Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
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WERDEN DIE GRÜNEN NORMAL?
Fall 1:
Ihr prominentester Bundestagsabgeordneter, Ex-General Bastian,
beschwert sich in einem ziemlich öffentlichen Brief über Arbeits-
stil und Rotationsprinzip, klassenkämpferische Tendenzen und An-
tiamerikanismus in der Partei; er droht mit Austritt aus der
Fraktion, will sein Mandat selbstverständlich mitnehmen - die
Grünen haben ihre erste Fraktionskrise. - Das öffentliche Echo
liegt auf der Linie: Der Parlamentsalltag holt die Friedensidea-
listen ein; "die Realitäten" machen sich geltend; ihr eigener Ge-
neral nimmt den Kampf gegen die "Freaks" auf. Als Karikatur hin-
gemalt, mit tiefer Sympathie für starke Militärs und viel faschi-
stischer Abneigung gegen das bunte Szenenvölkchen:
Fall 2:
Die hessischen Grünen beschließen die Regierungsermächtigung für
die SPD und ihren Börner. Die Chance, unter SPD-Herrschaft eine
konstruktive Rolle spielen zu dürfen, läßt alte Feindschaften und
Programmpunkte vergessen. Statt dessen sonnt man sich einen Tag
lang in dem großkotzigen Verdacht, die SPD wäre am Ende nicht
"kompromißfähig" und "vertragstreu" genug, um die Vereinbarungen
einzuhalten. - Die um die Regierungsmacht "hetrogene" Rechte
stellt wider besseres Wissen Börner als Gefangenen verrückter
Öko-Freaks hin, mit unverhohlenen Haß wieder per Karikatur:
Ansonsten verbucht die Öffentlichkeit einen Fortschritt zu parla-
mentarischer Berechenbarkeit bei den Grünen.
Werden die Grünen wirklich normal?
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E i n e r s e i t s j a - und das macht weder ihnen Ehre noch
dem hierzulande herrschenden Normalfall. Als gelehrige Parlamen-
tarier eignen sich die Grünen nämlich die beiden Haupttugenden
parlamentarischer Politik an: Den O p p o r t u n i s m u s
d e r M a c h t, der auf demokratisch "Politikfähigkeit" heißt,
und die besondere Sorte H e u c h e l e i, die gute Demokraten
"Glaubwürdigkeit" nennen.
A n d e r e r s e i t s n e i n - das merkt man schon an dem
Theater, das die Grünen um ihre Angleichung an die Sitten der
parlamentarischen Welt aufführen. Nicht als Kritiker dieser Sorte
Herrschaft, immerhin aber doch als A l t e r n a t i v e zu ih-
ren sämtlichen Gebräuchen sind sie angetreten. Und diesen An-
spruch werden sie nicht los: Ohne ihn stellt eine Partei, die
sich nach der Symbolfarbe von Mutter Natur nennt, überhaupt
nichts weiter dar, noch nicht einmal einen falschen Grund zum
Wählen. Die "Normalisierung" der Grünen findet daher als ständige
Befassung der Partei mit sich selber statt - als
"Klärungsprozeß", der zu keinerlei Klarheit führt, sondern zu ei-
ner Zirkulation des Vorwurfs, "grüne Prinzipien" verletzt zu ha-
ben. Darin ist und bleibt ihr Parlamentarismus tatsächlich alter-
nativ!
"Politikfähigkeit"
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heißt die Parole, unter der Hessens Grüne mit ihrem alten Erz-
feind Börner gemeinsame Sache machen, und unter die die grüne
Bundestagsfraktion ihr weiteres Tun und Lassen stellen soll, Eine
seltsame Tugend! Reicht es denn nicht, wenn man ein bestimmtes
Interesse teilt und einen gemeinsamen Zweck verfolgt? Dann kennt
man doch dessen Gegner; man weiß, wem d e s s e n Zwecke scha-
den und warum; man wirbt bei den Geschädigten ums Mitmachen bei
einer Sache, die ihnen nützt; die machen entweder mit, und wenn
genügend Leute es richtig anfangen, mit Erfolg oder sie lassen
die Finger davon.
Nein, so "einfach" geht das Opponieren nicht bei den Strategen
der parlamentarisch gewordenen Friedens- und Ökologie-Bewegung.
