Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...
zurück André Gorz, Abschied vom ProletariatPROLETARIAT ADIEU - GELOBT SEI DIE FREIHEIT!
Andre Gorz, der "Pariser Theoretiker", der "mit der Schreibma- schine ein Architekt des Pariser Mai" war (Spiegel), hatte sei- nerzeit seinen Hang zur Arbeiterklasse aufgrund der Erwägung ent- deckt, sein "literarischer Protest" müsse "von einer Klasse ge- tragen werden, die revolutionär ist": "Wenn eine solche Klasse nicht existiert oder... ihre revolutionäre Berufung eingebüßt hat", bleibe ihm "nichts anderes übrig als zu schweigen". Er hat es sich inzwischen anders überlegt und seinem "Abschied vom Pro- letariat" beredtesten Ausdruck in Form eines Buches gegeben, das laut Klappentext sogar einen "politischen Eingriff im genauen Sinne des Wortes" darstellen soll. Und tatsächlich haben ihn die Erwartungen, auch ohne die Arbeiterklasse Gehör zu finden, nicht getrogen: das Buch ist "in studentischen Seminaren zu einem Kult- buch ausgerufen worden." (Spiegel) Der Verzicht auf die Träger- dienste des Proletariats für seinen "literarischen Protest" geht damit voll in Ordnung; der Verlust, der der Arbeiterklasse mit seinem Abschied entstanden ist, auch. Kapitalismus widerlegt "traditionelle Zukunftshoffnung" ------------------------------------------------------- "Die Entwicklung der Produktivkräfte ist funktional allein für die Logik und die Bedürfnisse des Kapitalismus. Weit davon ent- fernt, die materielle Basis des Sozialismus zu schaffen, behin- dert sie ihn." (9) "Die Logik des Kapitals hat uns an die Schwelle der Befreiung ge- führt." (68) Was die "Logik des Kapitals" nicht alles auf ihren Buckel nehmen kann - genug offenbar, daß Gorz auch bei seinem Begräbnis des Marxismus nicht auf ihre Mitwirkung verzichten will. Allerdings kann man jene Logik unter der Fragestellung, wie Gorz sie dem Marxismus aufmacht, auch in der Tat drehen und wenden, wie man will: zur Debatte steht ja schließlich nicht, worin sie denn nun bestehe, sondern die H o f f n u n g e n, die Gorz in sie set- zen bzw. nicht mehr setzen will: Wohin f ü h r t der Kapitalis- mus? Verhindert oder ermöglicht er seine Abschaffung? Gorz will dem Marxismus also als einer "Zukunftshoffnung" an den Karren fahren, und so gesehen haben all die liebgewonnenen Kalauer aus dem linken Gedankengut, die er bis zum Überdruß ausschlachtet, prinzipiell ihre zwei nützlichen Seiten: 1. Da der Kapitalismus nach wie vor besteht, widerlegen sie die "traditionelle Zukunfts- hoffnung". 2. Da ein Kapitalismus, der n i c h t zu den schön- sten Hoffnungen berechtigt, für einen modernen Linken wie Gorz erst recht ein unerträglicher Gedanke ist, rechtfertigen sie des- sen eigene Perspektive. Entsprechend dieser Logik hat das Buch zwei Teile: Im ersten v e r a b s c h i e d e t sich der Autor vom Proletariat als dem "historischen Subjekt" "traditioneller" Deutung; im zweiten b e g r ü ß t er es als Träger seiner eigenen Erwartungen - als "N e o proletariat", versteht sich. Dabei kommen alle Momente der Gorz'schen Lagebeurteilung des gegenwärtigen Kapitalismus doppelt vor: Als Beleg einmal der Unmöglichkeit seiner Abschaffung, das andere mal einer sich unabweisbar anbahnenden "Befreiung". So läßt sich aus dem Machwerk schon immanent erschließen, daß das intellektuelle Interesse, das es gefunden hat, mit der Stichhal- tigkeit der von Gorz