Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...
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Zum Tod von Robert Havemann
BERUF: REGIMEKRITIKER
Deutschlands prominentester Regimekritiker, Prof. Robert Have-
mann, ist tot. Mit ihm hat die Welt einen hochkarätigen, in hi-
storischen Maßstäben denkenden, dialektisch-materialistischen
Philosophen und Naturwissenschaftler verloren. Als Antifaschist
in der DDR zu politischen Ehren gekommen, nutzte er seinen ganzen
Intellekt, um sich im Sog der Entstalinisierungswelle als Erneue-
rer des Marxismus-Leninismus zu profilieren.
I. Ein dialektischer Denker
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Als Naturwissenschaftler (!) war ihm nichts mehr zuwider als "die
Engstirnigkeit unserer früheren, gegen die Theologie gerichteten,
mechanischen Weltvorstellungen", die er überwinden half, um zu
"den tieferen Problemen unserer Wirklichkeit" vorzudringen und
dem Kapitalismus wie dem realen Sozialismus zur moralischen Er-
neuerung zu raten.
Ein "Zeit"phänomen
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Dialektisches Denken "auf - der Höhe der Zeit" bedeutete für ihn
zuallererst, den Begriff der Zeit zurechtzurücken, denn:
"den Begriff der Zeit, unserer eigenen menschlichen Zeit, wie
auch der Zeit der Naturgeschichte, dürfen wir nicht problemlos
hinnehmen."
Studenten, die ihm zuhauf in Berliner Hörsäle nachliefen, rief er
auf, "die Zeit mit mehr Zweifel zu betrachten und ihre Relativi-
tät in jeder Hinsicht mehr zu erfassen". All das war wohlgemerkt
gegen eine "mechanistische Weltvorstellung" gerichtet; Havemann
war für Bewegung, auch und gerade im Denken in zeitlichen und
räumlichen Dimensionen. Der "mechanischen Weltvorstellung des So-
zialismus" attestierte er ein zu kleines Schrittmaß, das mit
"dem Tempo der Entwicklung, das so groß geworden ist, daß man von
einem gewaltigen Siebenmeilenstiefelschritt des Menschen sprechen
kann",
nicht Schritt halte.
Dem Tempo der Zeit stets vorauseilend, wurde er nicht müde, der
Menschheit in zahlreichen Interviews und Statements, um die sich
die westliche Presse riß, ihren baldigen Untergang zu bescheini-
gen. Naturwissenschaftlich formuliert hieß das so: "Die jetzige
Entwicklung gelangt asymptotisch zu einer Unendlichkeitsstelle."
In seinem 1980 erschienenen Buch "Morgen" rechnete er eine
"exponentielle Zunahme der Energieproduktion vor, die sich in
hundert Jahren mehr als vertausendfacht, und von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt wie die Weizenkörner auf dem Schachbrett des Sultans
zunimmt."
Die Beantwortung der Frage "Was können wir tun?" begann für ihn
mit der Frage: "Wer sind wir?" Damit wollte er erreichen, daß
sich die Leser seines Buches zu diesem "wir" zählen. Um dieses
"Wir" zu erreichen, hielt er es mit dem großen chinesischen Phi-
losophen Lao-tse, der schon vor zweieinhalb Jahrtausenden die
Leute das Furchtbare fürchten gelehrt hat:
"Wenn die Leute das Furchtbare nicht fürchten, so naht das große
Fürchterliche."
Robert Havemann hat zwar ein Lehrbuch über Thermodynamik verfaßt
- aber berühmt und beliebt ist er durch die Verbreitung von
W i s s e n nicht geworden. Verehrung ward ihm zuteil, weil
heutzutage k r i t i s c h e Menschen auf nichts so sehr er-
picht sind wie auf die Bestätigung ihrer moralischen Bedenken und
Ängste, ihrer Ahnungen von einem Unheil, das mit den wirklichen
und sehr berechnend in die Wege geleiteten Drangsalen hüben wie
drüben rein gar nichts mehr zu tun hat. Diese Bestätigung hat Ha-
vemann allen über ihre "Perspektiven" philosophierenden "Men-
schen" immerzu geliefert, und er war darin ebenso kompetent wie
berechtigt. K o m p e t e n t, weil eben W i s s e n-
s c h a f t l e r - und b e r e c h t i g t, weil Warnungen
eines O p f e r s bekanntlich der Überprüfung auf ihre
Rationalität enthoben sind. Ihre Einwände gegen das, was noch der
einfältigste Geist als ungemütlich klassifiziert, sind heutzutage
eben dasselbe wie Sozialismus, eigentlich!
