Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
zurück Grünen Parteitag in HamburgWAS KANN MAN SICH VON DER GRÜNEN OPPOSITION VERSPRECHEN?
Kann sich der "fundamental-oppositionelle" Flügel noch der "Beteiligung an der Politik", der "Drecksarbeit" (Lafontaine) entziehen, ohne daß die Grünen an Glaubwürdigkeit bei ihrer Wäh- lerschaft verlieren? Verlieren die Grünen ihren guten Ruf nicht gerade dann, wenn sie den "Realisten" in ihren Reihen folgen, ihre Kritik an der Politik in politische Mitwirkung umsetzen und deshalb alle möglichen Abstriche von ihrem idealistischen Pro- gramm machen? Geht die "Zusammenarbeit" von SPD und Grünen in Hessen endgültig vor die Hunde oder nach den Kommunalwahlen wie- der los? Wird die grüne Partei eine alternative mehrheitsbeschaf- fende FDP oder macht sie künftig das Regieren auch in Bonn schwer? Solche und ähnliche Fragen soll man lieber der hämischen Öffent- lichkeit überlassen, die es schon immer gewußt haben will, daß die größten Idealisten ohne Realismus nicht auskommen können und daß Kritiker der Politik die Berechtigung ihrer Kritik unbedingt dadurch beweisen müssen, daß sie sich für den Fortbestand des po- litischen Getriebes stark machen. Man soll sie lieber Schily überlassen, der unbedingt die eigene Mannschaft in die SPD- Pflicht nehmen möchte: "Es ist ein Stück Unehrlichkeit (1), wenn sich die Grünen die Hinde nicht schmutzig machen wollen und statt dessen nur bestim- men, wo die Moral sitzt, und die anderen müssen mit der prakti- schen Politik, zurechtkommen." Man soll sie den Grünen überlassen, die dazu alternativ um den Fortbestand ihrer Partei taktieren, die Grünen deshalb als "einzige wirkliche Opposition" darstellen wollen und eine "Regierungsbeteiligung" für "selbstzerstörerisch" halten. Schließlich ist Politik kein schmutziges Geschäft, sondern legi- timierte Ausübung der Staatsgewalt, die mit solchen Selbstvorwür- fen kokettiert; und der Gegensatz von Macht und Moral ist genau die passende Erfindung für gute Bürger, die das Ideal anständiger Politik hochhalten. Man kann sich deshalb auch in der Politik die Finger am allerwenigsten schmutzig machen, wenn man ausgerechnet mit der Kritik am "schmutzigen Geschäft Politik" munter Politik macht. Darüber hat rechtzeitig zum Parteitag der Grünen-Politiker Joschka Fischer in einem "Spiegel-Streitgespräch" mit Heiner Geißler programmatisch Auskunft gegeben. Mit aller Eitelkeit ei- nes anerkannten Volksvertreters im Kreise von seinesgleichen hat er die gegenwärtigen Grundsätze grüner Politik ausgebreitet. Und die haben es in sich. Lebendige Demokratie -------------------- lautet das oberste Versprechen. Das besteht zunächst einmal in berechnend demonstrierter Diskussionswilligkeit mit einem Mann, der Grüne mit Vorliebe als Nazis und Kommunisten verteufelt. "Nachdem wir ja neuerdings 'ernst' genommen werden von der CDU- Seite her, kann so eine diskutierende Auseinandersetzung viel- leicht etwas bringen." (Alle Zitate aus Spiegel 49/84) Schließlich weiß man vorher, was man sich "zu sagen" hat. Nein, Grüne wollen alles andere als den Staat zerstören, sagt der Mann, der verlauten ließ, bei solcher Kritik lache sich die Szene ka- putt. Sie wollen ganz ernsthaft ihr Vaterland wohnlich erhalten: "Was heute noch in Frankfurt im Westend an baulicher Substanz existiert, das ist dem Rechtsbruch und dem Engagement der Bürge- rinitiativen zu verdanken, nämlich konservativen Leuten, die da gewohnt haben, und auf der anderen Seite den jungen Hausbeset- zern, zu denen ich gehört habe." Grundeigentum, Bauwirtschaft und Mietpolitik hin oder her, aber die Wohnsubstanz unserer Heimat ist einfach ein höheres morali- sches Recht. Nein, grüne Widerständler sind keine Gewalttäter - sie sind höchst anständige Opfer und lassen die Staatsgewalt wi- derstandslos über sich ergehen: "Die Zweck-Mittel-Relation stimmt." (Es geht um Sitzstreiks gegen das Rüstungsprogramm!) "Und zweitens nehmen Leute, die das ma- chen, die Verantwortung dafür auf