Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu


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       Warum wählen Wähler Grüne? (1. Teil)
       

12 SCHLECHTE GRÜNDE, MIT DENEN DIE GRÜNEN FÜR IHRE WAHL WERBEN.

1. "Tschernobyl droht überall!", 2. Grüne sind "anders", 3. "Nicht Altes verwalten, sondern Neues gestalten!", 4. "Nie wieder CäSiUm!", 5. "Was tun!", 6. Sie zeigen es denen mal!, 7. "Bei uns ist jede zweite Abgeordnete ein Mann!", 8. Diesmal geht's ums Ganze!, 9. "Farbe bekennen!", 10. Klein, aber fein, 11. "Grün wächst - trotz allem!", 12. "Die Grünen in den Bundestag!" 1. "Tschernobyl droht überall!" ------------------------------- Eine Katastrophe ist passiert. Eine Menge Menschen sind erschroc- ken. Daraus sind dann bei den Wahlen Stimmen für die Grünen geor- den. Das hält jeder für natürlich. Bloß: Wieso ist die Erfahrung von Tschernobyl eigentlich zu nichts als grünem Stimmenzuwachs gut? Die Parteien sehen die Sache in gewohnter zynischer Nüchternheit und behandeln Tschernobyl als Material für ihren Stimmenfang. Für die Bürger ist keine andere Entscheidung vorgesehen als die Beur- teilung der Frage, welche Partei anläßlich Tschernobyls im Wett- bewerb um ihre Stimmen am besten abschneidet. Vorausgesetzt für einen solchen Zirkus ist allerdings eine Mannschaft, die sich mit der ihr zugedachten Rolle begnügt, weil sie auch ihre Aufgeregt- heit mit demokratischer Reife abgebrüht zu meistern versteht. Die Grünen haben sich gehütet, diese Stellung der braven Deutschen zu all den "Lagen", denen sie sich ausgesetzt sehen, zu erschüttern. Statt dessen haben sie erstens den Z u s t ä n d i g e n, die gerade eine Notstandsübung an ihrem Volkskörper abzogen, V e r s a g e n vorgeworfen - und damit die gute Meinung des Volkes zu ihrem Recht kommen lassen, seine Regierung sei - ei- gentlich - dazu da, Schaden von ihm abzuwenden. Zweitens aber ha- ben sie dem Wähler bedeutet, daß sein Protest bei ihnen gut auf- gehoben sei, indem sie an Tschernobyl den Nachweis führten, daß ihre Kritik b e r e c h t i g t sei. Daß die Grünen schon immer gesagt haben, wie dick es kommen könne, hat sie g l a u b w ü r d i g gemacht. Ihnen gebührt neben der Erfindung des ehrlichsten und bürgernächsten Krisenbewältigungsprogramms das Katastrophen-Warn-Urheberrecht. Je stärker das Jod oder das Strontium strahlt - man ist ja jetzt bestens informiert über "das Atom", das gefährliche -, desto rechter haben sie. Hemmungslos schlachten sie die gängige Praxis aus, Kritik mit der Frage zu verwechseln, welcher Autorität man sich anschließen solle: Sie lassen die stärkste aller Autoritäten, "die Wirklichkeit", für sich und damit für ihr Machtwort sprechen und ernten dafür all- seits beifällig besorgtes Kopfnicken. Grüne halten nichts davon, die Menschheit darüber aufzuklären, w a r u m es zu der Kata- strophe gekommen ist, gegen wen man mit welchen Mitteln vorgehen muß, um in Zukunft vor ähnlichen Überraschungen verschont zu bleiben; Tschernobyl ist den Grünen viel zu kostbar, als daß sie sich durch einen Protest, "der nicht die Akzeptanz breiter Mehr- heiten erreichen kann", die für sie günstige Wahlstimmung ver- sauen. Also legen sie dem Wähler die Frage vor: "Glaubt ihr nun, daß Katastrophen möglich sind? Und wißt ihr nun, wem ihr deshalb glauben könnt?" Diese überaus kritischen Fragen an alle Skeptiker garnieren sie mit einem noch wahlwirksameren "leider". Wie alle Rechthaber, die das Recht für sich reklamieren, sich dabei aber nicht der Rechthaberei bezichtigen lassen wollen, weisen sie ent- schieden heuchelnd den Vorwurf der anderen Parteien zurück, auf der Katastrophe ihr Süppchen zu kochen. Nichts wäre ihnen lieber gewesen, als mit ihrem Nicht-im-Recht-Sein die Katastrophe ver- meiden zu helfen. Aber nun, da die Katastrophe da ist, werden sie doch noch darauf aufmerksam machen dürfen, wer... "Es ist ein Moment in der Geschichte eingetreten, in dem wir uns nichts so sehr wünschten, als daß wir nicht Recht behalten hät- ten." (Präambel zum Bundestagswahlprogramm 1987) Was aber folgt aus diesem epochalen Unglück? "Nach Tschernobyl", wo angeblich nichts mehr so ist wie in den schönen alten Zeiten vorher, heißt es: "Mit Tschernobyl haben die Grünen recht behalten, sie sollten nun darum kämpfen, recht zu bekommen: jene gesellschaftlichen Mehr- heiten herzustellen, die einen Ausstieg aus der Atomenergie er- zwingen und bewerkstelligen können." (Kretschmann im "Spiegel" vom 16.6.) Man sieht, auch die Grünen beherrschen die Wahltechnik der E h r l i c h k e i t: Sie versprechen nichts, das Recht, das sie bekommen wollen, schreiben sie nicht umsonst klein - wie auch die der W ä h l e r b e s c h i m p f u n g: diejenigen, die nicht die richtige Partei gewählt haben, brauchen sich nicht über die AKWs zu beklagen, die sie bei den anderen Parteien in Auftrag gegeben haben. Wer aber Grüne wählt, weiß w a r u m: Er kämpft mit ihnen gegen ihr Haupt- und Magen-Ärgernis, für jene Prozente, die nie genug sind... Grüne haben nicht die Absicht, Protest zu s c h a f f e n. Ihr Ziel ist, Unzufriedenheit in grüne Stimmen zu verwandeln. Daß sie selbst Tschernobyl für so etwas wie einen unverdienten Glücksfall halten, läßt sich auch aus ihrem mißmutigen "Bericht zur Lage der Fraktion im Dezember 1985" entnehmen. Nach den verschiedenen Wahlniederlagen sind sie auf der Suche nach einem zugkräftigen Wahlthema. Und wie "der Wähler" und "die Parteien der Mehrheit" es so wollen, kommen Themen, die für unverzichtbare Ausweisschil- der der Grünen gehalten werden, nur noch sehr bedingt in Frage. Frieden und Atom sind "out": "Die Friedensbewegung hat sich nach erfolgter Raketenstationie- rung selbstverständlich nicht die Mobilisierungsfähigkeit erhal- ten können, die sie bis zum Spätherbst '83 gehabt hat. ... Skep- sis ist... hinsichtlich der Frage geboten, ob die Beseitigung der Raketen 1987 dieselbe Rolle spielen wird wie die Frage der Nicht- stationierung im Wahljahr '83. Ähnlich ist die Situation im Hin- blick auf die Anti-Atom-Bewegung." Der Wähler kann sich freuen, daß ihm auf alle Fälle entsprochen wird. Im Wahljahr '87 "droht" fürs erste immer noch "Tschernobyl überall" - und die Grünen brauchen ihren "langen Atem" nicht an einem Thema zu strapazieren, das "selbstverständlich" auch mal wieder abserviert gehört. 