Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...
zurückDIE LINKEN UND DIE "DEUTSCHE FRAGE"
Die Linken sind durch die deutschen Fortschritte aufgeschreckt worden und diskutieren seit Monaten das, was sie wie die offi- zielle Politik "Deutsche Frage" nennen. Und es bräuchte nicht die mannigfachen Bekundungen, daß "die Linke in der Krise" sei, um festzustellen, daß die Kritiker in Zweifel und Streit geraten sind bezüglich ihrer Einwände gegen NATO, Kapitalismus, Nationa- lismus und BRD-Demokratie. Der Streit geht quer durch die linken Gruppen, Blätter und Kreise und scheidet die Geister in zwei große Lager: Die einen entnehmen der neuen Lage selbstkritisch, daß manche grundlegende Abstriche an ihrer bisherigen Kritik fäl- lig sind. Die anderen dagegen wollen im deutschen Fortschritt nach wie vor Gründe entdecken, entschieden dagegen zu sein - "trotz alledem", wie sie sagen. Einig sind sich alle, daß es dar- auf ankommt, sich den "neuen Realitäten" zu "stellen" und das heißt vor allem mit der eigenen Krise fertig zu werden. Wie, ist allerdings wieder heiß umstritten. I. Die falschen Einwände gegen die nationale Sache -------------------------------------------------- Unübersehbar ist die abschließende Antwort auf die "Deutsche Frage" sehr schlicht ausgefallen: Die Bundesrepublik weitet ihre staatliche Hoheit mitsamt den dazugehörigen Eigentums- und Lohnarbeitsverhältnissen aus; ihr ist auf friedlichem Wege die Eroberung der DDR gelungen. Das Volk drüben untersteht künftig den DM-Verhältnissen, das hüben rechnet und rechtet bescheiden herum, was "uns" das wohl kostet. Das NATO-Programm kommt ent- scheidend voran. Der östliche Fronstaat verschwindet und statt dessen gelten dort künftig westliche Herrschaftsprinzipien und NATO-Zuständigkeit. Das neue Deutschland mit seiner gewachsenen Macht über Land und Leute steht dafür ein. Deutschland wird mit der NATO im Rücken zur europäischen Führungsmacht des Westens. Die Sowjetunion zieht sich zurück und büßt ihren Einfluß auf die DDR ersatzlos ein. Ihr Interesse, die neue deutsche Großmacht so- wjetischen Sicherheitsinteressen gemäß zu begrenzen, ist schlicht zurückgewiesen und daraufhin von ihr aufgegeben worden. Ihr au- ßenpolitischer Kurs, durch einseitige Abrüstung und Rüstungsdiplomatie die Konfrontation der Blöcke abzubauen, wird materiell nicht honoriert, sondern diplomatisch ausgenutzt, um ihren Rückzug aus ihrem ehemaligen Block abzusichern. 1. Die erfolgreiche deutsche Großmacht und die NATO --------------------------------------------------- im Lichte der Kriegsgefahr -------------------------- Die Linken sehen das alles etwas anders, wenn sie kritisch von Imperialismus, Kapitalismus und gewachsener deutscher Macht re- den. Radikalen Friedensfreunden geht ausgerechnet im Moment des Tri- umphs eines Wiedervereinigungsprogramms, das sie bisher als "revanchistisch" und "friedensgefährdend" angegriffen haben, die Kritik ziemlich aus: "Die Linke/Anti-AKW-Bewegung muß von der Realität eines Groß- deutschland ausgehen", so daß "eine Ablehnung der 'Wiederver- einigung' für unhistorisch" gehalten werden muß." (atom-Redak- tion, 'Minderheiten-Position' und andere). Die Kritiker einer deutschen Machtentfaltung, die sie nach eige- nen Aussagen ablehnen und verhindern möchten, argumentieren hier glatt wie die Fans des neuen Deutschland vom Schlage Augsteins: Der Erfolg der nationalen Sache blamiert seine Kritiker, so daß sich das Argumentieren erübrigt. Im Gefolge stellen sich für kri- tische Menschen, die sich angeblich nur schweren Herzens ins Un- vermeidliche fügen, dann auch die guten Gründe ein, dem Unver- meidlichen positive Seiten abzugewinnen: "...eher müsse mensch froh sein, daß diese 'Vereinigung' mit ei- ner militärischen Deeskalation in Europa zusammenfällt und nicht Produkt oder Ursache einer Eskalation ist. Das prinzipielle 'Recht auf staatliche Einheit' ..müsse von den Gefahren eines im- perialistischen Großdeutschland getrennt gesehen werden." (atom 30.4.) Friedensbewegte leben offenbar in einer eigenen Welt: Sie können das Gewalttätige, die Kriegsgefahr, die sie an NATO-Raketen und Kriegsplänen gegen Osten, an Reagans-Ruf nach Erledigung der So- wjetunion und manchem anderen entdecken wollten, im machtvollen Aufstieg der Bundesrepublik partout nicht mehr wiederfinden. Genausowenig wie sie einen Zusammenhang mit den Absichten und Mitteln des westlichen Militärbündnisses feststellen wollen, die unvermindert gegen die Sojwetunion gerichtet sind. Und daß mit der deutschen Macht auch die Ansprüche wachsen, daß Kohl und Kon- sorten jetzt das Ende der Nachkriegszeit und aller verbliebenen völkerrechtlichen Schranken für deutsche Souveränität einläuten, daß sie dafür auf ihre gewachsene Rolle in der NATO und auf deren machtvolle Zustimmung rechnen und die sowjetischen Anträge auf Neutralisierung schlicht zurückweisen - all das scheint Freunden der "Deeskalation" nicht geläufig. Zumindest schein es sie längst nicht so zu beunruhigen wie vormals die Frage der Stationierung amerikanischer Raketen auf deutschem Boden. Der friedlich errun- gene bundesrepublikanische Sieg erledigt offenbar die Kritik an den Methoden, mit denen er zustandegekommen ist. Damit gestehen die Warner vor Kriegsgefahr und NATO-Politik ein, was sie gestern eigentlich auszusetzen hatten: Es war gar nicht der NATO-Weltordnungsanspruch, mit dem sie der Sowjetunion ihr Existenzrecht bestreitet und für den sie weltweit und vor allem in Europa gegen die Sowjetunion gerüstet und lokale Kriege ent- fesselt hat. Es war gar nicht der Aufstieg der BRD als an- tikommunistischer Fronstaat unter dem NATO-Schirm zur jetzt mit einem Schlage konkurrenzlosen westeuropäischen Großmacht. Was die Kritiker so aufgeregt hat, waren die gefürchteten Folgen der Kon- frontation, in die der Westen sich aufgrund seines weltpoliti- schen Monopolanspruchs mit der SU begeben hat, die bedrohliche Lage, die mit der russischen Gegendrohung in Europa und insbeson- dere für die Bundesrepublik entstanden ist. Ihre Kritik war also beflügelt von der Sorge, wegen dieser Konfrontation könnte Europa und insbesondere die Bundesrepublik zum Kriegsschauplatz werden. Und vor allem erbitterte sie die Vorstellung, daß Deutschland in dieser Konfrontation letztlich das Opfer werden würde - das Opfer der amerikanischen Raketenstationierung, der russischen Panzer und SS 20, der Konfrontatinspolitik Reagans, der Kalten Krieger im Kreml usw.. An der NATO haben sie deshalb bemängelt, daß sie die Bundesrepublik - mit Zustimmung ihrer unverantwortlichen Ma- cher - einer selbstzerstörerischen Strategie unterordne. Und zum Beweis dafür diente nicht zuletzt die Gegenmacht, die die So- wjetunion dagegen aufgefahren hat. Die Einwände waren bezogen auf eine unabhängig von den Linken und der Friedensbewegung in Gang gekommene und die NATO-Planungen be- gleitende nationale Debatte, wie die Bundesrepublik sich in die- ser Konfrontation am besten bewähren und ihre Souveränität stär- ken könnte und sollte. Die allgemein beschworene Kriegsgefahr, der die NATO begegnen müsse, war das Bild für den Auftrag, den die Öffentlichkeit den Verantwortlichen mit auf den Weg geben wollten. Die BRD sollte sich in einer weltpolitischen Konfron- tation, die sie für sich allein weder bestimmen noch bestehen kann, mit und in der NATO behaupten. Dieses Bild haben die Kriti- ker wie eine ernsthafte politische Sorge aufgefaßt und daran ihre Zweifel geknüpft, ob mit den gewaltigen Rüstungsprogrammen dem Anliegen der Friedenssicherung für Europa und die Bundesrepublik gedient wäre. Jetzt erledigt die Sowjetunion ziemlich einseitig die Gründe der Konfrontation, sie will keine Systemalternative mehr sein, zieht sich politisch und militärisch vor allem in Europa zurück. Sie baut ihr Waffenpotential ab und bietet eine entsprechende Rü- stungsdiplomatie an. Sie stimmt der deutschen Wiedervereinigung zu - erlaubt also der BRD im Bezug auf die DDR und dem Westen in ganz Osteuropa den Zugriff ohne Waffengewalt. Jetzt sind deswegen die öffentlichen Debatten über die Problematik des Wettrüstens ziemlich außer Mode gekommen, statt dessen bestimmen die neuen Sprachregelungen der Rüstungsdiplomatie das Klima, allenthalben sei das Wettabrüsten in Gang und die Kriegsgefahr enorm gesunken. Die Lüge von der einseitigen Bedrohung des Westens durch die Rus- sen wird ein Stück aus dem Verkehr gezogen und durch andere ver- logene Begründungen für die ungebrochene weltpolitische Notwen- digkeit der NATO ersetzt. Bonn und seine Ableger im Ostteil be- handeln den Anschluß der DDR wie ein selbstverständliches innen- politisches Programm, daß ganz getrennt davon auch noch eine si- cherheitspolitisch problematische außenpolitische Seite habe. Von der Sowjetunion verlangen sie, diesem Vorgehen umstandslos zuzu- stimmen, und die Sowjetunion hat ziemlich bedingungslos zuge- stimmt. Angesichts dessen gehen den Kritikern von gestern wahrhaftig die Gründe für ihre Warnungen zur "Vernunft" verloren. Statt dessen entdecken auch sie ein berechtigtes deutsches Interesse an natio- nalem Zuwachs. Säuberlich trennen sie zwischen einem Recht auf Ausdehnung der Staatsgewalt - da heißt "Großdeutschland" dann "deutsche Einheit", wie bei den Machern der Nation - und einem großdeutschen "Imperialismus", den es bloß noch der Möglichkeit nach gibt. Ganz wie die offiziellen Politiker dividieren sie den erstrebten nationalen Machtgewinn in ein ehrenwertes Anliegen und problematische Folgen auseinander, für deren Vermeidung dann aus- gerechnet die Instanz zuständig ist, mit der sie überhaupt erst in die Welt kommen. Also kennen sie auch keine Gründe mehr dage- gen, sondern bloß noch entlegene Gefahren - und viel naheliegen- dere Chancen. Man muß nur das neu entstehende Großreich mit dem ideellen Auftrag versehen, mit dem Friedensbewegte schon immer ihre Herrschaft angegangen sind; schon hat es einen neuen kon- struktiven Auftrag, für den die Friedensbewegung Ostern schon mal gesamtdeutsch auf die Straße gegangen ist: die Wiedervereinigung als "Chance zur Überwindung des Kalten Krieges" nutzen! Genauso reden Genscher und CO. daher, wenn sie der Sowjetunion diploma- tisch nahelegen, den Anschluß der DDR umstandslos abzusegnen und sich von der NATO und von den Souveränitätsansprüchen des neuen Deutschland ihre berechtigten Sicherheitsinteressen definieren zu lassen. Für eine solche Sicht treten DKPler, DKP-Erneuerer und andere programmatisch ein und machen entsprechende Alternativvorschläge, nicht mehr gegen einen, sondern für den besseren Anschluß. Künf- tig geht die Verantwortung für den Frieden eben von gesamtdeut- schem Boden und seinen Friedenskräften aus, die mit der Perspek- tive ins Reich aufbrechen, "vielleicht durch gute gemeinsame Friedensaktionen die Bedingun- gen mit beeinflussen zu können, unter denen die Einheit der bei- den deutschen Staaten sich vollzieht." (Korrespondenz Erneuerung, Nr. 3) Die imperialistischen Erfolge und die zwar nicht gewaltlosen, aber friedlichen Methoden, mit denen sie in diesem Fall erreicht worden sind, machen die Anwälte von Frieden und Völkerrecht also nicht kritisch gegen ihre eigenen Kriegswarnungen und gegen die Gefahrenbeschwörungen, die sich die Nation zu Herzen nehmen soll. Kritisch werden sie gegen die eigene Ablehnung des nationalen und westlichen roll back, die sie mit den Warnungen vor unverantwort- lichen nationalen Abenteuern zum Gemeingut machen wollten. Sie kritisieren also aus nationaler Verantwortung - sich selber. So- bald sich dann unweigerlich herausgestellt hat, daß die vage Per- spektive einer fortschrittlichen Mitwirkung beim Einigungswerk jeder Grundlage entbehrt, steht auch die Kritik fest: Die offi- zielle Politik hat wieder einmal nicht auf die besseren Deutschen gehört. Und wenn die Einheit ganz ohne linke Korrekturen und neue Verfassung gestiftet worden ist, dann heißt es neuerlich, sich einzustellen und auf fortschrittliche Mitgestaltung hinzuarbeiten ... Diejenigen, die sich im Umkreis der neuen "Radikalen Linken" ge- sammelt haben, zeigen sich dagegen