sich. Das heißt, sie finden sich bisweilen vor Gericht wieder. In Bitburg bekommt man eine Strafe von 20.000 Mark dafür." Dem Vertreter der Aufrechten im Lande fällt nicht einmal der Ge- waltcharakter des Rechts ein. Er demonstriert statt dessen höchstpersönlichen Respekt vor deutscher Justiz: "Ich habe ein Verfahren wegen einer Blockade in Hausen, und ich werde mich diesem Urteil stellen... Das habe ich in Kauf genommen aus einer tiefen Überzeugung heraus." Das sitzt beim CDU-Gesetzesvertreter! Nein, Grüne fragen nie und nimmer, was denn am Parlament, das die Gesetze erläßt und die Regierung einsetzt, so fraglos gut sein soll. "Antiparlamentarismus", das verstehen sie - und zwar als Vorwurf, den sie nicht auf sich sitzen lassen müssen: "Wenn man sieht, wie die Grünen auf allen Ebenen des parlamenta- rischen Systems arbeiten", (meint:) "konstruktiv in grundsätzli- cher Veränderungsabsicht, weil wir andere Vorstellungen inhaltli- cher Art haben, dann macht dieser Vorwurf des Antiparlamentaris- mus überhaupt keinen Sinn." Nein, parlamentarische Atomkriegsgegner und politische Moralwach- teln wollen einer SPD-Regierung, die von Startbahn West bis Nukem allen grünen Idealen ins Gesicht schlägt (außer dem der mitent- scheidenden politischen Kraft), nicht das Regieren verunmögli- chen. Sinn macht es da vielmehr, die Ideale Ideale sein zu lassen (außer dem der mitentscheidenden politischen Kraft natürlich), die "Zusammenarbeit" aus Gründen der Verkäuflichkeit der Partei aufzukündigen und dann diesen "Bruch" genauso taktisch öffentlich zu vertreten, wie er gemeint war. Eine ordentliche Selbstdarstel- lung gehört sich schon, auch beim alternativen Koalieren; da ver- steht sich Fischer mit Geißler. Deswegen verlangen grüne Mitre- gierer von der SPD dieselbe Heuchelei: "Wir wollten nur, daß die SPD ihre politische Position klärt in der Frage der Plutoniumwirtschaft und sich zur Nichtverbreitung von atomwaffenfähigem Material bekennt... Wenn ich mir das Kaba- rett anschaue, das gegenwärtig in Bonn ablauft um die Ergänzungs- abgabe, wie da gedrückt, gepreßt, erpreßt, zerpreßt wird, dann sage ich Ihnen: Dagegen ist die Auseinandersetzung in Hessen ganz harmlos." Wenn wer die Regierungsfähigkeit gefährdet, dann die Koalition in Bonn. So sehr fühlt sich die Alternative dem Gelingen von Politik verpflichtet. Nein, an der Zustimmung der Demokraten zur Gewalt, die über sie ausgeübt wird, haben Basisdemokraten nichts auszu- setzen. Im Gegenteil! Vom mündigen Bürger, der seine Herrschaft bestellt, sind sie so angetan, daß sie gleich von Gewalt gar nichts mehr entdecken, wenn sie über das Volk und seine Regierung reden: "Demokratie ist nicht etwas, was man allein durch institutionel- len Regelwerk festmachen kann, sie muß gelebt werden. Institutio- nen sind meist konservativ, das heißt, sie versuchen, den Status quo zu erhalten. Das Dynamische müssen die Bürger machen." Geiß- ler: "... und die Parteien." Fischer: "Für mich kommen da die Bürger zuerst." Richtig verstanden ist Machtausübung eine Arbeitsteilung zwischen Beharren und Wandel und die grüne Partei der harmonische Ver- mittler zwischen den lahmen Institutionen und dem aufgeweckten Bürger. Selbständig im Staat mitmachen! Bei dem Programm läßt sich allerdings munter streiten, wer jetzt das Volk besser ver- tritt: Derjenige, der auf die gewählte Führung pocht, oder derje- nige, der mehr Beteiligung des Volkes am Geführtwerden fordert, den Verantwortlichen die "Offenheit" empfiehlt, die "Anstöße" von unten als "alternatives, nach vorn gewandtes Element aufzuneh- men", und damit die Bürger auf Selbstverantwortung gegenüber den politischen "Notwendigkeiten" festlegt. Das einwandfreie Regierungsprogramm ----------------------------------- Um ein alternatives "Sachprogramm" ist der verantwortungsvolle Bürgervertreter nicht verlegen. Sämtliche Tugenden, mit denen eine demokratische Regierung sich schmückt und schmücken läßt, nimmt der grüne Antipode Geißlers bitter ernst. Er bestreitet