Sozialismus ja - DDR nein
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Nie ließ Havemann einen Zweifel daran, daß der Sozialismus allein
in der Lage sei, das Fürchterliche zu verhindern.
"Der reale Sozialismus ist nicht mehr kapitalistisch, aber auch
noch nicht sozialistisch. Aber er ist auf dem Weg zu Sozialismus
und Demokratie, weiter noch - als die bürgerliche Demokratie."
Was dem intellektuellen Vielosophen in der DDR abging, war die
Freiheit. E r hätte sich durchaus arrangieren können mit dem
Regime, dem er dafür Angebote machte, wie es seine innere Stabi-
lität wirksamer durchsetzen könnte:
"Demokratische Kontrolle ist die wichtigste Voraussetzung für
innere Stabilität, aber eben ein Schreckgespenst für Leute, die
sich an ein selbstherrliches Regieren gewöhnt haben."
Wie wohltuend unterscheidet sich doch davon die sozialliberale
Koalition in Bonn. Von ihrer freizügigen und jeder Kontrolle von
unten offenen Herrschaft war der Verfechter einer "neuen, höheren
Form der Einheit, die Togliatti die Einheit der Vielheit genannt
hat", so begeistert, daß er die Grünen als "Spalter" beschimpfte,
die
"möglicherweise 1980 sogar die FDP an der 5%-Hürde scheitern las-
sen und damit den Wahlsieg der Bürgerlichen über die Arbeiterpar-
tei (!) herbeiführen."
Die Maßstäbe, die zu einer solchen Sorge um das Gelingen west-
deutscher Politik unter SPD-Regie führen, sind ganz gewiß nicht
die der, von einer SPD-Politik betroffenen Arbeiterbürger. Sozia-
lismus ist eben eine Sache des Menschen, und ein bekennender So-
zialist im anderen und "besseren" Deutschland weiß immerhin so-
viel von dem imaginären Rechtstitel der Humanität, daß der Mensch
einen Anspruch auf d i e Sorte Herrschaften hat, die gut und
immerzu im Namen der Arbeiter regieren.
Kapitalismus nein - Wertgesetz ja
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Havemann wäre kein dialektischer Denker gewesen, wenn er nicht
auch ökonomisch einiges am realen Sozialismus auszusetzen gehabt
hätte. Zwar ist "Planwirtschaft an sich schon phantastisch" für
ihn, was ihn aber vor allem störte, war, daß in der DDR "die
Preise nicht den Werten entsprechen". Das Politbüro wollte ein-
fach nicht merken, daß "das Wertgesetz erbarmungslos wirkt".
"Alle Preise, Löhne, Gehälter etc. werden durch willkürliche Ent-
scheidungen in ihren Relationen verzerrt, so daß die Planwirt-
schaft manchmal nicht weniger chaotisch als die kapitalistische
Wirtschaft ist."
Offensichtlich wäre es Havemann lieber, wenn Verstöße gegen das
Wertgesetz streng geahndet und mit hohen Strafen belegt würden -
damit endlich Ordnung herrscht auf dem Markt! Besser noch wäre
es, wenn die SED gleich freiwillig aufhören würde, sich dem Dik-
tat des Wertgesetzes entgegenzustemmen und - Kapitalismus wieder
einführen würde:
"Das Wertgesetz verlangt (!), daß der Wert einer Ware und ihr
Preis auf die Dauer nicht voneinander abweichen dürfen. Steigt
die Nachfrage, so steigt der Preis. Steigt der Preis, so stimu-
liert der erzielbare Mehrgewinn die Produktion, wodurch das Ange-
bot steigt und der Preis wieder sinkt."