betroffen von den politischen Ansprüchen des neuen Deutschland und dem Machtzuwachs, mit dem es ihnen Geltung verschaffen. Vernünftige Gründe fallen ihnen dage- gen aber wenig ein: "Der BRD-Kapitalismus hat eine Geschichte. Und diese Geschichte besagt, daß die sozialen und politischen Folgeprobleme einer An- nexion sich am effektivsten dadurch lösen lassen, daß weiter expandiert und annektiert wird... Insofern hat der deutsche Impe- rialismus gelernt, sich wie eine 'normale' Wirtschaftsgroßmacht zu verhalten. Aber er verfolgt seit dem Herbst 89 wieder - wie 1938/40 und wie im Ersten Weltkrieg - territoriale Ziele. Das Fi- nanzkapital operiert wieder im Verein mit den Eliten des Natio- nalstaates, und es spielt wieder 'Va banque'. Dieses Va Banque wird, wenn es sich im Fall DDR-'Anschluß' durchsetzt, eine Kettenreaktion zur Folge haben." (Rede auf der Demonstration "Nie wieder Deutschland".) Der Vorwurf der Annexion erscheint ihnen im Falle der deutschen Vereinigung offenbar selber nicht übermäßig glaubwürdig. Sie wol- len an der Eingemeindung der DDR und an der Einführung des Kapi- talismus selber die Gewalt und die Ausbeutung so recht nicht ent- decken, die ihnen die Sache verwerflich genug erscheinen läßt. Sie greifen lieber zurück in die Geschichte und voraus in die Zu- kunft, um das nationale Projekt, das gegenwärtig vollendet wird, schlecht aussehen zu lassen. Ohne eine glaubwürdige Bedrohung des Friedens, ohne Beschwörung einer Kriegsgefahr, mit der angeblich unverantwortliche Politiker ihre Bürger, sich selber und die in- ternationale Ordnung aufs Spiel setzen, ohne mahnenden Fingerzeig auf ein nationales Abenteurertum, das letztlich scheitern muß, scheint ihnen imperialistische Politik, die Benutzung von Land und Leuten für nationalen Reichtum, die Sicherung des dafür nöti- gen Einflusses und die entsprechenden militärischen Mittel offen- bar nur noch halb so kritikabel. Von einer ernsthaften russischen Drohung ist aber augenblicklich nichts zu sehen, der Anschluß setzt dank Gorbatschow den Frieden nicht aufs Spiel, sondern nutzt ihn aus. Also versichern die radikalen Linken, "daß die in Bewegung gekommene politische Landschaft in Europa auch die Kriegesgefahr erhöht und daß eine drohende Wiederverei- nigung beides maßgeblich befördert". Statt eines Beweises appellieren sie an die historische Vorstel- lungskraft guter Deutscher, um den Anschlußpolitikern nicht ihren staatsdienlichen Willen, sondern einen unseligen Automatismus vorzuwerfen, unter den sie sich mit dem nationalen Zusammenschluß setzen würden. Sie würden die Nation zum drittenmal ins Verderben führen würden, weil sie, erst einmal wiedervereinigt, künftig zwangsläufig weiterannektieren müßten. Der behauptete kapitali- stische Grund für die "Kettenreaktion" fällt allerdings ganz un- ökonomisch aus. Er liegt im Zwang ungenannter politischer Pro- bleme, dem sich nationale Politik mit ihrem Erfolg angeblich aus- liefert. Auf der anderen Seite regiert die Willkür, wenn von "Kapitalismus" und "Großmacht" die Rede ist: Kapitalkreise setzen im Verein mit falschen Politikerkreisen die Nation aufs Spiel, weil die sich nicht - wie angeblich bisher - auf den Status einer Wirtschaftsgroßmacht beschränkt. Von den deutschlandpolitischen "annexionistischen" Ambitionen der BRD in den vergangenen 4o Jah- ren, von der NATO-Militärmacht, die Deutschlands Wirtschafts- und politischen Aufstieg gesichert hat, von den territorialen Erobe- rungen im Gewande der EG sieht dieser Kritiker des deutschen "Expansionismus" ab, wenn er seit Herbst 89 die BRD erstmals wie- der auf ordentlichen imperialistischen Abwegen sieht. Wahren Im- perialismus vermag er bloß in der gewaltsamen Ausdehnung eines Staates zu erblicken - einer, die garantiert ins letztliche Ver- derben führt. Dafür bemüht er gar keinen Grund, sondern apelliert an einen gültigen politischen Moralismus: an das demokratische Vorurteil, Hitler habe verbrecherisch den zweiten Weltkrieg her- aufbeschworen, die Welt mit Millionen Toten darunter leiden und Deutschland mit seinem Untergang zurecht dafür büßen müssen: "Die Opfer des Nationalsozialismus warnen: Nie wieder Deutsch- land." "Deutschland denken, heißt Auschwitz denken." (Veranstal- tungstitel der Radikalen Linken in Hamburg). "Deutschland ist das Übel, das keine kleinere Form kennt. 1:1 Um- tausch, Truppenreduzierung und ordentlicher Mieterschutz würden die Gefahren, die von diesem neuen altbekannten Staat und seinem Staatsvolk ausgehen, nicht verringern. (Nie wieder Deutschland, Demozeitung) Der Abscheu in Ehren. Mit den alltäglichen Opfern des deutschen Anschlußprogramms haben es die Radikalen Linken nicht, auch wenn sie sie immer wieder mal im Munde führen. Die Einführung des Lohnarbeitsverhältnisses und die Festlegung eines brauchbar nied- rigen Lohniveaus durch die DM-Einführung; die gewandelte gesamt- deutsche Militärplanung und die Windungen der Rüstungsdiplomatie; die neue Eigentumsordnung samt Bodenspekulation und ihre sozial- staatlichen Begleitmaßnahmen - all das firmiert als denkbare Zugeständnisse, die am eigentlichen Kern deutscher Unart nichts ändern. Der liegt nämlich jenseits der aktuellen Umstände und Zwecke des Anschlusses im künftigen Unheil, das mit Deutschland über die Welt kommt, historisch verbürgt durch die Millionen Kriegstoten und Opfer faschistischer Staatssäuberung. In dem Augenblick, wo die Nation sich offiziell von der Vergangenheitsbewältigung, von der verlogenen Kritik an Hitlers Verbrechen verabschiedet, mit der die Bundesrepublik ihren demo- kratischen Aufstieg von der Verlierernation zur anspruchsbe- rechtigten Macht begleitet und legitimiert hat, nehmen die "radikalen Linken" diesen Moralismus verbrecherischer Politik ernster denn je und wollen die erfolgreiche deutsche Demokratie daran blamieren. Das alte Argument vom Kriegsschauplatz Deutsch- land haben sie durch das vom ewigen Kriegstreiber Deutschland er- setzt, dem die NATO bei seinen künftigen zwanghaften Annexionspo- litik zur Seite steht "Nie wieder Deutschland", damit ist also eigentlich gar nicht eine Absage an die Nation, ihre ökonomischen und politischen Sachzwänge gemeint, sondern das übersetzt sich etwas anders: Kein verbrecherisches, expansionistisches, faschi- stisches Groß-Deutschland. Das betont "antinationale" Bekenntniss lebt von dem heimlichen Ideal einer in ihrer Macht begrenzten, in ihrer Freiheit beschränkten Nation. Deshalb verfallen die aufrechten Antifaschisten, wo sie sich nach Abhilfe umsehen, auch auf ziemlich hilflose und idealistische Vorschläge: "Neben der aktuellen Hautpforderung einer völkerrechtlichen Aner- kennung der DDR reicht es nicht aus, das Überflüssigwerden der Militärblöcke festzustellen. ...unsere Aufgabe ist es, eine Ent- wicklung zur Zersetzung von NATO und EG und zum Austritt der BRD aus der NATO voranzutreiben." (Angelika Beer u.a.: Gegen die Kolonialisierung der europäischen Staaten durch BRD, EG und NATO, in: Die radikale Linke, Reader zum Kongreß, S. 38) Wer imperialistischer Politik im blinden Eroberungsdrang einer vereinigten deutschen Nation sieht, der entdeckt dann auch in der eigenstaatlichen Existenz eines zweiten Deutschland, ganz un- abhängig von seiner gesellschaftlichen Verfassung, eine Bremse, der entdeckt in völkerrechtlichen Abmachungen Schranken und nicht Mittel imperialistischer Politik,- da überfällt ihm keine Erinne- rung an Hitler! Der kommt folgerichtig auf die Idee, man müßte den Anschlußpolitikern mit der NATO die Grundlage ihrer künftigen Vabanquepolitik entziehen und sie zur Einsicht zwingen, daß - richtig besehen - kein guter Grund für das Wettrüsten besteht. Bloß, auch wenn Kohl immerzu vor einer Neutralisierung der Bundesrepublik warnt, weil deutsche Politik weniger denn je auf deren Rückhalt verzichten will; die Umkehrung, man müsse die Na- tion kleinhalten und ihr die auswärtigen Mittel entziehen, wird deswegen noch lange nicht richtig. Das Plädoyer für einen Austritt aus der NATO hindert radikale Linke nicht, umgekehrt der NATO, in deren Rahmen die BRD ihren Aufstieg vollzogen hat, und der verflossenen Lage im Nachhinein manche positive Leistung zuzuschreiben. Sie soll sich nur leider ziemlich gewandelt haben: "Die Nato will künftig die sprunghaft erstarkende deutsche Groß- macht nicht mehr am Boden halten." (Nie wieder Deutschland, Demo- Aufruf) "Die Nachkriegs-Weltordnung mit ihren politischen Orien- tierungen und Gewißheiten bricht zusammen. Und mit ihr fallen die Fesseln, die deutsch-nationalem Chauvinismus und Imperialismus noch angelegt waren." ( Joachim Hirsch in "links") Wer sich einmal dem Ideal verschrieben hat, die Nation müßte in ihrem zwanghaften Großmachtdrang gebremst werden, der ist am Ende gar nicht kleinlich, solche Bremsen in der internationalen Staa- tenwelt auszumachen - 40 Jahre NATO samt Kaltem Krieg einge- schlossen. Es geht ja nur um die Funktion, die dem westlichen Kriegsbündnis samt dem Ost-West-Gegensatz von Linken zuge- schrieben wird. Die trauern den verflossenen Zeiten der Bundesre- publik nach, wie wenn doch etwas an der Lüge vom ökonomischen Riesen und politischen Zwerg wahr gewesen wäre. 2. Die Ausweitung der DM-Verhältnisse im Licht ---------------------------------------------- sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Kultur ------------------------------------------------ Jetzt werden in der DDR DM-Verhältnisse, Lohn, Preis und Profit mit deutschen Vorzeichen, eingeführt. Die realsozialistische Al- ternative zur Bundesrepbulik verschwindet- und allen voran die vormaligen Anhänger eines besseren zweiten Staates auf deutschem Boden wissen daraufhin, daß es sich umzustellen gilt. Nein, nicht auf ein erweitertes Wirken des Kapitals, auf die wachsende Wucht des deutschen Staatskredits und die unbescheidenen Konkurrenzmaß- stäbe, die ihn so begehrt und das Arbeitsleben so wenig begehr- lich machen. Das Umstellungsproblem ist politischer Natur und be- trifft nicht die neu eingemeindeten oder bisherigen Arbeiter, die im Dienste des Kapitals stehen, sondern die Kritiker, die diesen Dienst als Ausbeutung angeprangert haben. Sie fühlen sich bla- miert und wollen unbedingt "die Frage stellen, ob denn die DKP, die im Gegensatz zur alten KPD seit Gründung für die Zweistaatlichkeit eingetreten ist, ihre bisherige Politik korrigieren muß."(UZ) So leicht kann man den Systemgegensatz auf die Frage staatlicher Einheit runterbringen und vergessen, daß man sich bisher für ein anderes Deutschland - und nicht einfach für zwei - stark gemacht hat. Ein paar Gründe wollte man ja auch dafür gehabt haben, warum bundesrepublikanische Verhältnisse dem Volk nicht gut bekommen. Die werden mit der Ausweitung der Nation und ihrer Geschäftswelt in den Augen ihrer Vertreter aber offenbar nicht bekräftigt, son- dern entkräftet. Jetzt haben die Angesprochenen ihre Haltung zur "Zweistaaatlichkeit" mehrheitlich korrigiert und der Eingemein- dung der DDR unter die Hoheit der kapitalistischen BRD eine fort- schrittliche Perspektive abgewonnen: "Wir unterstützen die weitere Annäherung, das Zusammenwachsen und die Vereinigung beider deutschen Staaten, wenn sie den Interessen der werktätigen Bevölkerung in der BRD und der DDR entspricht und deren Zustimmung findet." (Initiativantrag auf dem DKP-Bundespar- teitag) Ja, wenn! Und wenn nicht? Offenbar wollen und können die ehemali- gen Freunde der DDR, und nicht nur sie, zwischen den Interessen von Arbeitern, den Ansprüchen und Erfolgen der regierenden Poli- tiker und der Geschäftswelt, dem Staatsprogramm und der Zustim- mung, die das bei national gesonnenen Bürgern findet, nicht unterscheiden. Statt dessen malen sie sich den Anschluß an kapi- talistische Verhältnisse als hervorragende Gelegenheit aus, den neuen deutschen Staat volksfreundlich zu gestalten. Was nicht zu verhindern ist, dem muß man all das unterschieben, was man schon immer für den idealen Staat gehalten hat, mag dem die Bundesrepu- blik auch noch so sehr widersprechen: "Grundrechte wie Volksentscheid, Recht auf Arbeit, Ausdehnung der Demokratie auf Betriebe, Annullierung der Notstandsgesetze ... Chancengleichheit für Kommunisten..."