Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION LINKE - Vom langen Marsch...
zurück Die BRD-Linken - von einer Hypothek entlastet, zwischen Hoffen und BangenWIR SCHÄTZEN GORBATSCHOW EIN!
"Michael Gorbatschows neues Denken und Handeln an der Spitze der KPDSU hat die politische Lage weltweit verändert. Ein Alptraum ist gewichen. Der weltgeschichtliche Horizont des Sozialismus hat sich neu geöffnet. Eine Gegenwart gewinnt ihre Zukunft mitsamt ihrer Vergangenheit." (W.F. Haug, Das Argument, 170/1988, S. 491) Westdeutsche Linke, organisiert und unorganisiert, richten ihr Augenmerk auf die Vorgänge in der Sowjetunion und fragen: Was be- deuten Glasnost und Perestroika für uns als Linke? Fördert Gor- batschow unsere Glaubwürdigkeit? Ist mit den Moskauer Reformen der Genosse Trend wieder auf die Fortschrittsseite gewechselt? Oder geht "der" Sozialismus vor seinem westlichen Systemfeind in die Knie? Und wenn, ist das eher günstig oder ungünstig, oder was? Da heißt es e i n s c h ä t z e n; irgend etwas muß Gor- batschow einfach für uns zu bedeuten haben! Nicht zugelassen ist die Antwort: gar nichts! Daß die sowjeti- schen Reformen offensichtlich nicht den linken Warentestern aus der BRD zuliebe veranlaßt wurden und auch nicht ausgerechnet, um diese zu ärgern oder zu schädigen, zählt nicht als Einwand. Wich- tig ist, was in der Sowjetunion passiert, für die westliche Linke auf jeden Fall, wenn sie es nur konsequent auf sich bezieht. So behält der damals schon falsche Spruch des alten KPD-Chefs Thäl- mann Gültigkeit: "An der Stellung zur Sowjetunion beweist sich der Kommunist." - freilich auf eine ganz verquere, gegen den al- ten Sinn genau umgekehrte Weise. Ganz früher nämlich, zur Zeit Thälmanns vor dem 2. Weltkrieg, war die Linke revolutionär gesonnen und die Sowjetunion ein Vorbild. Auf die Beweiskraft einer realisierten Utopie haben die Kommuni- sten damals schon sehr gesetzt, mehr jedenfalls als auf ihre Ein- wände gegen die kapitalistische Weise des Produzierens und auf ihre Erklärungen der schlechten Erfahrungen der Massen. Das kommt davon, daß diese Revisionisten auch damals nicht Revolutionäre, sondern r e v o l u t i o n ä r e P o l i t i k e r sein woll- ten: alternative Volksbeglücker, die vor den Massen das Angebot der verfügbaren Herrschafts- und Produktionsweisen ausbreiten und wie per Katalog nachweisen wollten, daß es bessere als die hier übliche gibt. Nicht als Leute, die sich nicht mehr, sondern als solche, die sich b e s s e r r e g i e r e n lassen wollten, haben die alten Kommunisten ihre Adressaten angesprochen. Für solche zweifelnden Opportunisten der Macht war ihr Beweis ge- dacht: Schaut nach Osten, e s g e h t! Die gute Sache ist mög- lich, ihr könnt uns glauben, könnt uns also ranlassen, also dran- bringen! Revolution, das heißt nicht, wir regeln ab sofort selbst, was nötig und nützlich ist, sondern: wir lassen uns von den Richtigen kommandieren. Das aber ist lange her. Nur die DKP steht in Treue fest zur UdSSR; sie setzt die Tradition der alten KPD konsequent fort, in- dem sie die Kritik des Kapitalismus mit der Werbung für den So- zialismus und diese mit dem Deuten auf das Vorbild Sowjetunion verwechselt. Sie folgt nach wie vor getreu allen Moskauer Rich- tungswechseln, und seit man dort mit Selbstkritik Vertrauen zu schaffen