreifende Wissenschaft, die dem
heutigen Entwicklungsstand der Gesellschaft angemessen ist, die
den Fortschritt der Wissenschaft in den vergangenen Jahren in
sich aufnimmt - und die aus der Durchdringung der gesellschaftli-
chen Verhältnisse heraus Anleitungen zum praktischen Handeln ge-
ben könnte."
Was soll auch anderes bei einer Stellung zur Welt herauskommen,
die sich dadurch auszeichnet, daß sie "anders will".
Am Studieren beklagt man, daß man nicht "ordentlich" studieren
kann, an der Gesellschaft, daß man sich nicht "richtig" für sie
engagieren mag, und auch die Wissenschaft ist einem nicht auf der
Höhe der eigenen Zeit - kurz: bei allem auf der Welt hätte man
schon eine Vorstellung, wie es noch b e s s e r gehen könnte.
Die ganze Welt wird für die Linken so zum unerschöpflichen Mate-
rial, um ihre höchst prinzipielle Unzufriedenheit mit dem
"System" zu belegen und vorzuführen - Nummer für Nummer kürt die
BSZ ihren Unsymp. über die auserwählte Person fällt die Redaktion
so das vernichtende Urteil, daß sie ihr u n s y m p a-
t h i s c h ist und teilt ihren Lesern mit, daß sie den
Betreffenden deswegen auch nicht mögen sollen. WOTTAWA traf so
unlängst die herbe Kritik, zu wenig Mensch zu sein: er ist nicht
nur dreist, sondern auch noch unfähig "zu Ärger, Wut und Scham.
Denn das sind menschliche Reaktionen. Und Wottawa ist ein
Wissenschaftler." Die "Unsymps" sind nämlich deswegen welche,
weil sie es den Leuten von der BSZ schwer machen, "dafür" und
speziell für sie sein zu können. Und der ganze Jammer ist, daß es
mehr "Unsymps" gibt an der Universität als solch positive Exem-
plare:
"NOLTE ist der liebe Junge der Abteilung. Im Grunde seines Her-
zens hält er zu uns, aber an Durchsetzungskraft gegenüber seinen
Kollegen fehlt es ihm auch heute noch."
Perspektive hin - Perspektive her
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Mit so einer kritischen A t t i t ü d e läßt sich dann auch
trefflich streiten, vor allem mit denen, die ebenfalls einen An-
spruch haben, politisch zu sein, wenn auch in etwas anderer Form.
Der Streit läuft dabei nicht darüber, was der andere falsch macht
oder was er sich Falsches über die Welt denkt, also über irgend-
welche G e g e n s t ä n d e, mit denen sich die Leute in unse-
rer Gesellschaft herumschlagen. Gegenstand des Streits ist, ob
m a n p o l i t i s c h i s t, sein kann oder muß, wie Poli-
tik-machen aussieht oder -sehen kann. Die Leute selbst werden so-
mit Gegenstand der Debatten, in denen man sich wechselseitig dar-
aufhin abklopft, ob man auch dem Ideal eines k r i t i s c h e n
M e n s c h e n entspräche. Bei dieser Beurteilerei, inwieweit
man den Maßstäben, die an ein wahrhaft politisches Subjekt anzu-
legen sind, denn auch genüge, sehen die Leute dann auch notwendi-
gerweise schlecht aus, weil sie stets nur als matte Realisierung
des eigentlichen Anspruchs gehandelt werden. Entweder es geht ih-
nen zu sehr um sich, so daß "das Politische" an ihnen vermißt
wird, oder "sie kommen in der Politik gar nicht mehr vor", weil
man vor lauter "politischem" Willen das "Subjekt" gar nicht mehr
erblicken kann, womöglich "verdrängen sie lediglich ihre eigent-
lichen Probleme". Dieses trostlose Aufeinanderrumhacken findet in
der entsprechenden solidarischen Form statt, verständnisvoll-un-
verschämt konstatiert man, daß der andere sicherlich aufgrund
seiner bisherigen Entwicklung (noch) nicht anders könne - sein an
den Tag gelegter Wille also nicht weiter ernst zu nehmen sei. So
etwa in der Korrespondenz mit jemandem, der klar sagt, daß er
überhaupt nichts gegen irgendetwas hat, aber an der Debatte
"Politikmachen oder Ausflippen" interessiert ist:
"Dabei weiß ich noch gar nicht so richtig, warum ich kämpfen
soll... ich weiß nicht, für wen ich das tue, wenn ich kämpfe. Für
mich? Wieso? Ich spüre mich kaum, mich gibt es nicht..."
Dem sagt man nicht, daß er spinnt (schließlich hat er ja seinen
Brief mit "Knut" unterschrieben, obwohl es ihn gar nicht gibt!),
einem solchen kommt ein Linker sehr verständnisvoll mit dem eige-
nen Anspruch als dem gemeinsamen:
"... du entziehst dich... Da weiß ich dann echt nicht mehr, was
deine politische Entwicklung (!) von der eines Fatalisten oder
einer Untertanenmentalität unterscheidet."
"Eva hat recht mit ihrer Forderung, daß es einfach ungeheuer (!)
notwendig ist, Nabelschau zu betreiben, auch wenn sie da viel-
leicht mal ein halbes Jahr oder so arbeitsunfähig ist. Diese per-
sönlichen Erholungs- und Orientierungsphasen sind wohl nötig.
Sehr problematisch (furchtbar problematisch!!) wird diese Sache
m.E. aber, wenn sie verabsolutiert, wiederum zum Dogma erhoben
wird."
