Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
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Alternative in der Krise
DIE GRÜNEN LASSEN DIE LATZHOSEN RUNTER
"Die Aufgabe ist ja nicht, daß wir die Grünen definieren, sondern
daß wir sie überflüssig machen." (Johannes Rau)
Der Mißerfolg bei den Wahlen im Saarland und in Nordrhein-Westfa-
len hat bei den Grünen einen Diskussionsprozeß ausgelöst, der
sich zunächst in nichts unterscheidet von der Wahlbewältigung an-
derer Parteien:
Kindersex, ein zu dickes Programm (630 Seiten), zu wenig Engage-
ment der noch vom Kommunalwahlerfolg berauschten Basis, zu wenig
"überzeugende Persönlichkeiten". Auch die Grünen wissen, wie man
Wähler beschimpft und für bewährte innerparteiliche Linienkämpfe
benützt. Trampert ("Fundamentalist") wirft der NRW-Bevölkerung
wegen ihrer SPD-Neigungen "Entpolitisierung" vor, und Jo Müller
(Bundestagsnachrücker und mehr "Realist") weiß in alter materia-
listischer Manier, daß "die Leute" gar nicht anders gekonnt ha-
ben: Das Saarland und Nordrhein-Westfalen "zeichnen sich noch
durch eine veraltete Industriestruktur/-kultur aus", mit "alter
Klientel" der SPD, die angesichts "unsozialer Politik bei hoher
Arbeitslosigkeit" noch nicht reif ist für grüne Propagandisten:
"Die Vortragenden sind dann ja auch Lehrer, wissenschaftliche
Mitarbeiter bei der Gewerkschaft, Betriebsräte, Journalisten
usw., kurzum anständiger Mittelstand, und deren Radikalität macht
sie gerade in der Frage der Arbeitslosigkeit und des Sozialabbaus
nicht gerade glaubwürdig. Es ist irgendwie absurd, wenn Beamte
mit Pensionsansprüchen den Ausstieg aus dem Weltmarkt und die
Vergesellschaftung aller Unternehmen mit Ausnahme der kleinen
bäuerlichen Betriebe fordern. "
Damit die Glaubwürdigkeit der Grünen mit der der anderen Parteien
mithalten kann, müssen diese ebenso berechnend-methodisch sein
und vorzeigbare Persönlichkeiten auffahren. Solche Überlegungen,
die haarscharf identisch sind mit denen der CDU oder der "FAZ",
die ja auch immer nachträglich an der Kosmetik der Kandidaten, am
Erscheinungsbild der Partei rumnörgeln und mehr "Akzeptanz" emp-
fehlen, sind auf den möglichst effektiven Nachweis grüner Poli-
tikfähigkeit aus: Ein grüner Oppositionspolitiker hat sich nicht
nur auszukennen in den Problemen z.B. des Reviers und "brauchbare
" Alternativen vorzulegen (die Grünen diskutieren das als "man
darf nicht immerzu Nein sagen!"), sondern er muß auch antreten
als einer, dem man das auch abnimmt. Auf diese vorzeigbare und in
Wählerstimmen ummünzbare Fähigkeit zum Mitmischen im politischen
Geschäft in der Republik sind plötzlich so ziemlich alle Grünen,
quer durch sämtliche Strömungen, aus. Die Latzhosen sind auch um
ihre G l a u b w ü r d i g k e i t besorgt: Jetzt reden sie
über sie.