sucht, tut sie es auch. Nach dem Krieg und einer zwanzigjährigen "Restaurationsperiode" entstand in der BRD eine N e u e L i n k e, deren erstes Er- kennungsmerkmal eine Verbeugung vor der antikommunistischen Aus- richtung der Adenauer-Republik war: Dem Verdacht, Fünfte Kolonne Moskaus zu sein, wollte man sich bei der Werbung um Sympathien nicht aussetzen und gab sich alle Mühe, den gut deutschen Haß auf den sowjetischen Feind, der sich auf alles Linke ausdehnte, von sich abzulenken. Getreu der Logik des alternativen Politikers, der gerne aufs Vorbild verweist, hielten sie die Sowjetunion, die von den Westdeutschen so abgrundtief gehaßt wurde, für ein s c h l e c h t e s V o r b i l d und führten die eigenen Schwierigkeiten, Anhänger zu gewinnen, auf den sowjetischen V e r r a t a m S o z i a l i s m u s zurück, nach dem die Massen ansonsten lechzen würden. Mehrere Parteien entstanden aus der Wahl diverser, weitaus heller leuchtender Vorposten des So- zialismus, mittels derer man die Massen endgültig auf die aufge- hende Sonne einer neuen Zeit stoßen wollte: erst war Maos China Favorit, dann das kleine Albanien. Daß "links" etwas gut Gemein- tes sei, bewies sich an der Distanzierung von der UdSSR, die so als schlechtes Vorbild und Hypothek für linkes Werben der ent- scheidende Bezugspunkt blieb. An den Maßstäben von Demokratie und Menschenrecht haben die westlichen Sozialisten die UdSSR verur- teilt und sich vor ihrem Publikum ausgewiesen: als die glaubwür- digsten Zeugen des Antikommunismus und berufenen Kritiker der So- wjetunion, denen keine vordergründige NATO-Parteilichkeit nachge- sagt werden konnte. Ihre antikommunistische Propaganda-Technik haben, wenn sonst nie- mand, wenigstens diese kommunistischen Parteigründer selber ge- glaubt: Nachdem sich die Massen auch von den allerleuchtendsten sozialistischen Real-Utopien nicht locken ließen, haben diese Po- litiker, die das Mandat des Volkes zu verbesserter politischer Führung anstrebten, der Revolution abgeschworen, um dem Volk nä- her zu sein, dem sie dienen wollten. Bis auf versprengte Reste gibt es den Standpunkt der Revolution nicht mehr. Heute sind die kritischen Linken grün: Kritisch im Namen aller Ideale der kapi- talistischen Klassenherrschaft deuten sie jede Schweinerei von Staat, Kapital und Imperialismus um in die Menschheitsaufgabe der gemeinsamen Bewältigung ihrer Folgen. Die Sowjetunion kann diesen geläuterten Weltverbesserern gleichgültig sein, und sie war es eine ganze Weile; auf das leuchtende Vorbild im Osten wollten sie sowieso nicht mehr verweisen, und den Verdacht, Moskaus Fünfte Kolonne zu sein, brauchten waschechte "Alternative" seit geraumer Zeit nicht mehr zu fürchten. Trotzdem wenden sie sich mit Interesse den sowjetischen Reformen zu und setzen die M e t h o d e der alten Vorbildsucherei fort: Jetzt ist Gorbi doch wieder Vorbild, freilich nicht bei Leuten, die hier russische Verhältnisse einrichten möchten, sondern bei denen, die diesem Anliegen schon lange eine Absage erteilt haben. Die Linke braucht sich der Sowjetunion nicht mehr zu schämen, aber nicht, weil Vorbild Gorbatschow dort Richtiges v o r- m a c h t, sondern weil er - vermeintlich - n a c h m a c h t, was West-Linke längst geschnallt haben: Nicht als Kommunist, sondern als Kritiker und Korrektor dieses