Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
zurück
Warum wählen Wähler Grüne? (1. Teil)
12 SCHLECHTE GRÜNDE, MIT DENEN DIE GRÜNEN FÜR IHRE WAHL WERBEN.
1. "Tschernobyl droht überall!", 2. Grüne sind "anders", 3.
"Nicht Altes verwalten, sondern Neues gestalten!", 4. "Nie wieder
CäSiUm!", 5. "Was tun!", 6. Sie zeigen es denen mal!, 7. "Bei uns
ist jede zweite Abgeordnete ein Mann!", 8. Diesmal geht's ums
Ganze!, 9. "Farbe bekennen!", 10. Klein, aber fein, 11. "Grün
wächst - trotz allem!", 12. "Die Grünen in den Bundestag!"
1. "Tschernobyl droht überall!"
-------------------------------
Eine Katastrophe ist passiert. Eine Menge Menschen sind erschroc-
ken. Daraus sind dann bei den Wahlen Stimmen für die Grünen geor-
den. Das hält jeder für natürlich. Bloß: Wieso ist die Erfahrung
von Tschernobyl eigentlich zu nichts als grünem Stimmenzuwachs
gut?
Die Parteien sehen die Sache in gewohnter zynischer Nüchternheit
und behandeln Tschernobyl als Material für ihren Stimmenfang. Für
die Bürger ist keine andere Entscheidung vorgesehen als die Beur-
teilung der Frage, welche Partei anläßlich Tschernobyls im Wett-
bewerb um ihre Stimmen am besten abschneidet. Vorausgesetzt für
einen solchen Zirkus ist allerdings eine Mannschaft, die sich mit
der ihr zugedachten Rolle begnügt, weil sie auch ihre Aufgeregt-
heit mit demokratischer Reife abgebrüht zu meistern versteht. Die
Grünen haben sich gehütet, diese Stellung der braven Deutschen zu
all den "Lagen", denen sie sich ausgesetzt sehen, zu erschüttern.
Statt dessen haben sie erstens den Z u s t ä n d i g e n, die
gerade eine Notstandsübung an ihrem Volkskörper abzogen,
V e r s a g e n vorgeworfen - und damit die gute Meinung des
Volkes zu ihrem Recht kommen lassen, seine Regierung sei - ei-
gentlich - dazu da, Schaden von ihm abzuwenden. Zweitens aber ha-
ben sie dem Wähler bedeutet, daß sein Protest bei ihnen gut auf-
gehoben sei, indem sie an Tschernobyl den Nachweis führten, daß
ihre Kritik b e r e c h t i g t sei. Daß die Grünen schon immer
gesagt haben, wie dick es kommen könne, hat sie
g l a u b w ü r d i g gemacht. Ihnen gebührt neben der Erfindung
des ehrlichsten und bürgernächsten Krisenbewältigungsprogramms
das Katastrophen-Warn-Urheberrecht. Je stärker das Jod oder das
Strontium strahlt - man ist ja jetzt bestens informiert über "das
Atom", das gefährliche -, desto rechter haben sie. Hemmungslos
schlachten sie die gängige Praxis aus, Kritik mit der Frage zu
verwechseln, welcher Autorität man sich anschließen solle: Sie
lassen die stärkste aller Autoritäten, "die Wirklichkeit", für
sich und damit für ihr Machtwort sprechen und ernten dafür all-
seits beifällig besorgtes Kopfnicken. Grüne halten nichts davon,
die Menschheit darüber aufzuklären, w a r u m es zu der Kata-
strophe gekommen ist, gegen wen man mit welchen Mitteln vorgehen
muß, um in Zukunft vor ähnlichen Überraschungen verschont zu
bleiben; Tschernobyl ist den Grünen viel zu kostbar, als daß sie
sich durch einen Protest, "der nicht die Akzeptanz breiter Mehr-
heiten erreichen kann", die für sie günstige Wahlstimmung ver-
sauen. Also legen sie dem Wähler die Frage vor: "Glaubt ihr nun,
daß Katastrophen möglich sind? Und wißt ihr nun, wem ihr deshalb
glauben könnt?" Diese überaus kritischen Fragen an alle Skeptiker
garnieren sie mit einem noch wahlwirksameren "leider". Wie alle
Rechthaber, die das Recht für sich reklamieren, sich dabei aber
nicht der Rechthaberei bezichtigen lassen wollen, weisen sie ent-
schieden heuchelnd den Vorwurf der anderen Parteien zurück, auf
der Katastrophe ihr Süppchen zu kochen. Nichts wäre ihnen lieber
gewesen, als mit ihrem Nicht-im-Recht-Sein die Katastrophe ver-
meiden zu helfen. Aber nun, da die Katastrophe da ist, werden sie
doch noch darauf aufmerksam machen dürfen, wer...
"Es ist ein Moment in der Geschichte eingetreten, in dem wir uns
nichts so sehr wünschten, als daß wir nicht Recht behalten hät-
ten." (Präambel zum Bundestagswahlprogramm 1987)
Was aber folgt aus diesem epochalen Unglück? "Nach Tschernobyl",
wo angeblich nichts mehr so ist wie in den schönen alten Zeiten
vorher, heißt es:
"Mit Tschernobyl haben die Grünen recht behalten, sie sollten nun
darum kämpfen, recht zu bekommen: jene gesellschaftlichen Mehr-
heiten herzustellen, die einen Ausstieg aus der Atomenergie er-
zwingen und bewerkstelligen können." (Kretschmann im "Spiegel"
vom 16.6.)
Man sieht, auch die Grünen beherrschen die Wahltechnik der
E h r l i c h k e i t: Sie versprechen nichts, das Recht, das
sie bekommen wollen, schreiben sie nicht umsonst klein - wie auch
die der W ä h l e r b e s c h i m p f u n g: diejenigen, die
nicht die richtige Partei gewählt haben, brauchen sich nicht über
die AKWs zu beklagen, die sie bei den anderen Parteien in Auftrag
gegeben haben. Wer aber Grüne wählt, weiß w a r u m: Er kämpft
mit ihnen gegen ihr Haupt- und Magen-Ärgernis, für jene Prozente,
die nie genug sind...
Grüne haben nicht die Absicht, Protest zu s c h a f f e n. Ihr
Ziel ist, Unzufriedenheit in grüne Stimmen zu verwandeln. Daß sie
selbst Tschernobyl für so etwas wie einen unverdienten Glücksfall
halten, läßt sich auch aus ihrem mißmutigen "Bericht zur Lage der
Fraktion im Dezember 1985" entnehmen. Nach den verschiedenen
Wahlniederlagen sind sie auf der Suche nach einem zugkräftigen
Wahlthema. Und wie "der Wähler" und "die Parteien der Mehrheit"
es so wollen, kommen Themen, die für unverzichtbare Ausweisschil-
der der Grünen gehalten werden, nur noch sehr bedingt in Frage.