2. Die Grünen sind "anders" --------------------------- "Warum ich bei den Grünen bin Wilhelm Grillenberger, Pfarrer in München: Die GRÜNEN versuchen nach meiner Ansicht als einzige Partei wirk- lich konsequent, einen anderen Weg zu gehen als den des Wachs- tumswahns, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, Aus- beutung der Dritten Welt und Hasardspiel mit der Atomenergie." (Bavaria Grün: Zur Landtagswahl '86) Das müssen alle Parteien betonen, die mit ihren Konkurrenten ver- wechselt werden. Bloß bei den Grünen hält sich hartnäckig das Ge- rücht, sie wären wirklich anders. Dabei ist jedem Wähler der Grü- nen bekannt, daß ihre Politik ganz darin aufgeht, sich von den "Altparteien" abzugrenzen und sich ein "unverwechselbares Profil" zuzulegen. Er hält aber den Grünen das ihm von der Partei nahege- legte Argument zugute, die Notwendigkeit der Herausarbeitung ih- rer Identität (z.B. durch Großschreibung) beweise ihren Unter- schied, da mittlerweile alle anderen Parteien auf die grüne Kenn- marke scharf seien: Die Grünen waren "die erfolgreichste kleine Partei - erfolgrei- cher als wir selbst wahrhaben wollten: Seit wir im Parlament sind - grüneln alle anderen Parteien." (Brief an unsere Wählerinnen und Wähler) Wenn also die Grünen machen können, was sie wollen, und sie den- noch weiterhin im Ruf stehen, eine ganz besondere Partei zu sein, dann verdankt sich dieses Urteil nicht einer Überprüfung ihrer Politik. Wie jeder Wähler findet auch der grüne Wähler an seiner Partei Gefallen über einen Vergleich mit den anderen Parteien, die ihm mißfallen. Und selbst wenn er von den Grünen noch so ent- täuscht sein sollte, so mißfallen sie ihm immer noch am wenig- sten. Ganz j e n s e i t s all ihres Treibens steht ihre An- dersartigkeit fest: Sie haben seine Stimme verdient, weil alle anderen Parteien für ihn nicht (mehr) in Frage kommen. Für das, was den Grünen da als V e r d i e n s t angerechnet wird - n i c h t so zu sein wie die anderen -, brauchen sie al- lerdings nicht mal den kleinen Finger krumm zu machen. Wenn die SPD als Alternative nur noch eine bessere CDU-Politik mit einem versöhnlicheren Grinsen auf Lager hat, dann ist das i h r e Entscheidung und die Grünen zehren davon: alle jenseits der SPD angesiedelte Politik gilt nun als "wirkliche Opposition". Und wenn die SPD den Vorwurf der CDU, auf ein "rot-grünes Chaos" hin- zuarbeiten, mit einer deutlichen Koalitionsabsage an die Grünen zu entkräften bestrebt ist dann zehren die Grünen schon wieder davon: Ganz ohne ihr Zutun s i n d sie "ausgegrenzt" und können sich nun ohne falsche Bedenklichkeiten an eine Oppositionspolitik machen, die "eingrenzt". Natürlich unter Bewahrung aller Differenzen, die sehr im G r u n d s ä t z l i c h e n zu suchen sind. Die Grünen sagen nicht Nein zu der Politik, die gemacht wird. Sie versagen ihre Zustimmung dem "Politik v e r s t ä n d n i s", von dem die ge- machte Politik "getragen" wird. Die grundsätzliche Wende, die sie fordern, soll Politik an der Aufgabe ausrichten, für die Zukunft von Mensch, Tier, "unseren Kindern und anderen Völkern" (Brief an unsere Wählerinnen und Wähler) zu sorgen. Aus dem mangelnden "Respekt vor dem Leben" erklären sie alle von "der" Politik zu "verantwortenden" Übel der Neuzeit. Damit sind die Übel ziemlich beliebig: Sie stehen für die Mißachtung eines Prinzips, das je- dermann wichtig zu sein hat. Diese Kritik hat Maßstäbe gesetzt, an denen keiner mehr vorbei kann. Die Parteien nicht. Sie wissen es zu schätzen, daß Politik als Dienerin höchster Werte gehandelt wird, und verwahren sich lässig gegen den Vorwurf der Wertsmißhandlung, den ausgerechnet ihre Politik begangen haben soll. Und die Wähler nicht. Sie wis- sen, wie und worüber sie sich beschweren dürfen. Mit der Trennung der Politik von den Gründen, aus denen sie betrieben wird, und deren Ersetzung durch Werte, die ihr "eigentlich" zugrundeliegen sollten, darf folgenlos, aber "konsequent" gejammert werden über die Schlechtigkeit einer Welt, in der die Politik vom Pfad der Tugend abgewichen ist. Je fundamentaler die Klage, desto beschei- dener der Kläger. Ihm ist klar, daß sich in einer Welt, die um ihr "Überleben" ringt, seiner Wünsche ameisenklein ausnehmen und sich dem Fortbestand der Gattung Mensch unterzuordnen haben. Da- für leuchten ihm Opfer nicht nur ein. Er begrüßt und fordert sie aufs entschiedenste. Abhilfe erwartet er von der Politik - ange- sichts der riesigen Problemberge - nur in bezug auf seinen Ge- fühlshaushalt: Mit einer neuen "Kursbestimmung" könnte sie ihm immerhin die "Perspektive" vermitteln, daß sich "das Schlimmste" vielleicht doch noch vermeiden ließe... "2,2 Millionen Bundesbürgerinnen