Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...


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       Der BSZ-Schwerpunkt
       

PERSPEKTIVENBOOM: MENSCH '85

Die Bochumer Studentenzeitung debattiert seit 9 Ausgaben über die "Perspektiven '85" bzw. den "Psychoboom" und tut damit genau das, was heutzutage die Linke in der BRD noch bewegt. Sie hat nämlich nur das eine Problem (und das dafür sehr) was man eigentlich un- ter "Politik-machen" verstehen soll, ob linke Politik überhaupt noch möglich sei und ob die Linke nicht in einer Krise stecke. Ihre Politik i s t nämlich die Besprechung des Anspruchs, den man an sich und andere stellen zu müssen glaubt und die Begutach- tung der Leute, ob sie als politische Subjekte diesen Anspruch angemessen vorexerzieren. "Warten auf die Bewegung" ------------------------- Schon das Motto der Debatte: "Wie weiter mit uns Studenten" ver- rät, daß es nicht um die Diskussion und theoretische Lösung eines tatsächlich vorhandenen Problems geht, nimmt man doch seltsame Gemeinsamkeiten zum Ausgangspunkt: Wer soll das denn eigentlich sein: "wir Studenten"? Was d i e Studenten bewegt, läßt sich ja leicht ausmachen: Sie besuchen ihre Vorlesungen, lassen sich auf jede Verrücktheit der bürgerlichen Wissenschaft ein, absolvieren damit auch ihre Examina, werden Lehrer, Staatsanwälte oder Be- triebswirte, erfüllen also ihre Funktionen für Staat und Wirt- schaft, was ihnen keineswegs zum Schaden gereicht, - und haben nebenbei ihre im Studium vertieften bürgerlichen Ideologien auf Lager, mit denen sie sich's einrichten. D i e Studenten als welche zu betrachten, die wie "wir" nach einer politischen P e r s p e k t i v e suchen, die noch mehr als die "wir" p a s s i v, i s o l i e r t und s i n n e n t l e e r t seien, ist ziemlich albern, weil man dem Rest der Menschheit die Probleme andichtet, die man sich als problembewußter Linker sel- ber zum Programm gesetzt hat, also so tut, als wäre das eigene Ideal, das man sich von der Welt zurechtgelegt hat, recht eigent- lich das eben bloß heimliche Ideal aller übrigen Studenten. Nur so kommt man übrigens auch auf die sinnreiche Frage, warum es heute k e i n e Studentenbewegung gibt: Hat man sich erst ein- mal eine linke Bewegung - wie immer sie auch aussehen mag - unter Studenten als das natürlichste von der Welt ausgedacht, muß man nach Gründen suchen, warum die Studenten heutzutage ihrer vor- nehmsten Pflicht nicht - so wie man es für sich als "Anspruch" hat - nachkommen. Entsprechend hergeholt sind denn auch die Ana- lysen der "objektiven und subjektiven Faktoren", die als Bedin- gungen für die Nichtexistenz einer Bewegung inzwischen Allgemein- gut der Linken sind: "Im Verlauf der 70er Jahre hat sich der ehemalige CDU-Obrigkeits- staat unter der Agide der SPD/FDP-Koalition als technokratischer Ordnungsstaat wiederhergestellt, der a l l e Bereiche des ge- sellschaftlichen Lebens - bis in die Bedürfnisstruktur der Indi- viduen - organisiert und verwaltet. Das Kapital hat mittlerweile auch die Hochschulen weitestgehend unter seine Kontrolle ge- bracht, Bis in die Linke hinein tragen die Beziehungen zwischen den Menschen Warencharakter." Schuldige gibt's: Staat und Kapital, die offensichtlich nichts anderes zu tun haben, als die "Bedürfnisstruktur" der Bürger im- mer mehr zu manipulieren, damit diese willenlos sich dem fügen, wogegen sie im tiefsten Herzen eigentlich sind (Perspektive: "1984"). (Das glaubt ihr, egal wie oft euch die ach so ausgelie- ferten "Individuen" recht eindeutig demonstrieren, daß sie von linkem Zeugs nichts wissen w o l l e n). Dazu muß man sich den Staat nur als jenen