Frieden und Atom sind "out":
"Die Friedensbewegung hat sich nach erfolgter Raketenstationie-
rung selbstverständlich nicht die Mobilisierungsfähigkeit erhal-
ten können, die sie bis zum Spätherbst '83 gehabt hat. ... Skep-
sis ist... hinsichtlich der Frage geboten, ob die Beseitigung der
Raketen 1987 dieselbe Rolle spielen wird wie die Frage der Nicht-
stationierung im Wahljahr '83. Ähnlich ist die Situation im Hin-
blick auf die Anti-Atom-Bewegung."
Der Wähler kann sich freuen, daß ihm auf alle Fälle entsprochen
wird. Im Wahljahr '87 "droht" fürs erste immer noch "Tschernobyl
überall" - und die Grünen brauchen ihren "langen Atem" nicht an
einem Thema zu strapazieren, das "selbstverständlich" auch mal
wieder abserviert gehört.
2. Die Grünen sind "anders"
---------------------------
"Warum ich bei den Grünen bin
Wilhelm Grillenberger, Pfarrer in München:
Die GRÜNEN versuchen nach meiner Ansicht als einzige Partei wirk-
lich konsequent, einen anderen Weg zu gehen als den des Wachs-
tumswahns, der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, Aus-
beutung der Dritten Welt und Hasardspiel mit der Atomenergie."
(Bavaria Grün: Zur Landtagswahl '86)
Das müssen alle Parteien betonen, die mit ihren Konkurrenten ver-
wechselt werden. Bloß bei den Grünen hält sich hartnäckig das Ge-
rücht, sie wären wirklich anders. Dabei ist jedem Wähler der Grü-
nen bekannt, daß ihre Politik ganz darin aufgeht, sich von den
"Altparteien" abzugrenzen und sich ein "unverwechselbares Profil"
zuzulegen. Er hält aber den Grünen das ihm von der Partei nahege-
legte Argument zugute, die Notwendigkeit der Herausarbeitung ih-
rer Identität (z.B. durch Großschreibung) beweise ihren Unter-
schied, da mittlerweile alle anderen Parteien auf die grüne Kenn-
marke scharf seien:
Die Grünen waren "die erfolgreichste kleine Partei - erfolgrei-
cher als wir selbst wahrhaben wollten: Seit wir im Parlament sind
- grüneln alle anderen Parteien." (Brief an unsere Wählerinnen
und Wähler)
Wenn also die Grünen machen können, was sie wollen, und sie den-
noch weiterhin im Ruf stehen, eine ganz besondere Partei zu sein,
dann verdankt sich dieses Urteil nicht einer Überprüfung ihrer
Politik. Wie jeder Wähler findet auch der grüne Wähler an seiner
Partei Gefallen über einen Vergleich mit den anderen Parteien,
die ihm mißfallen. Und selbst wenn er von den Grünen noch so ent-
täuscht sein sollte, so mißfallen sie ihm immer noch am wenig-
sten. Ganz j e n s e i t s all ihres Treibens steht ihre An-
dersartigkeit fest: Sie haben seine Stimme verdient, weil alle
anderen Parteien für ihn nicht (mehr) in Frage kommen.
Für das, was den Grünen da als V e r d i e n s t angerechnet
wird - n i c h t so zu sein wie die anderen -, brauchen sie al-
lerdings nicht mal den kleinen Finger krumm zu machen. Wenn die
SPD als Alternative nur noch eine bessere CDU-Politik mit einem
versöhnlicheren Grinsen auf Lager hat, dann ist das i h r e
Entscheidung und die Grünen zehren davon: alle jenseits der SPD
angesiedelte Politik gilt nun als "wirkliche Opposition". Und
wenn die SPD den Vorwurf der CDU, auf ein "rot-grünes Chaos" hin-
zuarbeiten, mit einer deutlichen Koalitionsabsage an die Grünen
zu entkräften bestrebt ist dann zehren die Grünen schon wieder
davon: Ganz ohne ihr Zutun s i n d sie "ausgegrenzt" und können
sich nun ohne falsche Bedenklichkeiten an eine Oppositionspolitik
machen, die "eingrenzt".
Natürlich unter Bewahrung aller Differenzen, die sehr im
G r u n d s ä t z l i c h e n zu suchen sind. Die Grünen sagen
nicht Nein zu der Politik, die gemacht wird. Sie versagen ihre
Zustimmung dem "Politik v e r s t ä n d n i s", von dem die ge-
machte Politik "getragen" wird. Die grundsätzliche Wende, die sie
fordern, soll Politik an der Aufgabe ausrichten, für die Zukunft
von Mensch, Tier, "unseren Kindern und anderen Völkern" (Brief an
unsere Wählerinnen und Wähler) zu sorgen. Aus dem mangelnden
"Respekt vor dem Leben" erklären sie alle von "der" Politik zu
"verantwortenden" Übel der Neuzeit. Damit sind die Übel ziemlich
beliebig: Sie stehen für die Mißachtung eines Prinzips, das je-
dermann wichtig zu sein hat.
Diese Kritik hat Maßstäbe gesetzt, an denen keiner mehr vorbei
kann. Die Parteien nicht. Sie wissen es zu schätzen, daß Politik
als Dienerin höchster Werte gehandelt wird, und verwahren sich
lässig gegen den Vorwurf der Wertsmißhandlung, den ausgerechnet
ihre Politik begangen haben soll. Und die Wähler nicht. Sie wis-
sen, wie und worüber sie sich beschweren dürfen. Mit der Trennung
der Politik von den Gründen, aus denen sie betrieben wird, und
deren Ersetzung durch Werte, die ihr "eigentlich" zugrundeliegen
sollten, darf folgenlos, aber "konsequent" gejammert werden über
die Schlechtigkeit einer Welt, in der die Politik vom Pfad der
Tugend abgewichen ist. Je fundamentaler die Klage, desto beschei-
dener der Kläger. Ihm ist klar, daß sich in einer Welt, die um
ihr "Überleben" ringt, seiner Wünsche ameisenklein ausnehmen und
sich dem Fortbestand der Gattung Mensch unterzuordnen haben. Da-
für leuchten ihm Opfer nicht nur ein. Er begrüßt und fordert sie
aufs entschiedenste. Abhilfe erwartet er von der Politik - ange-
sichts der riesigen Problemberge - nur in bezug auf seinen Ge-
fühlshaushalt: Mit einer neuen "Kursbestimmung" könnte sie ihm
immerhin die "Perspektive" vermitteln, daß sich "das Schlimmste"
vielleicht doch noch vermeiden ließe...