(UZ) Die ehemaligen Anhänger der DDR haben den Kapitalismus schon im- mer mit einem Verstoß gegen die Verfassung verwechselt, mit der der Staat seine Verhältnisse regelt und sein Volk auf die Staats- und geschäftsdienlichen Rechte und Pflichten festlegt. Für sie übersetzt sich jedes geschädigte Interesse, jede kapitalistische Härte, Arbeitslosigkeit und Leistungsdruck, niedriger Lohn und Verfolgung von Kritik, und was sie sonst anklagen, in ein gestör- tes Verhältnis zwischen dem Volk und der Gewalt, die es regiert. Ausbeutung, das ist für diese Freunde einer fortschrittlichen Verfassung letztlich keine Frage der Ökonomie, sondern ein poli- tischer Rechtsverstoß. ein Versäumnis der obersten Gewalt gegen ihre wahre Bestimmung. Deren wahrer Zweck soll darin liegen, das regierte Volk mit lauter volksdienlichen Rechten, die kapitali- stischen Betriebe mit gewerkschaftlicher Mitwirkung, die Staats- kritiker mit der Erlaubnis zur Kritik auszustatten. Diese Kapita- lismuskritiker haben eben nie daran gedacht, das Kapitalverhält- nis abzuschaffen, sondern auf seine politische Korrektur im Namen des Volkes gesonnen. Solche Idealisten einer wahren, verfassungsgemäßen Demokratie sind offenbar lernfähig: Ihr Idealismus reicht jeweils genauso weit, wie die Macht der kapitalistischen Verhältnisse, auf deren Verbesserung er sich richtet. Haben sie sich bis jetzt auf den wahren Geist des Grundgesetzes berufen, den es zu verwirklichen gälte, so neuerdings auf den wahren Geist einer künftigen gesamtdeutschen Verfassung, die erst noch zu verfassen wäre. Der Fortschritt ist unübersehbar: Sozialisten kämpfen nicht mehr für Alternativen zum Kapitalismus, sie denken sich Verbesserungsvor- schläge für die Einführung des Kapitalismus aus und geben der Er- ledigung des anderen Deutschland einige verfassungsrechtliche Verbesserungswünsche - nach Artikel 146 GG berechtigte - mit auf den Weg. Ausgerechnet das, so behaupten sie, sei der einzig re- alistische Weg. Wohin eigentlich? Ganz klar: Letztendlich zu ei- nem "vereinigten sozialistischen" oder "demokratischen Deutsch- land". So denkt man streng an der Nation entlang: Mit ihrer Eini- gung ist das halbe Programm erledigt. Die kapitalistische Ver- faßtheit des neuen Deutschland ist Nebensache - und der Sozialis- mus eine kritische Fußnote beim Bekenntnis zum - Nationalismus. Für die Gegenfraktion ist mit dem antifaschistischen Katastro- phenszenario die Kritik am Kapital eigentlich erledigt. Sie redet nämlich gar nicht über die Zwecke des Kapitals, seine zweckmäßige Benutzung von Land und Leuten, sondern über seine verheerenden Wirkungen: "Die Probleme des Kapitalismus - seine konjunkturellen und struk- turellen Krisen, Erwerbslosigkeit, Verelendungstendenzen bei den einen, bei gleichzeitig maximalem Reichtum anderer - werden blei- ben... Der Kapitalismus ist insbesondere unfähig, die ökologi- schen Gefahren zu beseitigen, die er selbst erzeugt hat. Mehr noch: Der Kapitalismus ist dabei, die hiervon ausgehenden Gefah- ren zu potenzieren und die Grundlagen für jegliches Leben auf dem Planeten Erde zu zerstören." (NwD) Unter einer Menschheitskatastrophe, unter der Selbstzerstörung der Gesellschaft mögen sie also nicht kritisieren. Das Kapital nutzt nicht Land und Leute zu seiner Vermehrung, sondern ruiniert nur alles, was verantwortlichen Bürgern am Herzen liegen soll - die Erde, das Leben, das Arbeiten, am Ende die kapitalistische Gesellschaft selber. Die eigentümliche Beteuerung, daß sich an dieser drohenden glo- balen Katastrophe mit dem Anschluß der DDR nichts ändern wird - wie sollte auch, möchte man fragen - kommt allerdings nicht von ungefähr. So ohne weiteres halten die radikalen Weltkrisenauguren den Schaden, den der Kapitalismus Land und Leuten antut, nämlich im Falle der DDR gar nicht für greifbar - im Gegenteil: "Ausnahmen wie der DDR mag es gelingen, in den Kreis der am höchsten entwickelten kapitalistischen Gesellschaften aufgenommen zu werden. Insgesamt jedoch..." (NwD) Das scheint den Kritikern dann offenbar doch ein vergleichsweises Privileg: "Eine Schokoladenseite hat dieses System nur in seinen Metropolen - und auch dort nicht für alle." (NwD) Über ihrer neuen Privilegierung könnten DDRler wie die bevorzug- ten, mehrheitlich konsumverwöhnten Bundesbürger leicht den Scha- den vergessen, den sie damit letztlich, dem Rest der ganzen Welt und sich selber antun. Also wird er in Erinnerung gerufen und ausgemalt, nach der bewährten Logik, daß der pur zerstörerische Charakter der Profitsucht umso einsichtiger wird, je globaler, ruinöser und unübersehbarer der Schaden für uns alle an die Wand gemalt wird. So zeigen sich die Kritiker von der nationalen Erfolgspropaganda und ihrer Wirkung auf das nationale Gemüt beeindruckt - geben ihr glatt heimlich ein Stück recht, indem sie schon wieder mit künftigen Folgen, bzw. mit der unausweichlich Enttäuschung der Erwartung drohen, der Kapitalismus könnte seine "Probleme" beseitigen. Eine Erwartung, die sie selber erst in die Welt gesetzt haben, um das drohende Versprechen loszuwerden, er werde an seinen Problemen zugrundegehen, und die Menschheit mit ihm. Von da ist es wiederum nur ein Schritt zur unverdrossenen KB- Hoffnung auf irgendwelche künftigen Widersprüche , die "so sicher wie der nächste Tag sind. Welche und wie und wen sie in welche Richtung in Bewegung setzen wird, ist Spekulation." (Arbeiterkampf 319) Mit der Logik der radikalen Miesmacherei haben sich die Kapitalismuskritiker ihren Glauben an eine Instanz gerettet, die ihnen das Agitieren erspart und am Ende unausweichlich die Gesellschaft zur Einsicht und zur Umkehr zwingt: der letztlich nicht zu übergehende universelle Schaden für alles, was sich die Kritiker als Interessen eines vernünftigen Gemeinwesens und einer verträglichen Weltordnung vorstellen wollen. Der größte Schaden ist weniger materieller Natur, sondern einer an der Seele. Er gehört ins Reich des guten, moralisch integren Charakters und seiner Lebensgrundsätze, wo Kulturkritiker und Mo- ralisten schon immer die weltbewegenden Fragen und Katastrophen angesiedelt haben: "Stattdessen wird das Hohelied auf die Leistungsgesellschaft und den Markt - und das heißt: auf ein Wirtschaften nach dem Recht des Stärkeren - angestimmt." (NwD) "An die Stelle leistungsfeindlich-emanzipatorischer Verhaltens- normen traten ein radikaler Egoismus, offen zur Schau getragene Ellbogenmentalität und enthemmte Bereicherungssucht auf Kosten anderer. Ein neuer Condottiere-Typ macht sich breit, der nicht mehr (wie in den 50er Jahren). Durch fanatisch geleistete eigene Arbeit nach oben will, sondern die Leistung anderer ausbeutet und alles mit Füßen tritt, was sich verweigert oder nicht reibungslos verwertbar ist." (Die radikale Linke, S. 26) Von Lohnarbeit und Kapital ist hier nicht mehr die Rede, sondern von einem allgemeinen Verfall der bürgerlichen und menschlichen Sitten, die Linke offenbar für die gemäßen halten. Die kon- struieren sie streng an den Persönlichkeitsidealen eines harmoni- schen menschliches Zusammenleben entlang: Altruismus, Verständ- nis, Solidarität, Menschlichkeit, Mündigkeit ... - kurz: "Emanzipation". Sie haben es eben weniger mit den wirklichen ge- sellschaftlichen Typen und ihren Mitteln, die die einen zum Lohn- arbeiten , die anderen zum Vermehren ihres Geldes bewegen, son- dern mit den eingebildeten, den Menschen, ihrem Respekt voreinan- der, ihrer Rücksichtnahme aufeinander - kurz: der "politischen Kultur". Ausbeutung ist deswegen dasselbe wie Mißachtung der Per- sönlichkeit - und da fällt ihnen von den Frauen bis zur Dritten Welt, von den Behinderten bis zu den Ausländern manches Opfer ein, dem der gebührende Respekt versagt wird. "Kaputte Normen" und "kaputte Typen" - lautet ihre Bilanz. Zum Beweis dient das öffentliche Klima, die Touren, mit denen die demokratische Öf- fentlichkeit die Sozialfälle und andere echte oder vorgestellte Opfer bespricht und problematisiert. Mit den nationalen Fort- schritten ändert sich dieses Klima. Der Standpunkt, es gälte sich der anerkannten Opfer des kapitalistischen Wachstums anzunehmen, und die Ideale sozialer Rücksichtnahme sind aus der Mode geraten. Die Nation ist mit Wichtigerem beschäftigt: ihrer eigenen Vergrö- ßerung. Die DDRler verlangen nicht nach sozialer Rücksicht, son- dern nach der Effektivität kapitalistischer Verhältnisse und setzten auf die DM - und Linke betrauern den "Verfall" einer "linker Gegenkultur", die außer in ihrer Einbildung und in ihrem Szenenleben nirgendwo Geltung gehabt hat. "Sozialismus gegen Bar- barei" heißt deshalb ihr gutgemeintes Plädoyer gegen den Kapita- lismus: Radikal denken sie also schon - radikal an den Niedergang der demokratischen Sitten. Deswegen beklagen sie auch als ein Hauptopfer des "doitschen Wahns" ihre "linke Gegenkultur". Die finden sie in der nationalen Öffentlichkeit nicht mehr wieder und befürchten deshalb, in Groß- deutschland endgültig heimatlos zu werden: "Wenn es nicht gelingt, die ins Abseits gedrängten Strukturen ei- ner leistungs- und integrationsfeindlichen Gegenkultur zu vertei- digen und zu erneuern, wird dieses soziokulturelle Milieu bald vollständig verloren gehen, werden die Orte und Regionen, in denen radikale Linke in den vergangenen zwanzig Jahren lebten und kämpften, ihnen fremd werden." (Radikale Linke, S. 26) Die Verteidigung ihrer angeblich schon realen Utopie eines besse- ren demokratischen Lebens im Falschen, dem haben sie sich also radikal verschrieben. 3. Der gesamtdeutsche nationale Volkswille im Lichte ---------------------------------------------------- der wahren Demokratie Der Verlust einer Berufungsinstanz -------------------------------------------------------- Das Volk will offensichtlich aus dem Schaden, den ihm Linke vor- stellig, nicht klug werden. Die Bürger betrachten nämlich die na- tionalen Verhältnisse, denen sie unterworfen sind, als ein ihnen zu Gebote stehendes Angebot, in dem sie selbst, in dem aber auch die Politiker und die Wirtschaft sich zu bewähren hätten, damit das Volk in seiner Abhängigkeit zu seinem Recht kommt. Jetzt stellt sich heraus, daß vierzig Jahre realer deutscher So- zialismus, der das bessere Deutschland sein wollte, bei seinen Massen mehrheitlich den Glauben befördert hat, zur Effektivität des Kapitals, zur Güte der DM und zur international erfolgreichen Bundesrepublik gäbe es keine bessere Alternative. Die DDR-Bevöl- kerung hat von der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse einen unschlagbar einfachen und falschen Begriff: Einführung von BRD- Verhältnissen. Sie bekennt sich zur Nation als ihrem Lebensmittel und macht sich damit zum Mittel der Erweiterung dieser Nation und ihrer herrschenden ökonomischen Interessen. Darüber werden die Kritiker des volksschädlichen Charakters kapitalistischer Ver- hältnisse nachdenklich, bloß völlig falsch. Die Generalvertreter eines alternativen Volkswillens entnehmen ausgerechnet dem umstandslosen Massenbekenntnis zum kapitalisti- schen Teil Deutschlands den Auftrag, "das bei größeren Bevölkerungsteilen vorhandene Nationalgefühl nicht als irrelevante Größe oder bloß rückständige Bewußtseins- form zu behandeln" (Sozialismus 2) Den entscheidenden nationalistischen Fehler, das eigene Interesse bei den politischen Herren und ökonomischen Anwendern am besten aufgehoben zu sehen, die nichts versprechen außer der Mehrung ihres Erfolges, wollen sie offenbar nicht kritisieren. Sie wollen ihn lieber für eine "relevante", meint anerkennenswerte, irgend- wie schon fortschrittliche Form des Bewußtseins halten, wenn das Volk ihn so nachdrücklich vorführt. Darüber läßt sich mancher in eine kommunistische Midlife-crisis stürzen und denkt um: "Heute stehen die Zeichen schlecht. Sie sind beklemmend deutsch. Meine Identität als End-68in und als Kommunistin sträubt sich mit Händen und Füßen gegen dieses Deutsche-Dasein...Das Vertrackte an den Argumenten für die deutsche Zweistaatlichkeit ist nur: sie folgen der Vernunft- und sie widersprechen