historischen Fehlers ist Gorbatschow ein brauchbarer Zeuge. "Ich weiß nicht, ob die sowjetischen Arbeiter nun befreit sein werden durch Gorbatschow, das wird sich zeigen; aber die Kommuni- sten im Westen werden in einer merkwürdigen Weise befreit sein." (Fülberth, konkret 7/88, S. 38) Dieses Zeugnis wendet sich nicht mehr an die lieben Massen, die von Kommunismus nach wie vor nichts hören wollen und allenfalls die Gefahr aus dem Osten vermindert sehen, sondern wiederum nur nach links. Die Hypothek, daß der gemeine Mann sie mit den Russen verwechselt, die Schande solcher sozialistischer Verwandtschaft und den Alptraum des Niedergangs ihres Vorbilds - das ist die deutsche Linke von selbst losgeworden, durch glaubwürdige Absagen an alles, was nach Revolution klingt. Nur für den Rest von linkem Gewissen ist Gorbi ein Gewinn: Der Antikommunismus unserer Linken braucht sich Antikommunismus nicht mehr vorwerfen zu lassen. Die friedensbewegte, demokratische und kapitalistische Kritik an der SU war nicht antisowjetisch, das ZK der KPdSU selbst teilt sie nun. Der Chef des Weltkommunismus gibt der Linken Recht in ihrer Absage an sein System und dessen Praktiken. Jetzt darf niemand mehr daran zweifeln, daß linker Antikommunismus links ist. Stiftung Gesinnungstest: ------------------------ echte Demokratisierung oder Herrschaftstechnik? ----------------------------------------------- Von Gorbi ins Recht gesetzt, laufen die West-Linken erst so rich- tig zur Form auf: Sie haben es ja schon immer gesagt! Jetzt wird die Spaltung innerhalb der weltweiten Fortschrittsbewegung über- wunden, und der demokratische Sozialist bzw. Sozialdemokrat ist wieder ihr Zentrum: Die Demokratie wird nicht mehr an der sozia- len Frage gemessen, wie von Lenins Internationale, sondern umge- kehrt der Sozialismus an der Demokratie: "Die von westeuropäischen Marxisten immer wieder vorgetragene Einschätzung, daß im "realen Sozialismus" die Einheit von Demo- kratie und Sozialismus im Sinne Rosa Luxemburgs noch einzulösen ist, fand eine eindrucksvolle Bestätigung." (Hansen/Schöler, So- zialistische Politik und Wirtschaft) Doch halt, meinen es die neubekehrten Russen mit der Demokratie wirklich ernst? Renate Damus, schon lange Expertin in der Bewer- tung des Ostens anhand westlicher Politikideale, kann nur warnen vor einer linken Euphorie und einer erneuten Anbindung an das Moskauer Zentrum der Weltrevolution: "Können wir nicht vielmehr linke Morgenluft wittern daß uns wie- der einmal irgendwo ein Stück , realer Heimat beschert wird, wenn wir schon in der kapitalistischen Gesellschaft entwurzelt sind? " (Renate Damus, links 11/87) "Morgenluft wittern" - das tun politische Konjunkturritter, aber doch nicht kritische Intellektuelle des Westens. Ihnen wollte man schon so oft eine Heimat aufschwätzen, jetzt fallen sie nicht mehr darauf herein! Sie bleiben skeptisch: "Dies spannende politische Experiment ist es, was Linke so faszi- niert. Immerhin werden entscheidende, die Macht legitimierende Dogmen in Frage gestellt: der Unfehlbarkeitsanspruch der Partei, das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Gäbe man diese Dogmen konsequent auf..., so müßte man auf das Machtmonopol der Partei verzichten. Soweit jedoch gehen Glasnost und Perestroika nicht... Es gibt keine legalisierte institutiona- lisierte