sie seinem Gegenüber von der Regierung und stellt sich als ihren wah- ren Repräsentanten dar. Der Katalog umfaßt einfach alles, was Po- litik unter ihre Verantwortung zählt. Vertrauenswürdigkeit -------------------- Das Ansehen der Demokratie und ihrer politischen Ämter macht dem grünen Saubermann große Sorgen; da fallen auch ihm die Nazis ein: "Was ich nicht begreifen kann" (die Tour geheuchelter Fassungslo- sigkeit hat er also auch schon drauf!) "ist: Hitler wurde finan- ziert von bestimmten Leuten, unter anderem von einem gewissen Herrn Flick, der jetzt wieder die demokratischen Parteien finan- ziert..." Die Kontinuität nationaler Politik will er darin natürlich nicht entdecken, sondern die Unlauterkeit politischer Führungskräfte. Der Konter, die Friedensbewegung werde doch von der DKP = den Russen "geschmiert", findet deshalb sein offenes Ohr: "Haben Sie kein Problem bei mir." Ein Joschka Fischer ist garantiert unab- hängig und weiß, wo der Feind steht. Nationale Stärke ---------------- Während er sich nicht sicher gibt, wie ernst er und seine Partei es mit dem Konzept der "sozialen Verteidigung" meinen, weiß er aber eines genau: Die Regierung hat ebenfalls "unsere Verteidi- gung" im Auge und macht dabei nur verhängnisvolle Fehler. Sie be- herrscht die Kriegsmittel nicht mehr und zieht uns dadurch den Feind auf den Hals: "...eine weitere Anhäufung konventioneller, chemischer und atoma- rer Mittel... Liegt darin nicht eine Bedrohung?... Wir meinen, daß die Raketen in Krisensituationen die Lage bedrohlicher ma- chen. Wir sind zum bevorzugten Ziel eines sowjetischen Angriffs aus Angst geworden." Bedrohung, Krise, Lage. - Lieber erklärt der grüne Mann die Herr- schaften zu Opfern ihrer eigener Taten, als diesen Taten die be- drohlichen Zwecke zu entnehmen, für die die NATO Staaten wie der Teufel rüsten. Lieber erklärt er Kohl zum unnationalen Schlapp- mann, als einmal an der Güte nationaler Politik zu zweifeln: "Unterworfen hat sich einer. Und das ist Helmut Kohl, indem er meinte, er könnte die Position der Bundesrepublik stärken, indem er alles macht, was die Amerikaner sagen. Der hat nicht mehr den aufrechten Gang, sondern den Kriechgang." Aufrechter Gang ist jeso dasselbe wie Stärkung der Position der BRD, und dafür wüßte Fischer bessere Rezepte als der Kanzler. Ökonomischer und Sach-Verstand ------------------------------ Was den Profit und seine leidigen Folgen - Einsparung an Kosten für Abfälle, Gift und anderes - angeht, da kennt sich der Umwelt- und spätere-Generationen-Retter aus. Der Schonung der Natur hat nicht nur jeder Bürger Opfer zu bringen. Nein, das entspricht auch den Geschäftsinteressen der werten Herren Hoechst, Flick und Co.; deren wahrer Anwalt heißt J.F.: "Sie (Geissler) müssen ja schon die Energiewirtschaft zum Bau ei- ner Wiederaufbereitungsanlage zwingen per Gesetz und Verordnung. Die wollen da freiwillig gar nicht mehr, weil das viel zu teuer ist." Ja, so ist das mit der Wirtschaftspolitik: zwingt die doch glatt mit ihren Milliarden die Wirtschaft zum Geschäft. Andererseits muß die Politik natürlich auf diese Dreckbande Rücksicht nehmen, auch wenn die sich "an den Lebensgrundlagen kommender Generatio- nen versündigt". Für die jetzige gilt: "Wir wissen natürlich, daß man nicht einfach Hoechst dichtmachen kann." Deswegen heißt die 'konkrete' Lösung für das "große gesellschaft- liche Problem Müll" und für die "Sicherung der Zukunft" schlicht und ergreifend: "Wir wollen für Giftmüll eine grundwasserfeste Hochdeponie." Da freuen sich Gift, Grundwasser, Hoechst und wir alle! Weitsicht --------- Daß es Unternehmen braucht, "die produzieren, die Waren herstel- len, die sie verkaufen", also Gewinn machen, das will Fischer keinesfalls abstreiten, wenn er eine bessere volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vorschlägt. Nicht einmal die Ideologie, der Profit sei eine Erfindung zur Schaffung von Arbeitsplätzen, mag er aus seinem Katalog der selbstverständlichen Sachzwänge streichen, die