habe am 6. März 1983 dafür ge- sorgt, daß im Bundestag eine wirkliche Oppositionspartei vertre- ten ist, die eine grundlegende Alternative zum zerstörerischen Kurs der Altparteien zu bieten hat: Die Partei DIE GRÜNEN." (Präambel zum Bundestagswahlprogramm 1987) 3. "Nicht Altes verwalten, sondern Neues gestalten." ---------------------------------------------------- Mit dieser Parole wenden sich die Grüne an die Jugend, der die Zukunft gehört. Um ihr nicht den Lebensmut zu nehmen, lassen sie ihre fundamentale Kritik hier nur leise hinter rosigen Möglich- keiten durchschimmern. Aber auch alle anderen junggebliebenen De- mokraten werden grünen Sinn für Humor und Taktik zu würdigen wis- sen. Gekonnt werden hier alle denkbaren Angriffe auf grüne Politik pa- riert und gleichzeitig eine Attacke gegen die anderen Parteien geritten von der sie sich so schnell nicht erholen werden. - Gegen den Vorwurf, Grüne würden sich vor der Machtausübung scheuen, drückten sich vor "der Verantwortung", bedienen sie sich des rhetorischen Mittels der Retourkutsche, die unter Demokraten immer sitzt. Dem Gegner wird dessen euphemistische Formulierung fürs Regieren geschickt entwendet, mit der Anrufung "des Neuen" nachdrücklich betont, daß es um die gemeinsame Sache geht, und zugleich fein herausgearbeitet, daß die Gegenseite an deren Ver- wirklichung scheitern müsse. Ohne dem Gegner den guten Willen ab- zusprechen man hält auf demokratischen Stil in grünen Kreisen -, wird der Drückebergervorwurf mit der Enthüllung eines Abgrunds an Unfähigkeiten gekontert: alt, bürokratisch, verknöchert, ver- braucht. Ansprechend in den Generationenkonflikt: frische Tat- kraft vs. zahnlose Einfallslosigkeit verpackt, servieren sie den Uraltkalauer, daß die Demokratie vom "Wechsel" lebe. So orientie- ren sie sich am von den "Alt"-Parteien vorgegebenen und für stimmträchtig befundenen Optimismus und zeigen nebenbei, daß trotzdem Kritik nicht auszusterben braucht. Im Namen der Demokra- tie ist sie möglich auch heute noch. Der verehrte Wähler darf sich was vorstellen, und fertig ist die Kritik: Demokratie ist bunter, frischer, auf jeden Fall ganz anders als alles, was ihm die anderen Parteien an Politik bieten. - Den Einwand, die an sich berechtigte Kritik der Grünen ver- scherze sich viel an möglichen Sympathien durch unangenehme Be- lehrungen, moralische Rigorismen und perspektivlose Angstmache- rei, entkräften sie dadurch, daß sie ihm recht geben. Die Maß- stäbe, an denen sie die anderen Parteien blamieren, können sie mittlerweile als gegessen unterstellen. Wo Politik heute allge- mein und offiziell als Bewältigen der Überlebensfrage verkauft wird, erinnern sie nur mehr dezent ans Scheitern, ohne das W o r a n noch extra aufzuwärmen. Der Vorwurf, daß es die ande- ren "nicht bringen", bringt's anscheinend auch. Man sieht: Übermäßige Mühe verwenden die Grünen nicht auf die Be- weisführung, warum man die anderen Parteien nicht wählen solle: Dem politischen Gegner werden seine Fähigkeiten abgesprochen, da- mit ist er erledigt - und seine Politik außen vor. So verfahren sie zwar, wie in der Demokratie üblich, äußerst rabiat mit dem politischen Gegner als M e n s c h e n. Die Kritik seiner P o l i t i k ist aber, ohne ein Wort g e g e n sie zu verlie- ren, damit gelaufen. Wär da nicht mal der Schluß fällig, daß die Grünen keine Einwände gegen sie vorzubringen haben? Die Kritik des Typus "Jungen Kräften trau ich bei der Bewältigung von Jahrhundertaufgaben mehr zu" lebt offensichtlich davon, daß keine große Überzeugungsarbeit beim Wähler zu leisten ist: Die anderen Parteien werden von vorneherein nicht für wählbar gehal- ten. Die Leistung der Grünen bleibt es, die Kritik am "Atomstaat" beispielsweise auf das garantiert keimfreie, weil mehrheitsfähige Oppositionsargument runtergebracht zu haben. Wer von der SPD ent- täuscht war, weil er sich unter Opposition was anderes vorge- stellt hatte, bekommt hier eine klare Auskunft, was die Grünen unter Opposition verstehen. Mit dem abschätzig-mokanten Grinsen über die Impotenz der Alten ist für sie die Sache gelaufen. Wer mag, kann sich zufriedengeben und mitgrinsen. Man darf sich na- türlich auch weiterhin unter Opposition was anderes vorstellen... 4. "Nie wieder CäSiUm!" ----------------------- Grüne Wähler halten ihrer Partei zugute, daß sie Veränderung in- tendiert. Sie machen ihre Wahl nicht davon abhängig, welche Ver- änderung die Grünen versprechen und worin die von ihnen bewirkten Veränderungen bestehen. Ihnen ist ja bekannt, daß die einzige Veränderung, mit der die Grünen aufwarten können, eine Politik ist, die Im Namen der Betroffenen gemacht wird. Um über den Zynismus hinwegzusehen oder ihn gar zu goutieren, mit dem der Protest in Grünfutter verwandelt wird, muß man in die eigene Betroffenheit verliebt sein: Als Betroffener wird man von dieser Partei bestens bedient. Darüber hinaus muß man den erstrebten Erfolg aus dem Blickwinkel der grünen Partei betrachten: An der Notwendigkeit von Veränderungen darf man nicht festhalten, sondern muß sich danach erkundigen, ob sie möglich sind, und sie so von all den Bedingungen und "Sachzwängen" abhän- gig machen, deren Berücksichtigung die Partei für opportun erach- tet. Zum Abgewöhnen deshalb im folgenden eine Betrachtung, was die Grünen bzgl. der AKWs gefordert und was sie erreicht haben und wie sie dabei mit dem Protest umgegangen sind. Die im bayerischen Landtagswahlkampf mit Erfolg propagierte Parole "Nie wieder Cä- SiUm!" ist die