big brother-Machtapparat vorstellen, dessen charakteristische Kennzeichen "Ordnung" (sehr originell als Ty- penbezeichnung für einen Staat!) und "technokratisch" heißen (das sagt inzwischen auch schon jeder, wenn auch gängiger derzeit die eingedeutschte Form: "Macher"), insbesondere aber, daß er in a l l e Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eingreift, - weil ausgemachte Sache ist, daß, w a s er tatsächlich und auf welche Weise macht, nicht weiter interessiert. Ebenso steht's mit dem Kapital: ein Moloch, der sich alles unterwirft, wobei auch hier der abstrakte Spruch hinreichend Klarheit verschafft, freilich empfiehlt es sich, ein konkretisierendes "weitestgehend" einzu- bauen für irgendwelche "Widersprüchlichkeiten", die "Perspektive" stiften können. Auf der anderen Seite sind die Individuen: dermaßen total unter der Fuchtel - bis in die "Bedürfnisstruktur" (ihr übernehmt auch jeden psychologischen Quatsch oder treiben euch Strukturen zum Bäcker?) hinein -, daß sie selber sich wie K a p i t a l e gegenüber stehen: in der Form von W a r e n. (Womit die Linke wieder einmal gezeigt hätte, daß sie über das erste Kapitel des "Kapital" nicht hinauszulesen bereit ist, reicht es ihr doch allemal, aus einem dort vorkommenden Wort ein soziologisches Interpretationsschema zu basteln, unter das sich herrlich alles mögliche auf der Welt subsumieren läßt.) - Für die Vorstellung wird dieser linke "Allgemeinplatz" durch eine Mischung von Studentenvertreterphrasen und linker wie reaktio- närer kulturkritischer Sprüche aller sozialwissenschaftlichen Disziplinen veranschaulicht: "Verschiedene Faktoren, die wir seit Jahren beobachten und gegen sie zu Felde ziehen: Erziehung zu Konkurrenz und Leistungsverhal- ten in den Oberstufen der Schulen-, Verschulung und Formalisie- rung des Studiums, Verschärfung der Prüfungsanforderungen; unbe- wußte Selbstzensur erzeugende politische Disziplinierung in Uni und Gesellschaft; auf Konsum, Passivität, Individualität und Kon- formität orientierende gesellschaftliche Zwänge und anderes (!) haben eine qualitativ neue, eigentümliche Mentalität produziert, die es zu erforschen gilt. Unsere Gesellschaft hat, indem sie a l l e s (schon wieder!) unter die Verwertung des Kapitals zieht, eine Sinnentleerung, eine Entsinnlichung des gesellschaft- lichen wie individuellen Lebens erzeugt, hat ihre eigenen alten wie auch fortschrittliche neue Werte, indem sie sie dem Markt un- terwarf, als solche aufgelöst. (Weshalb Marx wahrscheinlich auch a.a.O. behauptet, daß in den Waren, wenn sie auf dem Markt er- scheinen, ein Wert steckt!)" Wertverlust, Sinnentleerung, Entsinnlichung des gesellschaftli- chen und individuellen Lebens... das sind doch mal Sprüche! Of- fensichtlich sind auch die Linken der Auffassung, daß es der Menschheit um's Höhere gehen sollte, weshalb Konsum und Indivi- dualität so furchtbar abträglich sind. Ist Euch noch nicht aufge- fallen, daß es auf nichts im Kapitalismus so wenig ankommt, wie darauf, daß die Menschen auch wirklich das haben, was sie zum Le- ben benötigen, daß "totale Versorgung und Konsumzwang" Ideologien einer Gesellschaft sind, in der es Leute zu Hauf gibt, die die Tugend der Bescheidenheit tatsächlich nötig haben? (Damit meinen wir natürlich nicht, wie es in linken Kreisen auch wieder üblich ist - die Studenten, die in intelligenten Berufen einmal ihren Lebensunterhalt mit der Produktion und Verbreitung von Ideologien recht gut verdienen.) Ist euch auch nicht aufge- fallen, daß es bei der kapitalistischen Produktionsweise auf die Individualität einen Dreck ankommt? Weshalb man auch etwas vor- sichtiger sein sollte mit