Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION GRUENE - Alternative - wovon und wozu
zurück
Bekenntnisse einer Radikalökodemokratin
WIE DENKT JUTTA DITFURTH?
Sei es aufgrund ihres "faszinierenden Fernsehauftritt(s) in der
'Elefantenrunde' vor der Bundestagswahl 1987 mit Strauß, Bange-
mann, Kohl und Rau" (3) oder wegen ihres Diktums von der staatli-
chen Sehnsucht nach Terror - Freund und Feind sind sich darin ei-
nig, daß es sich bei Jutta Ditfurth um die Vertreterin einer ra-
dikalen Kritik an dieser Gesellschaft handelt, wie sie heute
sonst nicht mehr üblich ist. Fragt sich nur, worin ihre Radikali-
tät besteht - ihr Sammelbändchen "Träumen Kämpfen Verwirklichen"
(KiWi 158, Köln 1988) gibt die Antwort.
Ditfurths radikale Weltsicht
----------------------------
1. Das Wirtschaftsleben aus ökologischer Perspektive:
-----------------------------------------------------
Schuld und Sühne
----------------
An tausend Beispielen belegt die Autorin, daß die bestehende Pro-
duktionsweise Mensch und Natur schädigt. Der Grund liegt für sie
in den
"Strukturen (der) kapitalistische(n) Wirtschaftsweise" (91), der
"Logik kapitalistischer Produktion, deren einzig steuerndes In-
teresse das der Profitmaximierung ist. Der Mensch bleibt als aus-
zubeutende Arbeitskraft und als zahlender Konsument, die Natur
ist der unendliche Rohstofflieferant, der große Abfalleimer."
(121)
Ganz ernst nimmt Jutta Ditfurth ihre Behauptung, der Kapitalismus
s e i der Fehler, dessen Wirkungen sie beklagt, allerdings
nicht. Wie viele andere Moralwachteln, die gelegentlich auf den
Profit schimpfen, kennt sie diese Maßeinheit des kapitalistischen
Wachstums vornehmlich als ein verachtenswertes
I n t e r e s s e, dessen Nicht-Beaufsichtigung so katastrophen-
trächtig ausschlage. Nicht die Gültigkeit dieses Interesses klagt
sie an, sondern die übertriebenen Befugnisse. die ihm das Recht
gewährt. Ihr politischer Verstand funktioniert also - sie gehört
in ihrer Radikalität zu den Zeitgenossen, die in
p o l i t i s c h e n A l t e r n a t i v e n denken und die
Allmacht des Staates für die Korrektur des Privateigentums und
seiner Verfehlungen in Anspruch nehmen wollen:
"Die Logik der chemischen Industrie bestimmen bis heute die, die
davon profitieren. Deshalb entscheidet das Chemiekapital, selten
eingebunden in wirkungsvolle Gesetze, den Grad der Zerstörung von
Mensch und Natur weitgehend frei nach Profitgesichtspunkten."
(107)
Was wie eine vernichtende K r i t i k a m S y s t e m daher-
kommt, dem die Zerstörung von Mensch und Natur zur Last gelegt
wird, ist nichts weiter als eine demokratische Klage auf Unter-
lassung. Als wäre die Freiheit des Kapitals nicht fester Bestand-
teil "unserer Ordnung" und der oberste Grundsatz demokratischen
Regierens, sieht Jutta Ditfurth bei ihrer Hetze auf die Wirkungen
der kapitalistischen Wirtschaftsweise keine Notwendigkeit am
Werk. Und in ihrem Anliegen, Mensch und Umwelt schonend zu behan-
deln, fällt ihr keineswegs bloß der Gesetzgeber ein als eine In-
stanz, die das Nötige unternimmt. Als Vertreterin eines allgemei-
nen Interesses der höchsten Preisklasse kann sie sich auch vor-
stellen, daß diejenigen, die unter der Rubrik "Wirtschaft" bis-
lang ihr Unwesen treiben, ihre Grundrechnungsart überdenken.
Radikal betrachtet ist Naturbewahrung ja sogar eine
i m m a n e n t e Notwendigkeit des Kapitals, weshalb ihm bei
deren Nichtbeachtung der Untergang droht:
"Die herrschende Ökonomie frißt sich selbst auf, d.h., sie rui-
niert perspektivisch ihre eigene Wirtschaftlichkeit, ihr eigenes
Kapital, indem sie als Kosten nicht das rechnet, was sie unseren
Lungen... aufbürdet, und den Nutzen nur im allerengsten betriebs-
wirtschaftlichen Sinn versteht." (17)
Aus den kapitalistischen "Strukturen" sind die
s u b j e k t i v e n V e r f e h l u n g e n der Unternehmer
geworden, die sich auch an ihnen bitter rächen. Ökologie kennt
keine Klassen! Wo der Staat mit der nationalistischen "wir"-Ideo-
logie sein im Recht ausgesprochenes Verbot flankiert, die Gegen-
sätze von unten auszutragen, glaubt Ditfurth, wenn "mensch" - das
sind "wir" alle - seinem Egoismus abschwörte, die Ideologie also
b e f o l g t würde, würden sich die gesellschaftlichen Gegen-
sätze und nicht mehr SO2 in Luft auflösen. Auf Basis der geleug-
neten wirklichen Notwendigkeiten des Kapitals, braucht die harmo-
nie-idealistische Fiktion m e n s c h nur noch
b e k a n n t z u g e b e n, was sie braucht und was nicht: 1.