Die messen sich und ihre Absichten an "der Politik", also an der
fertig eingerichteten Welt demokratischer Herrschaft. Parteien
und deren Konkurrenz, die Macht und die Bestellung ihrer Sachwal-
ter, der "Kuhhandel" um Posten und Einflußmöglichkeiten und
staatliches Geld: Das alles ist für sie ein ehrenwertes Geschäft,
zu dem sie "fähig" werden, d.h. in dem sie mitmischen wollen.
Denn um eine besondere "Kunst" wie Rechnen oder Klavierspielen
handelt es sich nicht bei der "Politikfähigkeit", auf die sie so
scharf sind. Es geht um die B e r e i t s c h a f t, anzuerken-
nen und sich positiv darauf einzustellen, daß es im parlamentari-
schen Getriebe immer nur um eine Sorte Entscheidungen geht: W e r
d a r f - regieren nämlich, also den Leuten mit lauter Gesetzen
ihr Dasein so festlegen, daß es nicht mehr ihnen, sondern "dem
Gemeinwohl" nützt; und w e r k a n n - weil er nämlich die mei-
sten Stimmen hinter sich hat. Den linientreuen Opportunismus der
Macht und der Konkurrenz um ihre Posten - d a s übersetzen die
Grünen sich in die "Fähigkeit zur Politik", die sie nunmehr
schleunigst an den Tag zu legen hätten.
Solche schönfärberischen Übersetzungen brauchen sie. Denn fürs
Mitregieren - als Koalition in Hessen oder als konstruktive Oppo-
sition in Bonn - heißt es Abschied nehmen von der r a d i-
k a l e n P r o t e s t h a l t u n g, die die "Bewegung"
bislang von ihrer etablierten Konkurrenz unterschieden und der
Partei die nötigen Stimmen eingebracht hat. Jedes Festhalten an
erkannten Notwendigkeiten wäre weltfremd in einer Sphäre, wo
Überzeugungen aller Art christliche wie pazifistische,
ökologische wie sozialistische, geheuchelte wie ehrliche - prin-
zipiell nur eine Bedeutung haben: In ihnen wird den Regierten
mitgeteilt, wie ihre M e i s t e r ihre Taten gesehen haben
wollen, damit man sie das nächste Mal (wieder) wählt. Jedes Be-
harren auf Opposition, weil das eigene Interesse sich g e g e n
die ganze eingerichtete Scheiße richtet, ist eine unverantwortli-
che "Verweigerungshaltung" in einer politischen Welt, wo Opposi-
tion K o n k u r r e n z bedeutet: die Konkurrenz um die Macht,
d.h. darum, dasselbe weiterzumachen wie die bisherigen Herren.
Selbst das "Alles muß ganz anders werden!", dieser gar nicht be-
sonders kritische Standpunkt der Grünen, muß daher... nein, nicht
abgeschafft werden: wofür wäre eine grüne Partei dann überhaupt
noch da? Wohl aber gehört er v e r e d e l t: zu einem
I d e a l, wie "politikfähige" Staatsmänner es sich neben ihren
praktischen Geschäften halten, zum Zweck demokratischer Selbst-
darstellung. So ähnlich eben, wie es den Christen mit ihrem Herr-
gott doch schon längst gelungen ist und den Sozis mit ihrer Liebe
zur arbeitenden Menschheit.
Bloß: Genau diese Ähnlichkeit wollen die Grünen um jeden Preis
n i c h t; denn sonst wäre es um sie als Protestpartei gesche-
hen. Wie sollen anfanatisierte Naturfreunde es als Erfolg verbu-
chen, wenn ihre Parlamentarier einen Ministerpräsidenten wählen -
und der sorgt dann weiterhin für genau den Atomstrom, dessen Be-
zahlung sie einst verweigern wollten? Christen mögen ein AKW als
"Vorsorge für unsere Kinder" deuten und Sozialdemokraten als
"Sicherung von Arbeitsplätzen". Aber können Grüne auf dieselbe
Manier ein solches Werk als "Verhinderung von vier weiteren AKWs"
hinstellen? Ist das die Erfüllung alternativer Friedensliebe,
wenn ihr "politikfähiger" Ex-General im Verteidigungsausschuß für
mehr Panzer wirbt, weil das ja immerhin keine Raketen sind -?