den Gefühlen v.a. der Mehrheit der Menschen in der DDR." (Korrespondenz Erneuerung) Die Frau folgt nach eigenem Bekunden lieber dem "Gefühl" der DDR- ler, als die eigene "Vernunft" zu einem Argument zu machen, das sie ja vielleicht dem Volk auch einmal ans aufgewühlte nationale Herz legen könnte. Sie kann nämlich nicht über ihren eigenen Schatten als Studentenbewegte und Kommunistin springen. Als sol- che teilt sie den Glauben, das Volk sei der eigentliche Auftraggeber und das Subjekt der Politik, die in seinem Namen veranstaltet wird. Also fühlt sich verzweifelt, weil sie an die Berechtigung ihrer Einwände nicht mehr glauben mag, wenn sie nicht vom Volk - zumindestens ihrer Einbildung nach - schon irgendwie geteilt werden. Sie will nicht einfach bloß gegen das sein, was die Macher der Nation für die nationalen Sachnotwendig- keiten halten und schon gar nicht kritisieren, wie sich das Volk in den von oben angesagten Verhältnissen einrichtet. Sie versteht sich mit ihren Veränderungswünschen eben immer noch als wahre Volksbeauftragte, die jede Unzufriedenheit, jede Bürgerbewegung und öffentliche Debatte als den offenen oder heimlichen Ruf nach ihren Alternativen interpretiert. Blamiert sieht sie sich als selbsternannte Vertreterin der eigentlichen Volksinteressen, ge- gen die die regierenden Demokraten angeblich immerzu verstoßen. In Zweifel gestürzt, weil ihr die glaubwürdige Berufungsinstanz ihrer Kritik abhanden gekommen ist, - eine wirkliche oder auch nur eingebildete Unzufriedenheit, die sie sich in den tiefen Wunsch des Volkes nach alternativen, sozialistischen Staats- verhältnissen uminterpretieren kann. Jetzt ist nur eine Volksbewegung unterwegs - die der DDRler gen Westen. Weit und breit ist kein anderes Volksbedürfnis öffentli- ches Thema, als der Wunsch der Ostler, so schnell wie möglich eingemeindet zu werden - und Linke sind offenbar unfähig und un- willig, die öffentliche Propaganda, die das Volk der DDR mit sei- ner "Revolution" zum Auftraggeber erhebt, der immer haargenau nach dem verlangt, was in Bonn gerade geplant wird, und das na- tionalistische Bedürfnis der Deutschen Ost nach Deutschland West zu kritisieren. Statt dessen gehen sie - mit manchen demonstrati- ven Qualen - von Gesamtdeutschland als dem unwidersprechlichen neuen Massenanliegen aus - und stimmen neuerlich den altbewährten Ruf an, es gelte jetzt "die wahrhaft nationalen Interessen der breitesten Volksschichten" zu berücksichtigen - beim Anschlußpro- jekt. Wie das am besten geschieht, darüber darf gestritten wer- den: Insofern die Interessen - diesmal ganz ohne Beklemmung - als wahrhaft deutsch und sonst nichts definiert sind, reichen die Al- ternativen zurecht über den Umkreis idealistischer Verfahrensal- ternativen des deutschen Vergrößerungsprojektes nicht hinaus: "Für eine verfassungsgebende Versammlung beider deutschen Staa- ten" und "Volksabstimmung der Bevölkerung beider deutscher Staa- ten über eine Vereinigung" heißt der Vorschlag aus DKP- und ande- ren Kreisen, mit dem sie sich von der bisher so heiß geliebten realsozialistischen Alternative verabschieden und auf den An- schluß nach Artikel 23 einstellen. Das dient dem Volke. Genauso wie das von anderer Seite angemeldete Bedürfnis nach Aufrechter- haltung der "Zweistaatlichkeit", bei der nicht einmal mehr ange- geben wird, wofür die gut sein soll. Diejenigen, die sich um den Schlachtruf "Nie wieder Deutschland" geschart haben, wollen davon nichts wissen. Aber nicht, weil sie die Logik staatsbürgerlicher Berechnung, den falschen DM-Mate- rialismus der DDRler, ihren zur Schau gestellten Leistungswillen und ihren selbstbewußten Ruf nach neuen Herren, oder den Rechts- fanatismus und die Kostendebatten überzeugter westdeutscher Steu- erzahler und Proleten - kurz den Nationalismus durchschaut hät- ten oder überhaupt durchschauen wollten. Das scheint ihnen schier unmöglich - und für eine radikale Verurteilung auch völlig über- flüssig: "Es gibt... ein enormes Phänomen, das leicht zu beschreiben, schwer zu erklären und kaum zu verstehen ist... nämlich daß auf soziale, ökonomische, demokratische und psychologische und eine Vielzahl anderer Probleme eine nationale Antwort gegeben wird. Am Beispiel der DDR ist es evident: Sie hat ein Demokratieproblem, ein Produktivitätsproblem, ein Bürokratieproblem, ein Währungs- problem, ein Schuldenproblem, das Problem, anerkannt zu werden; sie hat Energieprobleme, Umweltprobleme, eine Vielzahl von Pro- blemen der Ausbildung, der Frauenpolitik, der Kultur - und für all das eine Lösung: Wir sind ein Volk, wir wollen das einig Va- terland. ...Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß eine solche sozialnationale oder nationalsoziale Politik nicht gutgehen kann. Wenn das Vaterland einig ist, bleiben die genannten Probleme, ja, sie veschärfen sich, und dann braucht es zwingend einen Feind, der daran schuld ist. Wie das funktioniert, ist bei keinem besser als bei Adolf Hitler nachzulesen." (Detlev zum Winkel auf dem Kongreß "Deutschland denken heißt Auschwitz denken!") Da ist sie wieder, die Logik des Scheiterns und der Gefahr, in die - diesmal - der Unverstand des nationalistischen Denkens führt. Allerdings geht sie mit viel Verständnis für die unter- schiedlichsten Probleme einher, die angeblich eine Nation und ihre Bürger gemeinschaftlich belasten und die laut offizieller Auskunft den Anschluß nötig machen sollen, mögen darunter auch manche sein, die ganz offensichtlich überhaupt erst durch den An- schluß entstehen. Daß die Nation ihren Bürgern Probleme macht und daß sie sie außerdem noch auf den Standpunkt verpflichtet, sich ihre daraus resultierende Lage in eine Problemlage der Nation zu übersetzen und sich um deren Vorankommen zu sorgen, das scheint dem Kritiker nicht geläufig. Statt dessen teilt er genau diese Sicht - das Grundmuster nationalen Denkens - und zweifelt nur an, daß das vereinigte Vaterland dafür die passende Lösung wäre. Und das eigentlich nur aus einem einzigen dummen Grund: Für so viele Probleme, eine einzige Lösung - das kann nicht hinhauen. Argument überflüssig. Statt dessen schließt er aus der Fortdauer dessen, was er als nationalen Problemkatalog unterschrieben hat, auf den naturhaften Zwang, sich einen Feind zu suchen. Daß die behaupte- ten Probleme Ansprüche, und zwar gewaltsame nach innen und gegen andere Nationen sind und daß sich deswegen für die Nation die Welt in benutzbare und weniger benutzbare, in verbündete und feindliche Staaten sortiert, vergißt dieser Mann glatt. Deswegen bleibt ihm auch die simple Logik nationalistischen Bewußtseins ein Rätsel: das nationale Feindbild verwandelt getreu den Vorga- ben der politischen Verantwortungsträger die Interessen der eige- nen Nation in Rechtsansprüche und entgegenstehende Interesssen in Rechtsverstöße und findet dafür die Schuldigen im anderen Staat und seinen Untertanen. Staatsbürger setzen die eigenen Geschicke mit dem Geschick ihrer Nation gleich und deuten den nationalen Zwangszusammenhang umgekehrt als Resultat und Erfüllungsgehilfen einer quasinatürlichen Gemeinschaftlichkeit der dieser Gewalt Un- terworfenen. Demgemäß begreifen sie auch andere Völker als Natio- nalmannschaften mit einem eigenen Volkscharakter, der für die Händel und Schranken verantwortlich ist, die auswärtige Staatsin- teressen den eigenen Herren in den Weg legen. Entsprechenden Kon- junkturen unterliegt das öffentlich gepflegte Feindbild. Daß man Feinde also nicht zur Ablenkung von einer eigentlich fälligen Kritik an den eigenen Herren braucht, sondern umgekehrt wegen der felsenfesten Identifizierung mit den nationalen Unternehmungen und der Unzufriedenheit der nationalen Macher die entsprechenden nationalen Feinde kennt und öffentlich bestätigen läßt: von einer solchen politischen Erklärung nationaler Feindschaft und nationa- listischer Feindbilder im Volk hält ein radikaler Nationalis- muskritiker offensichtlich nichts. Er will eben überhaupt nicht erklären, wie und warum sich lohnab- hängige Bürger in den nationalen Verhältnissen einrichten, gegen alle Enttäuschungen abgebrüht sind und aus der eigenen Beschrän- kung auf ein abgrundtiefes Recht schließen, daß ihre eigene Na- tion sich durchsetzt. Er wirft ihnen lieber vor, daß Volk und Herrschaft überhaupt nicht dem Ideal eines einvernehmlichen Zu- sammenlebens entsprichen, daß er für eigentlich fällig und poli- tisch vernünftig hält. Statt sich ernsthaft der eigenen Probleme und der Pflege einer mitmenschlichen Anerkennung zu widmen, fein- den sie andere Völker an und gehen grundlos auf sie los; Auslän- dern wird der gebührende Respekt versagt. Frauen werden eben- falls, statt anerkannt, dominiert... Im Grunde gibt der Anhänger der radikalen Linken nur seine Fassungslosigkeit über die natio- nale Aufbruchstimmung zu Protokoll, die er nicht für die Folge, sondern für den eigentlichen Motor der Politik hält. Einen ver- ständlichen Sinn und Zweck will er nicht entdecken - sondern wie- der nur "Hitler". Lieber dichtet er dem Volk, seiner Führung und der ganzen Nation einen kollektiven Wahn an, der zwanghaft zu Ge- walt und Krieg treibt, und merkt nicht einmal, daß er damit genau bei der Vorstellung eines Nationalcharakters landet, der ein Volk auszeichnet und die Taten und Untaten seiner Herren zu verantwor- ten hat. Die radikalen Linken und ihr Anhang überbieten sich geradezu in der Zurschaustellung ihrer abgrundtiefen Abneigung gegen das, was sie "kollektiven Wahn", "nationale Besoffenheit", "faschistische Gefahr" - kurz "doitsch" nennen und stellen doch nur ihren ent- täuschten Glauben an eine politische Vernunft zur Schau, die sie im Machtgewinn Deutschlands oder besser, in der allgemeinen Zu- stimmung dazu nicht entdecken wollen. Daß das der politisch not- wendige Geist einer gefestigten Demokratie, die Grundüberzeugung aufrechter Demokraten und das durch und durch normale Anspruchs- denken einer erfolgsgewohnten weltpolitischen Machernation ist, wollen sie einfach nicht wahrhaben. Lieber dichten sie den Deut- schen sämtliche Verbrechen Hitlers als Ausfluß ihrer besonders unseligen Volksseele an; lieber wollen sie gar keinen Unterschied mehr zwischen oben und unten, sondern nur noch deutschen Ungeist erkennen, als auch nur ein einziges Mal die Gründe der nationalen Expansion nüchtern zu sichten und die Touren zu kritisieren, mit denen sich die Öffentlichkeit für sie stark macht. Statt dessen erklären sie "die Deutschen", "das Deutsche" für den Inbegriff des Verwerflichen, lassen das Volk rechts liegen und werfen sich in die Pose des Un-Deutschen, der sich dafür gerne von der unein- sichtigen Mehrheit beschimpfen läßt: "Wir wollen zur Kenntnis geben, daß wir diese Minderheit sind, die beim Deutschsein keinerlei Stolz empfindet. Wenn man uns Volksfeind nennen mag, so liegt es nicht in unserer Macht, das zu verhindern." (NwD) Die Radikalen Linken mit ihrem "negativen Patriotismus" sind also Idealisten - enttäuschte eben - einer besseren völkerverständi- genden Denkungsart, die sie gegenwärtig bei den "euphorischen Brüdern und Schwestern" einfach nicht auffinden können. Offen- sichtlich wollen auch sie nicht begreifen, daß das Volk als Beru- fungsinstanz nur für diejenigen taugt, die die Macht über es ha- ben. Für den Kanzler, der in der NATO, beim Staatsvertrag, bei der Festlegung gesamtdeutscher Wahltermine und überhaupt bei al- lem, alles im Namen des Volkes macht, egal ob das dazu eine Mei- nung hat oder nicht. Das ist die adäquate Haltung zum Volkswil- len, wenn man regiert und sich sicher ist, daß sich das Volk nach den nationalen Beschlüssen richtet und ideologisch ausrichtet, die ihm von oben auferlegt - und öffentlich verdolmetscht werden. Für jeden anderen aber ist eine solche Berufung untauglich und bestenfalls ein frommer Wusch, die Mehrheit möchte doch anders, mehr nach den Vorstellungen linker Gegenkultur als in den Bahnen der offiziell ausgegebenen Staatsnotwendigkeiten denken. Das merken die radikalen Linken jetzt, wo die öffentliche Sorgen nicht mehr den behaupteten mannigfachen Problemen innerhalb