"Programmdiskussion"
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Weil sich die grünen Ideale von gesunder Umwelt und harmonischem
Zusammenleben in der Gesellschaft auch von der SPD verkaufen las-
sen, beherzigen grüne Kritiker jetzt den jahrelang in der Öffent-
lichkeit breitgetretenen Vorwurf, die Grünen hätten eigentlich
gar kein Programm:
"Wir sind uninteressant geworden, weil wir nur als die Kritiker
gelten und nicht als diejenigen, die gestaltend in den politi-
schen Prozeß eingreifen wollen und können. Wir gelten als Pro-
test- und nicht als Programmpartei, es fehlen uns in den meisten
Bereichen die Konzepte, die Auswege weisen und die politisch
durchsetzbar sind." (Waltraud Schoppe)
Bei der Frage, wie man Wähler kascht und koalitionsfähige Pro-
grammaussagen formuliert, entdecken Grüne nach einigen Wahlnie-
derlagen die Techniken ihrer politischen Gegner: Voller Bewunde-
rung besprechen sie, wie Geißler geschickt das Frauenthema
"besetzt" hat und dem Glotz zu "Technologie und Rationalisierung"
gleich ein Kongreß eingefallen ist. Und an der Inszenierung eines
"Wir-Gefühls " durch Rau in Nordrhein-Westfalen und Diepgen in
Berlin, also der mehrheitlichen Stimmabgabe für die jeweils rich-
tige Partei und den entsprechenden Erfolgsmeldungen, begeistert
einen Grünen der Erfolg:
"Menschen wollen leben: Sie haben daher recht, wenn sie sich
denen nicht anvertrauen wollen, die allein von der Warnung vor
der drohenden Katastrophe leben: Die Grünen brauchen wieder die-
ses Moment der Hoffnung: Daß das, was Menschen angerichtet haben,
von Menschen auch zu korrigieren ist - und daß es sich lohnt und
Spaß macht, dafür zu kämpfen, zu leben und zu wählen." (Thomas
Schmid, Reformpolitiker in fundamentaler Absicht)
Schluß mit dem destruktiven Gemoser! Das Mitmachen in der Politik
- eine Grundweisheit grün-alternativer Weltanschauung - muß
selbst Positives zum Inhalt haben. Endlich bringen die Urheber
des saudummen Geredes von der "Menschheitskatastrophe" ihren
Standpunkt zweifelsfrei zu Gehör. Nicht willens, also auch nicht
fähig, zwischen den "Menschen" zu unterscheiden, die etwas an-
richten, und den anderen, die es auszubaden haben, erfreuen sie
die Menschheit mit einem revidierten Appell. Weg von den schlech-
ten Nachrichten, hin zum Optimismus von uns allen! So vollziehen
die Grünen auch hier ein Stück gar nicht mehr alternativer Wende
von unten.
"Es gibt bisher überhaupt keine grüne Programmatik, hinter der
irgend jemand substantiell stehen könnte. Wir sind immer noch das
Versprechen darauf." (Hoof, Grüne, NRW)
Das Schielen auf den Erfolg der SPD geht bei den Grünen gleich so
weit, daß sie sich 1985 die Standardargumente der SPD gegen sie
als Grüne aneignen. Politische Aussagen müssen "praxisnah" sein,
Politiker "zum Anfassen" usw.
Dieses 'Wir-haben-uns-nicht-verständlich-gemacht' beherrscht auch
die Diskussionsbeiträge eines "Fundamentalisten" oder "Ökosozia-
listen", der nur daran erinnert haben will, daß die Partei nicht
ihre grüne Identität und damit ihre Wählbarkeit verliert.
"Natürlich müssen wir auf Wählerbedürfnisse eingehen, aber wie
weit? " (Stratmann, Bundestagswegrücker)
So erleben die Grünen derzeit eine Neubelebung ihres alten und
sehr funktionalen Streits zwischen Befürwortern der Machtteilhabe
und der Abteilung, die für das Prinzipielle, die grünen Werte,
zuständig ist. "Realo" ist inzwischen allerdings jeder gleich
selber, wenn er sich auf den Standpunkt der Parteienkonkurrenz
stellt und sich fragt, woher die anderen Parteien ihren Erfolg
haben.
"Strukturdebatte"
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Die politische Methodendiskussion bei den Grünen fand nach dem
Scheitern in Nordrhein-Westfalen ihre Fortsetzung in der Überprü-
fung der Qualität von Parteiorganisation und Parteileben. Während
Schily und Joschka Fischer mit ihrem Ruf nach einer "Reform an
Haupt und Gliedern" in erster Linie an die Ablösung des
"fundamentalistischen" Bundesvorstandes dachten, wagten sich an-
dere Grüne an so heiße Eisen wie Mitgliederwerbung oder Aktivie-
rung der Basis heran. Auch die Grünen kennen mittlerweile das
Problem von "Karteileichen", vermissen ganz einfach das untere
Parteivolk (wer verteilt die Wahlzettel?) oder fragen sich, wel-
che Parteigremien wieviel Kompetenzen haben sollen. Die von fin-
digen SPD-lern an sie herangetragene Aufforderung, sich endlich
"auch mal die Hände schmutzig zu machen", greifen sie als Ehren-
titel auf, der verpflichtet. Politikmachen ist ein Auftrag, der
höchste Anforderungen an die stellt, die sie machen, und das
schon vor der anvisierten "unmittelbaren Einflußnahme".
