Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
zurück
Joschka Fischer in Bochum:
EINE KLASSE ALTERNATIVE!
Den hessischen Umwelt- und Turnschuhminister Joschka Fischer ein-
mal live zu erleben - diese Gelegenheit wollten letzte Woche eine
ganze Menge Leute auf der ersten großen Wahlkampfveranstaltung
der Grünen in Bochum wahrnehmen. Und der Meister präsentierte in
seiner Rede all das, was ein potentieller Grünen-Wähler von ihm
erwartet, für jeden Geschmack ein bißchen: ein paar Hinter-
grundinformationen aus dem Nähkästchen eines zuständigen Machers,
der es mit dem Amtsschimmel furchtbar schwer hat; ein paar loc-
ker-flockige über die bösen Buben von der Chemie, die einfach
"ihren Gewinn nicht in die Schadstoffbeseitigung stecken wollen";
und natürlich einen Seitenhieb auf die SPD, die angesichts der
ungefähr 11. "Schicksalswahl" seit 1949 "alles tut, um nicht an
die Macht zu kommen", indem sie jedes Koalitionsangebot der grü-
nen Retter der Nation ausschlägt. Daß "wir" einen grünen Dreck-
schleudercontroletti brauchen, damit bei uns in Deutschland alles
paletti ist, - für diese geile Message an die staatsbürgerlich
reifere Jugend hat der rastlose Joschka alle Register gezogen, um
seine ministrable Sicht der Dinge rüberzubringen, daß sich jede
Betroffenheit von der Umweltkacke sofort in ein S t a a t s-
problem zu übersetzen hat, für das Leute wie er zuständig sind.
1. Denn daß die Chemie-Industrie, die "Gift-Unfälle" am laufenden
(Rhein-Kilo-)Meter produziert, sich "ihrer Verantwortung ent-
zieht", ist eine ebenso verkehrte wie interessierte Interpreta-
tion dieser Vorfälle. Deren Taten werden nämlich gar nicht als
solche gewürdigt, sondern gleich als Versäumnisse, als Unterlas-
sung einer viel edleren Aufgabe, als Aale, Trinkwasser und Men-
schen zu vergiften: nämlich "Verantwortung" zu üben. Daß dieses
hohe Gut in der Produktenpalette von BASF, Sandoz und Bayer nicht
zu finden ist, hält Fischer für fahrlässig bis verbrecherisch; es
will ihm "einfach nicht in den Kopf hinein" - zumal angesichts
einer "blendenden Gewinnsituation" (sonst könnte man die Giftmi-
scher ja noch verstehen, oder?) -, "warum nicht mindestens ein
Drittel der Erlöse in die Risikominimierung gesteckt werden". Im
Klartext: bloß niemand soll sich den Gedanken in den Kopf hinein-
tun, daß diese Gewinnproduktion ohne das in Kauf genommene Risiko
nicht zu haben ist; stattdessen sind hartnäckig fassungsloses Ge-
jammer über verabsäumte Gesundheitsvorsorge und vielfältiges Aus-
malen m ö g l i c h e r Kompromisse zwischen "Industrie und
Mensch" angesagt.