"2,2 Millionen Bundesbürgerinnen habe am 6. März 1983 dafür ge-
sorgt, daß im Bundestag eine wirkliche Oppositionspartei vertre-
ten ist, die eine grundlegende Alternative zum zerstörerischen
Kurs der Altparteien zu bieten hat: Die Partei DIE GRÜNEN."
(Präambel zum Bundestagswahlprogramm 1987)
3. "Nicht Altes verwalten, sondern Neues gestalten."
----------------------------------------------------
Mit dieser Parole wenden sich die Grüne an die Jugend, der die
Zukunft gehört. Um ihr nicht den Lebensmut zu nehmen, lassen sie
ihre fundamentale Kritik hier nur leise hinter rosigen Möglich-
keiten durchschimmern. Aber auch alle anderen junggebliebenen De-
mokraten werden grünen Sinn für Humor und Taktik zu würdigen wis-
sen.
Gekonnt werden hier alle denkbaren Angriffe auf grüne Politik pa-
riert und gleichzeitig eine Attacke gegen die anderen Parteien
geritten von der sie sich so schnell nicht erholen werden.
- Gegen den Vorwurf, Grüne würden sich vor der Machtausübung
scheuen, drückten sich vor "der Verantwortung", bedienen sie sich
des rhetorischen Mittels der Retourkutsche, die unter Demokraten
immer sitzt. Dem Gegner wird dessen euphemistische Formulierung
fürs Regieren geschickt entwendet, mit der Anrufung "des Neuen"
nachdrücklich betont, daß es um die gemeinsame Sache geht, und
zugleich fein herausgearbeitet, daß die Gegenseite an deren Ver-
wirklichung scheitern müsse. Ohne dem Gegner den guten Willen ab-
zusprechen man hält auf demokratischen Stil in grünen Kreisen -,
wird der Drückebergervorwurf mit der Enthüllung eines Abgrunds an
Unfähigkeiten gekontert: alt, bürokratisch, verknöchert, ver-
braucht. Ansprechend in den Generationenkonflikt: frische Tat-
kraft vs. zahnlose Einfallslosigkeit verpackt, servieren sie den
Uraltkalauer, daß die Demokratie vom "Wechsel" lebe. So orientie-
ren sie sich am von den "Alt"-Parteien vorgegebenen und für
stimmträchtig befundenen Optimismus und zeigen nebenbei, daß
trotzdem Kritik nicht auszusterben braucht. Im Namen der Demokra-
tie ist sie möglich auch heute noch. Der verehrte Wähler darf
sich was vorstellen, und fertig ist die Kritik: Demokratie ist
bunter, frischer, auf jeden Fall ganz anders als alles, was ihm
die anderen Parteien an Politik bieten.
- Den Einwand, die an sich berechtigte Kritik der Grünen ver-
scherze sich viel an möglichen Sympathien durch unangenehme Be-
lehrungen, moralische Rigorismen und perspektivlose Angstmache-
rei, entkräften sie dadurch, daß sie ihm recht geben. Die Maß-
stäbe, an denen sie die anderen Parteien blamieren, können sie
mittlerweile als gegessen unterstellen. Wo Politik heute allge-
mein und offiziell als Bewältigen der Überlebensfrage verkauft
wird, erinnern sie nur mehr dezent ans Scheitern, ohne das
W o r a n noch extra aufzuwärmen. Der Vorwurf, daß es die ande-
ren "nicht bringen", bringt's anscheinend auch.
Man sieht: Übermäßige Mühe verwenden die Grünen nicht auf die Be-
weisführung, warum man die anderen Parteien nicht wählen solle:
Dem politischen Gegner werden seine Fähigkeiten abgesprochen, da-
mit ist er erledigt - und seine Politik außen vor. So verfahren
sie zwar, wie in der Demokratie üblich, äußerst rabiat mit dem
politischen Gegner als M e n s c h e n. Die Kritik seiner
P o l i t i k ist aber, ohne ein Wort g e g e n sie zu verlie-
ren, damit gelaufen. Wär da nicht mal der Schluß fällig, daß die
Grünen keine Einwände gegen sie vorzubringen haben?
Die Kritik des Typus "Jungen Kräften trau ich bei der Bewältigung
von Jahrhundertaufgaben mehr zu" lebt offensichtlich davon, daß
keine große Überzeugungsarbeit beim Wähler zu leisten ist: Die
anderen Parteien werden von vorneherein nicht für wählbar gehal-
ten. Die Leistung der Grünen bleibt es, die Kritik am "Atomstaat"
beispielsweise auf das garantiert keimfreie, weil mehrheitsfähige
Oppositionsargument runtergebracht zu haben. Wer von der SPD ent-
täuscht war, weil er sich unter Opposition was anderes vorge-
stellt hatte, bekommt hier eine klare Auskunft, was die Grünen
unter Opposition verstehen. Mit dem abschätzig-mokanten Grinsen
über die Impotenz der Alten ist für sie die Sache gelaufen. Wer
mag, kann sich zufriedengeben und mitgrinsen. Man darf sich na-
türlich auch weiterhin unter Opposition was anderes vorstellen...
4. "Nie wieder CäSiUm!"
-----------------------
Grüne Wähler halten ihrer Partei zugute, daß sie Veränderung in-
tendiert. Sie machen ihre Wahl nicht davon abhängig, welche Ver-
änderung die Grünen versprechen und worin die von ihnen bewirkten
Veränderungen bestehen. Ihnen ist ja bekannt, daß die einzige
Veränderung, mit der die Grünen aufwarten können, eine Politik
ist, die
Im Namen der Betroffenen
gemacht wird. Um über den Zynismus hinwegzusehen oder ihn gar zu
goutieren, mit dem der Protest in Grünfutter verwandelt wird, muß
man in die eigene Betroffenheit verliebt sein: Als Betroffener
wird man von dieser Partei bestens bedient. Darüber hinaus muß
man den erstrebten Erfolg aus dem Blickwinkel der grünen Partei
betrachten: An der Notwendigkeit von Veränderungen darf man nicht
festhalten, sondern muß sich danach erkundigen, ob sie möglich
sind, und sie so von all den Bedingungen und "Sachzwängen" abhän-
gig machen, deren Berücksichtigung die Partei für opportun erach-
tet.