Opposition..." (ebd.) Den kritischen Intellektuellen mit ihrem bornierten Test darauf, wie ernst Gorbatschow es mit der Demokratie meint, entgeht völ- lig, daß dieser weder ein Demokrat nach ihrem Bilde noch das Ge- genteil d a v o n ist, sondern mit seiner realsozialistischen Selbstkritik g a r k e i n Verhältnis zu den politologischen Ideen von Idealdemokraten eingegangen ist; auch dann nicht, wenn seine Phrasen sich ähnlich anhören und sogar als Anleihen beim Westen gemeint sind. Die deutschen Linken machen ein reines Pri- vatverhältnis zwischen den russischen Reformen und ihren höchst persönlichen Idealen auf, das niemanden etwas angeht und nichts über die Russen und ihren Unsinn, dafür alles über die hiesigen Linken verrät. In der selbstzufriedenen Gewißheit von Idealisten gehen sie davon aus, daß es um ihre Ideale einfach immer und überall geht und sich die Sowjetunion an ihrem Demokratiebegriff messen zu lassen hat. Nur warum? Bei Bush, Kohl und Thatcher weiß man wenigstens, woran man ist und daß ihr Ruf nach "Freiheit für die Völker der Sowjetunion" heißt: Abschaffung der anderen Weltmacht, Beseitigung ihres Sy- stemgegensatzes und Eingliederung derselben in die "one world" als kapitalistisches Entwicklungsland. Deren Begeisterung über die Demokratisierung im Osten ist nichts als die Freude über eine deutlich gewordene Schwäche des Feindes. In ihrer Welt nehmen sie es mit der Beachtung der gebotenen Techniken der "Herrschafts- bestellung" ja auch nur insofern sehr genau, als sie auf klare Verhältnisse in Sachen Ermächtigung achten. Die Linken, selbst wenn sie sich mit ihrem Demokratietest unmit- telbar in die westliche Front einreihen, meinen es natürlich gar nicht so: Sie sagen dasselbe nicht im Namen von Reagans Amerika, sondern im Namen von Rosa Luxemburg. Sie denken auch gar nicht an die wirkliche Demokratie, wenn sie felsenfest davon überzeugt sind, daß dem Sowjetbürger diese mehr fehlt als volle Regale. Daß man hier 1. alle vier Jahre mit einem Kreuzchen sich die im- mergleiche Herrschaft bestellen darf; daß diese sich 2. durch die Wahl von Interessen der Untertanen und Einspruch in Sachfragen frei macht, indem sie Herrschaftsanwärter um Vertrauen und Glaub- würdigkeit beim Wahlvieh konkurrieren läßt; daß deshalb 3. Lüge, Charakterstyling, Waschmittelwerbung und Personenkult die ange- messenen Überzeugungstechniken für den mündigen Bürger der Demo- kratie sind; daß 4. dieser Zirkus überhaupt nur funktioniert, wo eine festgefügte Herrschaft das Leben der Untertanen so gründlich von sich abhängig gemacht hat, daß diese wünschen, sie möge ihre Sache gut machen, andernfalls sie es auszubaden bekommen; daß deshalb 5. Staaten niemals durch demokratische Wahlen gegründet, gerettet oder verändert zu werden pflegen; daß schließlich und 6. Demokratie eine Herrschaftstechnik ist und sonst gar nichts, - das a l l e s wissen deutsche Linke gar nicht mehr, wenn sie der Sowjetunion in aller Unschuld Nachahmung empfehlen. So vernagelt, wie sie mit ihrem Idealismus von der wahren Demo- kratie unter völliger Mißachtung der wirklichen sind, so ignorant sind sie auch bezüglich des Zynismus wie der Hilflosigkeit einer realsozialistischen Herrschaft, die mit modernisierten Zustim- mungstechniken experimentiert. Die West-Linken haben weder be- merkt, daß