Für politisch schädlich halten die Grünen also die Einsicht, daß
diese "Unglücke" ihre Grundlage haben in der geschäftsmäßigen
Einrichtung der Produktion, die Profit abwerfen soll. Und für sie
= für das politische Angebot, das die Grünen dem (Wahl-)Volk of-
ferieren, wäre eine solche Einsicht in der Tat schädlich: dann
verböten sich nämlich alle ökologischen Ideale, mittels derer Fi-
scher und Co ihre Deutung der Ereignisse vornehmen! Wenn Medika-
mente und Düngemittel nicht hergestellt werden, um die Menschheit
von ihren Kopfschmerzen zu befreien oder um das Gras wachsen zu
lassen, sondern um einen möglichst hohen Preis zu erzielen; wenn
ein hoher Gewinn dadurch erreicht wird, daß die Kostenbestand-
teile im Preis möglichst niedrig gehalten werden; wenn darum an
den Lohnkosten für die geschätzten "Mitarbeiter" der Chemie-Be-
triebe ebenso gespart wird wie man sich gewisse Sicherheitsvor-
kehrungen einfach schenkt oder die Giftbrühe lieber mal gratis in
den Rhein als in teure Auffangbecken kippt; wenn das Zustandekom-
men dieser Stoffe mit unaussprechlichen Namen sich der ganz und
gar nicht naturwissenschaftlichen Kalkulation verdankt, daß alle
chemischen Zusammensetzungen, deren Eigenschaften industriell
nachgefragt werden, darum auch massenhaft produziert werden; wenn
die Tatsache, daß die selben Eigenschaften das Zeugs zu lauter
Supergiften machen, darum fein säuberlich als "Nebeneffekt",
"Restrisiko" und "Umweltproblematik" abgebucht werden; wenn die
geFährlichen "Seiten" der Sache also da, wo das Geschäft für den
Artikel spricht, nie und nimmer ein Grund sind, die Finger davon
zu lassen - dann ist es schon dummdreist, die Gründe der Umwelt-
verschmutzung ausgerechnet in einem "mangelnden Verantwortungsbe-
wußtsein" der Chemie-Bosse auszumachen!
2. Allerdings ist diese Ignoranz, öffentlich zur Schau gestellt,
äußerst nützlich dafür, das Geschäft eines Umweltministers als
per se gut und ehrenwert zu verkaufen. Als grüner Ressortchef be-
herrscht Fischer diese PR gleich in mehreren Varianten.
Zunächst wußte er darüber zu plaudern, wie "unvollständig" und
"zögerlich" die "Informationen über das wahre Ausmaß der Unfälle"
aus den Konzernen flossen. Was "also" braucht es? Eine
g e s c h e i t e Informationspolitik über den jeweils aktuellen
Grad der Vergiftung - ein feines Angebot an die verehrten Betrof-
fenen, den auch unter Minister Fischer anfallenden Schaden im-
merzu zu begrenzen! "Maßloser Kompetenzwirrwarr" auch in den ver-
schiedenen Behörden und Ministerien; überhaupt ist "die Position
eines Umweltministers gegenüber der Lobby der Großchemie viel zu
schwach", selbst "Walter Wallmann ist ein Hampelmann". Was "also
" braucht es? G e o r d n e t e Kompetenzen, mehr Macht und na-
türlich einen w i r k l i c h e n Macher; einen, der sich
durchsetzt, einen wie... genau!
Wiederum also bloß keine Gedanken darüber machen, warum die Lobby
der Chemie-Kapitalisten bei professionellen Freunden des Auf-
schwungs wie Walter Wallmann überhaupt (so viel G e h ö r fin-
det, was ihnen ja erst erlaubt, in aller gebotenen Freiheit ihr
Gift verspritzen zu können. Auch der einfache Gedanke, daß das
Metier eines Umweltministers - Alarmpläne, Schadenersatzregelun-
gen, Sicherheitsvorkehrungen, Grenzwertfestlegungen - den Alarm-
fall, die Schädigung, die Unsicherheit und die Gesundheitsgefähr-
dungen längst u n t e r s t e l l t, also m i t i h n e n
k a l k u l i e r t, würde ein eher schlechtes Licht auf dieses
saubere Amt eines demokratischen Giftmanagers werfen. Betrachtet
man die Sache freilich umgedreht, dann adeln der Müll und das
Gift das Amt, das sie verwaltet! Je mehr Dreck, desto mehr Kompe-
tenz ist gefragt. Logo, wie Joschka sagt. Daß das einzige Beden-
ken, das auch ein grüner Umweltminister gegenüber dem Treiben von
Atom- und chemischer Industrie geltend macht, darin besteht, dar-
über zu wachen, daß bei deren Geschäftsabwicklung die
p r i n z i p i e l l e Brauchbarkeit von Land und Leuten f ü r
dieses Geschäft nicht Baden geht - was weder eine Verhinderung,
noch auch nur eine Behinderung davon darstellt -, das sagt er
lieber nicht.