Zum Abgewöhnen deshalb im folgenden eine Betrachtung, was die
Grünen bzgl. der AKWs gefordert und was sie erreicht haben und
wie sie dabei mit dem Protest umgegangen sind. Die im bayerischen
Landtagswahlkampf mit Erfolg propagierte Parole "Nie wieder Cä-
SiUm!" ist die politisch fortentwickelte Parole der Anti-Atom-Be-
wegung "Atomkraft - nein danke!". Die Protestbewegung macht darin
den F e h l e r, im Namen ihres Betroffenseins Beschwerde ein-
zulegen: A l s O p f e r Rücksicht zu f o r d e r n ist ein
Unding. Als Opfer hat man nichts zu melden, und wer fordert, will
nicht länger Opfer sein; wer den zuständigen Stellen seine Be-
troffenheit vorführt, tut so, als sei die höheren Orts unbekannt;
aus dem Protest wird die Bettelei, verschont werden zu wollen
dies aber in der Pose des Forderers: Man verbreitet das Gerücht,
als müßten die Politiker bei ihren Entscheidungen die Erlaubnis
jener einholen, die nichts zu sagen haben - aber was zu sagen
hätten, wenn man sie nur fragen würde! Und weil kein anderer Geg-
ner als die Kraft des Atoms benannt wird, macht sich der Protest
schon schwer von der Berechtigung der ihm auferlegten Überzeu-
gungskraft abhängig, daß seiner Kritik jeder vernünftige Mensch
guten Willens zustimmen können müßte. Wie dem auch sei: Die Pro-
testbewegung wollte, zumindest in den Augen der Partei, die sie
beerbt hat, die AKWs w e g h a b e n - und zwar
u n b e d i n g t. Genau das machen ihr die Grünen zum Vorwurf.
Für sie ist
Die Erfolglosigkeit des Protests ein Argument gegen ihn
Die grüne Partei knüpft den Protest fortan an die B e d i n-
g u n g seiner Durchsetz b a r k e i t. Gegen AKWs zu sein ist
jetzt an die Bedingung grünen Wahlerfolgs gebunden. Mit der Wahl
hat man seinen Beitrag zur Veränderung abgeliefert - und seinen
Protest abzuliefern: Fürs Verändern sind nun wieder zuständige
Stellen zuständig. Das bekommen die Protestierer zur spüren. Um
sie für grüne Politik zu vereinnahmen, werden ihre Fehler nicht
korrigiert, sondern ausgeschlachtet. Als Betroffener hat man ein
Recht, sich nach Herzenslust über seine Betroffenheit zu
e m p ö r e n, die nicht sein müßte, wenn es in der Politik
anders zuginge... Mit der Gleichsetzung von CSU mit Cäsium wird
der an Gründen desinteressierte Wunsch nach einer heileren Welt
von grüner Seite befördert. Kein wahres Wort, w a r u m die
Leute verseucht werden: Die Schädigung der Menschheit ist das
notwendige und in Kauf genommene Abfall- und Nebenprodukt einer
Politik, der es mit der Versorgung der Industrie mit billiger En-
ergie und der Nation mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf
auf andere und für wichtiger befundene Zwecke ankommt als die Ga-
rantie des persönlichen Wohlbefindens. Statt dessen Übertreibun-
gen noch und noch. Cäsium ist so schlimm wie die CSU - oder umge-
kehrt, weil es beide auf die Vergiftung der Menschheit abgesehen
haben. Cäsium läßt sich aber auch ganz leicht weghaben, man muß
sich nur für die Richtigen entscheiden und die Bösen wegwählen.
Das "sich politisch stark machen für die Stillegung der AKWs"
(Trampert/Eröffnungsrede) heißt von Wählerseite, sich für die
Grünen, also die Grünen per Wahl stark machen. Von Seiten der
Grünen heißt es, den Wähler für eine "politische" Beurteilung des
Sachverhalts zu erwärmen, in die er bei den Grünen selbstver-
ständlich seine ganze Subjektivität mitbringen darf und soll: Wie
paßt mir der Umgang der Parteien mit den AKWs? - soll er sich
rhetorisch fragen, um seine politische Heimat bei den Grünen fin-
den zu können. "Der kurzfristige Ausstieg - die sympathische Al-
ternative" (Grünes Bulletin / September '86) soll er sagen und
nix dabei finden, wenn die Grünen Forderungen nur deshalb auf-
stellen, damit man sie nett findet. Ja wem wäre der kurzfristige
Ausstieg - woraus eigentlich ? - nicht am liebsten! So kräftig
darf man hier wünschen, weil eh jedermann klar ist, daß sich Po-
litik nicht darum dreht, was mir paßt - auch wenn's schön
w ä r'... Deshalb folgt dem Irrealis, mit dem Wählerwünsche sich
bei den Grünen aufgehoben sehen sollen, der "Realismus" sogleich
auf dem Fuße:
"...sollten die Grünen gewählt werden, auch wenn die Durchsetzung
nicht in einem halben Jahr zu haben ist... (Trampert / Eröff-
nungsrede zur Bundesversammlung in Nürnberg)
Und warum ist sie nicht zu haben - 1/2 Jahr hin, 4 Jahre her? Der
Wähler soll sich's halt nicht verdrießen lassen, daß "die Durch-
setzung" - von was eigentlich? - "nicht so einfach" zu haben ist.
Sie ist auf jeden Fall machbar, sofern der Wähler Wähler bleibt,
d.h. nichts überstürzt, keine überzogenen Ansprüche an die Grünen
richtet, nach wie vor davon ausgeht, daß hier seine Wünsche best-
möglich und nach Kräften befriedigt werden, und deshalb weiter
das tut, was er sollte: nämlich wählen. Daß die Überlegung, wer -
außer dem hitzköpfigen Wähler - aufgrund welcher Interessen und
mit welchen Mitteln dem geforderten Ausstieg aus der Kernenergie
entgegensteht, nicht weiterhilft: dafür steht die Versicherung,
daß besagter zum Kürzel geronnene Ausstieg durchsetz b a r sei.
Was a l l e wollen, daß muß doch m ö g l i c h sein - rufen
die Grünen sich und allen von zu viel gutem Willen Besoffenen zu:
"Laßt uns nun gemeinsam kämpfen für die Abschaltung aller AKWs
und für die Erhaltung des Reinheitsgebotes beim Bier."
(Gratulation zum Wahlerfolg in Bayern von den baden-württembergi-
schen Grünen. In: Grüne Zeiten, November '86)
Das Runterbringen des Vorhabens, die AKWs stillzulegen, auf einen
an Harmlosigkeit nicht zu überbietenden Wunsch darf man dabei
ebenso komisch finden wie den feinen Sinn für Selbstironie. Die
Grünen wissen selbst am besten, was von ihrem "Kampf" zu halten
ist, der auf die Einhaltung bestehender Vorschriften aus ist.