dem Lob all dessen, was bei uns schon "gesellschaftlich" ist! Sinn und Werte braucht schließlich ja auch nur der, der sonst nicht auf seine Kosten kommt; "Passivität" erweist sich schon deshalb als ein blödes Schlagwort, weil es so tut, als wenn die Leute nichts machen würden. Normalerweise wird auf diese Tour kritisiert, daß sich die Leute nicht genug für das einsetzen, wo- von sie nichts haben, daß sie sich b l o ß einrichten. Als Hinweis auf die Dummheit der Ideologien, derer sich die Linke bedient, um zu begründen, warum es heute keine Studentenbewegung mehr gibt, wo es sie doch eigentlich geben müßte, soll das hier reichen. Die bürgerlichen Lehnsprüche, die alle nur belegen sol- len, daß es fast unmöglich ist, heute dagegen zu sein, bezeugen schließlich ja nur eines, daß ihre Anwender selber nicht wissen (wollen), warum sie eigentlich gegen was sind. "Wir wollen anders" ------------------- Nebenbei sei einmal von gestandenen "Dogmatikern" bemerkt, daß derjenige, der etwas kritisiert und die Beseitigung der Sache sich vornimmt, alles dafür tut, dieses Ziel zu erreichen, und sich weiß Gott nicht fragt ob dazu vielleicht gar keine M ö g l i c h k e i t e n bestehen. Daß es den Zustand, den er erreichen will, noch nicht gibt, ist ja sein Ausgangspunkt, warum soll er also darüber jammern, daß die Bedingungen so schlecht sind? Die Linke ist allerdings recht undogmatisch, wenn sie "dagegen" ist. Denn ihr geht es ja nicht um etwas bestimmtes, was sie sich abzuschaffen vorgenommen hat, - um so mehr aber um den Anspruch, k r i t i s c h z u s e i n. In der Sache ist man dann durchaus offen, weswegen sich eine linke Weltanschauung auch so zusammenfassen läßt: "Wir alle mögen (!) die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht mitsamt ihrer strukturellen Gewalt und Politischen Repression, mitsamt der Entfremdungserscheinungen und der Zerstörung von Per- sönlichkeitsstrukturen. Das ist uns gemeinsam." Da sind sie nun ja alle versammelt, die linken Kalauer! - "Kapitalistische Wirtschaftsordnung", hier darf man sich alles vorstellen, was man nicht mag: sei es, daß die Leute nicht genug m i t e i n a n d e r schaffen, daß es ihnen aufs Geld ankommt, daß viele nicht mitentscheiden dürfen, - auch, wer's mag, i r g e n d e t w a s Ökonomisches, - "die strukturelle Gewalt": Eltern, die ihre Kinder schlagen, Seminarteilnehmer, die einander nicht ausreden lassen, Terrori- sten und ihre Gegner, alles mögliche also, denn der "S t r u k t u r" ist es ziemlich schnuppe, was man sich unter ihr ausmalt, - "politische Repression": Berufsverbote, Formalisierung des Stu- diums (Testatpflicht abgeschafft, multiple choice - Prüfungen), etc. - "Zerstörung der Persönlichkeitsstrukturen": hier ist jeder psy- chologische Unsinn als Beleg erlaubt. Denn Klarheit besteht dar- über, daß e i n e s damit nicht gemeint ist - von wegen "platter Ökonomismus" - daß die Leute in der Arbeit ihre Gesund- heit und ihren Geist ruinieren. Als Linker verlegt man sich lie- ber aufs Philosophieren, spricht von "Entfremdungs(!)erschei- nungen(!)" und fragt sich mit so manchem, ob die W e l t heute noch für den M e n s c h e n ist, oder ob nicht vielmehr beide in eine unselige Spannung zueinander getreten seien und derlei mehr. Wogegen man ist, ist ziemlich wurscht, Hauptsache, man betreibt es als Linker, und ist sich im klaren, daß man sich da einen ho- hen Anspruch gesetzt hat: "Wir Psychoboomverfasser wollen durch anstrengende (!) radikalde- mokratisch-sozialistische Politik dazu beitragen (hier ein Scherflein, da ein Scherflein), eine Gesellschaft jenseits (in Transsylvanien?) der alten zu errichten, die