der Osten s e i n e Demokratie immer schon hatte, noch daß das ZK der KPdSU nicht gerade dabei ist, diese gegen diejenige des Grundgesetzes einzutauschen, wenn es den Versuch unternimmt, die Unzufriedenheit im Volk zwecks moralischer Aufrü- stung anzustacheln und zur allgemeinen wie wechselseitigen Kon- trolle der Pflichterfüllung auszunutzen. Früher hatte die Partei in Wahlen die Zustimmung zu einem unwidersprechlich guten wirt- schafts- und sozialpolitischen Programm gesucht und gefunden; da- für hatte sie konsequent nur ein Kreuzchen zugelassen, mit ihren Aufbauerfolgen angegeben und ist formell rational und argumenta- tiv aufgetreten. Jetzt versucht sie es mit der Freisetzung von ziel- und richtungsloser Kritik, Pluralismus und parteilosen Kon- kurrenzkandidaten, weil sich die Partei das Vertrauen erst wie- dererwerben soll, o h n e über ein erfolgversprechendes Fort- schrittskonzept zu verfügen. Anstatt sich den Gründen für die im- mer wieder enttäuschenden Wirtschaftsergebnisse zuzuwenden und ihre Abschaffung als besseres Programm zu propagieren, macht der große Führer der Weltmacht auf inhaltslose Selbstkritik und Hilf- losigkeit und ermuntert ganz unbestimmt zu einem allrussischen Verbesserungsvorschlagswesen, um mehr Einsatz des Sowjetvolkes und dann auch einmal volle Regale zu bekommen. Diese hilflose und zynische Technik wiederum - verkehrte Welt - will sich Michail im Westen abgeschaut haben, wo gewiß noch keine Partei mit Selbst- kritik und dem Anstacheln von Unzufriedenheit gegen sich beliebt zu werden versuchte. Die Kunst, vollständig aneinander vorbeizureden und sich dabei prächtig zu verstehen, beherrschen westliche und sowjetische Ge- sprächspartner aus Wissenschaft und Politik gegenwärtig ohnehin zur Genüge; am vollständigsten aber unsere linken Freiheitshel- den: Sie wissen nicht, was Demokratie ist, wenn sie Gorbatschow ihre Nachahmung empfehlen, und sie merken nicht, daß er sie gar nicht nachahmt, wenn sie skeptisch nachfragen, ob es ihm ernst damit ist. Sie brauchen sich um Zweck und Wirklichkeit der Demo- kratie hüben und drüben nicht zu kümmern, weil sie ein politolo- gisches Freiheitsideal haben, das ihnen immer sagt, worauf es an- kommt: "Nochmals zum Subjekt der Veränderung. Wieder ist die Befreiung nicht das Werk der Klasse, sondern sie kommt von oben." (Trampert, konkret 7/88) Anhänger des guten Volkes, das sind unsere Linken: Was von unten kommt - gut, was "von oben" kommt - schlecht. Auf den I n h a l t der politischen Entscheidungen kommt es gar nicht mehr an; die Erkundung der U r h e b e r s c h a f t sagt al- les. Diese Idealisten meinen, die Menschen lebten von Demokratie und nicht von ihrer Arbeit, die es zweckmäßig einzurichten gilt; die M e t h o d e d e s Z u s t a n d e k o m m e n s von Be- schlüssen nehmen sie schon für den erfüllten Zweck: Was echt de- mokratisch zustande gekommen ist, ist nicht mehr kritisierbar es muß etwas Gutes sein. Dabei ist diese erzbürgerliche Unterschei- dung auch noch verlogen: Was, wenn das russische Volk auch nicht klüger ist als der Vorsitzende des ZK und seinem Schmarrn nun aus vollem Herzen nachläuft - kommt das dann von oben oder von unten? Und wenn polnische Arbeiter aus freien Stücken dem Primas Glemp und der Schwarzen Madonna nachlaufen? Und westdeutsche Arbeitneh- mer in