politisch fortentwickelte Parole der Anti-Atom-Be- wegung "Atomkraft - nein danke!". Die Protestbewegung macht darin den F e h l e r, im Namen ihres Betroffenseins Beschwerde ein- zulegen: A l s O p f e r Rücksicht zu f o r d e r n ist ein Unding. Als Opfer hat man nichts zu melden, und wer fordert, will nicht länger Opfer sein; wer den zuständigen Stellen seine Be- troffenheit vorführt, tut so, als sei die höheren Orts unbekannt; aus dem Protest wird die Bettelei, verschont werden zu wollen dies aber in der Pose des Forderers: Man verbreitet das Gerücht, als müßten die Politiker bei ihren Entscheidungen die Erlaubnis jener einholen, die nichts zu sagen haben - aber was zu sagen hätten, wenn man sie nur fragen würde! Und weil kein anderer Geg- ner als die Kraft des Atoms benannt wird, macht sich der Protest schon schwer von der Berechtigung der ihm auferlegten Überzeu- gungskraft abhängig, daß seiner Kritik jeder vernünftige Mensch guten Willens zustimmen können müßte. Wie dem auch sei: Die Pro- testbewegung wollte, zumindest in den Augen der Partei, die sie beerbt hat, die AKWs w e g h a b e n - und zwar u n b e d i n g t. Genau das machen ihr die Grünen zum Vorwurf. Für sie ist Die Erfolglosigkeit des Protests ein Argument gegen ihn Die grüne Partei knüpft den Protest fortan an die B e d i n- g u n g seiner Durchsetz b a r k e i t. Gegen AKWs zu sein ist jetzt an die Bedingung grünen Wahlerfolgs gebunden. Mit der Wahl hat man seinen Beitrag zur Veränderung abgeliefert - und seinen Protest abzuliefern: Fürs Verändern sind nun wieder zuständige Stellen zuständig. Das bekommen die Protestierer zur spüren. Um sie für grüne Politik zu vereinnahmen, werden ihre Fehler nicht korrigiert, sondern ausgeschlachtet. Als Betroffener hat man ein Recht, sich nach Herzenslust über seine Betroffenheit zu e m p ö r e n, die nicht sein müßte, wenn es in der Politik anders zuginge... Mit der Gleichsetzung von CSU mit Cäsium wird der an Gründen desinteressierte Wunsch nach einer heileren Welt von grüner Seite befördert. Kein wahres Wort, w a r u m die Leute verseucht werden: Die Schädigung der Menschheit ist das notwendige und in Kauf genommene Abfall- und Nebenprodukt einer Politik, der es mit der Versorgung der Industrie mit billiger En- ergie und der Nation mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf auf andere und für wichtiger befundene Zwecke ankommt als die Ga- rantie des persönlichen Wohlbefindens. Statt dessen Übertreibun- gen noch und noch. Cäsium ist so schlimm wie die CSU - oder umge- kehrt, weil es beide auf die Vergiftung der Menschheit abgesehen haben. Cäsium läßt sich aber auch ganz leicht weghaben, man muß sich nur für die Richtigen entscheiden und die Bösen wegwählen. Das "sich politisch stark machen für die Stillegung der AKWs" (Trampert/Eröffnungsrede) heißt von Wählerseite, sich für die Grünen, also die Grünen per Wahl stark machen. Von Seiten der Grünen heißt es, den Wähler für eine "politische" Beurteilung des Sachverhalts zu erwärmen, in die er bei den Grünen selbstver- ständlich seine ganze Subjektivität mitbringen darf und soll: Wie paßt mir der Umgang der Parteien mit den AKWs? - soll er sich rhetorisch fragen, um seine politische Heimat bei den Grünen fin- den zu können. "Der kurzfristige Ausstieg - die sympathische Al- ternative" (Grünes Bulletin / September '86) soll er sagen und nix dabei finden, wenn die Grünen Forderungen nur deshalb auf- stellen, damit man sie nett findet. Ja wem wäre der kurzfristige Ausstieg - woraus eigentlich ? - nicht am liebsten! So kräftig darf man hier wünschen, weil eh jedermann klar ist, daß sich Po- litik nicht darum dreht, was mir paßt - auch wenn's schön w ä r'... Deshalb folgt dem Irrealis, mit dem Wählerwünsche sich bei den Grünen aufgehoben sehen sollen, der "Realismus" sogleich auf dem Fuße: "...sollten die Grünen gewählt werden, auch wenn die Durchsetzung nicht in einem halben Jahr zu haben ist... (Trampert / Eröff- nungsrede zur Bundesversammlung in Nürnberg) Und warum ist sie nicht zu haben - 1/2 Jahr hin, 4 Jahre her? Der Wähler soll sich's halt nicht verdrießen lassen, daß "die Durch- setzung" - von was eigentlich? - "nicht so einfach" zu haben ist. Sie ist auf jeden Fall machbar, sofern der Wähler Wähler bleibt, d.h. nichts überstürzt, keine überzogenen Ansprüche an die Grünen richtet, nach wie vor davon ausgeht, daß hier seine Wünsche best- möglich und nach Kräften befriedigt werden, und deshalb weiter das tut, was er sollte: nämlich wählen. Daß die Überlegung, wer - außer dem hitzköpfigen Wähler - aufgrund welcher Interessen und mit welchen Mitteln dem geforderten Ausstieg aus der Kernenergie entgegensteht, nicht weiterhilft: dafür steht die Versicherung, daß besagter zum Kürzel geronnene Ausstieg durchsetz b a r sei. Was a l l e wollen, daß muß doch m ö g l i c h sein - rufen die Grünen sich und allen von zu viel gutem Willen Besoffenen zu: "Laßt uns nun gemeinsam kämpfen für die Abschaltung aller AKWs und für die Erhaltung des Reinheitsgebotes beim Bier." (Gratulation zum Wahlerfolg in Bayern von den baden-württembergi- schen Grünen. In: Grüne Zeiten, November '86) Das Runterbringen des Vorhabens, die AKWs stillzulegen, auf einen an Harmlosigkeit nicht zu überbietenden Wunsch darf man dabei ebenso komisch finden wie den feinen Sinn für Selbstironie. Die Grünen wissen selbst am besten, was von ihrem "Kampf" zu halten ist, der auf die Einhaltung bestehender Vorschriften aus ist. Deshalb wird auf der einen Seite nach