allerdings die guten (alles hat ja seine zwei Seiten) Elemente der alten Gesellschaft in sich aufhebt (hepp!). Wir alle lehnen den Kapitalismus ab, ne- gieren (das ist hart!) ihn. Wir, die BSZ-Autoren, negieren auch diese Negation (jetzt wird's schwierig, wohl dialektisch!) und versuchen (drei Versuche hat jeder), etwas (!) Positives (Gott sei Dank, wir dachten schon!) aufzubauen." Das Gelaber hat also durchaus Methode: als Linker stellt man an sich und die übrige Welt die Forderung, nicht einfach stinknormal das zu machen, was von einem verlangt wird. Man i s t kritisch und das ist eben nichts anderes als ein G e s t u s, den man an allem auf der Welt gleichermaßen praktizieren kann. Ihr ganzes moralisches Gewicht zeigt diese kritische Haltung vor, wenn sie bekundet, es sich mit ihrem Dagegensein nicht zu einfach machen zu wollen. Verantwortlich will man sich erweisen, weshalb zur Vorschrift für die Kritik gemacht wird, auch Gutes zu sehen und sich um die "Negation" zu plumper Kritiken verdient zu machen. Das eigene Anliegen ist eben eminent p o s i t i v und so ist es kein Wunder, daß die Leute, die am Kapitalismus in der BRD ausgerechnet ein "System" stört, nichts dabei finden, sich das kritische Geseiche von kulturbeflissenen Hängern aller Schattie- rungen zueigen zu machen, die auch Probleme "unserer Zeit" plagen - ob die nun "Abendland", "Werte" oder "Sinn" heißen. In der BSZ finden sich massenhaft Sprüche dieser vertrauten Art etwa in Sa- chen "Elite der Nation": "Der durchschnittliche Student von heute studiert nicht mehr: er reißt seine Pflichtstunden, seine Scheine, seine Prüfungen herun- ter," oder in Sachen Engagement für die Gesellschaft: "... er flieht die Politik, weil sie seinem privaten Glücksstre- ben im Wege steht..." oder in Sachen Wissenschaft: "Uns fehlt heute eine fächerübergreifende Wissenschaft, die dem heutigen Entwicklungsstand der Gesellschaft angemessen ist, die den Fortschritt der Wissenschaft in den vergangenen Jahren in sich aufnimmt - und die aus der Durchdringung der gesellschaftli- chen Verhältnisse heraus Anleitungen zum praktischen Handeln ge- ben könnte." Was soll auch anderes bei einer Stellung zur Welt herauskommen, die sich dadurch auszeichnet, daß sie "anders will". Am Studieren beklagt man, daß man nicht "ordentlich" studieren kann, an der Gesellschaft, daß man sich nicht "richtig" für sie engagieren mag, und auch die Wissenschaft ist einem nicht auf der Höhe der eigenen Zeit - kurz: bei allem auf der Welt hätte man schon eine Vorstellung, wie es noch b e s s e r gehen könnte. Die ganze Welt wird für die Linken so zum unerschöpflichen Mate- rial, um ihre höchst prinzipielle Unzufriedenheit mit dem "System" zu belegen und vorzuführen - Nummer für Nummer kürt die BSZ ihren Unsymp. über die auserwählte Person fällt die Redaktion so das vernichtende Urteil, daß sie ihr u n s y m p a- t h i s c h ist und teilt ihren Lesern mit, daß sie den Betreffenden deswegen auch nicht mögen sollen. WOTTAWA traf so unlängst die herbe Kritik, zu wenig Mensch zu sein: er ist nicht nur dreist, sondern auch noch unfähig "zu Ärger, Wut und Scham. Denn das sind menschliche Reaktionen. Und Wottawa ist ein Wissenschaftler." Die "Unsymps" sind nämlich deswegen welche, weil sie es den Leuten von der BSZ schwer machen, "dafür" und speziell für sie sein zu können. Und der ganze Jammer ist, daß es mehr "Unsymps" gibt an der Universität als solch positive Exem- plare: "NOLTE ist der liebe Junge der Abteilung. Im Grunde seines Her- zens hält er zu uns, aber an Durchsetzungskraft gegenüber seinen Kollegen fehlt es ihm auch heute noch." Perspektive hin - Perspektive her --------------------------------- Mit so einer kritischen A t t i t ü d e läßt sich dann auch trefflich streiten, vor allem mit denen, die ebenfalls einen An- spruch haben, politisch zu sein, wenn auch in etwas anderer Form. Der Streit läuft dabei nicht darüber, was der andere falsch macht oder was er sich Falsches über die Welt denkt, also über irgend- welche G e g e n s t ä n d e, mit denen sich die Leute in unse- rer Gesellschaft herumschlagen. Gegenstand des Streits ist, ob m a n p o l i t i s c h i s t, sein kann oder muß, wie Poli- tik-machen aussieht oder -sehen kann. Die Leute selbst werden so- mit Gegenstand der Debatten, in denen man sich wechselseitig dar- aufhin abklopft, ob man auch dem Ideal eines k r i t i s c h e n M e n s c h e n entspräche. Bei dieser Beurteilerei, inwieweit man den Maßstäben, die an ein wahrhaft politisches Subjekt anzu- legen sind, denn auch genüge, sehen die Leute dann auch notwendi- gerweise schlecht aus, weil sie stets nur als matte Realisierung des eigentlichen Anspruchs gehandelt werden. Entweder es geht ih- nen zu sehr um sich, so daß "das Politische" an ihnen vermißt wird, oder "sie kommen in der Politik gar nicht mehr vor", weil man vor lauter "politischem" Willen das "Subjekt" gar nicht mehr erblicken kann, womöglich "verdrängen sie lediglich ihre eigent- lichen Probleme". Dieses trostlose Aufeinanderrumhacken findet in der entsprechenden solidarischen Form statt, verständnisvoll-un- verschämt konstatiert man, daß der andere sicherlich aufgrund seiner bisherigen Entwicklung (noch) nicht anders könne - sein an den Tag gelegter Wille also nicht weiter ernst zu nehmen sei. So etwa in der Korrespondenz mit jemandem, der klar sagt, daß er überhaupt nichts gegen irgendetwas hat, aber an der Debatte "Politikmachen oder Ausflippen" interessiert ist: "Dabei weiß ich noch gar nicht so richtig, warum ich kämpfen soll... ich weiß nicht, für wen ich das tue, wenn ich kämpfe. Für mich? Wieso? Ich spüre mich kaum, mich gibt es nicht..." Dem sagt man nicht, daß er spinnt (schließlich hat er ja seinen Brief mit "Knut" unterschrieben, obwohl es ihn gar nicht gibt!), einem solchen kommt ein Linker sehr verständnisvoll mit dem eige- nen Anspruch als dem gemeinsamen: "... du entziehst dich... Da weiß ich dann echt nicht mehr, was deine politische Entwicklung (!) von der eines Fatalisten oder einer Untertanenmentalität unterscheidet." "Eva hat recht mit ihrer Forderung, daß es einfach ungeheuer (!) notwendig ist, Nabelschau zu betreiben, auch wenn sie da viel- leicht mal ein halbes Jahr oder so arbeitsunfähig ist. Diese per- sönlichen Erholungs- und Orientierungsphasen sind wohl nötig. Sehr problematisch (furchtbar problematisch!!) wird diese Sache m.E. aber, wenn sie verabsolutiert, wiederum zum Dogma erhoben wird." Und ganz im Sinne der Problematisiererei des anderen begibt man sich daran, dem Diskussionspartner als Mensch vorzuhalten, er sei gefangen in einer bestimmten - heute recht zweifelhaften - philo- sophischen Tradition (was sich natürlich am besten mit ein paar Sprüchen machen läßt, die man in philosophischen Oberseminaren mitbekommen hat): "Ihr irrt euch gewaltig, wenn ihr glaubt, außerhalb traditionel- ler Denkweisen zu stehen... Mag sein, daß dieses Konzept wirklich nicht sehr fest ist... Tatsache ist, daß die Gedanken, die ihr in euren Briefen äußert, durchaus Bestandteile einer traditionellen gängigen Philosophie sind... Spüren statt Denken ist e i n e Essenz des Existenzialismus." Das sitzt! Die fixe Idee der Philosophen, Denktraditionen "letztendlich" dafür verantwortlich zu machen, daß die Leute et- was Bestimmtes (und sei es noch