vorgetragenen A r g u m e n t e das alle wenigste zu tun haben kann - wer sich bei jeder diesbezüglichen Idiotie an den Kopf fassen würde, wäre dessen schnell überdrüs- sig. Was dem Buch Popularität eingebracht hat, kann folglich nur noch das sein, was in der Überschrift steht: Ein Klassiker der "Neuen Linken" widerruft die gewisse geistige Verbundenheit mit dem Klassenkampf, die er vormals hegte. "Das Proletariat nach St. Marx": Halbgott in Blau ------------------------------------------------- "Die Krise (des Proletariats) betrifft weit mehr einen Mythos und eine Ideologie als die reale Arbeiterklasse. Mehr als ein Jahr- hundert hat die Idee des Proletariats dessen Irrealität zu ver- bergen vermocht." (62) Daß Gorzens Nachruf auf's Proletariat mit dessen Angelegenheiten nicht das Geringste zu tun hat, ja daß es von seiner "Krise" kaum überhaupt etwas erfahren wird, ist sicherlich wahr. Daß die Ar- beiterklasse jedoch deswegen gleich "irreal" sein soll, folgt daraus keineswegs; dies letztere scheint vielmehr auf's Konto der Gorz'schen Lust zu gehen, seine öffentliche Selbstkritik zu einem veritablen B e k e h r u n g s e r e i g n i s auszugestalten. Als sei es darauf berechnet, daß gerade solche Veranstaltungen gerne gesehen sind, rechnet Gorz mit seinem vormaligen Interesse am Proletariat als einem G ö t z e n k u l t ab, wobei er alles daransetzt, die Arbeiterklasse erst noch so recht zu dem Mythos herzurichten, als den er sie begraben will. Was sich Marx von der Revolution versprochen haben soll, sei eine "promethische Selbst- bekundung des Gesamtarbeiters als Urheber der Welt und seiner selbst"; die Behauptung der Notwendigkeit einer Revolution ver- danke sich also nichts anderem als dem Wunsch der Marxisten, das Proletariat möge durch seine Apotheose dem eigenen Proletkult Ge- nugtuung bieten: "Die Proletarisierung sollte (!) besondere und beschränkte Produ- zenten durch die Klasse der a l l g e m e i n e n P r o d u z e n t e n ersetzen, die sich unmittelbar ihrer Macht über die ganze Welt, ihrer Macht zu produzieren; die Welt und den Menschen neu zu erschaffen, bewußt wäre. Kurz, bei den Proleta- riern sollte äußerste objektlose Ohnmacht eine virtuelle Allmacht begründen." (18) An Konvertiten wie Gorz kommt besonders anschaulich zutage, was der Marxismus für solche Leute immer schon war. Einen Grund für die Proleten, das Kapitalverhättnis abzuschaffen, konnte Gorz bei seinen umfangreichen Marxstudien offenbar noch nie entdecken, ge- schweige denn einen für sich selbst. Dafür mochte er sich für das Proletariät umso mehr erwärmen: Als ein "allgemeines Subjekt", welches den "Sinn der Geschichte" zur Anschauung und Vollendung bringen solle, indem es einer "allgemeinen Macht" zum Durchbruch verhilft: der Macht der Arbeit! Aus der Marxschen Aussage, daß die "allgemeine Arbeit" eine einzige Rücksichtslosigkeit gegen den Arbeiter darstellt, schöpft Gorz Begeisterung für die "allgemeine Arbeit" - die "Negation" des Arbeiters möge sich "zum Positiven wenden"! Wo Marx darauf hinweist, daß der Arbeiter nichts anderes zu verlieren hat als die Not, sich dafür hergeben zu müssen, erblickt Gorz in dessen "Macht zu produzieren" seine "Macht über die ganze Welt"! Dies alles freilich nur "virtuell": Schließlich legen die Proleten von all ihren schönen Potenzen ja keine an den Tag - außer, daß sie arbeiten. Gorz, der ja den