Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
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Joschka Fischers Tagebuch
EKELHAFTE SEITEN EINES ALTERNATIVEN MINISTERS
Offenbar macht man sich mit Politik doch nicht die Hände schmut-
zig. Joschka Fischer, der Ex-Minister der hessischen Landesregie-
rung, ist jedenfalls ziemlich gereift in seinem politischen Amt.
Über diesen Reifeprozeß wußte er schon vorher Bescheid, weshalb
er einen Vertrag mit dem "Spiegel" abschloß, sich selbst als sein
eigener psychologischer Betreuer zu Papier zu bringen. Er hält es
für wert, Persönliches und Alltägliches von sich als Minister ei-
ner breiten Öffentlichkeit mitzuteilen, als wäre die Ausübung von
Staatsmacht bei ihm besonders bemerkenswert. So ist, wie vorgese-
hen, nur Erbauliches herausgekommen.
Kaum, daß der Minister im Herbst 1985 real damit rechnen kann,
Minister zu werden, verwechselt er Kompetenz mit Wissen, tut so,
als ob er nicht wüßte, daß zur Kompetenz des Politikers auch die
Vortäuschung von Durchblick gehört.
"Konkret heißt das für mich: keine Kompetenz vorspielen, wo noch
keine ist und sein kann, und gleichzeitig muß ich alles tun, um
mir schnellstmöglich eine allgemein-ökologische und spezifisch
landespolitische Kompetenz in der Umweltpolitik draufzuschaffen.
Also, Zähne zusammenhalten und büffeln." (alle Zitate: Spiegel,
8/1987)
Nun gut, dem (damals) Minister in spe kommt es darauf an, kon-
krete Ehrlichkeit in die Politik einzubringen. Deshalb vergißt er
auch nicht zu sagen, daß er es sich ganz persönlich nicht leicht
macht und echt büffelt. In denselben Menschen Joschka Fischer
verheddert er sich zielstrebig kaum 7 Tage später.
"Mich hat die schlichte Angst gepackt, am Sonntag verheizt zu
werden, ich will nicht mehr."
Aber es wirft ihn nicht um. Denn da obsiegt bei dem zukünftigen
Minister natürlich die Verantwortung, die er mit einer äußerst
hochgestochenen Alternative auf sich zukommen sieht.
"Ein Tag, der die politische Landschaft dieser Republik tatsäch-
lich verändert oder nur eine weitere Episode des sattsam bekann-
ten Stückes von Mutter Sozialdemokratie, welches da den abgegrif-
fenen Titel trägt: 'Wie integriere ich eine unbotmäßige Linke?'
Zur genaueren Analyse bin ich zu kaputt."
Letzteres passiert jedem einmal, aber muß man das denn gleich je-
dem erzählen? Fischer erscheint diese alternative Eitelkeit wich-
tig, obwohl sich, ganz ohne Analyse im frischen Zustand, am näch-
sten Tag eine Veränderung der politischen Landschaft ankündigt,
die wenig berauschend ist.
"Ich konzentriere mich auf der ersten Pressekonferenz auf drei
wesentliche Aussagen. In der Atomfrage, vor allem bezüglich der
Atomreaktoren Biblis A und B und der Hanauer Nuklearfabriken wird
der grundsätzliche Dissens zwischen beiden Koalitionsparteien be-
stehen bleiben...
Die Selbstdefinition der eigenen Rolle im neuen Kabinett: 'Anwalt
der Umwelt'... Schließlich das Dialogangebot an die Industrie,
die Aufforderung, so viel wie möglich an Umweltproblemen im Ein-
vernehmen, im Konsens zu lösen..."
So mit sich selbst in Zweifel oder kaputt ist der Realo eben doch
nicht, daß er seinen Ministerjob, also die Politik des Machbaren,
mit einer echten Veränderung der politischen Landschaft verwech-
seln würde. Da weiß der "unbotmäßige Linke", noch bevor er seine
Ernennungsurkunde in Händen hält, was sich an den Machtschaltern
gehört.
Die stinknormale Identifikation mit den staatlichen Sachzwängen
des Amts braucht natürlich die grüne Auflockerung durch den al-
ternativen Minister. Da bietet sich für einen Grünen, um ein we-
nig Distanz zur Ehre des hohen Amtes vorstellig zu machen, an,
kindisch zu werden. Total unwichtiger Quatsch muß in den Vorder-
grund gerückt werden.
"Es bleibt mir an diesem Nachmittag angesichts der öffentlichen
Debatte um die Kleiderordnung des ersten grünen Ministers noch
das wichtigste Problem zu lösen: Turnschuhe müssen her, denn
meine alten sind hinüber. Gesagt, gekauft. Mit prächtigem Weiß
beschuht werde ich also morgen den Eid ableisten im Landtag zu
Wiesbaden und dann: Nie wieder Turnschuhe!"
Zwar will das grüne Baby anders sein, aber gepflegt und adrett
auch. 'Eid nie!' kommt ihm nimmermehr in den Sinn. Im Gegenteil:
Wie ein kleines Mädchen, das zu Weihnachten ein Gedicht aufsagen
muß, bibbert er ins Tagebuch:
"Dann die Vereidigung. Ich nehme die Umwelt kaum noch wahr, jetzt
nicht stolpern, jetzt keinen Versprecher oder Aussetzer! Also
aufstehen, gemessenen Schritts die wenigen Stufen hoch, dann der
Eid, ohne Versprecher und ohne Gottvater als Notar für diese
nichtigen irdischen Dinge zu bemühen. Gratulation vom Minister-
präsidenten."