Da hat Fischer eine ganz andere Lesart parat. Den Vorwurf, als
Alternativer doch auch nix groß anders zu machen als die
"Etablierten", antizipiert er geradezu und nutzt ihn aus, um mög-
licher Enttäuschung vorzubeugen.
Dieser Mann läßt sich von niemandem mehr darauf festnageln, was
er erreichen will, muß oder sollte. Um alle etwaigen Ansprüche
oder "naiven Erwartungshaltungen" an "grüne" Politik abzublocken,
belehrt er das Publikum, daß und wie er seine Taten
b e w e r t e t sehen möchte. Er beherrscht die Lüge von der
"Durchsetzbarkeit" vorwärts wie rückwärts. Egal, was er erreicht
oder nicht erreicht hat: Es handelt sich entweder um ein
"immerhin" oder aber um ein "bloß". Entweder ist es ein kleiner
Schritt, der i m m e r h i n "einen Schritt weg vom möglichen
Abgrund" oder aber auch bescheidener gefaßte nächste kleine
Schritte ermöglicht. Oder aber es ist bloß ein kleiner Schritt
und längst nicht das, was die Grünen "eigentlich" wollen. So ra-
stet und ruht er nicht, bis auch dem letzten Protestierer auf-
geht, eine wie s c h w i e r i g e Sache Veränderung ist:
"Das schaffen wir nicht. Das schaffen wir nur über einen Stimmen-
zuwachs für die Grünen oder aber über eine wirkliche Massenmobi-
lisierung... Das dann in Regierungshandeln umzusetzen, das würden
wir mit einer SPD-Minderheitsregierung auf keinen Fall schaffen.
Dafür bräuchten wir schon einen Grünen Minister, und selbst der
würde sich dabei wahrscheinlich furchtbar den Kopf einrennen.
Aber dann könnte man sagen: Okay, deswegen sind wir angetreten,
damit die Leute mal sehen, was geht und was nicht." (Von der Ma-
chbarkeit des Unmöglichen, 129)
Und ausgerechnet "deswegen" will dieser grüne Soldat seine
Pflicht tun? Ausgerechnet "die Leute" sollen behauptet haben, im
Parlament sei schwer was drin? Daß das Ergebnis seines segensrei-
chen Wirkens die Desillusionierung des Protests ist, läßt sich
kaum bezweifeln. Daß er in Hessen als Minister mitmischt, keine
andere Sorge mehr kennt außer der, wie "Regierungshandeln" zu-
standekommt, stimmt sicher. Daß er aber diese seine Unabkömmlich-
keit als Dienst an der Bewegung verkauft, die ihn mit der eigenen
Realitätsertüchtigung beauftragt hat, ist schon eine fortge-
schrittene Form der Frechheit.
Zur Festlegung des Protests auf "den parlamentarischen Weg" ge-
nügt ihm ein Argumentationsmuster: ceterum censeo - im Parlament
geht nicht viel, aber was geht und wenn was geht, so nur dort.
Alle Erkundigungen darüber, was geht und was nicht, wieso wann
wieviel drin ist oder auch nicht - sind unangebracht. Er antwor-
tet ja schon ungefragt nur mit Beschimpfungen:
"Wenn du nicht die Akzeptanz von breiten Mehrheiten erreichst,
dann geht gar nichts".
Alles andere ist "akademisch"!
Wenn die "Bio-Tonne" i m Parlament schon nicht drin ist, dann
ist außerhalb desselben ü b e r h a u p t n i c h t s drin.
Also angetreten zum Kreuzchenmachen!
So gesehen eine ziemlich ehrliche Klarstellung. Wenn Fischer sein
Publikum schon mit einem "Gruß von mittendrin in der Scheiße" zu
beglücken pflegt, dann sollte man ihm das ruhig einmal als Aus-
kunft darüber abnehmen, was er ist: ein Scheiße-Manager.
zurück