Marxismus w i d e r l e g e n will, tut dies, indem er den absurden Gedanken, die Arbeiterklasse sei die M ö g l i c h k e i t, s i c h i n s G e g e n t e i l z u ü b e r s t e i g e r n, eben umdreht: In Wirklichkeit ist die Arbeiterklasse doch nur das Gegenteil ihrer gegenteiligen Mög- lichkeit - also mit dem Verweis darauf, daß die Proleten nicht ihr Ideal sind, seinen Realismus in Szene setzt. Auch dabei kommt ihm Marx gerade recht. In Umkehrung eines zu Hochzeiten des Gorz und Konsorten beliebten Verfahrens, den Marxismus dadurch für sich zu gewinnen, daß man den "frühen" Marx gegen den Verfasser des "Kapital" ins rechte philosophische Licht rückt, wird Marx jetzt an seiner eigenen Widerlegung so beteiligt, daß der "ökonomische" gegen den "philosophischen" gekehrt wird: "In den Fakten stützt nichts diesen Gedanken zu der Zeit, als er ihn formuliert... Und Marx selbst beschreibt im Kapital die Ar- beit in den Manufakturen sowie in den sogenannten automatischen Fabriken als Verkrüppelung der geistigen und körperlichen Fähig- keiten der Arbeiter. ... Kurzum, das genaue Gegenteil des idealen Proletariers, der sich die Totalität von Produktivkräften unter- wirft..." (20) All die schönen Hoffnungen, die Gorz aus der Tatsache bezogen hatte, daß die Arbeit des Proletariers Mittel des Kapitals ist, weichen nun der enttäuschten Feststellung, daß sie Mittel des Ka- pitals ist. Und welche Sorte Realismus solch enttäuschter Idea- lismus hervorbringt, dokumentiert Gorz mit der perversen Schluß- folgervng, daß w e i l dies so ist, die Proleten auch gar nichts dagegen unternehmen k ö n n e n: "Die Klasse, die kollektiv die Gesamtheit der Produktivkräfte entwickelt und anwendet, ist außerstande, sich diese Gesamtheit anzueignen, sie ihren eigenen Zielen unterzuordnen und sie als Gesamtheit ihrer eigenen Mittel zu begreifen. ... Der Grund dafür ist, daß der Gesamtarbeiter, von der kapitalistischen Arbeitstei- lung strukturiert und den inneren Erfordernissen der von ihm be- dienten Maschinerie angepaßt, selbst nach Art eines Mechanismus funktioniert." (22) "Tod und Wiederauferstehung des historischen Subjekts" ------------------------------------------------------ Da das Proletariat das Pech hat, seit 150 Jahren durch seine be- ruflichen Verpflichtungen daran gehindert zu sein, das Gorzsche Traumbild zu begeistern, indem es sich als entfesselte Charakter- maske des Kapitals aufführt, um so der "Arbeit" die "historische Chance" zu geben, "sich selbst zu entsprechen" - da es sich also mit der ihm zugedachten Gesamtarbeiter-Rolle nicht "identifi- zieren" will, muß es sich von Gorz sagen lassen, daß überhaupt nichts mit ihm los sei. Was sollte es auch für einen Arbeiter schon für einen Beweggrund geben, etwas zu unternehmen, als eine Sehnsucht nach noch erfüllenderer, noch kollektiverer und noch gesamterer Gesamtarbeit?! Immerhin ist Gorz für seinen Teil so konsequent, offen auszusprechen, daß ein Prolet, der nicht in seiner Bestimmung zur Arbeit Erfüllung genug findet, um für d i e s e auf die Barrikaden zu steigen, in seinen Augen eigentlich schon gar kein S u b j e k t mehr ist, sondern "Mechanismus", "Kopie des Kapitals" und was nicht noch alles mehr an seelenlosen Wesenheiten. Seine bewegte Klage über "Passivität" und mangelnde Arbeitsmoral ("Am Wochenende ist Zahltag, nichts anderes zählt mehr..."; "Da ist der prompte Arbeitsschluß, auch