"Glaubwürdigkeit"
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ist die "menschliche" Tugend, die zur "Politikfähigkeit" hinzuge-
hört. Denn auch das Verhältnis zwischen Person und Sache gestal-
tet sich etwas kompliziert, wo nicht einfach Betroffene sich in
ein und demselben Interesse zusammenfinden, sondern das maßgebli-
che "Anliegen" Teilhabe an der Macht heißt. Diese "Sache" fordert
vor allem - P e r s o n e n, die sich d e r M a c h t
w ü r d i g erweisen. Und was ist dazu wohl vonnöten?
Eins, kommt dafür jedenfalls nicht in Frage, nämlich K r i t i k
an den Belangen staatlicher Macht: Wie sollte jemand als guter
Sachwalter der Nation und ihrer Gewalt einleuchten, wenn die na-
tionalen Zwecke und deren Mittel ihm unsympathisch sind? Mit den
Erfordernissen erfolgreicher Macht vertraut; von Kindesbeinen ans
Anordnen gewöhnt; eindeutig nicht der Gattung der Betroffenen und
gedeckelten Mitbürger zugehörig, sondern immer Herr der Lage,
weil auf der richtigen, nämlich stärkeren Seite zu Hause: Solche
respekterheischenden Eigenschaften sind es, die ein guter, glaub-
würdiger Parlamentarier braucht. Mit seiner dementsprechenden
Karriere verschafft er seiner Partei den demokratischen Ruf, für
die Macht geeignet zu sein; der darauf gegründete Erfolg der Par-
tei fördert wiederum die persönliche Karriere ihrer Vertreter. So
geht echte parlamentarische Volksnähe!.
In die geschlossene Bonner Polit-Gesellschaft, die diesen Konkur-
renzkampf um die ansehnlichste Karriere tagtäglich führt, sind
die Grünen eingebrochen mit Basisdemokratie und Blumen und Pullo-
vern. Gegen die Arroganz der Macht haben sie Symbole aus der
"Szene" und den Standpunkt des von der Staatsmacht Gebeutelten
gesetzt. Das "Rotationsprinzip" - den Übergang des Mandats auf
einen Nachfolger in der Mitte der Amtsperiode - haben sie be-
schlossen, um den Karrierismus des Abgeordneten von vornherein zu
verhindern. Erweiterte und offene Fraktionssitzungen u.ä. sollten
mit der Phrase vom "Volksvertreter" ganz neu ernstmachen. Usw.
Ausgerechnet diese allerheiligsten Kühe des grünen Parlamentaris-
mus hat Ex-General Bastian in seinem öffentlichen Beschwerdebrief
aufs Korn genommen; rechtzeitig ein Jahr vor dem angepeilten Per-
sonalwechsel. Die "Bürogemeinschaft" der Parlamentarier mit ihren
Nachrückern, die die "Verselbständigung" der Prominenz verhindern
soll, denunziert er als unpraktische Utopie; für effektive Poli-
tik genauso hinderlich wie "wesensfremde, nicht am Erfordernis
parlamentarischer Wirksamkeit orientierte Beschlüsse von Partei-
gremien". Von seiner Partei-"Basis" hält er überhaupt nicht viel
- "bedrückend inkompetent" und schon gar nichts von deren
"radikalen" Positionen, die das Bemühen der Fraktion um öffentli-
che Anerkennung als ehrenwerter Bestandteil des "Hohen Hauses"
immer wieder durchkreuzen. Die Vorwürfe von rechts -
"antiamerikanisch", "gewaltorientiert", "klassenkämpferisch" -
leuchten ihm so ein, wie sie gemeint sind; wie einer vom MAD ent-
larvt er dahinter Kommunisten mit einer "geschickt und diszipli-
niert gehandhabten Kadertaktik"; und wie ein altgedienter Parla-
mentarier beruft er sich gegen seine Partei auf die "fast zwei
Millionen Wähler", die e r "darüberhinaus auch noch zu vertre-
ten" habe.