So kann man, streng vulgärmarxistisch (als ob "das Wertgesetz"
der drahtziehende "big brother" im Hintergrund wäre, der hinter-
rücks die frechen Pieise zur Räson zwänge) zu den gleichen Ergeb-
nissen kommen wie der blödeste Volkswirt von hier: "Angebot und
Nachfrage bestimmen die Preise...", und zu den gleichen blöden
Anwürfen an die DDR, daß sie nicht wie der Kapitalismus funktio-
niert:
"Ein Markt, der keine solchen Rückwirkungen hat, ist überhaupt
kein Markt, sondern nur eine meist schlecht und ungerecht funk-
tionierende Verteilungsstelle von rationierten Waren."
Ökonomisch hält sich also der Kapitalismus genau an das Gesetz,
das nach Havemann der Sozialismus endlich gescheit anwenden
sollte - das Wertgesetz, bloß leider verzehrt sich der Kapitalis-
mus vor lauter Konsum selbst:
"Der Kapitalismus beginnt schon unter den Auswirkungen seiner
Konsumexplosion Erstickungsanfälle zu erleiden."
Bei dieser Darbietung einer sich auch noch auf Marx berufenden
Kapitalismuskritik fragt man sich nur noch, worüber man sich ei-
gentlich am meisten ärgern oder wundern soll. Darüber daß eine
wissenschaftliche Autorität beim Lesen von Marx ihren Geist auf-
gibt? Darüber daß die drüben offizielle, Lesart von Kapitalismus-
Schelte zum tausendsten Male aufgetischt wird, nach der das
K a p i t a l, das doch wahrlich genug anrichtet auf dem Globus,
das nie zuvor gesehene Geschäfte mit mit einem ebenso ansehnli-
chen Aufwand an Gewalt abwickelt, zum U n t e r g a n g verur-
teilt sei? Oder darüber, daß dieser sich selbst bereitete Unter-
gang dem Kapital ausgerechnet aus der Abteilung K o n s u m
drohen soll? Oder einfach darüber, daß allen Philosophen die
Hoffnung und Verzweiflung über imaginäre Tendenzen - Gefahren und
Perspektiven - die theoretische Kritik an dem, was läuft, ebenso
ersetzen, wie den politischen Willen, die Herrschaften, die das
Wertgesetz und anderes verwalten, aus dem Amt zu jagen?
Eine Reise nach Utopia
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Nachdem all seine Mahnungen von den Herrschenden in Ost und West
in den Wind geschlagen wurden - er durfte weiterhin seinen Quark
nur im Westen veröffentlichen, und der Westen konsumiert bis
heute fleißig weiter - versuchte Havemann, ganz Mensch bleibend,
auf eine andere Tour zu überzeugen, "daß geht, was es noch nicht
gibt":
"Der Mensch unterscheidet sich dadurch vom Tier, daß er keines
seiner Werke zustandebringt, wenn er es nicht schon zuvor in fast
allen Details in Gedanken, in seiner Vorstellung, geschaffen
hat."
Damit wir von dem falschen Weg abkommen, der direkt in den Unter-
gang führt, schlug er nicht nur vor, "die Größe der Gefahr, die
uns bedroht, endlich zu begreifen und aufzuhören, den Kopf in den
Sand zu stecken". Viel wichtiger noch wäre:
"Sich eine Welt auszudenken, in der wir leben möchten, jene Welt,
in der alle Menschen einander hilfreiche Brüder und Schwestern
sind."
Einer, dem es darauf ankommt, wird zum Literaten. Und die verrei-
sen nicht einfach, sondern lassen ihre Träume Wirklichkeit wer-
den, wenn sie mit Katja und Tochter Franzisca eine "Reise in das
Land unserer Hoffnungen" unternehmen, die einem aufwärtsbewegen-
den Prinzip folgte:
"Das Prinzip Hoffnung ist das einzige, das die Welt aufwärts be-
wegen kann. Niemals dürfen wir dieses hohe Prinzip des menschli-
chen Seins preisgeben."