Deshalb wird auf der einen Seite nach Kräften betont, daß man im-
mer noch dasselbe wolle wie "die Bewegung":
"Darüber hinaus steht wiederum ein - und darüber hinaus deutlich
relevanterer als der bayerische - Wahlkampf ins Haus, in dem al-
len Bewegungen und insbesondere der Anti-WAA-Bewegung alle er-
denkliche Unterstützung zuteil werden muß, auf daß die GRÜNEN als
gestärkte Kraft in den Bundestag einziehen." (Grüne Zeiten, No-
vember '86)
Unterstützung der Basis also, a u f d a ß anständig gewählt
wird - und aus keinem anderen Grund. Auf der anderen Seite aus
demselben Grund Behinderung aller bewegten Aktivitäten, die
m ö g l i c h e r w e i s e Stimmenverlust bedeuten könnten:
"Die GRÜNEN treten ein für das Prinzip der Gewaltfreiheit, und
wir lassen uns nicht als Plattform für gewalttätige Auseinander-
setzungen mißbrauchen. Wir müssen uns überlegen, wie das Klima
der Aggression... entzerrt werden kann." (Kaltenhauser, Landes-
vorstandssprecher der Grünen in Bayern, 9.6., in: radiaktiv
10/86)
Dieses eindeutige Verhältnis von wechselseitigem Ge- und Miß-
brauch,
Die Instrumentalisierung des grünen Protests für Wahlzwecke
darf selbstverständlich auch kritisiert werden. Ebermann z.B.
würde als Jugendlicher schleunigst aus der Partei austreten, wenn
sie "zum Klotz am Bein" wird, auch wenn er, als Ebermann", diesen
Schritt bedauert":
"Ich kann mich nicht in die bornierte Position begeben, Leute
tretet nicht aus, ihr schwächt nur die Linken in den Grünen. Es
ist einfach so, wenn man in einem bestimmten Milieu" (verhält es
sich in einem nicht so bestimmten Milieu vielleicht anders?)
"arbeitet, und die Grünen eine bestimmte gegen die Intention die-
ser außerparlamentarischen Arbeit gerichtete Politik machen, wenn
einem das Arbeiten so erschwert wird, daß die Mitgliedschaft bei
den Grünen zum Klotz am Bein wird..." (in: Arbeiterkampf, 20.
10.)
Dieser Mann hat Nerven. Er kennt Gründe auch wenn er sich nicht
näher über sie ausläßt, gegen die Grünen zu sein. Er weiß, daß
sie dem Protest schaden. Und was fängt er mit diesem Wissen an?
Er macht wie ein Pfarrer, der seinen Schäfchen den Austritt aus
dem Religionsunterricht freistellt, Reklame für die Grünen, weil
"bei denen" - ein echter Grüner verwahrt sich immer gegen den
Vorwurf, "bloß" Grüner zu sein - auch s e i n e Toleranz zu
Hause ist. Und weil bei den Grünen Austreten erlaubt ist, bleibt
er drin - selbstverständlich mit allen nur denkbaren Vorbehalten
und Distanzierungen. Man darf das Verhältnis zur Basis auch als
Zeichen der "Entfremdung" von ihr, als "Abgehobenheit" werten.
Damit bleibt das gute Einvernehmen zwischen oben und unten ebenso
gewahrt. Den Repräsentanten wird nach wie vor der gemeinsame
Wille zur "Veränderung" unterstellt. Wenn die beteiligten Par-
teien ab und an durchaus gegensätzliche Vorstellungen entwickeln,
was darunter zu verstehen sei, so liegt das an der durch die Di-
stanz bedingten Schwerhörigkeit. Den zynisch taktischen
Umgang mit der Basis als Manövriermasse
zur Beförderung der Durchsetzungsfähigkeit der Partei kann man
sich aber auch mit den höheren Notwendigkeiten der Gepflogenhei-
ten des bundesrepublikanischen Wahlkampfs zurechtlegen. Dann ist
eben klar, daß G e w ä h l t w e r d e n und g e g e n AKWs
zu sein 2 Paar Stiefel sind. Dann sieht man die Sache so, daß die
Gegnerschaft im Dienst an "der Sache" auch mal zurückzutreten
habe - wobei nicht abzusehen ist, wann und wieso sich das Ver-
hältnis einmal umdrehen könnte. Dann hat man Verständnis, daß die
Partei höllisch aufpassen muß, nicht in die von den anderen Par-
teien gestellte "Gewaltfalle" zu tappen. Die ist nämlich unan-
greifbar und läßt sich nur durch Wohlverhalten entkräften. Des-
halb hat die Partei auf ihrer Bundesversammlung in Nürnberg vor
der Bayernwahl den Aufruf zur Demonstration gegen die WAA in Mün-
chen unterbunden. Die Demonstranten blieben trotzdem nicht "im
Regen stehen" (Ebermann). Erstens war die Demo von der Münchner
Polizei nicht, von den Grünen also auch n i c h t
v e r b o t e n worden. Also durften die grünen Demonstranten
ihrem Gewissen folgen und demonstrieren. Zweitens hatten sie die
moralische Unterstützung der Minderheitsfraktion auf ihrer Seite:
Sie "drohte" der Mehrheit, fürderhin die gemeinsamen Beschlüsse
nur noch unter weitaus vernehmlicherem Zähneknirschen tragen zu
können und ließ sich zu der Verteilung eines Unterstützungsbriefs
an die Demonstranten herbei. Nach der Bayernwahl und lang genug
vor der Bundestagswahl war dann wieder eine Demonstration fällig,
um die Grünen als Protestpartei in Erinnerung zu bringen, nämlich
in Hessen. Der Protest richtet sich gegen einen weitverbreiteten
Gegner namens "Verdrängen", "stellt" aber auch schonungslos "die
Verantwortlichen" "zur Rede" - gibt's was zwischen Fischer und
Börner zu besprechen, was sie sich nicht schon auch im Kabinett
hätten mitteilen können? - und konfrontiert sie unerbittlich mit
der eigenen "Ohnmacht":
"Die Reaktorkatastrophe und das Erlebnis unserer Ohnmacht gegen-
über den Folgen des radioaktiven Fall-outs von Tschernobyl sind
gerade vier Monate alt... Wir unterstützen und ermutigen deshalb
alle Initiativen... die... angefangen haben, für ihre und ihrer
Kinder Gesundheit und gegen die weitere Nutzung von Atomenergie
zu kämpfen. Dezentral und millionenfach müssen wir jetzt gegen
das große Verdrängen und Vergessen angehen und die politisch Ver-
antwortlichen zur Rede stellen." (Aufruf der Fraktion zur Demon-
stration am 8.11. in Hanau)
Was die L e i s t u n g e n des Herrn Fischer angeht, so darf