Kräften betont, daß man im- mer noch dasselbe wolle wie "die Bewegung": "Darüber hinaus steht wiederum ein - und darüber hinaus deutlich relevanterer als der bayerische - Wahlkampf ins Haus, in dem al- len Bewegungen und insbesondere der Anti-WAA-Bewegung alle er- denkliche Unterstützung zuteil werden muß, auf daß die GRÜNEN als gestärkte Kraft in den Bundestag einziehen." (Grüne Zeiten, No- vember '86) Unterstützung der Basis also, a u f d a ß anständig gewählt wird - und aus keinem anderen Grund. Auf der anderen Seite aus demselben Grund Behinderung aller bewegten Aktivitäten, die m ö g l i c h e r w e i s e Stimmenverlust bedeuten könnten: "Die GRÜNEN treten ein für das Prinzip der Gewaltfreiheit, und wir lassen uns nicht als Plattform für gewalttätige Auseinander- setzungen mißbrauchen. Wir müssen uns überlegen, wie das Klima der Aggression... entzerrt werden kann." (Kaltenhauser, Landes- vorstandssprecher der Grünen in Bayern, 9.6., in: radiaktiv 10/86) Dieses eindeutige Verhältnis von wechselseitigem Ge- und Miß- brauch, Die Instrumentalisierung des grünen Protests für Wahlzwecke darf selbstverständlich auch kritisiert werden. Ebermann z.B. würde als Jugendlicher schleunigst aus der Partei austreten, wenn sie "zum Klotz am Bein" wird, auch wenn er, als Ebermann", diesen Schritt bedauert": "Ich kann mich nicht in die bornierte Position begeben, Leute tretet nicht aus, ihr schwächt nur die Linken in den Grünen. Es ist einfach so, wenn man in einem bestimmten Milieu" (verhält es sich in einem nicht so bestimmten Milieu vielleicht anders?) "arbeitet, und die Grünen eine bestimmte gegen die Intention die- ser außerparlamentarischen Arbeit gerichtete Politik machen, wenn einem das Arbeiten so erschwert wird, daß die Mitgliedschaft bei den Grünen zum Klotz am Bein wird..." (in: Arbeiterkampf, 20. 10.) Dieser Mann hat Nerven. Er kennt Gründe auch wenn er sich nicht näher über sie ausläßt, gegen die Grünen zu sein. Er weiß, daß sie dem Protest schaden. Und was fängt er mit diesem Wissen an? Er macht wie ein Pfarrer, der seinen Schäfchen den Austritt aus dem Religionsunterricht freistellt, Reklame für die Grünen, weil "bei denen" - ein echter Grüner verwahrt sich immer gegen den Vorwurf, "bloß" Grüner zu sein - auch s e i n e Toleranz zu Hause ist. Und weil bei den Grünen Austreten erlaubt ist, bleibt er drin - selbstverständlich mit allen nur denkbaren Vorbehalten und Distanzierungen. Man darf das Verhältnis zur Basis auch als Zeichen der "Entfremdung" von ihr, als "Abgehobenheit" werten. Damit bleibt das gute Einvernehmen zwischen oben und unten ebenso gewahrt. Den Repräsentanten wird nach wie vor der gemeinsame Wille zur "Veränderung" unterstellt. Wenn die beteiligten Par- teien ab und an durchaus gegensätzliche Vorstellungen entwickeln, was darunter zu verstehen sei, so liegt das an der durch die Di- stanz bedingten Schwerhörigkeit. Den zynisch taktischen Umgang mit der Basis als Manövriermasse zur Beförderung der Durchsetzungsfähigkeit der Partei kann man sich aber auch mit den höheren Notwendigkeiten der Gepflogenhei- ten des bundesrepublikanischen Wahlkampfs zurechtlegen. Dann ist eben klar, daß G e w ä h l t w e r d e n und g e g e n AKWs zu sein 2 Paar Stiefel sind. Dann sieht man die Sache so, daß die Gegnerschaft im Dienst an "der Sache" auch mal zurückzutreten habe - wobei nicht abzusehen ist, wann und wieso sich das Ver- hältnis einmal umdrehen könnte. Dann hat man Verständnis, daß die Partei höllisch aufpassen muß, nicht in die von den anderen Par- teien gestellte "Gewaltfalle" zu tappen. Die ist nämlich unan- greifbar und läßt sich nur durch Wohlverhalten entkräften. Des- halb hat die Partei auf ihrer Bundesversammlung in Nürnberg vor der Bayernwahl den Aufruf zur Demonstration gegen die WAA in Mün- chen unterbunden. Die Demonstranten blieben trotzdem nicht "im Regen stehen" (Ebermann). Erstens war die Demo von der Münchner Polizei nicht, von den Grünen also auch n i c h t v e r b o t e n worden. Also durften die grünen Demonstranten ihrem Gewissen folgen und demonstrieren. Zweitens hatten sie die moralische Unterstützung der Minderheitsfraktion auf ihrer Seite: Sie "drohte" der Mehrheit, fürderhin die gemeinsamen Beschlüsse nur noch unter weitaus vernehmlicherem Zähneknirschen tragen zu können und ließ sich zu der Verteilung eines Unterstützungsbriefs an die Demonstranten herbei. Nach der Bayernwahl und lang genug vor der Bundestagswahl war dann wieder eine Demonstration fällig, um die Grünen als Protestpartei in Erinnerung zu bringen, nämlich in Hessen. Der Protest richtet sich gegen einen weitverbreiteten Gegner namens "Verdrängen", "stellt" aber auch schonungslos "die Verantwortlichen" "zur Rede" - gibt's was zwischen Fischer und Börner zu besprechen, was sie sich nicht schon auch im Kabinett hätten mitteilen können? - und konfrontiert sie unerbittlich mit der eigenen "Ohnmacht": "Die Reaktorkatastrophe und das Erlebnis unserer Ohnmacht gegen- über den Folgen des radioaktiven Fall-outs von Tschernobyl sind gerade vier Monate alt... Wir unterstützen und ermutigen deshalb alle Initiativen... die... angefangen haben, für ihre und ihrer Kinder Gesundheit und gegen die weitere Nutzung von Atomenergie zu kämpfen. Dezentral und millionenfach müssen wir jetzt gegen das große Verdrängen und Vergessen angehen und die politisch Ver- antwortlichen zur Rede stellen." (Aufruf der Fraktion zur Demon- stration am 8.11. in Hanau) Was die L e i s t u n g e n des Herrn Fischer angeht, so darf man in grünen Kreisen durchaus geteilter Meinung sein. Nur eines darf man nicht: Sie als das nehmen, was sie sind - die Durchset- zung aller Regierungsnotwendigkeiten. Ein Grüner kann auch als Minister machen, was er will, m i t machen tut er nie. 1. ist die Partei auf B u n d e s e b e n e in O p p o s i t i o n - und die hat unter kritischen Menschen immer den Bonus, n i c h t die Regierung zu stellen. Daß sie deshalb keineswegs f u n k t i o n s l o s, sondern dazu da ist, allen Regierungs- entscheidungen die Entlastung zu verschaffen, daß auch ganz an- dere d e n k b a r wären, fällt nicht in Betracht. Was den Mi- nister in Mainz betrifft, so gelten seine Dienste nur dem guten Zweck, von der Partei den Ruch der Verantwortungslosigkeit abzu- wälzen und so ihre Wahlchancen zu verbessern. 