der bundesdeutschen Grenzen, sondern nur noch der Nation selber und ihren erweiterten Grenzen gelten - und wollen es nicht wahrhaben. Deshalb beklagen sie das allgemeine Fehlen mündiger, nichtange- paßter Bürger und einer politischen Vernunft, für die sie den Verzicht auf Großdeutschland zum Prüfstein gemacht haben. II. "Sozialismus in der Krise" ------------------------------ Exkurs zum unwiderbringlichen Verlust ------------------------------------- einer zweiten Berufungsinstanz ------------------------------ "Es ist ja wahr: das System, das sich "realer Sozialismus" nannte, ist am Ende..." (NwD) "Die Auseinandersetzungen, die der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus uns aufzwingt, enthalten eine Bringschuld der Linken gegenüber der politischen Öffentlichkeit: Was ist - nach all den Erfahrungen - die politi- sche Alternative zum westlich-kapitalistischen System?" (Cohn- Bendit: Die postsozialistische Linke) "Auf der Schädelstätte des Sozialismus: Ende oder Anfang einer Utopie?" (Oskar Negt) "Was machen wir jetzt? Wer sind wir überhaupt? Wer sind wir jetzt, nach dem Ende des "realen Sozialismus" (Kongreß der Radikalen Linken) "Der Sozialismus ist tot. Es lebe der Sozialismus?" (Motto der 11. Berliner Volksuni) usw. usw. Es ließe sich endlos weiterzitieren. Alle sind sich einig: Kriti- ker des Kapitalismus, Parteigänger des Sozialismus sind gegenwär- tig in einer schwierigen Lage. Und die verdanken sie nach eigener Auffassung nicht den Anfeindungen und der unerfreulichen Behand- lung, die ihnen von Seiten der Öffentlichkeit, des Verfas- sungschutzes und der Politik widerfährt; nicht der antikommuni- stischen Gesinnung einer fest zur Nation stehenden Bevölkerungs- mehrheit; und auch nicht nur den Fortschritten des westdeutschen Anschlußprojekts, das ihnen in ihrem Selbstverständnis so schwer zu schaffen macht. Daß der Block des realen Sozialismus sich auf- löst, Politiker und Massen dort nach nationaler Eigenständigkeit und Marktwirtschaft verlangen, das macht Linken hierzulande zu schaffen und stürzt sie in Selbstzweifel. Offensichtlich sind die kritischen Menschen beeindruckt durch das öffentliche Urteil: 'Der reale Sozialismus tritt ab. Also ist der Kommunismus ist tot!' Wieso eigentlich? Weil die demokratische Öffentlichkeit nicht unterscheiden will zwischen der Erledigung des Ostblocks und einer Widerlegung der Kapitalismuskritik von Marx oder überzeugenden Einwänden gegen das realsozialistische Lager, müssen Sozialisten doch noch lange nicht lamentierend ein- stimmen in das bürgerliche Triumphgeschrei. Es ist doch wohl nicht so schwer, der öffentlichen Zufriedenheit das antikommuni- stische Interesse zu entnehmen: erstens das Interesse, den poli- tischen Gegner des westlichen Lagers praktische aus der Welt zu schaffen; zweitens das Interesse, den ideologischen Kampf gegen seinen Einfluß zu führen und jeden Einwand gegen die kapitalisti- schen Verhältnisse nicht zu widerlegen, sondern auszuräumen. Da- für dient der geistige Totschläger: Der Westen ist erfolgreich; das Lager, das sich sozialistisch nennt, nicht; also hat der We- sten Recht und der Sozialismus Unrecht. Zwischen argumentieren und bekämpfen, zwischen widerlegen und mit Gewalt erledigen, zwi- schen Einsicht und Kleinbeigeben sollten doch gerade Leute unter- scheiden können, die von ihren Gegnern weniger mit Argumenten als mit öffentlichen Anfeindungen und Staatsaufsicht bis zum Verbot bedacht werden. Auf der anderen Seite ist doch die Mehrheit der Linken immer schon alles andere als ein glühender Anhänger des realen Sozia- lismus, über dessen Verschwinden sie jetzt klagen, und in letzter Zeit eher von Gorbatschows radikalen Reformen angetan gewesen. Für einen Parteigänger des alten "Vaterlands aller Kommunisten" aber wäre, wenn schon, dann eher Erbitterung über die nationali- stischen Ambitionen und ihre Massenbasis in dem vordem soziali- stisch ausgerichteten Staatenblock am Platz, nicht aber Selbstzweifel und Klagen, daß die drübige Abkehr vom bisherigen Staatsprogramm die eigenen Einwände gegen die hiesigen Verhält- nisse unglaubwürdig macht. Und für den, der schon immer gegen "Stalinismus" gewettert und für einen Sozialismus ganz anderer Art plädiert hat, kann doch egal sein, ob und wie sich die Poli- tiker und die Massen drüben sortieren. Seine sozialistische Sache ist es ja nicht, die dort auf dem Spiel steht; er kann also wie bisher loslegen gegen das kapitalistische System; keiner seiner Gründe ist hinfällig, keinerlei praktische Unterstützung geht ihm verloren. Und ein Überzeugungsmittel kann ja die machtvolle Exi- stenz einer Alternative, einer für falsch gehaltenen schon gleich, sowieso nicht sein, sollte man meinen. Insofern zeugt es schon von einer aparten Einstellung gegenüber dem Ostblock, wenn ihm jetzt diejenigen nachtrauern, die von ihm gar nichts gehalten haben wollen: "Ich fühle mich nicht wohl bei dem Zusammenbruch eines Systems, das ich immer kritisiert habe." (Oskar Negt auf der 11. Berliner Volksuni) Die Linken hierzulande halten seine Existenz - unbeschadet ihrer Einwände - eben doch für ein ziemlich schlagendes Argument. Sie ist für sie der Beweis, daß die radikalen Verbesserungsprogramme, die sie vorzubringen haben, nicht bloß nötig, sondern auch - mög- lich sind. Die Einwände sollen nämlich eine Perspektive haben, die sie bei den Adressaten attraktiv macht. Dafür reicht es nicht, daß sie angeblich dem tieferen Drang des Volks nach besse- ren Staatsumständen und nicht bloß dem Verbesserungswunsch seiner Urheber entsprungen sind - so recht wollen die Fortschrittsmen- schen selber nicht daran glauben, daß das, was sie "das Volk", "die Menschen" oder sonstwie nennen, auf ihrer Seite steht. Des- wegen sollen ihre Alternativen außerdem 'machbar' sein - also mit dem Gütesiegel ausgestattet sein, das allgemein zählt in einer demokratischen Öffentlichkeit. Der gilt es ja als selbstverständ- lich, daß, was man will, sich erst noch durch die Macht zu legi- timieren hat, mit der es ausgestattet ist. Sonst ist es ein blo- ßer "Wunschtraum", weil kein machtvolles Interesse sich seiner annimmt. Damit ist es auch schon erledigt in den Augen derjeni- gen, die die Gewalt in Händen haben. Offenbar auch nach Meinung derjenigen, die sie korrigieren wollen. Für dieses Bedürfnis, sich als eine entscheidende, öffentlich anerkannte Stimme in die praktischen Geschicke der Nation einzumischen und einem öffentli- chen Problembewußtsein die besseren überzeugenderen und Antworten zu bieten, ist die Existenz des sozialistischen Lagers und die Aufmerksamkeit, die ihm westlicherseits zuteil wird, so gut wie ein Argument - aber auch nur für dieses Bedürfnis. Sich 'bloß' für eine Sache stark machen, an der einem liegt, gegen die herr- schende Gewalt und ihre Parteigänger, denen daran gar nichts liegt, daß halten die Freunde sozialistischer Utopien für ideali- stisch. Aber dem eigenen Bedürfnis Raum zu geben, daß die eigenen Alternativen durch die geschichtliche Bewegung, das Leben und an- dere Bebilderungen ihrer machtvollen Wirksamkeit verbürgt sind, das gilt in linken Kreisen als enorm realistisch. Die bürgerliche Öffentlichkeit hat ja tatsächlich immerzu in den Bahnen des Systemvergleichs, der sich mit der Existenz eines staatlichen Alternativprogramms im Osten herumschlägt, gedacht und argumentiert. Sie hat denkbare sozialistische Modelle des Wirtschaftens erwogen und verworfen, hat Lösungsalternativen für gesellschaftliche Probleme eingeführt, um sie wieder auszuführen, hat den Lebensstandard und das politische System hüben und drüben verglichen, die Rolle des sozialistischen Lagers in der Weltpoli- tik besprochen. Alles nur, um die Verhältnisse drüben daran zu blamieren, daß sie dem nicht entsprechen, was hierzulande poli- tisch und wirtschaftlich an Interessen und Maßstäben Gültigkeit hat und deswegen für vernünftig gelten soll. Diese geistige Aus- einandersetzung hat darauf beruht, daß der Westen an der Macht des Ostens nicht vorbeikam. Damit stand für die bürgerliche Öf- fentlichkeit fest, daß sie sich auch mit den geistigen Ideen be- fassen muß, die der reale Sozialismus für sich reklamiert, um ihm seine Existenzberechtigung zu bestreiten, nicht zuletzt mit dem Argument, daß der Erfolg auf der richtigen Seite ist. So ähnlich denken die Kritiker hiesiger Verhältnisse offenbar auch. Bloß haben sie in der Systemvergleicherei umgekehrt die Le- bendigkeit des Wunschs nach Sozialismus mitten im Kapitalismus und die Gelegenheit entdeckt, sich als seine autorisierten Sach- walter positiv zu Gehör zu bringen. Das hat sie aber auch selber kritisch gegenüber dem realen Sozialismus gemacht, weil er für den Berechtigungsnachweis linker Kritik im real existierenden Ka- pitalismus so wenig attraktiv war. Sie haben nämlich gemeint, daß die öffentlichen Einwände nicht der störenden Macht des Ostblocks gälten, sondern in seiner realen Verfassung begründet und eini- germaßen berechtigt wären. Sie haben es mehrheitlich den Russen und der DDR übel genommen, daß sie ihrem Bild einer Alternative nicht gerecht werden, die sich vor den Augen einer antikommuni- stischen nationalen Öffentlichkeit und nicht zuletzt vor ihren eigenen Demokratieidealen bewährt: Ein "Sozialismus mit menschli- chem Antlitz" sollte es sein, ein Verbesserungsprogramm des So- zialismus also. Damit haben die Kritiker den Einwänden gegen den Osten Recht gegeben und sich zugleich von ihnen ausgenommen. Dar- über sind sie zu Anhängern Gorbatschwos geworden, der in ihren Augen den Beweis angetreten hat, daß der real existierende Sozia- lismus nicht bloß reformwürdig, sondern auch reformfähig ist. Jetzt wird flott der ganze reale Sozialismus wegreformiert, die Oststaaten streben nach kapitalistischen Wirtschaftsmethoden und nationaler Selbständigkeit, die NATO kommt voran, die DDR wird eingemeindet. Deswegen sortiert sich auch die bürgerliche Öffent- lichkeit dementsprechend ein bißchen neu. Die Sozialisten im Land bekommen zu spüren, daß die Auseinandersetzung mit ihren Alterna- tiven gar nicht diesen Alternativen, sondern der russischen Macht gegolten hat, daß sie deswegen jetzt weniger denn je gefragt sind, nicht einmal mehr zum Zurückweisen, weil sie als widerlegt gelten. Sie sind damit konfrontiert, daß sie in Wirklichkeit nur deswegen etwas gegolten haben, weil Stalins Kriegserfolge, Chrutschows Atomdrohung und der weltpolitische Einfluß der So- wjetunion die freiheitlichen Geister zur Befassung mit den so- zialistischen Ideen veranlaßt hat. Jetzt wird klar, daß die Al- ternative zum realen Sozialismus nie und nimmer Sozialismus mit menschlichem Antlitz, sondern schlicht und ergreifend Kapitalis- mus heißen soll. Die bürgerliche Öffentlichkeit führt also mit dem ihr gebührenden Opportunismus vor, daß die Berufung auf die Geschichte eine brauchbare Technik der Machthaber ist. Denen steht die Pose, sie handelten im Auftrage einer höheren Instanz und ihr Erfolg garantiere für die welthistorische Qualität der Sache, die sie durchsetzen, gut zu Gesicht. Sie verwalten schließlich die Mittel, die in der Staatenwelt gelten, machen also Geschichte und bekommen prompt die ideologische Zustimmung nachgeliefert. Jetzt sind die Alternativdenker also gründlich in ihrer Illusion blamiert, die Krise des Kapitalismus und der Fortschritt des So- zialismus bürge für ihre Modelle. Prompt fühlen sich sich ärmer. Sie haben ihren ungeliebten Hoffnungsträger und einen in ihren eigenen Augen entscheidenden Glaubwürdigkeitsbeweis verloren. Das Bedürfnis nach solcher Glaubwürdigkeit wollen sie deswegen noch lange nicht ad acta legen, sondern ihre blamierte Illusion ret- ten. Sie wollen sich partout nicht auf den Standpunkt stellen, daß die Änderung der Weltlage ein Werk der Gewalt und kein Welt- gericht über die Unhaltbarkeit des Realen Sozialismus ist. Lieber denken sie sich lauter, gar nicht mehr alternative Gründe aus, warum der Sozialismus "scheitern" mußte: Es liegt an dem, was Linke wie die bürgerliche Öffentlichkeit am Ostblock auszusetzen hatten; auch wenn der Vorwurf "Stalinismus", "Diktatur" usw. gar nicht so recht zu dem Charakterzug des Ostblocks paßt mit dem ra- dikale Linke den Erfolg des Kapitalismus madig machen wollen - Schwäche: "Dieser Sieg resultiert allerdings nicht nur aus der Stärke des kapitalistischen Systems, sondern auch aus der inneren Brüchig- keit der bürokratischen Herrschaft in den RGW-Staaten" (NwD) So dichten sie das vorläufige Endergebnis von 40 Jahre NATO-Poli- tik und realsozialister Gegenpolitik und den Eifer, mit dem der Ostblock sich wegreformiert, in den Beweis um, das eine solche Sorte Herrschaft ja auch nicht gutgehen konnte: warum? Weil sie nicht stabil war! Wenn diese Freunde eines Sozialismus, der auch eingefleischte Antikommunisten überzeugen könnte, auch nicht be- merken wollen, daß im Osten alles andere als sture Bürokratien gescheitert, sondern Nationalisten selbstkritisch am Werk sind - zufrieden sind sie über das Ende der "bürokratischen Herrschaft" dennoch nicht. Das soll nämlich schuld daran sein, daß ihnen nicht mehr die Aufmerksamkeit zukommt, die sie verdient haben. Ein eigentümliches Vergehen der Russen, den Kritikern hierzulande das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist, weil sie dem Antikommunismus mit ihrem Abgang ein Argument liefern, dem sich hiesige Fortschrittsfreunde nur schwer entziehen können: den mangelnden Erfolg. Aber sie lassen sich deswegen noch lange nicht unterkriegen und kämpfen wacker darum, daß die Antikommuni- sten deshalb dennoch nicht ganz richtig liegen: "Mit dem nationalistischen Taumel verband sich der Triumph des Sieges über das "Reich des Bösen". Es ist ja wahr: Das System, das sich "Realer Sozialismus" nannte, ist am Ende. Viele Men- schen, die sich zwar nie mit der spezifischen Gesellschaftsform der DDR, UdSSR usw. identifiziert, sich aber für eine sozialisti- sche Gesellschaft und gegen kapitalistische Ausbeutung und Unter- drückung engagiert hatten, spüren in ihrer eigenen Arbeit und im öffentlichen Klima die Offensive von rechts..." (NwD) Der rechtsoffensiven Öffentlichkeit werfen sie also vor, daß sie mit dem erledigten und damit blamierten Realen Sozialismus auch gleich noch die besseren Sozialisten in der Bundesrepublik miter- ledigen will. Es gilt trotzdem weiterzukämpfen nicht zuletzt um neues Gehör in der Öffentlichkeit. Dafür muß man erst einmal sich selbstkritisch fragen, ob man eigentlich genügend dafür getan hat. Also beschäf- tigen sich die Linken mit einer neuen Perspektive: Den Möglich- keiten, Chancen und Problemen "der Linken" in einem wiederverei- nigten Deutschland. III. Die eigentliche Sache der Linken: -------------------------------------- "Die Linke" oder ---------------- Die Bewältigung der linken Sinnkrise ------------------------------------ durch die Berufung auf sich selber ---------------------------------- Wenn die diversen Linken von den Fortschritten deutscher Macht und deutschen Geschäfts und von der neuen Lage, die dadurch ein- getreten ist, reden, dann handeln sie eigentlich gar nicht von der Weltlage, ihren Akteuren und denen, die das Material abgeben. Sie reden über sich und ihre mißliche Lage. Zu dem schlichten Ur- teil: Wir sind gescheitert, mit unserer Kritik nicht gelandet, weil nach unseren Alternativen bei Nationalisten gar kein Bedarf besteht, ringen sie sich dabei nicht durch. Dabei böte das natio- nale Einigungswerk und seine öffentliche Aufarbeitung durchaus Anlaß, sich von dem Wunsch zu verabschieden, mit seinen Alterna- tiven vor den Augen von überzeugten demokratischen Untertanen glaubwürdig sein zu wollen. Das Eingeständnis, daß gute Deutsche vom Glauben an ihre Nation abgebracht, über die kapitalistischen Gründe ihrer Misere aufgeklärt und dafür gewonnen werden müssen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, kommt den Beschwörern einer Krise der Linken nicht in den Sinn. Das käme ihnen wie Resigna- tion, schlimmer: wie ein Verrat an dem Auftrag vor, "Einfluß zu nehmen". Ihre Selbstkritik fällt anders aus. Die theoretische Antwort auf die "Deutsche Frage": Sich umstellen oder sich treu bleiben? Mit dem Zusammenbruch des RGW, mit den Erfolgen bundesdeutscher Expansion, mit den Aufschwüngen nationalistischer Gesinnung, da sind sich alle einig, "...stellen sich zahlreiche Fragen der Theorie, der Aufarbeitung der historischen Entwicklung" , als hätte sich an den Gründen Dagegenzusein irgendetwas geändert. Die Linken fühlen sich durch die Erfolge ihrer Gegner also dazu her- ausgefordert, an der eigenen Sache zu zweifeln und diese Zweifel und den Umgang mit ihnen zum Thema zu machen. So stellen sie sich der "nationalen Frage" - als ihrer eigenen Existenz- und Organi- sationsfrage. Sich "neu orientieren", heißt die Leitlinie, mit der das eigene Anliegen kritisch durchmustert wird. Und die Rich- tung, in die man sich orientiert, heißt: Aus der Glaubwürdig- keitsnot, in die man sich gebracht sieht, eine Tugend machen. Die einen bekennen sich dazu, daß ihnen mit den Erfolgen der Geg- ner ihre guten Gründe dagegenzusein abhanden gekommen sind und bezichtigen sich nachträglich der Realitätsferne. Sie hätten zu viel Kapitalismuskritik betrieben, statt sich der nationalen Frage zu widmen, sprich verständnisvoll anzunehmen. Als ob es gar keinen Zusammenhang zwischen kapitalistischem Wachstum und der nationalen Macht gäbe, die es absichert und sich seiner bedient! Sie hätten zu viel den Westen und zu wenig den realen Sozialismus kritisiert. Freilich, wer immerzu das Scheitern des einen und die historische Fortschrittlichkeit des anderen beschwört, der läßt sich durch den gewaltsamen Gang der Geschichte auch eines schlechteren belehren! Sie hätten den wirklichen Bedürfnissen der Bevölkerung zu wenig Rechnung getragen. Als wären Kapitalis- mus- und Westdeutschlandsüchtige DDRler das Subjekt der politi- schen Umwälzung und deswegen auch schon gar nicht mehr kritika- bel! Mit der Selbstbezichtigung, zu sehr dagegen gewesen und des- halb unglaubwürdig zu sein, bekunden diese Anhänger realistischer Alternativen allerdings das glatte Gegenteil: Daß ihre idealisti- schen Vorstellungen besserer Politik schon immer realitätstüchtig sein wollten. Deshalb entdecken sie noch im hartgesottensten Ge- müt vom realen Sozialismus enttäuschter Ostdeutscher und von den BRD-Fortschritten angetaner Westdeutscher die Bedingung, an die sich glaubwürdige linke Kritik anzubequemen, von dem sie "auszugehen" hat. Deshalb bringen sie auch das Kunststück fertig, nach eigenen Aussagen nicht mehr recht zu wissen, "was Sozialis- mus noch heißen kann", und zugleich ganz dogmatisch zu verkünden, was Sozialisten gegenwärtig in der nationalen Frage zu leisten haben: Sich von unrealistischen Alternativen, vom puren Oppositi- onsstandpunkt verabschieden; es wäre sowieso illusorisch, jetzt noch etwas verhindern zu wollen. Die Parteigänger für "Realismus" ziehen ihre eigenen Utopien von einem besseren, freieren, demo- kratischeren, menschlicheren, gerechteren und sozialeren Deutsch- land also gar nicht deswegen aus dem Verkehr, weil sie einsichtig geworden wären, daß es sich um verkehrte Ideale handelt, die sie den kapitalistischen Verhältnissen nur untergeschoben haben. Sie stellen bloß fest, daß diese Ideale keine erfolgversprechende Perspektive bieten und deshalb korrekturbedürftig sind. Genau darin finden sie dann ihre neue Perspektive: In dem zu einer neuen sozialistischen Ortsbestimmung aufgespreizten Eingeständ- nis, daß sie 10 mal lieber ihren sozialistischen Verbesserungst- raum an den kapitalistischen Gegebenheiten relativieren, als ihr Interesse fahren zu lassen, mit diesen Idealen genau die fälligen Antworten auf die anstehenden nationalen Probleme zu geben. Mit Opportunismus hat das deshalb nichts zu tun, weil sie sich mit dieser Selbstkritik als Bedingungssozialisten treu bleiben - bis zur Selbstverleugnung, daß sie bei Nation einmal nicht gleich an ein kapitalistisches Großdeutschland gedacht haben und ewig auf dem gewissen Unterschied zwischen "bloßer" Reform und Revolution oder zumindest "radikalen, systemverändernden" Reformen herumge- ritten sind. Diejenigen, die sich zu den Radikalen zählen, machen genau an- dersherum aus der konstatierten Not eine Tugend. Ihnen ist wegen ihrer Abneigung gegen die nationalistische Stimmung im Land auf- gefallen, daß die Bedingungssozialisten sich im Namen des erle- digten realen Sozialismus und der Massen, die zur kapitalisti- schen Gesamtnation drängen, unter dem Firmenschild "Sozialismus" von Überzeugungen verabschieden, an denen ihrer Meinung nach ein anständiger Linker festzuhalten hätte. Deswegen kommt ihnen jetzt die Einsicht, daß man auf die "sozialistische Gesetzesgläubig- keit" von einer unausweichlich heraufziehenden sozialistischen Fortschritt lieber verzichten sollte: "Warum müssen Sozialisten immer addieren: Weil das Kapital Hitler finanziert hat und weil es sowieso ein (irgendwann) überholtes Produktionsverhältnis ist, deshalb sind wir dagegen. Reicht es nicht zu sagen, weil das Kapital Hitler finanziert hat, muß es enteigenet werden?" Dagegen plädieren sie für Gesinnungstreue und berufen sich auf eine mindestens so hohe Verantwortung wie die Möchtegern-Mitge- stalter - die Verantwortung vor der unseligen deutschen Vergangenheit, die ein Linker als nationale Charakterbestimmung bei sich und anderen aufzuarbeiten hat: "Aber selbst wenn unsere Befürchtung übertrieben wäre (vom auf- kommenden Rassismus, Antisemitismus, Chavinismus), müßte man die Wiedervereinigung ablehnen: aus antifaschistischen Motiven, aus einem Gerechtigkeitsgefühl... Wir müssen uns als Kronzeuge gegen Deutschland verstehen", weil deutsche Linke "von dieser Gesell- schaft soviel abgekriegt haben, daß wir, wenn wir kritisch sind, eine gewisse Kompetenz bei der Erkennung und Beurteilung von Tä- terpersönlichkeiten erwerben können." (konkret 7/90) "Daß es funktioniert (der oben kritisierte Mechanismus nationalistischer Feindbildkonstruktion), das... so laut wie irgend möglich zu sa- gen, ist kein altlinker Zynismus, sondern der erste Job in einem Land, das den Nationalisozialismus zu verantworten hat." (Rede auf dem Kongreß in Hamburg am 8. Mai) Sie meinen nämlich "Franzosen", "Polen", "Israelis" beweisen zu müssen, daß es bessere Deutsche gibt. Vor lauter Verwechslung der Weltöffentlichkeit mit der linken Szene hier und anderswo ist dem "Konkret"-Herausgeber dazu wiederum der komplementäre verrückte Auftrag eingefallen, es gälte "die Nachbarn in Ost und West" vor einem Eindruck zu bewahren, den die radikale Linke "mit Demon- strationen und Kongressen und mit der Herausgabe einer Zeit- schrift wie Konkret" selber erzeugte: "es gebe in diesem Land eine nennenswerte, womöglich sogar einflußreiche antivölkische Opposition". Jedermann soll wissen, "Daß auf das, was sich in Deutschland die Linke nennt, im Fall des Falles kein Verlaß ist: daß ihre Neinsager nicht zählen und ihre Jasager, angeführt von der SPD und noch ein Weilchen beglei- tet von den Grünen, nicht beseite stehen werden, wenn das Vater- land ruft." (konkret 7/90) Gremliza kommt eben einfach nicht von dem Anliegen los, für ein linkes Publikum zwischen den "sogenannten" Linken und dem kleinen Häufchen der "wirklichen" Linken zu unterscheiden, wobei er beim Umkreis dessen, was er alles im Geiste zur linken Szene rechnet, um es radikal wieder auszugrenzen, gar nicht kleinlich ist. Auf ein ganz kleines bißchen Erfolgsperspektive hinsichtlich der nationalistischen Stimmung wollen freilich auch die echten Linken nicht verzichten: "Der Nationalismus ist noch auf der Suche; das gibt dem Wider- stand eine befristete Chance, ihn wirksam zu bekämpfen. Man be- denke allerdings, daß der Nationalismus in der Regel schneller zu sich findet als seine Analytiker zur richtigen Therapie." (konkret 7/90) Und sie pochen darauf, im Gegensatz zu den Anpassern und Opportu- nisten mit dem Verzicht auf "Mitgestaltung" an der unverbeserli- chen nationalen Sache nicht nur die standfesteren, anständigeren Charaktere, sondern auch die eigentlichen Realisten zu sein: Der Gegenseite kommen sie unter anderem mit