man in grünen Kreisen durchaus geteilter Meinung sein. Nur eines
darf man nicht: Sie als das nehmen, was sie sind - die Durchset-
zung aller Regierungsnotwendigkeiten. Ein Grüner kann auch als
Minister machen, was er will, m i t machen tut er nie. 1. ist
die Partei auf B u n d e s e b e n e in O p p o s i t i o n -
und die hat unter kritischen Menschen immer den Bonus, n i c h t
die Regierung zu stellen. Daß sie deshalb keineswegs
f u n k t i o n s l o s, sondern dazu da ist, allen Regierungs-
entscheidungen die Entlastung zu verschaffen, daß auch ganz an-
dere d e n k b a r wären, fällt nicht in Betracht. Was den Mi-
nister in Mainz betrifft, so gelten seine Dienste nur dem guten
Zweck, von der Partei den Ruch der Verantwortungslosigkeit abzu-
wälzen und so ihre Wahlchancen zu verbessern. 2. ist eine Regie-
rung in R e s s o r t s aufgeteilt: Also brüstet er sich mit
den E r f o l g e n der gesamten Regierung und d i s t a n-
z i e r t sich von allem, was Wählern möglicherweise nicht
gefällt. Die Entscheidung der Grünen, Dachlatten-Börner an die
Macht zu verhelfen, weil sie selber aufs Regieren scharf sind,
soll man angesichts der Tatsache, daß die Grünen nicht die
Mehrheit im Kabinett einnehmen, für unwesentlich befinden. Nicht
zur Kenntnis nehmen sollte man besser auch, worauf sich ihr gan-
zes Bestreben reduziert: endlich einmal von der Mehrheit beauf-
tragt zu werden, selber "am Drücker zu sitzen" (Kretschmann im
"Spiegel", 16.6.) - Schluß, aus. 3. Doch selbst das Argument:
"Ich bin ja b l o ß ein Teil" - wovon denn nur? - ist noch
steigerbar. Selbst der Ressortchef ist für Umweltfragen und -lö-
sungen schlechterdings nicht haftbar zu machen. Ihm funken
"Die politische Lage", "der rechtliche Rahmen"
und allerhand andere "Sachzwänge"
stets so dazwischen, daß selbst die versprochen "kleinen
Schritte" nur mit der Lupe zu suchen sind. Nicht einmal die er-
sehnte "Bio-Tonne" war aufgrund des "erstaunlichen Beharrungsver-
mögens der SPD" (Fischer) durchsetzbar.
Mit diesen ausgeklügelten T r e n n u n g e n seiner verschie-
denen Rollen steht der Minister blendend da. Er hat das Menschen-
mögliche versucht. Daß das, was er für durchsetzbar erachtet hat,
allerdings schwer von den politischen K o n j u n k t u r e n
abhängig war, sollte man ihm nicht als Opportunismus, sondern mit
seinen eigenen Worten als "Geduld und Schlitzohrigkeit" (taz,
27.10.) anrechnen. Wenn v o r Tschernobyl der Ausstieg aus Bi-
blis wegen der Rechtslage nicht möglich ist, so ist nach Tscher-
nobyl alles "gemäß Aktenlage" drin und machbar. Während er v o r
Tschernobyl das Argument bemüht, im hessischen Kabinett säßen ja
"bloß 1 Minister und 7 Hanseln", brüstet er sich nach Tschernobyl
- von den Linken unwidersprochen - damit, daß "der Kampf des hes-
sischen Umweltministers mehr bewirke als alle außerparlamentari-
schen Bewegungen." (zitiert nach "Arbeiterkampf", 20.10.)
Dieser Mann läßt sich von niemandem mehr darauf festnageln, was
er erreichen will, muß oder sollte. Um alle etwaigen Ansprüche
oder "naiven Erwartungshaltungen" an "grüne" Politik abzublocken,
belehrt er das Publikum, daß und wie er seine Taten bewertet se-
hen möchte. Er beherrscht
Die Lüge von der "Durchsetzbarkeit"
vorwärts wie rückwärts. Egal, was er erreicht oder nicht erreicht
hat: Es handelt sich entweder um ein "immerhin" oder aber um ein
"bloß". Entweder ist es ein kleiner Schritt, der i m m e r h i n
"einen Schritt weg vom möglichen Abgrund" oder aber auch beschei-
dener gefaßte nächste kleine Schritte ermöglicht. Oder aber es
ist b l o ß ein kleiner Schritt und längst nicht das, was die
Grünen "eigentlich" wollen.
So rastet und ruht er nicht, bis auch dem letzten Protestierer
aufgeht, eine wie schwierige Sache Veränderung ist:
"Das schaffen wir nicht. Das schaffen wir nur über einen Stimmen-
zuwachs für die Grünen oder aber über eine wirkliche Massenmobi-
lisierung. ... Das dann in Regierungshandeln umzusetzen, das wür-
den wir mit einer SPD-Minderheitsregierung auf keinen Fall schaf-
fen. Dazu bräuchten wir schon einen grünen Minister, und selbst
der würde sich dabei wahrscheinlich furchtbar den Kopf einrennen.
Aber dann könnte man sagen: Okay, deswegen sind wir angetreten,
damit die Leute mal sehen, was geht und was nicht." (Von der Ma-
chbarkeit des Unmöglichen, 129)
Und ausgerechnet "deswegen" will dieser grüne Soldat seine
Pflicht tun? Ausgerechnet "die Leute" sollen behauptet haben, im
Parlament sei schwer was drin? Daß das Ergebnis seines segensrei-
chen Wirkens die D e s i l l u s i o n i e r u n g des Protests
ist, läßt sich kaum bezweifeln. Daß er in Hessen als Minister
mitmischt, keine andere Sorge mehr kennt außer der, wie
"Regierungshandeln" zustandekommt, stimmt sicher. Daß er aber
diese seine Unabkömmlichkeit als Dienst an der Bewegung verkauft,
die ihn mit der eigenen Realitätsertüchtigung beauftragt hat, ist
schon eine fortgeschrittene Form der Frechheit.
Zur Festlegung des Protests auf "den parlamentarischen Weg" ge-
nügt ihm ein Argumentationsmuster: ceterum censeo - im Parlament
geht nicht viel, aber was geht und wenn was geht, so nur dort.
Alle Erkundigungen darüber, was geht und was nicht, wieso wann
wieviel drin ist oder auch nicht - sind unangebracht. Er antwor-
tet ja schon ungefragt nur mit Beschimpfungen:
"Wenn du nicht die Akzeptanz von breiten Mehrheiten erreichst,
dann geht gar nichts." (taz, 27.10.)
Wenn die "Bio-Tonne" im Parlament schon n i c h t drin ist,
dann ist außerhalb desselben ü b e r h a u p t n i c h t s
drin. Also angetreten!