2. ist eine Regie- rung in R e s s o r t s aufgeteilt: Also brüstet er sich mit den E r f o l g e n der gesamten Regierung und d i s t a n- z i e r t sich von allem, was Wählern möglicherweise nicht gefällt. Die Entscheidung der Grünen, Dachlatten-Börner an die Macht zu verhelfen, weil sie selber aufs Regieren scharf sind, soll man angesichts der Tatsache, daß die Grünen nicht die Mehrheit im Kabinett einnehmen, für unwesentlich befinden. Nicht zur Kenntnis nehmen sollte man besser auch, worauf sich ihr gan- zes Bestreben reduziert: endlich einmal von der Mehrheit beauf- tragt zu werden, selber "am Drücker zu sitzen" (Kretschmann im "Spiegel", 16.6.) - Schluß, aus. 3. Doch selbst das Argument: "Ich bin ja b l o ß ein Teil" - wovon denn nur? - ist noch steigerbar. Selbst der Ressortchef ist für Umweltfragen und -lö- sungen schlechterdings nicht haftbar zu machen. Ihm funken "Die politische Lage", "der rechtliche Rahmen" und allerhand andere "Sachzwänge" stets so dazwischen, daß selbst die versprochen "kleinen Schritte" nur mit der Lupe zu suchen sind. Nicht einmal die er- sehnte "Bio-Tonne" war aufgrund des "erstaunlichen Beharrungsver- mögens der SPD" (Fischer) durchsetzbar. Mit diesen ausgeklügelten T r e n n u n g e n seiner verschie- denen Rollen steht der Minister blendend da. Er hat das Menschen- mögliche versucht. Daß das, was er für durchsetzbar erachtet hat, allerdings schwer von den politischen K o n j u n k t u r e n abhängig war, sollte man ihm nicht als Opportunismus, sondern mit seinen eigenen Worten als "Geduld und Schlitzohrigkeit" (taz, 27.10.) anrechnen. Wenn v o r Tschernobyl der Ausstieg aus Bi- blis wegen der Rechtslage nicht möglich ist, so ist nach Tscher- nobyl alles "gemäß Aktenlage" drin und machbar. Während er v o r Tschernobyl das Argument bemüht, im hessischen Kabinett säßen ja "bloß 1 Minister und 7 Hanseln", brüstet er sich nach Tschernobyl - von den Linken unwidersprochen - damit, daß "der Kampf des hes- sischen Umweltministers mehr bewirke als alle außerparlamentari- schen Bewegungen." (zitiert nach "Arbeiterkampf", 20.10.) Dieser Mann läßt sich von niemandem mehr darauf festnageln, was er erreichen will, muß oder sollte. Um alle etwaigen Ansprüche oder "naiven Erwartungshaltungen" an "grüne" Politik abzublocken, belehrt er das Publikum, daß und wie er seine Taten bewertet se- hen möchte. Er beherrscht Die Lüge von der "Durchsetzbarkeit" vorwärts wie rückwärts. Egal, was er erreicht oder nicht erreicht hat: Es handelt sich entweder um ein "immerhin" oder aber um ein "bloß". Entweder ist es ein kleiner Schritt, der i m m e r h i n "einen Schritt weg vom möglichen Abgrund" oder aber auch beschei- dener gefaßte nächste kleine Schritte ermöglicht. Oder aber es ist b l o ß ein kleiner Schritt und längst nicht das, was die Grünen "eigentlich" wollen. So rastet und ruht er nicht, bis auch dem letzten Protestierer aufgeht, eine wie schwierige Sache Veränderung ist: "Das schaffen wir nicht. Das schaffen wir nur über einen Stimmen- zuwachs für die Grünen oder aber über eine wirkliche Massenmobi- lisierung. ... Das dann in Regierungshandeln umzusetzen, das wür- den wir mit einer SPD-Minderheitsregierung auf keinen Fall schaf- fen. Dazu bräuchten wir schon einen grünen Minister, und selbst der würde sich dabei wahrscheinlich furchtbar den Kopf einrennen. Aber dann könnte man sagen: Okay, deswegen sind wir angetreten, damit die Leute mal sehen, was geht und was nicht." (Von der Ma- chbarkeit des Unmöglichen, 129) Und ausgerechnet "deswegen" will dieser grüne Soldat seine Pflicht tun? Ausgerechnet "die Leute" sollen behauptet haben, im Parlament sei schwer was drin? Daß das Ergebnis seines segensrei- chen Wirkens die D e s i l l u s i o n i e r u n g des Protests ist, läßt sich kaum bezweifeln. Daß er in Hessen als Minister mitmischt, keine andere Sorge mehr kennt außer der, wie "Regierungshandeln" zustandekommt, stimmt sicher. Daß er aber diese seine Unabkömmlichkeit als Dienst an der Bewegung verkauft, die ihn mit der eigenen Realitätsertüchtigung beauftragt hat, ist schon eine fortgeschrittene Form der Frechheit. Zur Festlegung des Protests auf "den parlamentarischen Weg" ge- nügt ihm ein Argumentationsmuster: ceterum censeo - im Parlament geht nicht viel, aber was geht und wenn was geht, so nur dort. Alle Erkundigungen darüber, was geht und was nicht, wieso wann wieviel drin ist oder auch nicht - sind unangebracht. Er antwor- tet ja schon ungefragt nur mit Beschimpfungen: "Wenn du nicht die Akzeptanz von breiten Mehrheiten erreichst, dann geht gar nichts." (taz, 27.10.) Wenn die "Bio-Tonne" im Parlament schon n i c h t drin ist, dann ist außerhalb desselben ü b e