so blöd) tun oder wollen (als ob es keine Interessen und deshalb auch Gründe für das Handeln gäbe), eignet sich hier vorzüglich, ungeheuer originell und ge- lehrt einem anderen moralische Vorhaltungen zu machen. Nicht min- der gekonnt ist die Erklärung, Knut käme deswegen auf "seine dis- kutierenswerten Ansichten", weil er als Intellektueller besonders anfällig sei: "Allein Intellektuelle (und andere Zwischenschichten) mit ihrer indifferenten Position (scharf erkannt, die Position!) zwischen den beiden großen Lagern wissen oft nicht, ob sie Fisch oder Fleisch sind." Diese aus den Schätzen der Sozialwissenschaft gekramte Weisheit verkündet zwar nichts über Knut und seine Gedanken, um so mehr aber über die intellektuelle Beschlagenheit seines Autors. Und darauf kommt's ja auch allein an. Weswegen er seine Gedankenunge- tümer auch lässig in Anlehnung an die Literaturwissenschaft for- mulieren kann: "Die Orientierung nach Draußen (Draußen, weil Draußen mehr sagt als draußen) beruht vielleicht auf dem "Ekel" (Sartre) (warum nicht Polanski oder Alfred) von dieser Auseinandersetzung um Un- ten und Oben überhaupt (überhaupt ist gut!)." Im übrigen verstehen sich die Diskussionspartner ganz gut: auch den Knuts geht es um nichts als den Beweis, daß auch er über Menschheit heute schwafeln kann: "Ich hoffe der Bruch, der Unterschied (!) ist ein bißchen(!) kla- rer geworden, es geht ganz bestimmt nicht gegen geschäftliche Lö- sungen (nur sind die vielleicht anders, als du dir vorstellen kannst), es geht um uns, um mehr oder weniger lebendige Menschen, die ihre schlaflosen (da kommen einem die Tränen) Nähte nicht aus der Politik verdrängen wollen, nicht ihren Selbsthaß und alle Un- zulänglichkeiten, nicht die Wünsche nach Spielen, Toben, Schmusen und allen anderen tollen Sachen. Vielleicht ist da auch eine Menge Perspektive drin (aber sicher, Perspektive immer!), aller- dings überwiegen oft wirklich (!) die Zweifel." Worum es diesem etwas anders geratenen linken Literaten also wirklich (nicht) geht, faßt er in seinem bisherigen Schlußwort zusammen: "Eins möchte ich zum Schluß gern fordern: wenn jemand von euch wirklich noch mal schreibt, dann schreibt es bitte einmal nicht aus dieser distanzierten, selbstgerechten Analysiererposition; versucht doch mal ein bißchen mehr an eurer eigenen Angst lang zu schreiben (ich kanns auch nicht richtig) (Angeber!), laßt euch doch mal auf meine Ebene zerren - fänd ich toll (wie spontan du wieder bist!)." Sicherlich werden unsere Einwände gegen die Debatte nicht dazu führen, sie zu beenden, schließlich ist sie für die Linke, wie sie heutzutage existiert, d a s Betätigungsfeld. Und warum sollten innerhalb dieser Linken plötzlich viele auf die Einsicht kommen, daß ihnen das Rumlaufen als "kritischer Mensch" zu blöd ist. Aber auf der anderen Seite trifft die Debatte ja auch durchaus bei d e n Studenten auf ein geneigtes Publikum. Wer wollte nicht - bei aller Jagd nach Scheinen für die wesentlichen und existenziellen Fragen unserer Zeit offen sein? Das ist man sich als Intellektueller doch schuldig. Die Gesellschaft auch einmal radikal in Frage zu stellen, mit dem Gedanken zu spielen, ob aus der Gesellschaft auszusteigen oder sich für die Beseitigung jed- weden Unrechts zu engagieren nicht furchtbar sinnvoll wäre, das ist ja immerhin ein schönes kulturelles Interesse. Und sicherlich gibt es auch immer wieder einige, die darauf etwas mehr Gewicht insbesondere in ihrem Studium legen, weil sie demonstrieren wol- len, daß es ihnen wirklich ernst ist mit der gesellschaftlichen Verantwortung, die zu tragen ohnehin Zweck und Inhalt ihrer Aus- bildung ist. zurück