Der Einwand gegen derlei Unverschämtheiten, die Grünen im Parla-
ment hätten doch wohl auch n i c h t a l l z u v i e l
e r r e i c h t, taugt nichts. Erstens rechtet er mit den Grünen
um den E r f o l g - anstatt zu bemerken, daß dies genau die
Ebene ist, auf der die Partei nur noch über Veränderung zu spre-
chen gewillt ist. Kein Streitgegenstand ist mehr, warum einen was
stört und was dagegen zu unternehmen ist. Der Streit dreht sich
vielmehr um die Frage, wieviel Erfolg die Kontrahenten vorzuwei-
sen haben und auf welche Weise Erfolg möglich ist. Fragt sich nur
wobei.
Der Weg von keinem, zu wenig, zu immer mehr, zu viel Erfolg
ist nämlich auch eine Veränderung, auch wenn versichert wird, die
Erfolgsstraße nur zu betreten, u m auf ihr Veränderung zu er-
möglichen... Zweitens ist es ja nicht wahr, daß die Grünen im
Parlament nichts oder wenig erreicht hätten. Sie werden schon
ihre Gründe dafür haben, wenn sie dies von sich behaupten. Damit
legen sie dem Wähler den Maßstab nahe, mit Hilfe dessen sie beur-
teilt werden wollen: Wo nur noch das anvisierte Regieren zählt,
ist alles drunter einerseits "nicht viel", andererseits ein
Schritt dorthin. Deshalb ist auch kein Rätsel, was die Burschen
im Parlament getrieben haben, was sie z.B. "im Monat September
1985" in den "54 Pressemitteilungen, 8 Pressekonferenzen, 6 Ge-
setzesentwürfen, 11 Anträgen, 2 Entschließungsanträgen, je 9
Große und Kleine Anfragen etc. etc." (Rechenschaftsbericht '85)
gefordert und für beschlußwürdig befunden haben, auch wenn es
nicht beschlossen wurde, was sie also mit ihren tausenderlei Ak-
tivitäten bewirkt haben, auch wenn kaum etwas davon Gesetzesform
erlangt hat. Zwar haben sie zu ihrem Leidwesen "die Machtstruktu-
ren im Parlament" nur unwesentlich "verändert" - diese Aufgabe
will sich auch erst mal gesetzt sein! Dafür haben sie getan, was
in ihrer Macht stand, das B e w u ß t s e i n ihrer Wähler zu
strukturieren. Die Abgeordnete Nickels bemerkt hierzu:
"Man sollte die Aufgabe, Bewußtsein zu schaffen in dieser Gesell-
schaft, nicht zu gering schätzen." (Von der Machbarkeit des Un-
möglichen, 30)
Fragt sich nur, wer das tut? Etwa die Machtstrukturierer? Und
w a s f ü r e i n Bewußtsein sie geschaffen haben wollen?
Letzteres ist für Frau Nickels natürlich keine Frage. Sie weiß,
welches Bewußtsein sie kreieren will: grünes Wählerbewußtsein.
Wie sonst könnte sie alles andere für Nicht-Bewußtsein halten?
- Sie haben bei "glaubwürdigen Instituten" "realistische
S t u d i e n" in Auftrag gegeben, die "den Rahmen des rechtlich
Möglichen bis an die Grenzen des Machbaren" "ausloten" sollten.
Damit haben sie das Vertrauen in das R e c h t gestärkt, das
eigentlich dazu da sein sollte, den "Atomstaat" in seine Schran-
ken zu weisen, auch wenn und gerade weil derzeit weit und breit
nichts davon zu merken ist.
- Sie haben auch Gutachter beschäftigt, die nachzuweisen hatten,
daß das "grüne Ausstiegsmodell" "ö k o n o m i s c h m a c h-
b a r" ist. Damit haben sie bewiesen, daß der Wunsch nach
weniger Verstrahlung in Erfüllung gehen kann, o h n e die
Interessen von Staat und Wirtschaft zu schädigen. Andersrum: Den
Betroffenen wurde zur Auflage gemacht, sich nicht g e g e n die
in dieser Gesellschaft maßgeblichen Interessen zu richten, son-
dern deren "Wünsche" mitzubedenken. Staat und Wirtschaft aber
wurde ein Angebot unterbreitet, dessen Zurückweisung keinen In-
teressengegensatz, sondern die wahre Heimat der Vernunft zum Vor-
schein gebracht hat.
- Sie haben G e s e t z e s e n t w ü r f e ausgearbeitet. Z.B.
eine "u m w e l t f r e u n d l i c h e S t e u e r r e-
f o r m", die die "Belastungen" gerechter verteilen soll. Die
Anwendung des "Verursacherprinzips" entdeckt zwei Prinzipien als
Verursacher der "Umweltbelastungen". Sowohl "Konsumtion" als auch
"Produktion" können ohne Kontakt zur Umwelt nicht auskommen, ergo
"belasten" sie sie. Wo jeder "Eingriff" in die Natur als Anschlag
auf deren ihr zustehende Unverletzlichkeit gewertet wird, hört
sich alle Unterscheidung auf. So ist das Auto zur "Atombombe des
kleinen Mannes" (Die Grünen/20.9. ) avanciert. Weil der Dreck aus
einem Auspuffrohr oder einem Schornstein beide Male schädliche
Stoffe enthält, fragt sich für die Fahnder nur noch, w e m das
Rohr gehört. Warum der Dreck in die Landschaft gepustet wird -
daß im einen Fall das Geld vielleicht noch für die neue
Waschmaschine, aber nicht mehr für einen Katalysator (bei dem
"die Konsumtion" eh in keinen besonderen Genuß kommt) reicht, das
andere Mal das Geld zwar da, aber für den Einbau von
Schadstoffiltern zu schade ist, die zwar den Lungen, aber nicht
der Bilanz nutzen -, interessiert da nicht. Der Umweltbelaster
lernt daraus, daß er an der Existenz von AKWs nicht ganz unschul-
dig ist, weil er deren Strom abnehmen muß; und daß er als Wähler
nur die Alternative zwischen verschiedenen Übeln hat: entweder
bestrahlen oder blechen oder beides.
- Zur Neufassung der S t r a h l e n s c h u t z v e r o r d-
n u n g durch die Bundesregierung lautet die Kritik der Grünen:
"Werden die Auflagen nun wie geplant abgeschwächt, so müssen etwa
die Filter von Atomanlagen weniger oft gewechselt werden. ...
Eine solche Strahlen'schutz'verordnung vertritt die Interessen
der Betreiber von Atomanlagen - auf Kosten der Gesundheit der Be-
völkerung und der Beschäftigten in der Atomindustrie."