Diesen Generalangriff auf alles, worin der grüne Parlamentarismus
alternativ sein wollte, führt Bastian allerdings ganz i m
N a m e n dieser Alternative:
"Auch das Klima innerhalb der 'Bürogemeinschaft' ist leider nicht
von jener Solidarität,... Toleranz und Menschlichkeit geprägt,
die nach dem Anspruch der Grünen Wesensmerkmale grüner Politik
sein sollten. Statt dessen bestimmen Intrigen und Machtkämpfe auf
vielerlei Schienen das Innenverhältnis. Ansätze... sind längst
von ehrgeizigem Profitstreben, zynischer Verächtlichmachung idea-
listischer Grundhaftungen einzelner und opportunistischer Anpas-
sung an vermutete Tageschancen abgelöst worden."
Bastian b e s c h r e i b t den Widerspruch der Grünen im Par-
lament, und gleichzeitig teilt er ihn. Es paßt eben nicht zusam-
men: Auf Parlamentarismus setzen, also auch auf die
"Überzeugungs"kraft einer parteieigenen Prominenz für demokrati-
sche Untertanen; zugleich aber sämtliche weniger erbaulichen Um-
gangsformen, die konkurrierende Karrieristen untereinander und
Prominente mit ihren Fans und Neidern pflegen, mit lauter Moral
zudecken wollen. Die Partei will Prominente; mit Bastian vor al-
lem, ihrem Ex-General im Parlament, will sie sich schmücken und
ihren Ruf als verantwortungsvolle Friedenspartei festigen - und
zugleich will sie nicht dulden, daß ihre Schmuckstücke sich als
solche vorkommen und aufführen. Bastian will mit seiner Prominenz
der Sache seiner Partei dienen dafür verlangt er aber auch von
der Partei, daß sie ihn und "die bekannteste" (eben: die bekann-
teste!) "Exponentin einer nichteinseitigen grünen Friedenspoli-
tik, Petra Kelly," nicht stört beim "Profilstreben", sondern ohne
Neid und Ehrgeiz, statt dessen mit "Solidarität, Toleranz und
Menschlichkeit" unterstützt.
Notwendigerweise ein Streit ohne Ende! Denn jede Seite klagt die
andere eines Vergehens an - hier gegen die "Basisverbundenheit",
da gegen die "Prinzipien parlamentarischer Wirksamkeit" -, wo gar
kein Vergehen vorliegt, sondern ein gemeinsamer erzbürgerlicher
Fehler: der Unsinn, beim Regieren mitmachen zu wollen, aber dabei
keinesfalls den Standpunkt der Macht einnehmen zu wollen. Und si-
cher erfinden sie sich demnächst lieber lauter sozialpsychologi-
sche Theorien über die Schwierigkeiten eines alternativen Parla-
mentarierdaseins und schreiben autobiographische Romane damit
voll, als daß sie sich zu der schlichten, aber schmerzlichen Ein-
sicht bequemen, w o m i t sie sich das Leben schwer machen.
Sie haben's ja wirklich versucht, die Grünen: die basisdemokrati-
sche Veredelung des Parlamentarismus. Herausgekommen ist nichts
als der überflüssige Beweis, daß parlamentarische Parteipolitik
anders als durch die glaubwürdige Demonstration anerkannter Herr-
schertugenden und -allüren eben wirklich nicht zu m a c h e n
ist - höchstens zu s t ö r e n. Das haben einige von ihnen in
der Raketendebatte ja sogar auch gebracht. Als Leitlinie mögen
die Grünen sich dazu aber nicht verstehen - da bräuchte es aller-
dings auch eine Kritik der Macht, zu der sie "fähig" werden möch-
ten. Ebensowenig mögen sie sich allerdings zu der Normalität po-
litischer Konkurrenz entschließen, wie die anderen Parteien sie
so frech vorführen.
Partei und Fraktion der Grünen sind also bis auf weiteres be-
schäftigt: m i t s i c h; mit ihrem Willen und Widerwillen,
eine normale parlamentarische Kraft zu werden. Mag sein, daß sie
an diesem Widerspruch kaputtgehen. Nur k r i t i s c h gegen
die ganze Scheiße - nein, das werden die Grünen nicht.
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'Ich fürchte, Holger geht schweren Zeiten entgegen'
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Karikatur aus Frankfurter Allgemeine
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