freier und geheimer Wahl für die Sozialabbau-Partei oder die Sozialeinseifer-Partei stimmen? Wer sich um die Nützlichkeit und den Inhalt von politischen Pro- jekten nicht kümmern mag, sondern deren demokratische Qualität zum Maßstab machen will, der hat in Wahrheit überhaupt keinen Maßstab, auch nicht die Unterscheidung zwischen "von oben" und "von unten": Der Unterschied hängt schlicht daran, welche Techni- ken der Menschenführung, welche Organisationsform der Zustimmung man für glaubwürdig zu halten beliebt. Mag sein, daß manche die- ser Freiheitsapostel die Zustimmungstechniken hüben und drüben nicht für sehr glaubwürdig halten. Daß sie meinen, mit diesem Maßstab Vernunft und Unvernuft, menschenwürdige Verhältnisse von menschenverachtender Diktatur unterscheiden zu können, weist sie als ebenso parteiische wie dumme Westler aus. Markt im Sozialismus - Verrat, Dilemma oder späte Einsicht? ----------------------------------------------------------- "Dort wird ein Markt eingeführt, ... Das bringt Teile der west- deutschen Linken, insbesondere Linke von meiner Sorte, in Argu- mentationsschwierigkeiten. " (Fülberth, konkret 7/88, S. 38) Beim Prüfstein Demokratie waren sich die bundesdeutschen Linken einig und sicher: Demokratie ist Menschenrecht, da kennen sie sich aus. Nicht so in Sachen Sowjetökonomie und deren gegenwärti- ger Reform; mit der politischen Ökonomie haben's Leute nämlich nicht so, die Sozialismus mit "echter" Demokratie verwechseln und den Grad der Volksversorgung an der Reichlichkeit basisdemokrati- scher Einflußmöglichkeiten ablesen. Nur noch Gremliza verwirft in einer Hamburger Diskussion (konkret 12/88) das Einführen von Marktelementen schlicht als schrittweise Aufgabe des Sozialismus, ohne sich lange damit aufzuhalten, ob es in der Sowjetunion so einen Sozialismus überhaupt gab, dessen Verrat er ihr nun vor- wirft. Die anderen wissen nicht mehr so recht: Fülberth bekommt Argumentationsschwierigkeiten. Für falsch hält er, der sich als westlicher Kritiker der Marktwirtschaft vorstellt, die Einführung eines Marktes drüben nicht. Sonst hätte er eine Kritik anzumelden und nicht Schwierigkeiten, schon gar nicht seine eigenen Recht- fertigungsschwierigkeiten. Er hält offenbar die Sowjetunion für die Durchführung des Experiments, ob Planwirtschaft möglich ist, und sieht sich nun durch das russische "Lernen vom Kapitalismus" in Zweifel gestürzt. Ein geläuterter Linker und s k e p t i s c h e r S o z i a l i s t, der mit Bedauern regi- striert, daß die Anerkennung der Systemüberlegenheit des Kapita- lismus ansteht. So auch Marxismus-Experte Michael Stamm. Er weiß auf einmal gar nichts mehr und fragt grundsätzlich: Wie geht überhaupt Planwirtschaft? "Mir wäre es auch am liebsten, ich oder irgendjemand hier hätte einen Vorschlagfür eine rationelle Organisation der Ökonomie mit einem Plan bei dem keinerlei Tauschwert mehr ins Siel käme. (konkret, 12/88) Da ist seltsam gefragt wenn man bedenkt, daß der hilflose Theore- tiker sich sonst gerne mit Marx einbringt, welcher keinen Zweifel daran ließ, daß P l a n u n g der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung einen G e g e n s a t z zum T a u s c h w e r t darstellt. Sie ist die Abschaffung des Tauschwerts, des damit verbundenen Schachers, des Geschäftssinns, der Privatmacht des Geldes. Und