Der erste grüne Minister ist natürlich kein Baby oder ein kleines
Schulmädchen. Er kokettiert nur damit, daß er, der andere Mini-
ster, Bammel vor dem großen Augenblick hat und anerkennt damit,
daß es sich um eine hehre Weihestunde handelt, oberhalb der nich-
tigen irdischen Dinge. Deshalb verwechselt er schon wieder Form
und Inhalt, auch wenn er noch so sehr betont, daß er als Grüner
sich nur schwer mit dem Staatsamt zusammenfinden könnte.
"Ich fürchte morgen vor allem vorhersehbare Peinlichkeiten bei
der Zeremonie. Ich hasse die erzwungene Form wie Pest und Cholera
zusammen."
Wie dieser Haß in die Sorge um einen guten Eindruck umgeschlagen
ist, bleibt das Geheimnis eines grünen Herzens. Dem Eid tut das
keinen Abbruch. Er wird geleistet vom Turnschuhminister, genauso
wie derselbe die Gepflogenheiten seines Amts nicht über den Hau-
fen wirft. Sonst wär er ja auch nicht Minister geworden.
"Empfangen werden wir von einer Schar von Pressemenschen, und
Dick, dieser Schuft," (süß) "hat es organisiert, daß ich ein Me-
tallschild mit dem neuen Namen des Umweltministerium darauf an-
schrauben soll, einfach gräßlich. Demnächst wird man mir noch
fremder Menschen Säuglinge zum Herzen und Küssen andienen."
Als ob einer, der sich zur Liebkosung eines Metallschildes breit-
schlagen läßt, nicht auch einen Säugling an die Tür schrauben
könnte! Um sich anschließend bedingt "gräßlich" zu finden. Spaß
macht ihm nur das Regieren selbst.
Die Ironie, die dem Minister zu diesem seinem Amt einfällt, hat
ihren Ausgangspunkt so sehr in der Akzeptierung der hohen Auf-
gabe, daß sie niemandem mehr die Socken auszieht.
"Nun darf regiert werden."
"Eine wahre Lust, das Regieren."
Er nimmt es eben doch schwer ernst, das Regieren, der urkomische
Minister ohne Schlips und Kragen, wenn er schon wieder etwas ver-
wechselt, nämlich Arbeit mit seiner Amtstätigkeit:
"Der erste richtige Arbeitstag. Morgens sammelt Schaeffer uns
Frankfurter mit dem Leihwagen ein, und wir fahren in korrekter
Geschwindigkeit (100 km/h) mit dem gut gefüllten Kleinwagen gen
Wiesbaden. Unterwegs rauscht im Morgengrauen des heraufziehenden
Tages der Kollege Clauss in seiner Limousine an uns vorbei, zei-
tungslesenderweise im Fond."
Diesem Kindskopf von Fischer fällt offenbar für den Beweis des
wahnsinnig großen Unterschieds zwischen ihm und seinen Kabinetts-
kollegen nichts Besseres ein als ein voller Kleinwagen, der über-
holt wird. Wahrscheinlich beauftragt er deswegen auch noch seinen
Staatssekretär, eine solche langsame Karre zu bestellen.
Die Sache wird immer deutlicher. Der grüne Minister hat ein Pro-
blem. Aber nicht damit, Staatsmacht zu sein und zu repräsentie-
ren. Vielmehr mit der Schwierigkeit, in der Ausübung seines Am-
tes, wie seine Kollegen, aber schwer alternativ, Gewissen zu de-
monstrieren. Das mag er ja offensichtlich ganz gern. So fährt er
denn als hessischer Minister ins bayerische Wackersdorf, um nost-
algisch zu bemerken, daß er sich eine Rentnerpsychologie des
Tierreichs zugelegt hat:
"Ich fühle mich wie ein alter Hund, der das Jagdhorn hört, aber
nicht mehr zur Jagd darf."
Der Arme, jetzt ist er doch tatsächlich nur noch Minister und
kann nicht mehr den Schweinehund von vorgestern rauslassen. Wie
getürkt und echt angeberisch diese Tour daherkommt, den
g r ü n e n Minister von sich, dem M i n i s t e r, unter-
scheiden zu wollen, zeigt das Urteil, zu dem sich Fischer über
seine Regierungskollegen aufschwingt.
"Giani ist einer der wenigen originellen Köpfe in der SPD, durch
und durch politisch denkend, wenn auch dem Götzen der Taktik bis-
weilen zu sehr erliegend."
Daß "politisches Denken" aus Taktik und sonst nichts besteht, hat
er verstanden. Das "zu sehr", dem einer im Amt "erliegt", kündet
vom Opfer, das er bei sich selbst betränt.
"...Holger Börner... Er hat die Stellung bis auf den heutigen Tag
gehalten, ohne Rücksicht auf die eigene Person und das eigene An-
sehen. Die Erhaltung der Regierungsmacht in Wiesbaden für die SPD
ist sein oberstes und erstes Ziel, die Person Holger Börner steht
weit hintan. Aus diesem Bild des unerschütterlichen Parteisolda-
ten erwächst Börners Aura, ja Charisma, dies macht ihn zu einem
schwierigen Partner, zu einem gefährlichen Gegner, aber er ist in
dieser Grundüberzeugung berechenbar."
So politisch denkt der grüne Minister an diesem heutigen Tag
schon längst, daß er aus den Eigenschaften einer politischen Cha-
raktermaske, die er wegen seiner Reife nicht für faul hält, ein
Kompliment drechselt. Die Jugend braucht halt Vorbilder.
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