auch ein Grüner berücksichtigt. Schließlich, so läßt er sich von Geissler vorrechnen, braucht gute Politik Geld, also Geldgeber, also die Wirtschaft, also genau die Arbeitsplätze und ihre rui- nösen Folgen, die politisch garantiert werden: "Wo soll die Stadt Rüsselsheim denn sonst das Geld hernehmen... Da fehlt Gewerbesteuer, da fehlt Lohnsteuer", heuchelt Geissler. "Das ist wirklich eine unserer schwierigsten Fragen, aber gibt ihm Fischer im Prinzip recht. Der Alternativökonom rechnet Geiss- ler vor, daß umweltfreundliche Industrie nach allen Maßstäben des Wirtschaftswachstums, des Staatsauts und der internationalen Kon- kurrenz lohnend ist: "Ich will Wachstum der Umweltinvestitionen. Das sind ökologisch produktive Investitionen, das schafft Arbeitsplätze... daß der Kampf gegen das Waldsterben in Größendimensionen von 50 bis 100 Milliarden geht..." "... die ökologischen Folgekosten..." Soziale Ausgewogenheit und Sinn für Realitäten ---------------------------------------------- Als alternativer Sozialpolitiker verspricht Fischer, sich ganz gerecht um die Armut zu kümmern, die das Wachstum der Wirtschaft so mit sich bringt. Mit der rechnet er so felsenfest wie Geissler und sieht schon wieder die Politik zu guten Taten aufgerufen. "Mindesteinkommen", "Grundrente von 1200 DM", "Vorverlegung des Ruhestandes" rechnet ihm Geissler als unbezahlbare "soziale Phan- tasie" vor - und bekommt die Antwort, daß bei diesem "Programm gegen die Armut" noch nicht alles ausgegoren ist. Eins aber hat der Freund der sozial Schwachen im Land durchgerechnet. Der Staat kann das Geld locker machen: "Da haben wir konkrete Vorschläge, auch Vorschläge zur Deckung und Umstrukturierung der Haushalte gemacht." Hat denn Fischer nicht gemerkt, daß der Finanzminister Deckungs- probleme nur kriegt, wenn er irgendwo was einsparen will? Sollte es Fischer entgangen sein, daß die Deckung nie ein Haushaltspro- blem ist, wenn der Staat sich auf einem Gebiet mehr leisten will? Weiß Fischer tatsächlich nicht, daß viele Raketen und wenig Sozi- alausgaben 1984 sich für die BRD lohnen? Die lebendige grüne Partei und ihre politischen Persönlichkeiten ---------------------------------------------------------------- ist das letzte Argument, das Fischer in die Waagschale, zu werfen hat. Aus der bloßen Protestbewegung ist längst ein bewegtes Par- teileben geworden. Es gefällt dessen Vertreter einerseits ausge- zeichnet, daß sie alles Mögliche und Unmögliche in ihr Programm geschrieben hat. "Offenheit" heißt das und gehört sich ja für eine demokratische Partei: "Wir haben unter dem Druck der vorgezogenen Neuwahlen ein erstes programmatisches Papier verabschiedet, das noch sehr viele imma- nente Widersprüche enthält." Aber: "Was jetzt als Chaos erscheint bei den Grünen sollte man nicht nur als Kinderkrankheit begreifen." Ein bißchen also schon; aber immerhin haben die Grünen Erfolg wie Fischer sich selbst neidlos zugestehen muß. Und der Wähler soll auch wissen, daß seine Mannschaft was hermacht in Bonn und an- derswo: "Ich selbst hätte nicht gedacht, als wir hier in Bonn angetreten sind, daß es die Grünen so weit bringen würden - und das inner- halb von zwei Jahren." Mit einem solchen Programm, mit solchen Männern/Frauen, mit einem solchen Wahlerfolg muß ja die Frage brennend werden, wie man - jetzt mit an der Macht - weitermachen soll. Die Antwort steht al- lerdings immer schon fest: Mitmachen und dabei die bessere poli- tische Moral repräsentieren! Im Namen einer Antiatompolitik in Hessen die SPD regieren lassen; im Saarland im Zweifelsfall La- fontaine bei der "Drecksarbeit" behilflich sein und Gewissen de- monstrieren; in Bonn sämtliche Werte der Wende einklagen und ewig das rechte demokratische Bemühen um bürgernahe Politik vermissen; sich immer und überall um das oppositionelle Image der Grünen- Partei besorgen und für die Einheit von Bürger und Staat Propa- ganda machen - so werden die Grünen schon weiterkommen. Und Joschka Fischer mit ihnen. zurück