Die Erlebnisse, die Havemann in seinem Reisebericht schildert,
reichen von dem Genuß berauschenden Rotweins, der keinen Alkohol
enthält - wie viele andere Genußmittel ein Ergebnis der Forschun-
gen großer wissenschaftlicher Institute in Utopia -, zu Eindrüc-
ken folge den Kalibers:
"Wir mußten die ganze Vergangenheit abstreifen. Es war uns ein
reiner Spaß, und wir froren auch nicht, als wir ganz nackt waren.
Und nun müßt ihr noch in dem See baden. Kommt, wir baden alle ge-
meinsam... Das Wasser im See war gar nicht kalt, nur erfrischend.
Wir fühlten, daß etwas von uns abgewaschen wurde, das uns verun-
reinigt hatte, ohne daß wir es vorher bemerkt hatten, Dann be-
stiegen wir unsere sechs Eselchen, die langsam und vorsichtig
Schritt für Schritt den schmalen Bergpfad hinabtrabten..."
Für alle, die den ewig Mißverstandenen auch jetzt wieder geschän-
det sehen, ein Trost: "die Utopie ist eine Form der kritischen
Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben", und das Leben
geht weiter - auch ohne Havemann. Der wußte, daß er durch seinen
Charakter als winziges Teilchen eines gewaltigen Ganzen der Ewig-
keit eben t e i l h a f t i g wird:
"Unser Leben ist nicht nur ein Augenblick, ein Blitzlicht im Ab-
lauf der Zeiten, es ist Bestandteil des durchgehenden Prozesses
der Entwicklung des Menschlichen, Das ist - materialistisch gese-
hen - die Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die Unsterb-
lichkeit des Menschlichen."
Das ist - einmal überhaupt ganz nüchtern besehen - Religion der
banalsten Sorte mit dem Etikett "Materialismus, eigentlicher"
versehen und den bürgerlichen Seelen zum Kaufe angeboten!
II. Leiter eines Dissidenten-Salons
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Auf die Wucht seiner Gedanken läßt sich sicher nicht zurückfüh-
ren, daß der Professor zu einer nationalen Größe geworden ist.
Auch wenn seinen Parteigängern im Westen das philosophisch-theo-
logische Humanitätsgefasele gefallen hat - es handelt sich dabei
schließlich um ein Sammelsurium von vertrauten und ewig unerfüll-
ten Weltverbesserungsgedanken -, um der Bestätigung der eigenen
reaktionären überzeugungen allein willen wäre Havemann nie zur
Symbolfigur für den fortschrittlichen Menschheitsquark in Ost und
West geworden.
An einer irgendwie gearteten kritischen oder aufwieglerischen
Substanz seiner Gedanken lag es gewiß nicht, daß Havemann in den
Ruf des k r i t i s c h e n Marxisten gekommen ist.
Karriere als Verfolgter
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Die besondere Verehrung, die dem hochdekorierten Ex-Genossen der
50er Jahre (vaterländischer Verdienstorden in Silber, National-
preis zweiter Klasse) zuteil wurde, entsprang allein dem Umstand,
daß er als anerkannter Marxist den Fortschritt des Sozialismus im
realen Sozialismus verhindert sah, die sozialistischen Verhält-
nisse im Sozialismus kritisierte und d r ü b e n mit Repressa-
lien belegt wurde: Auch wenn die SED zunehmend mißtrauisch gegen
eine solcherart kosmologisch vorgetragene Menschlichkeit wurde,
Havemann seiner Professur enthob und ihn unter Hausarrest
stellte, die westlichen Medien hatten von da an Interesse und
Verständnis für seine Gedanken in historischen Maßstäben. Der
Grundstein für das lebendige Mahnmal gegen die Zustände drüben
war gelegt. Seiner Rolle als menschlicher Edelhäftling des Sozia-
lismus blieb er treu bis an sein leibliches Ende. Dabei war er
mit seiner Rolle mehr als zufrieden; niemals wollte er, trotz al-
ler Repressionen, die er erlitt, die DDR freiwillig verlassen. -
Nicht im Traum dachte er, hier durchaus Gespür für Realität ent-
wickelnd, daran, seine Karriere aufzugeben, um im Westen in der
Versenkung zu verschwinden, an Ansehen zu verlieren und von dort
aus, wie es etwa seinem Freund Biermann widerfahren ist, "wie ein
Wauwau die DDR anzubellen".