wenn dabei etwas zu Bruch geht.") reißt ihn schließlich bis zu der Behauptung hin, die Ar- beiter täten nicht nur nichts, sondern nicht einmal das, wozu sie da sind - ihre Arbeit: "Der Trick ist gelungen: Die Arbeit befindet sich außerhalb des A r b e i t e r s, sie ist ein anorganischer Prozeß geworden. Der Arbeiter wohnt der Arbeit bei, die s i c h m a c h t, er macht s i e nicht mehr." (30) "Arbeit ist nicht mehr eine dem Arbeiter eigentümliche Tätig- keit." (62) Siehe da: So locker geht es also zu, wenn sich das Kapital die Arbeit einverleibt! So mündet die aufwendige Beschwörung des Mol- ochs Produktion, derzufolge der Prolet nichts anders sei als ein willenloses Rädchen im Getriebe der Produktivkräfte, in das idyl- lische Resultat, die Arbeit erledige sich heutzutage doch ganz nebenbei. Und bei diesem Quidproquo handelt es sich nicht bloß um einen Knieschuß kleineren Kalibers, sondern um den Ausgangspunkt der erfreulichen Perspektive, die Gorz seinem Abgesang an die "marxistische Zukunftshoffnung" schließlich doch abgewinnen will: So wie es dem Proletariat einerseits ganz und gar unmöglich sei, sich der Herrschaft des Kapitals zu widersetzen, ergebe sich doch andererseits die Befreiung von der Herrschaft des Kapitals ganz von selbst, indem dieses selbst das Arbeitsvolk zunehmend aus seiner Gewalt entläßt! Gorz will nämlich ganz im Stile der Ver- künder einer "Freizeitgesellschaft" - eine fortschreitende "Marginalisierung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit" ent- deckt haben, in deren Verlauf eine zunehmende "Ausgrenzung der gesellschaftlichen Produzenten" vonstatten gehe. Ausgerechnet aus der Arbeitslosenstatistik liest er eine fort- schreitende Befreiung vom Zwang der Arbeit und gerät ins Schwär- men über ein buntes Heer von fröhlichfreien Gelegenheitsjobbern, das "der Entwicklung der Produktion wie einem Schauspiel bei- wohnt", indem es "als Aushilfe im Sommer bei der Post unter- schlüpft (!), im Herbst bei der Weinlese, als Verkäufer im Dezem- ber, als angelernter Arbeiter im Frühjahr die nötigen Groschen verdient" (65), und sich ansonsten - vermutlich zwischen Herbst und Winter - "ohne objektive soziale Bedeutung und aus der Ge- sellschaft ausgebürgert ", einer "ziemlich uneingeschränkten Ent- faltung der individuellen Existenz" (67) hingibt. "Neopro- letariat", was- begehrst du mehr! Da ist es doch schon, das "Reich der Freihheit", von dem bereits Marx orakelte, dabei jedoch so verbiestert war anzunehmen, dieses g e g e n das Ka- pital erwirken zu müssen. N e b e n den Zwängen der Arbeits- welt, in all den kleinen "autonomen Nischen", floriert er doch schon der Kommunismus: der "Kommunismus als Auslöschung der poli- tischen Ökonomie und als Reichtumsbemessung nicht in Mengenbe- griffen des Tauschwerts, sondern in selbstbestimmten Glücksmög- lichkeiten" (81). Womit denn alles, was nicht unmittelbar Maloche ist, zu lauter "Gründungsakten der Freiheit" avanciert: "der Ge- müsegarten, die Hobbywerkstatt, das Segelboot (ein Gummiboot tut's sicher auch!), Musik, Gastronomie, Sport" bis hin zum "immer häufigeren Aufgaben- und Rollenwechsel in der engeren und weiteren Familie". Aber nicht nur das - auch die Maloche selbst, locker genommen und maßvoll in ihrem "banalen" Charakter genos- sen, trägt zu alledem die schönste Abwechslung bei: indem sie "jedermann erlaubt (!), aus dem engen Raum