dem Einwand, in Wirklich- keit sei ein Einfluß auf die Umstände der deutschen Einigung ja gar nicht möglich. Und gegenüber der deutschen "Besoffenheit" präsentieren sie sich als die Warner, die als einzige die unaus- bleiblichen Folgen des nationalen Aufschwungs nicht aus dem Blick verlieren, der schon einmal Millionen Opfer gekostet hat. Die praktische Antwort auf die "Deutschen Frage": ------------------------------------------------- Sich auf jeden Fall sammeln, so oder so! ---------------------------------------- Das praktische Rezept, mit dem die national betroffenen Opposi- tionellen die konstatierte Krise meistern und zu neuer Bedeutung gelangen wollen, zeugt ebenfalls von kein bißchen Selbstkritik: Angesichts der eigenen Krise kommt es angeblich wieder einmal darauf an, endlich dem "Sektierertum" und der "Bedeutungslosig- keit" zu entgehen. Dabei sind alle einschlägigen Bemühungen vom Unwillen geprägt, das Volk, um dessen nationales Geschick und nationale, respektive nationalistische Gemüstverfassung sie sich angeblich so große Sorgen machen, als den Adressaten ihrer Einwände zu behandeln und entsprechend auf es einzuagitieren. Sie beziehen sich lieber auf sich selber und verfolgen die Perspektive, die vorhandenen kritischen Menschen im Lande, in den verschiedenen linken Organisationen, in der Szene und unter der Wählerschaft neu zu sammeln, zu vereinigen und damit zu einer unübersehbaren Kraft zu machen. Die Vorstellung, in der kriti- schen Stellung zu den kapitalistischen Verhältnissen wären sich alternative grünen Wähler, unverbesserliche Jusos, Startbahngeg- ner und sonstige unzufriedene Menschen im Grunde irgendwie schon einig, die oppositionelle Haltung bürge für eine ideelle Gemein- schaftlichkeit jenseits aller Gegensätze, ist offensichtlich un- ausrottbar. Auch wenn der Streit und die Konkurrenz darum, wie man die Oppositionellen zu sammeln und zu vereinigen hätten, den Glauben an ein gemeinsames Anliegen der Linken widerlegt. Das Be- dürfnis, man müßte sich unbeschadet aller Differenzen zusammen- tun, wächst offensichtlich mit der eigenen Krise, die die linke Szene konstatiert. Ebenso wie das Bedürfnis, in der alternativen Parteienlandschaft die Gelegenheit zu suchen, um einen Einfluß zu gewinnen, den man sich selber nicht zutraut. Deshalb tobt gegenwärtig quer durch die Reihen der organisierten und unorganisierten Linken die Debatte, ob nicht die PDS ein neuer machtvoller Hoffnungsträger --------------------------------------------- der Linken sein und ihnen beim demokratischen Volk Gewicht ver- schaffen könnte. Schon wieder mal verwechseln Linke Opposition gegen großdeutsche Politik mit dem Einsammeln von Wählerstimmen, die für eine Vertretung im gesamtdeutschen Parlament reichen sol- len. Dabei kreuzt sich in diesem Fall das Bedürfnis, mithilfe der mitgliederstarken und finanzkräftigen Oppositionspartei von drü- ben ein Faktor in der offiziellen Staatszene zu werden, mit dem komplementären Bedenken, ob sich die ehemalige Staatspartei von drüben mit ihrer zweifelhaften Herkunft nicht für diese Aufgabe disqualifiziert. Nicht nur Leute wie Stamm und Konsorten, die bisher darauf schworen, daß man in den Grünen "linke Positionen" vertreten müßte, weil sie sonst im politischen Getriebe überhaupt nicht zu Wort kämen, laufen jetzt mit fliegenden Fahnen zur PDS über und spielen die Vorreiter einer neuen Links-Sammlung unter PDS-führung, weil allein so Linke politischen Einfluß gewinnen könnten. Auch andere haben endlich wieder einen neue hoffnungs- volle Perspektive. Viele Ex-DKPler liegen sowieso voll auf der Linie einer erneuerten, undogmatischen PDS. Und KBler und grüne Linksaußen konstatieren ungerührt, daß man von einer sozialisti- schen Kraft im eigentlichen Sinne natürlich nicht reden könne, man über diesen kleinen Haken aber hinwegsehen müsse, weil sich allein mit ihr eine Zukunft für "eine starke Linke in Deutsch- land" eröffne. Im Lichte dieses Interesses wird Einwänden gegen das Programm der PDS eine entschiedene Absage erteilt: "Praktische Wirksamkeit" ist "viel wichtiger als die Suche nach einem 'sauberen Marxismus', Rätemodellen usw.", so daß man genau- sogut davon ausgehen kann, daß die PDS "derzeit die Hauptpartei derjenigen ist, die im weitesten Sinn des hier nicht zu definie- renden Begriffs an einer sozialistischen Perspektive festhalten." Warum? Weil es der PDs als "stärkster Oppositionskraft beider deutscher Staaten gelungen ist, sich als Anwältin der sozialen und politischen Besitzstandswahrung gegen die Überflutung durch das BRD-Kapital und die BRD-Gesellschaft darzustellen." (AK 318) So lautet das offensive Bekenntnis zu dem Grundsatz, daß sich die eigenen kritischen Überzeugungen gemäß den vorgestellten Gelegen- heiten sortieren, in der politischen Landschaft zum Zuge zu kom- men; zumal man Sozialismus ohnehin mit einem Engagement für die sozial Schwachen im Kapitalismus verwechselt und die Qualität linker Politik offenbar an dem Eindruck mißt, den man mit ihr beim (Wähler-)Volk zu erwecken vermag. Daß mit den Erfolgen der PDS dann doch ein bißchen was anderes "praktisch wirksam" wird als die eigene Kritik - was, ist zwar einigermaßen unerfindlich, allerdings auch ganz unerheblich - eröffnet das weite Feld der weiterreichenden sozialistischen Perspektiven, die man sich selbstverständlich theoretisch offenhält und die man selbstver- ständlich ganz entschieden als abweichendes Gedankengut in das Parteileben der PDS einbringt. Selbstverständlich mit der Lüge, die PDS könnte dadurch - eventuell - gezwungen werden, sich zu radikalisieren. Und das alles erklärtermaßen, weil man davon aus- geht, daß alle Linken genauso ehrlich prinzipienlos denken wie man selber und deshalb "die PDS der Adressat vielfältiger links- orientierter Wünsche sein wird." Da will man keinesfalls abseits stehen: "Kommunistischen Kleinstgruppen ...die die darin liegenden Mög- lichkeiten für die umfassende Propagierung eigener Vorschläge und Konzepte leichtfertig preisgeben, kann eine Bestandsgarantie nicht mehr gegeben werden - es sei denn als Sekte." (AK 319) Umgekehrt geht auch erklärten Befürwortern des PDS-Reformpro- gramms der gängige Einwand von Kohl, Vogel und Vollmer lässig von den Lippen, als Nachfolgeorganisation der SED sei diese Partei ja wohl ein für alle Mal ohne jedes weitere Argument diskreditiert. Die gar nicht mehr linke Parteinahme für das sorgfältig gepflegte antikommunistische Vorurteil gegen die stalinistische Erblast des alten falschen Regimes im besseren neuen Deutschland fällt dabei mit der Sorge zusammen, daß mit dieser Partei bei linken Bundesbürgern vielleicht doch kein übermäßiger Staat zu machen sei. Das Zusammenspiel von Moral und Berechnung ist nämlich kein Privileg demokratischer Politprofis, sondern auch in der linken Szene gebräuchlich. Alle PDS-Interessenten und Freunde einer Linken Liste/PDS sehen im übrigen geflissentlich darüber hinweg, daß das von der PDS zum Programm erhobene 'Es braucht eine gesamtdeutsche linke Opposi- tion, sonst gäbe es ja keine linke Opposition in Gesamtdeutsch- land' eigentlich gar nicht in erster Linie ihnen gilt. Die ehe- malige Staatspartei von drüben definiert "die Linke" ja ungefähr genauso wie ein SPD-Vordenker vom Schlage Glotz' und würde als fortschrittliche Kraft für ein besseres Gesamtdeutschland am liebsten eine große Koalition gegen "Rechts" mit Grünen und SPD schmieden, wenn die sich dazu nur bereitfänden. Die radikale Alternative: Alle Aufrechten im Land - --------------------------------------------------- vereinigt Euch! --------------- Es ehrt die Radikalen Linken um Trampert und Ebermann zwar, daß sie "im Gegensatz zu vielen prominenten Grünen, die in ihrer an- tikommunistischen Abgrenzungswut wohl nie aufhören werden, in der PDS den Stalinismus zu entdecken," den neuen "Hoffnungsträgern der Linken" "eine schnelle Lernfähigkeit... Ergebenheitsadressen an das 'einig Vaterland' und an die Errungenschaften des kapita- listischen Westens" (Austrittserklärung aus den Grünen) attestie- ren. Aber ihre "zeitweilige" Absage an den "parlamentarischen Weg" und das flapsige Bekenntnis, sie hätten "überhaupt erst ein- mal von Parteien die Nase voll", gelten gar nicht dem Bedürfnis als solchem, sich per Wahlkreuz demokratischer Untertanen im Herrschaftsgetriebe als kritische Begleitmusik zum Staatsgeschäft zu etablieren. Sie gelten den mangelnden Erfolgsaussichten, die sie mit ihrer Berechnung erfahren haben, die Grünen wären eine Gelegenheit für Linke, zu einer echt alternativen Kraft, so wie sie sie sich vorstellen, bis ins Parlament hinein zu werden. Des- halb treten sie jetzt für radikale Prinzipientreue und für die Einsicht ein, daß man als Opposition eben auch einmal in der "Minderheit" sein und auch einmal bloß ein "Minderheitenpotential sammeln" können müsse. Das halten auch sie offenbar für ein ziem- lich unerträgliches, deshalb aber umso ehrenwerteres Unterfangen, auf die Einbildung zu verzichten, man wäre eine anerkannte Kraft im Lande: "Es gibt Situationen, wo man eben in der Minderheit bleibt und wo das ausgehalten werden muß." (NwD, nach AK 318) Als wären sie jemals etwas anderes gewesen! Offenbar denken sie wie die Fanatiker einer neuen gesamtdeutschen linken Gegenmacht ganz aus der Forschpespektive ihrer politischen Szene und ver- wechseln deren Mehrheiten und Minderheiten mit einem größeren oder kleineren Einfluß in der politischen Welt als solcher. Dabei verabschieden sie sich, wenn sie sich desillusioniert geben über die Lage, das Volk, die Öffentlichkeit und vor allem die linke Gegenpartei, keineswegs von ihren Illusionen. Der Austrittserklä- rung von Ebermann und Trampert aus den Grünen ist zu entnehmen, daß sie bei ihrer Kritik der Grünen immer noch die Täuschungen pflegen, die sie jetzt durchschaut zu haben vorgeben. Die Grünen hätten etwas nicht gehalten, wofür sie angetreten seien, sie hät- ten Verrat geübt an der linken Polititkultur und hätten deswegen auch keine großen Erfolgschancen mehr: "Die Grünen entschlossen sich in mehreren Etappen, ihre aus den sozialen Bewegungen mitgenommene oppositionelle, gesellschafts- kritische und bisweilen kulturrebellische Politik fallenzulassen, um als staatstragende Regierungspartei wirken zu wollen... Der große Wunsch der grünen Mehrheit, als reputierliche Staatspartei regierungsfähig zu werden, hat zugleich ihre Not gefördert: Die Grünen sind wieder von den anderen Parteien ersetzbar... Daß damit auch die kulturrebellischen Momente bei den Grünen verschwinden - Rotation, imperatives Mandat, Begrenzung der Einkünfte der Abgeordneten - liegt in der Logik der Entwicklung." (Austrittserklärung) Auf den Glauben, das politische Kräfteverhältnis sei schon einmal ein bißchen alternativer gewesen, wollen die Anhänger radikalde- mokratischer Bewegung mit ihrer Vorliebe für einen alternativen parlamentarischen Sittenkodex also nicht verzichten. Der drohende Verlust der lebendigen Illusion, in diesem Land schon einiges be- wegt zu haben, das ist es, was sie so radikal macht. Deshalb be- sinnen sie sich jetzt auf ihre "linken Überzeugungen", werfen den PDS-Initiativen das als Opportunismus und Verrat vor, was sie bis gestern selber noch entschieden als linke Strategie verfochten haben. Außer dem Hinweis auf den nationalistischen Ungeist der Wiedervereinigung fallen die Einwände gegen den Gründungskongreß der Linken Liste/PDS allerdings eher matt aus: "Eine basisdemokratische Diskussion und Entscheidung gibt es nicht, und kann es auch nicht geben aufgrund des Zeitdrucks, wie er inzwischen existiert... ein Unglück speziell für diejenigen linken, die eine Beteiligung an den Wahlen diskutieren... Denn ihr seid gezwungen, unter enormem Zeitdruck eine Kandidatur auf die Beine zu stellen..., statt einen Beitrag zur Krise der Linken zu erarbeiten... Demokratie braucht jedoch Zeit, sie ist schwerfällig, umständlich..." (Beitrag zur Kölner Konferenz, nach AK 321) Sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen, an linken Krisendebat- ten teilnehmen und vor allem: die alternativen