r h a u p t n i c h t s drin. Also angetreten! Der Einwand gegen derlei Unverschämtheiten, die Grünen im Parla- ment hätten doch wohl auch n i c h t a l l z u v i e l e r r e i c h t, taugt nichts. Erstens rechtet er mit den Grünen um den E r f o l g - anstatt zu bemerken, daß dies genau die Ebene ist, auf der die Partei nur noch über Veränderung zu spre- chen gewillt ist. Kein Streitgegenstand ist mehr, warum einen was stört und was dagegen zu unternehmen ist. Der Streit dreht sich vielmehr um die Frage, wieviel Erfolg die Kontrahenten vorzuwei- sen haben und auf welche Weise Erfolg möglich ist. Fragt sich nur wobei. Der Weg von keinem, zu wenig, zu immer mehr, zu viel Erfolg ist nämlich auch eine Veränderung, auch wenn versichert wird, die Erfolgsstraße nur zu betreten, u m auf ihr Veränderung zu er- möglichen... Zweitens ist es ja nicht wahr, daß die Grünen im Parlament nichts oder wenig erreicht hätten. Sie werden schon ihre Gründe dafür haben, wenn sie dies von sich behaupten. Damit legen sie dem Wähler den Maßstab nahe, mit Hilfe dessen sie beur- teilt werden wollen: Wo nur noch das anvisierte Regieren zählt, ist alles drunter einerseits "nicht viel", andererseits ein Schritt dorthin. Deshalb ist auch kein Rätsel, was die Burschen im Parlament getrieben haben, was sie z.B. "im Monat September 1985" in den "54 Pressemitteilungen, 8 Pressekonferenzen, 6 Ge- setzesentwürfen, 11 Anträgen, 2 Entschließungsanträgen, je 9 Große und Kleine Anfragen etc. etc." (Rechenschaftsbericht '85) gefordert und für beschlußwürdig befunden haben, auch wenn es nicht beschlossen wurde, was sie also mit ihren tausenderlei Ak- tivitäten bewirkt haben, auch wenn kaum etwas davon Gesetzesform erlangt hat. Zwar haben sie zu ihrem Leidwesen "die Machtstruktu- ren im Parlament" nur unwesentlich "verändert" - diese Aufgabe will sich auch erst mal gesetzt sein! Dafür haben sie getan, was in ihrer Macht stand, das B e w u ß t s e i n ihrer Wähler zu strukturieren. Die Abgeordnete Nickels bemerkt hierzu: "Man sollte die Aufgabe, Bewußtsein zu schaffen in dieser Gesell- schaft, nicht zu gering schätzen." (Von der Machbarkeit des Un- möglichen, 30) Fragt sich nur, wer das tut? Etwa die Machtstrukturierer? Und w a s f ü r e i n Bewußtsein sie geschaffen haben wollen? Letzteres ist für Frau Nickels natürlich keine Frage. Sie weiß, welches Bewußtsein sie kreieren will: grünes Wählerbewußtsein. Wie sonst könnte sie alles andere für Nicht-Bewußtsein halten? - Sie haben bei "glaubwürdigen Instituten" "realistische S t u d i e n" in Auftrag gegeben, die "den Rahmen des rechtlich Möglichen bis an die Grenzen des Machbaren" "ausloten" sollten. Damit haben sie das Vertrauen in das R e c h t gestärkt, das eigentlich dazu da sein sollte, den "Atomstaat" in seine Schran- ken zu weisen, auch wenn und gerade weil derzeit weit und breit nichts davon zu merken ist. - Sie haben auch Gutachter beschäftigt, die nachzuweisen hatten, daß das "grüne Ausstiegsmodell" "ö k o n o m i s c h m a c h- b a r" ist. Damit haben sie bewiesen, daß der Wunsch nach weniger Verstrahlung in Erfüllung gehen kann, o h n e die Interessen von Staat und Wirtschaft zu schädigen. Andersrum: Den Betroffenen wurde zur Auflage gemacht, sich nicht g e g e n die in dieser Gesellschaft maßgeblichen Interessen zu richten, son- dern deren "Wünsche" mitzubedenken. Staat und Wirtschaft aber wurde ein Angebot unterbreitet, dessen Zurückweisung keinen In- teressengegensatz, sondern die wahre Heimat der Vernunft zum Vor- schein gebracht hat. - Sie haben G e s e t z e s e n t w ü r f e ausgearbeitet. Z.B. eine "u m w e l t f r e u n d l i c h e S t e u e r r e- f o r m", die die "Belastungen" gerechter verteilen soll. Die Anwendung des "Verursacherprinzips" entdeckt zwei Prinzipien als Verursacher der "Umweltbelastungen". Sowohl "Konsumtion" als auch "Produktion" können ohne Kontakt zur Umwelt nicht auskommen, ergo "belasten" sie sie. Wo jeder "Eingriff" in die Natur als Anschlag auf deren ihr zustehende Unverletzlichkeit gewertet wird, hört sich alle Unterscheidung auf. So ist das Auto zur "Atombombe des kleinen Mannes" (Die Grünen/20.9. ) avanciert. Weil der Dreck aus einem Auspuffrohr oder einem Schornstein beide Male schädliche Stoffe enthält, fragt sich für die Fahnder nur noch, w e m das Rohr gehört. Warum der Dreck in die Landschaft gepustet wird - daß im einen Fall das Geld vielleicht noch für die neue Waschmaschine, aber nicht mehr für einen Katalysator (bei dem "die Konsumtion" eh in keinen besonderen Genuß kommt) reicht, das andere Mal das Geld zwar da, aber für den Einbau von Schadstoffiltern zu schade ist, die zwar den Lungen, aber nicht der Bilanz nutzen -, interessiert da nicht. Der Umweltbelaster lernt daraus, daß er an der Existenz von AKWs nicht ganz unschul- dig ist, weil er deren Strom abnehmen muß; und daß er als Wähler nur die Alternative zwischen verschiedenen Übeln hat: entweder bestrahlen oder blechen oder beides. - Zur Neufassung der S t r a h l e n s c h u t z v e r o r d- n u n g durch die Bundesregierung lautet die Kritik der Grünen: "Werden die Auflagen nun wie geplant abgeschwächt, so müssen etwa die Filter von Atomanlagen weniger oft gewechselt werden. ... Eine solche Strahlen'schutz'verordnung vertritt die Interessen der Betreiber von Atomanlagen - auf Kosten der Gesundheit der Be- völkerung und der Beschäftigten in der Atomindustrie." Sie konstatieren, was die Regierung vorhat und finden an diesem ärgerlichen Sachverhalt nur noch