"Ich bin wirklich nicht isoliert. Was das öffentliche Ansehen an-
betrifft, ich meine, meine Resonanz, die ich in der Bevölkerung
habe, so war die nie besser als heute."
Und schon gar nicht dachte er jemals daran, die Dissidenten-Le-
bensfrage nach dem "besseren" deutschen "System" hüben oder drü-
ben aufzugeben. Seine Karriere beruhte zu keiner Zeit auf dem,
was er zu sagen hatte, sondern darauf, daß sich Leute im Westen
dafür interessierten, wenn er als Havemann sich äußerte. Es gibt
kein Interview, keinen Fernsehbericht über ihn, in dem nicht min-
destens ein Drittel der akribischen Darstellung gewidmet ist, un-
ter welch schwierigen Umständen das Interview, der Bericht zu-
standekam. Die "diskret" sich im Hintergrund haltenden Männer des
StaSi, die Limousine, die hinter Havemann herfährt, müssen bis
zum Erbrechen dafür herhalten, daß am Ende die Frage steht, auf
die es ankommt: "Herr Havemann, wie halten Sie das nur aus? Den-
ken Sie nie daran, die DDR zu verlassen?"
Marxist zwischen Ost und West
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Für antikommunistische Hetze gegen die DDR wollte Havemann sich
nie benutzen lassen. Abgesehen davon, daß gerade dieser Anspruch
von westlichen Antikommunisten durchaus honoriert zu werden
pflegt, - entbehrt doch ein Zeuge gegen die DDR, der erklärterma-
ßen Marxist ist, nicht eines gewissen Reizes -, der eigentliche
Knüller dieser Position besteht darin, daß damit den westdeut-
schen L i n k e n die Möglichkeit gegeben wurde, gegen die DDR
zu sein, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Die westdeutsche Linke,
die sich von dem Vorwurf "Geh doch nach drüben" stets treffen
ließ, fand in Havemann einen der ihren, der diesem Vorwurf durch
sein Leben in der DDR vermeintlich die Spitze nahm. Unter der
Schirmherrschaft Havemanns entfaltete sich so der linke; sich mo-
ralisch berechtigt und berufen dünkende Antikommunismus. Die kri-
tischen Intellektuellen in der BRD bauten sich in ihm das Symbol
für ihr Ideal einer besseren gesamtdeutschen Nation auf.
Havemann brauchte zu alledem nur eines zu tun - zu bleiben wie er
war, und vor allem w o er war. In seinem Dissidentensalon ging
alles, was im linken Spektrum prominent war, ein und aus. Es gab
aber auch Stammgäste, allen voran Wolf Biermann, der vor jedem
Dialog mit dem Meister erst einmal die Klampf'n anschlug und der
der Öffentlichkeit die peinliche Szene nicht ersparte, dies auch
noch an Roberts Sterbebett zu wiederholen. So konnte dieser Mär-
tyrer der Humanität von jedem benutzt werden, der sich freiwillig
mit dem Fingerzeig auf drüben zum Hansdampf der Herrschaft hier-
zulande machen wollte. Und das ist das Ärgerliche an einem deut-
schen Freigeist, der ansonsten nicht mehr geleistet hat, als die
allernormalste und dümmste Standardmischung aus ein bißchen Sinn-
und Menschheitsphrasen, ein bißchen Fortschrittsträumen und ein
bißchen humaner Sozialismus zu produzieren. Als lebendes Mahnmal
war er berühmt und geschätzt, als totes wird wohl bald nur noch
Biermanns Liedgut sein "Andenken" wahren.
Quellen:
Havemann, R.: Dialektik ohne Dogma?, Hamburg, Juni 1964
Havemann, R.: Berliner Schriften, West-Berlin, August 1977
Havemann, R.: Morgen, München 1980
Interview mit Robert Havemann, in: "Spiegel" Nr. 23, 5. Juni 1978
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