Verfahren zur Kan- didatenkür und Wahlpräsentation ernst und sich dafür genügend Zeit nehmen, das soll also schon für die Qualität der Politik bürgen. Als hätten nicht die Grünen gerade das Gegenteil bewie- sen! Gegen diesen "parlamentarischen Weg" zur Partei machen sich die Radikalen Linken für "Bewegung" stark - für eine eigene Samm- lungsbewegung. Auch die ist nach dem Muster aller anderen linken Sammlungen von Gleichgültigkeit gegen alle gegensätzlichen Auf- fassungen und Interessen getragen, die sich da zusammenfinden, wenn sie nur in der Einstellung gegen den "nationalen Wahn" und in der Enttäuschung über den Niedergang "linker Gegenkultur" ei- nig sind: "Ihre (der Radikalen Linken) Gemeinsamkeit besteht zunächst nur in der Ablehnung der Anpassung der bisherigen Linken und der Ver- hältnisse, welche diese Anpassung herausfordern." (Reader Die ra- dikale Linke, S. 26) Die Perspektive aller, die sich dieser Einheitsfront gegen Um- faller und nationalistisch angekränkelte Mitmacher anschließen sollen und können, liegt also erklärtermaßen nicht in der Einig- keit, warum Kapital und Nation bekämpft werden müssen, und in der Verbreitung der gemeinsamen Gründe unter den Betroffenen. Sie liegt im gemeinschaftlichen Bekenntnis, Opposition nicht aufgeben zu wollen, und in der öffentlichen Demonstration, daß es "Opposition noch gibt."; "also ist noch nichts verloren". (Demo- Rede) Das möglichst massenhaft abgelegte öffentliche Bekenntnis zum Nonkonformismus soll schon das entscheidende Stück Überzeu- gungsarbeit sein - und ist es ja auch unter Gleichgesinnten. Mit dem Programm, die "Krise" durchzustehen und der "Resignation" zu begegnen, indem man allen, die man sich als gleichgesinnt vor- stellt, durch sein standhaftes Vorbild neuen Mut macht, spendet man sich und seinesgleichen Hoffnung in der Krise. Das Anliegen, eine öffentliche Kraft zu sein und dadurch für sich einzunehmen, ist gar nicht gestrichen, es ist bloß bescheiden geworden. Man richtet zwar nichts aus, aber man ist noch öffentlich präsent.; der vorgestellte Adressat kann sich daran aufrichten, daß sich die Protestszene nicht aufgibt, sondern weiterhin regt: "Es wäre mehr als peinlich, ja, es wäre das aus, wenn wir gegen die Wiedervereinigung nicht mindestens die gleiche Show veran- stalten, wie gegen eine Flughafenerweiterung oder eine Atomanlage oder eine Rüstungsmaßnahme oder für eine Arbeitszeitverkür- zung...Es kommt eben darauf an, wen man erreichen will. Wenn sich die Freunde von der VVN gefreut haben, daß es in Frankfurt doch doppelt so viel Demonstranten wurden, wie sie selbst erwartet hatten: wenn sich einige Immigrantinnen und Immigranten in oder im Umfeld der Demo wohlfühlten; wenn ...einige Mitbürgerinnen und Mitbürger vielleicht gedacht haben, schade, daß ich nicht da war, ich habe etwas verpaßt, dann rechtfertigt das den ansonsten durch nichts begründbaren Optimismus. Nichts ist umsonst." (konkret 7/90) Die gemeinsame Perspektive: Perspektivendiskussionen ohne Ende -------------------------------------------------------------- Zum Sammeln blasen die Linken weniger mit Argumenten gegen die nationale Sache, sondern mit Auskünften über die Konsequenzen und Verpflichtungen, die ihrer Meinung nach aus der "Krise der Lin- ken" folgen, also aus der Betroffenheit der Linken durch die na- tionalen Fortschritte, wie sie sie sich zurechtgelegt haben. Alle gemeinsam führen sie mit- gegen- und durcheinander quer durch die diversen Organisationen und die linke Szene eine "Strategiediskussion". Statt sich über das neue Deutschland, bzw. darüber zu verständigen, mit welchen Schwierigkeiten Staatskriti- ker im neuen Deutschland zu rechnen haben, traktieren sich die linken Kritiker im Lande auf Kongressen, Sammlungsveranstaltun- gen, Diskussionsforen und Wahlparteitagen und Gründungsversamm- lungen mit immergleichen Methodendebatten, wie sich Linke künftig zu definieren hätten, wenn sie mit ihrer Krise fertig werden wol- len. Daß es darum zu gehen hat, darin sind sich eigentümlicher- weise alle einig, auch wenn sie sich noch so entschieden darüber streiten und nach eigener Auskunft nicht einmal genau anzugeben wissen, was künftig links bedeuten soll. Das Deutschland eine Linke braucht, gilt allgemein in linken Kreisen als so selbstver- ständlich, daß die PDS damit ohne jedes weitere Argument für sich anzeigenmäßig werben zu können meint. Alle, die sich der Opposi- tion zurechnen, verstehen sich unbeschadet ihrer gegensätzlichen Auffassungen nämlich als eine eigene nationale Institution, die durch einen gemeinsamen Geist gegen "Rechts" verbunden ist und auf die Deutschland nicht verzichten kann. Die gar nicht vorhan- dene oppositionelle Gemeinsamkeit dient allen als Berufungin- stanz, mit der sie sich wechselseitig an ihre Verantwortung als Linke erinnern. Die Vorschriften, wie sich "die Linke" selbstkri- tisch, zukunftsorientiert, vergangenheitsbewältigend, reali- stisch... kurz: verantwortlich zu verhalten hätte, beziehen die Diskutanten aus den falschen Argumenten und Folgerungen, die das enttäuschte Bedürfnis, mit seiner Kritik beglaubigt zu sein, ge- biert. Unter Überschriften wie "Die Linke und die doitsche Frage", "Wie weiter mit der Linken" usw. erfährt man dann, wie man zu denken, zu diskutieren, sich auf jeden Fall "neu" zu "orientieren" hat, um der Rolle gerecht zu werden, die einer na- tionalen Linken nach Meinung des jeweiligen Wächters über die na- tionale Opposition zukommt. Für die einen muß wieder einmal erst noch theoretisch geklärt werden, wie angesichts der Lage die "Sozialismuskonzeption" eigentlich aussehen soll, wobei aller- dings schon feststeht, daß sie, wie immer, radikal "neu" sein muß, sich die kapitalistischen und nationalen Erfolge zu Herzen nehmen, dem Anspruch einer anständigen Opposition genügen, der Verständigung der Linken dienlich sein und der Opposition Gewicht verleihen - vor allem aber kritische Soziologieprofessoren zu- friedenstellen muß: "Die sozialistische Linke wird der politischen Aufgabenstellung nur gerecht, wenn sie sich kompromißlos eine neue Sozialismuskon- zeption zu eigen macht... Unter der Voraussetzung ...wäre eine produktive Verständigung über Entwicklungsperspektiven und Schranken der kapitalistischen Produktionsweise und damit die Überwindung der politischen Subalternität möglich." (Sozialismus 2/90) "Die Kontroverse um eine marxistische Fundierung kritischer Ge- sellschaftstheorie und einer Theorie der Moderne wird uns noch längere Zeit beschäftigen... Die sozialistische Linke muß folglich an der Aufgabe einer radikaldemokratischen, d.h. auch die Ökonomie einbeziehenden Gesellschaftsreform festhalten... Die sozialistische Linke darf die Sogwirkung des nationalen Syndroms nicht unterschützen." (Sozialismus 6/90) Die gebetsmühlenhaft wiederholte Forderung nach einer solchen theoretischen "Aufarbeitung" und antikritischen "Neuorientierung" ist dann auch schon der ganze Beitrag, den Leute wie Bischoff beizutragen haben - nicht wenig, zugegeben, für das Bedürfnis, sich angesichts der nationalen Erfolge über die Notwendigkeit zu verständigen, als Kritiker in sich zu gehen. Andere machen aus dem eigenen Bedürfnis, mitzuwirken im neuen Deutschland, die Vorschrift, sich die BRD-Ausweitung wie einen selbstständigen Prozeß der Herstellung neuer Lebensbedingungen vorzustellen, um dessen mehr oder weniger soziale Gestaltung "die Linke" mit den eigentlichen Machern des neuen Deutschland ent- schieden zu konkurrieren hätte. Wie und mit welchem alternativen Programm, ist dabei schon egal: "Wir müssen uns als Kollektiv und als Individuen der größten so- zialen Umwälzung in Deutschland seit 45 Jahren stellen. Ob dieser Prozeß allein von der deutschen Bourgeoisie gestaltet wird, ist nicht zuletzt davon abhängig, ob die deutsche Linke risikobewußt, initiativ und offen an den Start gehen wird." (AK 319). usw. usw. Geklärt wird in diesen Diskussionen über die Krise der Linken also gar nichts mehr. Statt daß man sich einigt, was man einzu- wenden hat, und andere darüber aufklärt, damit sie diese Einwände unterstützen, "bezieht" man Position": d.h. man erteilt und ver- langt von anderen methodische Anweisungen bezüglich der Aufgaben für "die Linke" angesichts der Lage und zerstreitet und identifi- ziert sich daran, was man jeweils "der Linken" zur Bewältigung ihrer Krise in ihr Stammbuch schreibt. Die verschiedenen Fraktio- nen entwerfen unentwegt "Plattformen" und "Diskussionsvorschläge", von denen man erst einmal ausgehen könnte, damit man sich auf der Grundlage eines solchen "Minimalkonsens"über "Elemente einer neuen Sozialismuskonzeption" sammeln könne, damit die Diskussion in Gang kommt, wie und über was man mit welcher Perspektive zu diskutieren hätte, wenn man in Deutschland im Lichte einer noch zu erarbeitenden sozialistischen Perspektive noch glaubwürdig Opposition sein will. Während Groß- deutschland seinen Gang geht, halten linke Wortführer diese Dau- erdiskussion in der linken Szene mit passenden Beiträgen in Gang: "Die Zeitschrift Sozialismus setzt sich für einen breiten Ver- ständigungsprozeß der Linken über die gesellschafts- und wirt- schaftspolitischen Perspektiven und Gestaltungsalternativen in den beiden Deutsch-Ländern ein. Mit dem folgenden Beitrag wollen wir einen Denkanstoß zur Diskussion über Eckpunkte eines 'polit- ökonomischen Minimalkonsenses' der Linken geben." (Sozialismus 6/90) Andere tragen mit der Forderung nach einer "Debatte über einen Dritten Weg" bei, der "Linkssein" ermöglichen soll, ohne "unrealistisch" zu sein: "Aber diese Formel muß inhaltlich gefüllt und ausgewiesen werden, das ist die Aufgabe, vor der wir heute stehen." (Deppe Sozialis- mus 2/90) Ehemalige DKPler haben extra ein "Netzwerk sozialistisches Forum" gegründet, um neben allen anderen Gruppen und Organisationen, Zeitschriften und Kongressen noch einmal gesondert die Gelegen- heit für Linke aller Couleur zu bieten, unbeschadet aller Gegen- sätze und garantiert ohne Verbindlichkeit "Inhalt und Identität linker Politik neu zu diskutieren. Wir wol- len uns klar darüber werden, ob sich sozialistische Perspektiven angesichts... erneuern können." (Gründungserklärung) Und auch die Radikalen Linken sind unter der Perspektive angetre- ten: "Es gibt viel zu diskutieren... Die Erfahrungen zeigen, daß heute eine Auseinandersetzung zwi- schen Gruppen und Redaktionen der radikalen Linken möglich ist, die, allen Schwierigkeiten zum Trotz, nach vorne weisen kann. Wir wollen deswegen... einen Kongreß abhalten, eine Generaldebatte über Erfahrungen und Perspektiven linker Politik." (Kongreß- aufruf, in: Die radikale Linke S. 187) Leute wie Fülberth liefern dann "Themen für die Radikale Linke" (S. 95) nach, damit sich die radikalen Linken über deren Diskussion als Radikale Linke definieren können. Dabei sind sie sich längst einig, daß es vor allem auf die richtige Haltung und erst in zweiter Linie darauf ankommt, all die Differenzen "auszudiskutieren", über die man geflissentlich als gleichgültig hinweggesehen hat. Das ist sie also, "die Linke" im alten -------------------------------------- und demnächst auch im neuen Deutschland --------------------------------------- Eine unermüdliche Diskussionsszene, der als "Antwort" auf die "Deutsche Frage" nichts als ihr eigenes altes Problem einfällt, wie man als Linke eine politische Kraft werden könnte und unter welchen Programmpunkten man sich zu sammeln hätte. Teilnehmer und Beobachter einer Perspektivendebatte, die in der eingebildeten Gemeinsamkeit aller Linken die bleibende, endgültige und nie in Zweifel gezogene Berufungsinstanz hat und von der Einigkeit be- flügelt wird, daß "die Linke" mit ihrer Opposition für ein bes- seres Deutschland zu bürgen hat. Das einzige, was die weltpoliti- schen Fortschritte Deutschlands und des Westens bei den Linken in Bewegung gebracht haben, ist diese Debatte. Die Linke bespricht unermüdlich ihre Krise und deren Bewältigung - und hat sie damit auch schon bewältigt. So diskutieren sie zu, wie immer mit sich und der Welt herzlich unzufrieden. zurück