Und ganz im Sinne der Problematisiererei des anderen begibt man
sich daran, dem Diskussionspartner als Mensch vorzuhalten, er sei
gefangen in einer bestimmten - heute recht zweifelhaften - philo-
sophischen Tradition (was sich natürlich am besten mit ein paar
Sprüchen machen läßt, die man in philosophischen Oberseminaren
mitbekommen hat):
"Ihr irrt euch gewaltig, wenn ihr glaubt, außerhalb traditionel-
ler Denkweisen zu stehen... Mag sein, daß dieses Konzept wirklich
nicht sehr fest ist... Tatsache ist, daß die Gedanken, die ihr in
euren Briefen äußert, durchaus Bestandteile einer traditionellen
gängigen Philosophie sind... Spüren statt Denken ist e i n e
Essenz des Existenzialismus."
Das sitzt! Die fixe Idee der Philosophen, Denktraditionen
"letztendlich" dafür verantwortlich zu machen, daß die Leute et-
was Bestimmtes (und sei es noch so blöd) tun oder wollen (als ob
es keine Interessen und deshalb auch Gründe für das Handeln
gäbe), eignet sich hier vorzüglich, ungeheuer originell und ge-
lehrt einem anderen moralische Vorhaltungen zu machen. Nicht min-
der gekonnt ist die Erklärung, Knut käme deswegen auf "seine dis-
kutierenswerten Ansichten", weil er als Intellektueller besonders
anfällig sei:
"Allein Intellektuelle (und andere Zwischenschichten) mit ihrer
indifferenten Position (scharf erkannt, die Position!) zwischen
den beiden großen Lagern wissen oft nicht, ob sie Fisch oder
Fleisch sind."
Diese aus den Schätzen der Sozialwissenschaft gekramte Weisheit
verkündet zwar nichts über Knut und seine Gedanken, um so mehr
aber über die intellektuelle Beschlagenheit seines Autors. Und
darauf kommt's ja auch allein an. Weswegen er seine Gedankenunge-
tümer auch lässig in Anlehnung an die Literaturwissenschaft for-
mulieren kann:
"Die Orientierung nach Draußen (Draußen, weil Draußen mehr sagt
als draußen) beruht vielleicht auf dem "Ekel" (Sartre) (warum
nicht Polanski oder Alfred) von dieser Auseinandersetzung um Un-
ten und Oben überhaupt (überhaupt ist gut!)."
Im übrigen verstehen sich die Diskussionspartner ganz gut: auch
den Knuts geht es um nichts als den Beweis, daß auch er über
Menschheit heute schwafeln kann:
"Ich hoffe der Bruch, der Unterschied (!) ist ein bißchen(!) kla-
rer geworden, es geht ganz bestimmt nicht gegen geschäftliche Lö-
sungen (nur sind die vielleicht anders, als du dir vorstellen
kannst), es geht um uns, um mehr oder weniger lebendige Menschen,
die ihre schlaflosen (da kommen einem die Tränen) Nähte nicht aus
der Politik verdrängen wollen, nicht ihren Selbsthaß und alle Un-
zulänglichkeiten, nicht die Wünsche nach Spielen, Toben, Schmusen
und allen anderen tollen Sachen. Vielleicht ist da auch eine
Menge Perspektive drin (aber sicher, Perspektive immer!), aller-
dings überwiegen oft wirklich (!) die Zweifel."
Worum es diesem etwas anders geratenen linken Literaten also
wirklich (nicht) geht, faßt er in seinem bisherigen Schlußwort
zusammen:
"Eins möchte ich zum Schluß gern fordern: wenn jemand von euch
wirklich noch mal schreibt, dann schreibt es bitte einmal nicht
aus dieser distanzierten, selbstgerechten Analysiererposition;
versucht doch mal ein bißchen mehr an eurer eigenen Angst lang zu
schreiben (ich kanns auch nicht richtig) (Angeber!), laßt euch
doch mal auf meine Ebene zerren - fänd ich toll (wie spontan du
wieder bist!)."
Sicherlich werden unsere Einwände gegen die Debatte nicht dazu
führen, sie zu beenden, schließlich ist sie für die Linke, wie
sie heutzutage existiert, d a s Betätigungsfeld. Und warum
sollten innerhalb dieser Linken plötzlich viele auf die Einsicht
kommen, daß ihnen das Rumlaufen als "kritischer Mensch" zu blöd
ist.
Aber auf der anderen Seite trifft die Debatte ja auch durchaus
bei d e n Studenten auf ein geneigtes Publikum. Wer wollte
nicht - bei aller Jagd nach Scheinen für die wesentlichen und
existenziellen Fragen unserer Zeit offen sein? Das ist man sich
als Intellektueller doch schuldig. Die Gesellschaft auch einmal
radikal in Frage zu stellen, mit dem Gedanken zu spielen, ob aus
der Gesellschaft auszusteigen oder sich für die Beseitigung jed-
weden Unrechts zu engagieren nicht furchtbar sinnvoll wäre, das
ist ja immerhin ein schönes kulturelles Interesse. Und sicherlich
gibt es auch immer wieder einige, die darauf etwas mehr Gewicht
insbesondere in ihrem Studium legen, weil sie demonstrieren wol-
len, daß es ihnen wirklich ernst ist mit der gesellschaftlichen
Verantwortung, die zu tragen ohnehin Zweck und Inhalt ihrer Aus-
bildung ist.
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