wenn der staatlich verordnete Tauschwert drüben eine so gewaltige Rolle spielt, dann ist er nicht "i n s S p i e l" gekommen, sondern die Folge einer Entscheidung, das Geld als In- strument der Planung einzusetzen. Die Kritik dieser Sorte politi- scher Ökonomie will Stamm nicht führen, weder, wie soeben ver- merkt, an ihrem P r i n z i p noch an dessen unvermeidlichen Verlaufsformen, die so gerne als Beispielmaterial präsentiert werden. Freilich ist es ziemlich billig, von "Tonnenideologie", verrottenden Ernten und Gütermangel zu schwätzen, ohne sich nur einen einzigen Augenblick lang mit dem Grund solcher Phänomene aufzuhalten. Ist es denn wirklich so schwer zu erkennen, daß alle diese breitdiskutierten "Fehlentwicklungen" die notwendige Konse- quenz eines einzigen Fehlers sind? Eben der Trennung des materi- ellen Erfolgs der Produktion von einem staatlich genauso vorge- schriebenen finanziellen? Einer Trennung und Gegenübersetzung, die auch entsprechende, sich ausschließende Interessen ins Leben ruft? Stamm sieht das ganz anders, nämlich gar nicht. Locker übergeht er die Eigenarten der realsozialistischen Produktionsweise und schließt zielstrebig einen zweiteiligen erzbürgerlichen Blick nach drüben an. Teil 1: Die machen Planwirtschaft. Teil 2: Die geht nicht. Für den zweiten Teil weiß er alles an Belegen aufzu- zählen, was aus dem Lande der "Stagnation" und "Ineffizienz " so bekannt gemacht wird. Ja, ja, die leeren Züge, die verschwendeten Ressourcen usw.! Den ersten Teil bestreitet Stamm mit sich selbst als Quelle: "In der SU wurde in der Vergangenheit versucht, die Kapitaleigen- schaft der Produktionsmittel aufzuheben durch eine Planung, die einer zentralen Planungsbehörde die Pflicht auferlegt, sämtliche subjektiven und objektiven Ressourcen, über die die Gesellschaft verfügt, rationell durch einen Plan miteinander zu verbinden, und dieses zum Vorteil der dort lebenden Menschen." Nein, so etwas hat in der Sowjetunion nie stattgefunden. Einer- seits, weil die "Aufhebung der Kapitaleigenschaft..." kein Ver- such war, sondern passiert ist. Andererseits, weil besagte ratio- nelle Planung nie üblich war. Das macht aber nichts, weil der Vergleich zwischen einem kurzgefaßten Ideal von Planwirtschaft und der Mängelliste, ihre Ergebnisse betreffend, die ätzende Frage aufwirft: "Was ist dabei herausgekommen?... Da verlottern jedes Jahr 30 Prozent der Ernte, auch weil sich um die Ergebnisse der Produk- tion nicht gekümmert wird. Das ist das reale Problem. Die Frage ist, wie man die planerischen Absichten mit den persönlichen In- teressen der Individuen z.B. der landwirtschaftlichen Kollektive verbinden kann..." (Michael Stamm, konkret 12/88) Mehr als Freiheitsgedanken bringt dieser linke Grüne eben auch in ökonomischen Fragen nicht zustande, mag er noch so sehr mit Marx- Phrasen um sich werfen. Er braucht sich mit der Eigenart des öst- lichen Wirtschaftens gar nicht zu befassen, um es unmittelbar einleuchtend zu finden, daß bei zentraler Planung weder der Staat noch der sozialistische Arbeiter auf seine Kosten kommt. Er weiß den Grund nämlich ganz ohne nähere Befassung: Wenn ein bürokrati- scher Apparat alles zum Nutzen der Menschen plant und koordi- niert, dann mag der freie Arbeitsmensch nicht arbeiten und sich verantwortlich an dem nützlichen Ganzen