"Es ist höchste Zeit, daß die Herde selbsternannter Zuchtmeister
die Ruten wegwirft und endlich Verantwortung übernimmt. Verant-
wortung für ihr eigenes politisches Handeln, Verantwortung für
die grüne Partei, Verantwortung für die vielen Menschen, die uns
gewählt haben... weit verbreiteter Ungeist der Verantwortungslo-
sigkeit gegenüber der eigenen Partei..." (Christa Nickels)
Grüne Politiker geben mit solchen Ergüssen den konkurrierenden
Parteien recht: Politik muß, vor allem andere, gemacht werden!
Und wer sich überhaupt, wie die Grünen, für eine saubere Republik
einsetzt, der muß mit seiner Partei vorangehen. Effektivierung
der Parteiarbeit also in höherem, staatspolitischem Auftrag! Mehr
"Professionalisierung"
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steht deshalb an bei dieser beabsichtigten Perfektionierung der
Methoden der Parteienkonkurrenz, und die Rotation, dieses Mei-
sterstück in der Bewältigung des grünen Widerspruchs, glaubwür-
dige Politik machen zu wollen, dürfte weiter aus der Mode gera-
ten. Dafür stehen die Chancen Petra Kellys für einen Wiederauf-
stieg in der Partei nicht schlecht, verkörpert sie doch beides in
einer Person: unermüdliche Basis- bzw. Protestarbeit und promi-
nente Abgeordnete. Auf einen grünen "Spitzenkandidaten" wird man
wohl nicht mehr lange warten müssen. Erfolgreiche Parteiarbeit
und damit den Weg aus der "Krise" der Grünen exerziert der hessi-
sche Landesverband in diesem Sommer vor. Dort gibt es bereits
jetzt so clevere Parteimanager (die bereits der "Süddeutschen
Zeitung" ob ihrer "Professionalität" aufgefallen sind), daß alles
zusammengeht:
1. Das Angebot, in die SPD-Regierung einzusteigen und mit einem
Umwelt- und Energieminister, der für Biblis, Alkem und Nukem zu-
ständig ist, ein Stück Macht, sprich "politische Verantwortung"
oder "Handlungsmöglichkeiten" auch direkt zu übernehmen, haben
sie mit Zusatzforderungen beantwortet, wie sie zur politischen
Taktik des Koalitionsgeschäfts gehören. Die SPD hat daraufhin ihr
Angebot zurückgezogen. So sind die Grünen ihrer Ablehnung der
"Plutoniumwirtschaft" treu geblieben.
2. Gleichzeitig erneuert man im Landtag die parlamentarische Un-
terstützung der SPD und stimmt als erstes für den hessischen Lan-
deshaushalt. Man ist - so die Botschaft - bereit zur Mitarbeit
und kein bloßer Neinsager.
3. Bei der Abstimmung darf ein Grüner dagegenstimmen (ist unge-
fährlich, weil nicht mehrheitsgefährdend). Bei den Grünen geht's
demokratisch zu! Basis und Wähler, auch die, die gegen eine Un-
terstützung der SPD sind, können beruhigt sein.
4. Vor den Verhandlungen mit der SPD tagt die Partei auf einem
Sonderparteitag. Es findet der gewohnte Streit statt: Für Über-
nahme personeller Verantwortung und dadurch gesteigerte
"Identifizierbarkeit grüner Politik" (Schily/Kerschgens), sagen
die einen, für eine "kämpferische Tolerierung mit außerparlamen-
tarischen Kampagnen" (Jutta Ditfurth), sagen die andern. Vorläu-
figes Ergebnis: siehe oben.
Daß die SPD und die Grünen einander immer ähnlicher werden, liegt
nicht daran, daß die SPD die Zugkräftigkeit einiger grüner Ideen
erkannt hat. Die Grünen selber befinden sich in einem
"Lernprozeß" und sind dermaßen beseelt von ihrem Ethos der
"politischen Verantwortung", daß sie sich auch äußerlich, als
Partei, mit dem ausstatten, was ihre älteren Konkurrenten so
kennzeichnet. Die "grünen Inhalte" bleiben dabei nicht auf der
Strecke. Sie waren ohnehin nie mehr als die in Schlagwörter ge-
gossenen folgenlosen Beschwerden, die sich jeder Mensch zu eigen
machen konnte: Über den bescheuerten Ausdruck einer allgemeinen
Betroffenheit, die in der Politik ihren Ausdruck zu finden hätte;
sind die 2 glorreichen Ideen von Umwelt und Frieden nie hinausge-
kommen. Und jetzt, wo es darum geht, im politischen Geschäft zu
bleiben, ist die Selbstdarstellung, der Sympathiegewinn, die ef-
fektive Einseiferei das letzte F u n d a m e n t a l e.
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