Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
zurück Bremer Hochschulzeitung Nr. 107, 10.12.1984 Friedensforscher Galtung im Konsul-Hackefeld-HausGRÜNER AUFRUF ZUR WENDE
Für die "Zukunft des Industriesystems" sieht der Friedensforscher aus Oslo schwarz. Kein Wunder: dreißig "Krisenfaktoren" machen der westlichen Welt das Leben schwer und beflügeln die Sorge des Referenten und seiner grünen Zuhörerschaft. Dekadenz in der Welt -------------------- Sorge Nr. 1 ist der "bürgerliche Lebensstil, keine manuelle Arbeit, Privatheit, beide mit Dauerhaftigkeit und dabei gleichzeitig Komfort." Angenommen einmal, diesen Zustand gäbe es irgendwo auf der Welt: nur soviel arbeiten wie nötig, ein komfortables Leben führen. Was wäre dagegen einzuwenden? Alles, sagt der Mann aus Oslo. "Der Komfort kann nicht gutgehen!" Die Botschaft kennt man doch. Erst wird der kapitalistische Reichtum in allgemeinen Wohlstand verfa- belt, der sich überzogenem Wohlstandsdenken verdanken soll. Dann wird der zur Anspruchsbestie verfabelte Mensch um der höheren Werte willen zurückgepfiffen, sonst... Der Untergang des Abend- landes wird heutzutage aus der grünen Ecke prophezeit und wieder einmal soll der Materialismus der Menschheit an allem schuld sein. Ein kleines Geheimnis: wäre der Materialismus wirklich das treibende Motiv der Menschheit, dann bliebe ihr neben Hunger und Armut auch noch manches andere erspart, politische Herrschaften aller Art, geistige Führung, Moralapostel und Katastrophenprophe- ten. Ein scheußlicher Gedanke für einen Grünen; er wäre mit sei- ner Verzichtsmoral ganz und gar überflüssig. Gewalt in der Welt ------------------ "Wenn der bürgerliche Lebensstil sich ausdehnt, geht das Verhält- nis von Verbrauch und Arbeit nicht mehr auf. Die Militärs versu- chen das dann zu kontrollieren und das ist ein Zeichen für Krise." Interessant, Wie lässig der Erfinder der These von der "strukturellen Gewalt" hier Verständnis für die uniformierten Schlächter des Imperialismus aufbringt. Zuviele Fresser mit An- spruchsdenken bei immer weniger Arbeit - das zieht ja militäri- sche Kontrolle geradezu wie einen Sachzwang nach sich: Gewehr- läufe als Rettungsanker gegen den überbordenden Wohlstand und die überzogenen Ansprüche. Und was will Galtung jetzt kritisiert ha- ben? Nein, nicht die Gewehre, sondern das Immer-mehr-haben-wol- len, das schuld an ihnen sein soll! Sollte Herrn Galtung ganz entgangen sein, daß die diversen Juntas gemeinhin über ein Volk von Hungerbäuchen regieren und in Sachen Lebensstil ihrer Unter- tanen eine sehr eindeutige Auffassung vertreten: wer nicht als nützliches Material gebraucht werden kann, soll eben verrecken? Oder liebäugelt der Friedensforscher mit der "Erziehungs- diktatur", die Militärs und Politiker angeblich den über- steigerten menschlichen Ansprüchen angedeihen lassen müssen? Das würde uns gar nicht wundern bei einem Theoretiker, der die kapitalistischen Staaten nicht als Exporteure von Geschäft und Gewalt, sondern von Komfort und Dekadenz sehen will. Die Imperia- listen "treiben die Welt durch Leistungsansprüche immer weiter." D a s kann nicht gutgehen. Feinde in der Welt ------------------ Auf das grüne Feindbild ist Verlaß. Die Russen sind der Stören- fried in der Welt. "Die dritte Welt macht Aufstände mit Kalaschnikows." Ertappt! Die Waffen aus USA und Germany, ohne die nichts in der Welt geht, tun da ebensowenig etwas zur Sache wie Anlaß, Umstände und Beteiligte der Scharmützel. Die Welt ist eben nicht für die Russen da. Nur gut, daß für Galtung die Endlösung dieses Be- schlusses schon so gut wie vollzogen ist, denn "das sozialistische System hat die Lösung des Problems mit dem Arbeiterstaat versucht und ist hoffnungslos im Materialismus ver- sunken." Kein Wunder für Galtung, daß "Bauern und Arbeiter, Intellektuelle, Völker und Staaten des Ostens die Freiheit wollen." In diesem Systemvergleich erschöpft sich die Anklage gegen die Sowjetunion und der Aufruf zu ihrer Befreiung im Namen der Frei- heit einmal nicht im Hinweis auf Mißernten und Warteschlangen vor den Gemüseläden, sondern im Fingerzeig auf die sozialistische De- kadenz. Ein schönes Eingeständnis, daß für einen grünen Beobach- ter der Weltlage Freiheit der absolute Gegensatz zur Bedürfnisbe- friedigung ist. Wobei man es sich aussuchen kann, ob die Befrei- ung des russischen Volkes vom Joch seines Essens und Saufens mit einem Winseln vonstatten geht, weil die Russen an ihrer eigenen Maßlosigkeit zugrunde gehen, oder mit einem großen Knall, wenn die westliche Freiheit entsprechend nachhilft. Sonderlich alter- nativ ist das nicht. Konkurrenz im eigenen Lager --------------------------- Der Friedensforscher denkt an die Zeit danach. Und so entdeckt er einen zweiten äußeren Feind des westlichen Abendlandes: "Die Tangs sind besser organisiert als die Schmidts. Die Japaner sind die besseren Kapitalisten." Einfach untergehen lassen will Galtung das verderbte Abendland also nicht. Es kommt ihm sehr darauf an, wer dabei das Sagen hat. Wenn die Russen nicht sind, die Japaner nicht sein dürfen, wenn sich gar noch der amerikanische Präsident darin blamiert, daß er die gelbe Gefahr nicht erkennen will, von wo soll dann wohl die Rettung des Abendlandes kommen? Der Retter ist nah! ------------------- "I. Eine Gesellschaft mit einem Defensivsystem konventioneller Rüstung. Und 2. vor allem eine starke Gesellschaft, die weniger erpreßbar ist, weil kulturell, psychisch und sozial gestärkt." Das sollte man nicht zu einem "alternativen Gesellschaftssystem" verharmlosen. Dieses Rettungsprogramm eines grünen Friedensfor- schers ist ein ganz scheißordinäres Aufrüstungsprogramm, ein un- verblümtes Plädoyer für Wehrbereitschaft an allen Fronten, für die Tugenden staatsbürgerlicher Dienstleistung. Ebenso konventio- nell-herkömmlich wie die Waffen, die für den Schutz der abendlän- dischen Werte reklamiert werden. Der Retter der abstiegsbedrohten Welt ist offenbar niemand anderes als das grüne Modell Deutsch- land. Das ist kein schlechter Beitrag zur Wende! zurück