beteiligen. Stamm ent- deckt eine blöde Menschennatur, die lieber in der Produktion schlawinert und in der Konsumtion Schlange steht, als das Zweck- mäßige mit dem geringsten Aufwand zu betreiben, wenn ihr nicht erlaubt wird, ein ganz individuelles Privatinteresse außer den "planerischen Absichten " zu verfolgen. Als ob beides im vernünf- tigen Plan nicht dasselbe wäre. Mit der reaktionären Entdeckung des Faktors Mensch als Hindernis der Planwirtschaft ist Michael dem Michail geistig ganz nahe: Das ist die unkritische Selbstkri- tik des Systems, daß es an einem Mangel an opferbereiter Arbeits- moral der Massen scheitert und ein "Motivationsproblem" zu lösen hat. Wenn die Debatte so läuft, kann auch Freiheitsfundi Trampert etwas beitragen: er ist für "individuelle Pläne" und ein "Recht auf Faulheit", um die Arbeitsleistung der Russen anzureizen: "Und dann nutzt der Hinweis nichts, daß die Produktionsmittel Ei- gentum des Volkes seien, weil das gar nicht aussagt, wie das Volk tatsächlich mit den Produktionsmitteln umgehen darf: wie und wann es arbeitet, welche eigenen(!) Pläne es hat, ob es sich Faulheit gestatten kann und an der Entwicklung welcher Produkte es Spaß hat. Alles das, was erst real mit Freiheit verbunden werden kann, hätte ja ein Anreiz zur Produktion sein können. Aber jetzt scheint es nicht um solche Motivation zu gehen, sondern um Moti- vation durch Karrieremöglichkeiten, um die Angleichung der Sy- steme, mit einem Schlagwort: Managerkapitalismus." (Trampert, konkret 7/88, S. 37) Spätestens wenn sie sich dem Problem der Motivation der für den Plan zu blöden Arbeiter widmen, sind die linken Menschenfreunde hüben und drüben, die die Unfreiheit bürokratischer Kommandowirt- schaft schon aus Gründen der Menschenwürde ablehnen würden, wenn sie nicht so ineffizient wäre, voller Bewunderung für den s t u m m e n Z w a n g d e r V e r h ä l t n i s s e, der im Kapitalismus dafür sorgt, daß jeder im höchsteigenen Interesse sich nach Kräften nützlich macht. So entdecken die Freiheitsapo- stel die andere Seite der Freiheit: Den unpersönlichen und unwi- dersprechlichen Zwang zur Leistung, den die Abhängigkeit vom Markt und die persönliche Bedürftigkeit hinkriegen. Dagegen bie- tet der Sozialismus dem Individuum zu wenig Chancen, sich persön- lich zu bereichern, und zu wenig Not (sprich: Arbeitslosigkeit), um es jenseits aller Vorteilserwägung zur Leistung zu zwingen. Ellen Weber von der DKP steht treu zu Gorbi und ihren DKP-fernen Freiheitskollegen: Sie versteht, billigt und benennt korrekt die verzweifelte Suche der Russen nach einem solchen stummen Zwang: "Die Sowjetunion sucht auf der Basis ihrer, von antagonistischen Klassen freien Gesellschaft nach Lösungen, um das Profitprinzip, das im Kapitalismus eine ungeheure Dynamik entwickelt hat, durch etwas anderes zu ersetzen. Das Profitprinzip ist als Stimulanz und Triebkraft nicht vorhanden, wenn es sich um eine sozialisti- sche Gesellschaft handelt. Aber was müßte an seine Stelle tre- ten?" (Ellen Weber, konkret 12/88) Klarer Fall: Solange die Planwirtschaft nichts findet, was so gut zur Arbeit zwingt wie der Profit, kann sie ja nicht funktionie- ren. Bei aller Ungerechtigkeit erscheint den vom Menschen ent- täuschten Linken der Kapitalismus als das überlegene, weil men- schengerechtere System. zurück