bemerkenswert, daß sie ihn empö- rend finden. Deshalb sucht man vergeblich nach Gründen, w a r u m das neue Gesetzesvorhaben sowie die Interessen der Atomfirmen "a u f K o s t e n der Gesundheit der Bevölkerung" gehen. Die Grünen sind am Ziel ihrer Agitationswünsche, wenn die Wähler mitgekriegt haben, w e r es gemein findet, wie mit ihnen umgesprungen wird. Und dabei wär' ein auskömmliches Zusammenleben doch ohne weiteres zu haben! "Wir" haben eine Bevölkerung, die verträglich, anstellig und für die Industrie, auch die Atomindu- strie, gut zu brauchen ist - also kein Grund, sie zu bestrahlen; wir haben Schutzverordnungen - also kein Grund, sie in Anfüh- rungszeichen setzen zu müssen; und wir haben einen Staat zum Aus- gleich der Interessen - also kein Grund, Gegensätze zwischen ih- nen aufzumachen. Die Grünen propagieren so alles andere als die Beseitigung der Ursachen des Schadens. Gegen die Betreiber der AKWs ist ja nichts eingewandt worden - außer einer unverantwort- lichen und nicht nötigen Gesundheitsschädigung. Auch gegen den Staat wird nicht daran festgehalten, was er tut: Ihm wird die Nicht-Anwendung seiner alten Strahlenschutzverordnung zur Last gelegt. Also sollen beide weitermachen wie bisher - nur ein biß- chen rücksichtsvoller. Wenn die Grünen Schutz fordern, so rechnen sie mit der fortgesetzten Gefährdung von Leib und Leben: "Deshalb fordern die GRÜNEN: 2. Neubestimmung der Grenzwerte Für alle Nahrungsmittel sind Konzentrationsgrenzwerte für die wichtigsten Nuklide festzusetzen, die sicherstellen, daß die ge- samte radioaktive Belastung durch Nahrungsaufnahme die in der Strahlenschutzverordnung festgesetzten Grenzwerte bei Normalbe- trieb von Atomanlagen nicht überschreiten. Es ist gesetzlich an- zuordnen und sicherzustellen, daß ausschließlich Nahrungsmittel in den Umlauf gebracht werden, die diesen Grenzwerten entspre- chen. ... 3. Einrichtung eines radiologischen Dienstes Analog zum meteorologischen Dienst ist ein radiologischer Dienst einzusetzen, der die Daten über die radioaktive Belastung von Pflanzen, Tieren und Boden ständig erfaßt und auswertet." Verstärkte und umfassendere Schutzmaßnahmen rund um die Uhr sol- len der Bevölkerung Schutz, diesmal echt und ohne Anführungszei- chen, bringen: Wenn in allen Lebensmitteln die Grenzwerte ordent- lich drin sind und die in Umlauf gebrachte Nahrung den Grenz- werten korrekt entspricht, dann zufrieden? Offensichtlich gehört da noch der Glauben dazu, daß Grenzwerte was Feines sind, die der Staat zum Schutz seiner Bevölkerung erläßt, um Schaden von seinem Volk abzuwehren. Diese grünen Katastrophenverbesserungsvorschläge leisten zweierlei: Sie machen die Betroffenen nachdrücklich mit der schicksalhaften Unausweichlichkeit "der Gefahr" vertraut. Und mit der Kräftigung des Vertrauens in die wohltätigen Absichten der staatlichen Instanzen machen sie sie bei der Schadensvermei- dung ganz von denen abhängig, denen sie die Bescherung zu verdan- ken haben. - Und sie haben die Menschheit mit "I n f o r- m a t i o n e n" versorgt. Sie haben sich als die besseren Katastrophenbewältiger profiliert, die dem Bürger die niedrigst- möglichen Grenzwerte verpaßt und mit den ehrlichsten und exaktesten Meßdaten ausgestattet haben. Wenn das kein Service ist: "Um unseren Leserinnen und Lesern eine Orientierung über die im Herbst/Winter ins Haus stehende Belastung der Nahrungsmittel zu geben, veröffentlichen wir in Auszügen die neueste Untersuchung des IFEU-Institutes, die von den GRÜNEN im Bundestag in Auftrag gegeben worden ist." (Grüne Zeiten/Nov. '86) "WAS KANN DER EINZELNE TUN? WELCHEN WEG AUS DIESER UNSERER BE- DROHLICHEN LAGE GIBT ES? Bei einem drohenden Unglück ist es sicher sinnvoll, sich darauf vorzubereiten. Deshalb eine Zusammenfassung der wesentlichen In- formationen zum Themenkreis 'RADIOAKTIVITAT'" (Die Grünen. AK Ge- sundheit. Gau in Ohu - was dann?) "Besser Vollwert als Halbwert! ... Auch eine Vollwerternährung kann die Aufnahme radioaktiver Stoffe nicht ausschließen, aber ein gesunder Organismus lagert beispielsweise weniger Cäsium 137 sowie Strontium 90 ein. Eine gesunde Ernährung fördert alle Funktionen des Organismus wie Verdauung... aber auch die Immunleistung. Das Immunsystem ist eine wichtige Barriere, die S t r a h l e n s c h ä d e n ent- gegenwirken kann." (Die Grünen: Ernährung - Eine Überlebensfrage) Und das sollen Tips sein?! Ist man etwa gegen Strahlung gefeit, wenn man weiß, wie sie funktioniert und was sie alles im Körper anrichtet? Wenn man sich erst mal auf den Standpunkt des Unver- meidlichen gestellt hat, dann hilft zu seiner Vermeidung nichts mehr - außer der Einbildung und einer geregelten Verdauung. Mit derlei Zynismen stellen die Grünen klar, daß sie die Frage "Was tun?" im Namen aller Betroffenen stellen, denen sie die Lösung vorbehalten. Der Betroffene kann gewisse "ins Haus stehende" "Lagen" nicht vermeiden, also stellt er sich "sinnvollerweise" auf sie ein. Was soll er als Betroffener sonst auch machen? Bei der bestmöglichen Bewältigung der zweitbesten Lösung stehen ihm die Grünen zur Seite. Wie betroffen er auch sein mag, er hat im- mer noch Veränderungsmöglichkeiten. Er muß verstehen, sie zu nut- zen. Ein Gesunder hält bekanntlich mehr aus. In der nächsten MSZ: 5. "Was tun!", 6. Sie zeigen es denen mal!, 7. "Bei uns ist jede zweite Abgeordnete ein Mann!", 8. Diesmal geht's ums Ganze!, 9. "Farbe bekennen!", 10. Klein, aber fein, 11. "Grün wächst - trotz allem!", 12. "Die Grünen in den Bundestag!" zurück