der Gemeinschaft her- auszutreten", ist sie die beste Medizin gegen "Verarmung durch Entropie und Erstickung". Schließlich gilt: "Niemand" (außer Gorz) "kann zwölf Stunden am Tage oder dreihun- dert Tage im Jahr kreativ sein." (94) "Heteronome Arbeit im Dienste autonomer Aktivität." --------------------------------------------------- Der Freiheit zuliebe - Ja zur Herrschaft! ----------------------------------------- Durch das Guckloch der autonomen Separees betrachtet, in denen Gorzens illustre "Nicht-Gesellschaft" mit "Gründungsakten der Freiheit" zugange ist (- deren Gelingen hängt übrigens von der "Dichte (?) der konvivialen Mittel ab, die den Individuen zur freien Verfügung stehen"! -), macht sich die Welt der Zwänge schon viel versöhnlicher aus. Ja, ist es nicht so, daß der "Bereich der Autonomie" nach einem "Bereich der Heteronomie" als seinem Komplement geradezu verlangt? "Befreiung kann nicht darin bestehen, die sozial determinierte (!) Arbeit zu beseitigen... Sie besteht vielmehr in der Anerken- nung notwendig heteronomer Aufgaben." (94) Na freilich: Die höchste Form der Freiheit war es schon immer, seine Pflichten auf sich zu nehmen! Die Verkünder solcher Sprüche haben in Gorz einen intellektuell-dümmlichen Nachbeter gefunden, der sich auch noch einbildet, damit das "Konzept einer neuen Ge- sellschaft" gefunden zu haben. In der Tat ist es eine reife in- tellektuelle Leistung, sub verbo "Reich der Notwendigkeit" über Kapital und Staat so daherzureden, als hätte man sie soeben e r f u n d e n, um damit einem "Reich der Freiheit" zur Exi- stenz zu verhelfen: "Die Trennung der Notwendigkeits- und Autonomiebereiche, die Ob- jektivierung der (!) Gesetzmäßigkeiten der (!) sozialen Funkti- onsweise (!) in Gesetze, Verbote, Verpflichtungen, kurz, die Exi- stenz eines von der Gewohnheit verschiedenen Rechts, eines von der Gesellschaft verschiedenen Staats, sind die unerläßlichen Be- dingungen dafür, daß eine Sphäre sich herausbilden kann, in der die Autonomie der Personen, die Freiheit ihrer Assoziation und Kooperation Geltung haben - mit spezifischen (!) Zielen." (101) Und die ganze Dümmlichkeit dieses autonomen Klugscheißers schlägt einem entgegen, wenn er zur Veranschaulichung seiner Entdeckung stolz die frommen Abgeschmacktheiten aus dem Sozialkundeunter- richt hinausposaunt: "Der Staat als Ort, an dem das Recht formuliert wird und die ma- teriellen Erfordernisse des gesellschaftlichen Funktionsprozesses in objektive, allgemein anwendbare, gekannte Vorschriften über- tragen werden, entlastet die zivile Gesellschaft ebenso wie die Individuen von zahlreichen Aufgaben, die sie nicht ohne Schaden für die sozialen und individuellen Beziehungen zu erfüllen ver- möchten. So befreien uns Geld und Preissystem vom Feilschen (!!) und von wechselseitigem Mißtrauen... Die Polizei erspart jedem, sein eigener 'Bulle' zu sein; die Verkehrsordnung macht es über- flüssig, an jeder Kreuzung mit anderen Verkehrsteilnehmern zu verhandeln." (102) Vorschriften müssen sein, denn 1. ist man ja schließlich nicht allein auf der Welt, sondern lebt in einer Gesellschaft, und 2. würde man, wenn es sie nicht gäbe, gar nicht wissen, an welche Vorschriften man sich halten muß. Somit ist es ein großes Glück, wenn es doch glatt auch noch jemanden gibt, der sich die Mühe macht, einem die Vorschriften zu machen, denn sonst müßte man sie ja selbst