Sie konstatieren, was die Regierung vorhat und finden an diesem
ärgerlichen Sachverhalt nur noch bemerkenswert, daß sie ihn empö-
rend finden. Deshalb sucht man vergeblich nach Gründen,
w a r u m das neue Gesetzesvorhaben sowie die Interessen der
Atomfirmen "a u f K o s t e n der Gesundheit der Bevölkerung"
gehen. Die Grünen sind am Ziel ihrer Agitationswünsche, wenn die
Wähler mitgekriegt haben, w e r es gemein findet, wie mit ihnen
umgesprungen wird. Und dabei wär' ein auskömmliches Zusammenleben
doch ohne weiteres zu haben! "Wir" haben eine Bevölkerung, die
verträglich, anstellig und für die Industrie, auch die Atomindu-
strie, gut zu brauchen ist - also kein Grund, sie zu bestrahlen;
wir haben Schutzverordnungen - also kein Grund, sie in Anfüh-
rungszeichen setzen zu müssen; und wir haben einen Staat zum Aus-
gleich der Interessen - also kein Grund, Gegensätze zwischen ih-
nen aufzumachen. Die Grünen propagieren so alles andere als die
Beseitigung der Ursachen des Schadens. Gegen die Betreiber der
AKWs ist ja nichts eingewandt worden - außer einer unverantwort-
lichen und nicht nötigen Gesundheitsschädigung. Auch gegen den
Staat wird nicht daran festgehalten, was er tut: Ihm wird die
Nicht-Anwendung seiner alten Strahlenschutzverordnung zur Last
gelegt. Also sollen beide weitermachen wie bisher - nur ein biß-
chen rücksichtsvoller. Wenn die Grünen Schutz fordern, so rechnen
sie mit der fortgesetzten Gefährdung von Leib und Leben:
"Deshalb fordern die GRÜNEN:
2. Neubestimmung der Grenzwerte
Für alle Nahrungsmittel sind Konzentrationsgrenzwerte für die
wichtigsten Nuklide festzusetzen, die sicherstellen, daß die ge-
samte radioaktive Belastung durch Nahrungsaufnahme die in der
Strahlenschutzverordnung festgesetzten Grenzwerte bei Normalbe-
trieb von Atomanlagen nicht überschreiten. Es ist gesetzlich an-
zuordnen und sicherzustellen, daß ausschließlich Nahrungsmittel
in den Umlauf gebracht werden, die diesen Grenzwerten entspre-
chen. ...
3. Einrichtung eines radiologischen Dienstes
Analog zum meteorologischen Dienst ist ein radiologischer Dienst
einzusetzen, der die Daten über die radioaktive Belastung von
Pflanzen, Tieren und Boden ständig erfaßt und auswertet."
Verstärkte und umfassendere Schutzmaßnahmen rund um die Uhr sol-
len der Bevölkerung Schutz, diesmal echt und ohne Anführungszei-
chen, bringen: Wenn in allen Lebensmitteln die Grenzwerte ordent-
lich drin sind und die in Umlauf gebrachte Nahrung den Grenz-
werten korrekt entspricht, dann zufrieden? Offensichtlich gehört
da noch der Glauben dazu, daß Grenzwerte was Feines sind, die der
Staat zum Schutz seiner Bevölkerung erläßt, um Schaden von seinem
Volk abzuwehren. Diese grünen
Katastrophenverbesserungsvorschläge
leisten zweierlei: Sie machen die Betroffenen nachdrücklich mit
der schicksalhaften Unausweichlichkeit "der Gefahr" vertraut. Und
mit der Kräftigung des Vertrauens in die wohltätigen Absichten
der staatlichen Instanzen machen sie sie bei der Schadensvermei-
dung ganz von denen abhängig, denen sie die Bescherung zu verdan-
ken haben. - Und sie haben die Menschheit mit "I n f o r-
m a t i o n e n" versorgt. Sie haben sich als die besseren
Katastrophenbewältiger profiliert, die dem Bürger die niedrigst-
möglichen Grenzwerte verpaßt und mit den ehrlichsten und
exaktesten Meßdaten ausgestattet haben. Wenn das kein Service
ist:
"Um unseren Leserinnen und Lesern eine Orientierung über die im
Herbst/Winter ins Haus stehende Belastung der Nahrungsmittel zu
geben, veröffentlichen wir in Auszügen die neueste Untersuchung
des IFEU-Institutes, die von den GRÜNEN im Bundestag in Auftrag
gegeben worden ist." (Grüne Zeiten/Nov. '86)
"WAS KANN DER EINZELNE TUN? WELCHEN WEG AUS DIESER UNSERER BE-
DROHLICHEN LAGE GIBT ES?
Bei einem drohenden Unglück ist es sicher sinnvoll, sich darauf
vorzubereiten. Deshalb eine Zusammenfassung der wesentlichen In-
formationen zum Themenkreis 'RADIOAKTIVITAT'" (Die Grünen. AK Ge-
sundheit. Gau in Ohu - was dann?)
"Besser Vollwert als Halbwert! ... Auch eine Vollwerternährung
kann die Aufnahme radioaktiver Stoffe nicht ausschließen, aber
ein gesunder Organismus lagert beispielsweise weniger Cäsium 137
sowie Strontium 90 ein.
Eine gesunde Ernährung fördert alle Funktionen des Organismus wie
Verdauung... aber auch die Immunleistung. Das Immunsystem ist
eine wichtige Barriere, die S t r a h l e n s c h ä d e n ent-
gegenwirken kann." (Die Grünen: Ernährung - Eine Überlebensfrage)
Und das sollen Tips sein?! Ist man etwa gegen Strahlung gefeit,
wenn man weiß, wie sie funktioniert und was sie alles im Körper
anrichtet? Wenn man sich erst mal auf den Standpunkt des Unver-
meidlichen gestellt hat, dann hilft zu seiner Vermeidung nichts
mehr - außer der Einbildung und einer geregelten Verdauung. Mit
derlei Zynismen stellen die Grünen klar, daß sie die Frage "Was
tun?" im Namen aller Betroffenen stellen, denen sie die Lösung
vorbehalten. Der Betroffene kann gewisse "ins Haus stehende"
"Lagen" nicht vermeiden, also stellt er sich "sinnvollerweise"
auf sie ein. Was soll er als Betroffener sonst auch machen? Bei
der bestmöglichen Bewältigung der zweitbesten Lösung stehen ihm
die Grünen zur Seite. Wie betroffen er auch sein mag, er hat im-
mer noch Veränderungsmöglichkeiten. Er muß verstehen, sie zu nut-
zen. Ein Gesunder hält bekanntlich mehr aus.
In der nächsten MSZ:
5. "Was tun!", 6. Sie zeigen es denen mal!, 7. "Bei uns ist jede
zweite Abgeordnete ein Mann!", 8. Diesmal geht's ums Ganze!, 9.
"Farbe bekennen!", 10. Klein, aber fein, 11. "Grün wächst - trotz
allem!", 12. "Die Grünen in den Bundestag!"
zurück