machen - und dabei kämen nie Vorschriften raus. Und dann könnte ja jeder daherkommen und einem Vorschriften machen: "Nichts anderes als die Objektivierung der Gesamtheit der dem Einzelnen äußerlichen und allen gemeinsamen Verpflichtungen schützt die Gemeinschaftsmitglieder vor der persönlichen Macht der Führer, vor der Erpressung durch Liebe und Liebesentzug, vor Willkür." (ebd.) Daß ein Sykophant des modernen Staatswesens sofort auf den Fa- schismus kommt, um die herrschende Gewalt demgegenüber als die sauberere Lösung zu propagieren, ist man ja gewohnt. Aber um auf die Idee zu kommen, den Faschismus als ein mißratenes Liebesver- hältnis zu verwerfen, mußte Gorz schon seine ganze psychophiloso- phische Phantasie bemühen. Bei seiner Auspinselung der irratio- nellen Herrschaft, als die ihm der Faschismus gegenüber der bestebenden Staatsgewalt erscheinen will, zu einer "dauernden Kommunion" zwischen dem Volk und dem "geliebten Führer", reichen ihm die vorhandenen psychologisierenden Ideologien noch nicht. Er beliebt, die "Sehnsucht" nach einem "höchsten Retter", den er selbst mit allen Zeichen der Bewunderung versieht - "Der Faschismus ist eine 'mannhafte' Kulturrevolution... Macht der Stärksten und Fähigsten... Die Macht des Führers ist die auf der Bevollmächtigung durch alle beruhende Macht." (52 f.) - ausgerechnet da am Werke zu sehen, wo jemand die Herrschaft mit eigenen Ansprüchen konfrontiert: "...verlangen die Massen insgeheim nach einem Souverän, den sie zur Verantwortung ziehen, dem sie ihre Forderungen und Bitten un- terbreiten können: 'De Gaulle, gib uns Moneten. Pompidou, gib uns Moneten. Die Unternehmer können blechen. Barre, wir haben die Nase voll.' Man sieht die Falle. ... Wenn die Massen weder über praktische noch über theoretische Mittel verfügen, das Herrschaftssystem als unrechtmäßig und unerträglich anzugreifen, kann die Zuflucht zur persönlichen Macht als wünschenswerter Ausweg erscheinen. Allein dadurch, daß der Führer erklärt: 'Ich will, ich beschließe, ich verkünde', befreit er das Volk aus serieller Ohnmacht." (51) Gorz verfügt durchaus über die "theoretischen Mittel", seiner Parteigängerschaft für die Staatsgewalt Ausdruck zu geben: näm- lich die politologische Entgegensetzung von "personaler und funk- tionaler Macht". Während die erstere - ausgerechnet der Faschis- mus, der nämlich den Staat "b e s e i t i g t" haben soll! - durch nichts anderes als die "persönliche Autorität" des Machtha- bers die Untergebenen an sich binde, zeichne sich der bestehende "Herrschafts a p p a r a t" als monströses "funktionales Mittel technischer Imperative" aus, in dem keine Person Macht habe! Seine Auseinanderlegung von Macht h a b e r und Macht- m i t t e l in zwei alternative Herrschaftsformen ist die Alternative, die er der Gesellschaft aufmacht. Gorz für seinen Teil hat sich schon entschieden: Für den Staat, so wie es ihn gibt. Warum eigentlich, wo doch die "personale Macht" des Fa- schismus seiner eigenen Ausmalung zufolge eine viel menschlichere Note aufweist? "Jede Gesellschaft, die den Staat als eine spezifische, von ihr unterschiedene Instanz beseitigt, beraubt sich zugleich der Mög- lichkeit, die materiellen Fundamente (?) ihres Funktionierens zu kritisieren. Sie ist unerbittlich der 'Liebespflicht' unterwor- fen." (100) Ach so: gleich verpflichtet sein will er nicht, die Macht zu lie- ben! zurück