Umweltzerstörung nein danke, deswegen müssen wir das dafür ver-
antwortliche Profitinteresse auf ein gesundes Maß herabstutzen,
seine Vorherrschaft zurücknehmen; 2. Ökologie - ja bitte, und zum
Einsatz des Kapitals für diesen schönen Zweck heißt es, die Ge-
schäftsleute zu läutern - mit einem Blick zurück und einem vor-
aus:
Bei den AKWs wird "massenhaft Kapital gebunden, das für die Müll-
vermeidung, für Recycling, für Umweltsanierung fehlt" (12).
"Würden die Baukosten eines Atomkraftwerkes in sinnvollere und
gesündere Produktionen gesteckt, könnten viel mehr Arbeitsplätze
entstehen: Für die notwendigen Investitionskosten eines Arbeits-
platzes in der Atomindustrie könnten vier Industriearbeitsplätze
und mindestens 3 im Bereich der regenerativen Energietechnologien
(Wind und Sonne zum Beispiel) geschaffen werden. Allein die Iso-
lierung einer Million Wohnungen im Jahr bringt 200.000 Ar-
beitsplätze jährlich für die nächsten 20 Jahre... Der Phantasie
sind keine Grenzen gesetzt". (61 f.)
Wahrlich nicht, wenn man nur an die Idiotie glauben will, das Ka-
pital mit kapitalistischen Ködern von seinem Standpunkt herunter-
und in die Gefilde des philanthropischen Idealismus hineinlocken
zu können!
2. Der Staat
------------
In der Bundesrepublik Deutschland sieht Jutta Ditfurth einen
"kalten, durchtechnisierten, waffenstarrenden, computerisierten,
kapitalistischen Staat... mit all den Erscheinungen wie Korrup-
tion, Repression gegenüber Minderheiten, alter und 'neuer' Armut
und einer großflächigen Vernichtung unserer ökologischen Lebens-
grundlagen" (218).
Gemach; so destruktiv, wie man meinen könnte, ist ihr Urteil über
den Staat gar nicht, da es sich auch bei seinen Häßlichkeiten um
u n n ö t i g e E n t a r t u n g e n handelt. Es liegt am
U m g a n g mit dem staatlichen Auftrag, daß dessen idealer Cha-
rakter erst nur ein e i g e n t l i c h e r und noch kein
w i r k l i c h e r ist. An drei Beispielen soll gezeigt werden,
mit welch unbeirrbarem Vertrauen in das eigentlich gute Wesen des
Staates sie gegen seine Machenschaften zu Felde zieht.
Die Atompolitik
---------------
Über die Folgen eines in Betrieb genommenen AKWs für die Gesund-
heit der benachbarten Menschheit herrscht bei der Grünen völlige
Klarheit. Auch an die Mär vom sicheren deutschen Meiler glaubt
sie nicht:
"Es gibt keine sicheren Atomkraftwerke!" (57)
ebensowenig wie an
"die Lüge von der Trennung der Atomenergie in die zivile und die
militärische Nutzung" (63).
Ihr ist sogar die entscheidende Tatsache bewußt, daß die Modali-
täten der stattfindenden Naturzerstörung auf staatlichen Ent-
scheidungen beruhen:
"Ich behaupte, daß die Katastrophe, die die Ökologie in der ge-
genwärtigen Zeit zerstört, der N o r m a l z u s t a n d ist,
d.h. ... aufgrund von Gesetzen, von p o l i t i s c h e n
E n t s c h e i d u n g e n. Die Katastrophe i s t der Normal-
zustand." (23)
Wenn dem so ist, wäre es vielleicht ganz nützlich, Näheres über
die Gründe des s t a a t l i c h e n Faibles fürs Atom zu er-
fahren. Doch diese Frage ist bei Ditfurth wieder sehr schnell er-
ledigt:
"Die Interessen brauchen nicht groß berechnet werden. Sie liegen
im wesentlichen auf der Hand. Ein allgemeines Profitinteresse,
die spezifischen Interessen des militärisch-industriellen Komple-
xes und schlicht und einfach Herrschaftsgelüste, und die gibt's
auch, massenhaft und reichlich." (24)
So also steht der Staat zum Profit! Politiker erniedrigen sich zu
dessen treuen Dienern und stillen dabei ihren Machthunger! Eine
schöne Analyse, die sich in Sachen Politik noch nicht einmal klar
zwischen Macht und Ohnmacht entscheiden will:
"Chemiekonzerne haben viele Politiker gut im Griff. Wer könnte
behaupten, daß Kanzler Kohl, der bei der BASF unter Professor
Carl Wurster lernen durfte, jemals gegen die Interessen seiner
alten Arbeitgeber verstieß?" (101)
Der Fingerzeig auf den geheimen Hintermann war offenbar nötig.
Daß ein bürgerlicher Politiker, auch wenn er nicht bei Professor
Carl Wurster lernen durfte, als Staatsagent ein originäres Inter-
esse daran hat, für das Wachstum seines nationalen industriellen
Kapitals eine rentable Energieversorgung im Lande aufzuziehen,
weil die Stärke des Staats auf diesem Wachstum basiert und weil
jene wiederum den Grad bestimmt, bis zu dem der Staat die Welt
seinen Konditionen zu unterwerfen vermag - diesen Zusammenhang
wird man in Juttas Büchlein nicht finden: Da müßte sie sich ja
glatt mit der Tatsache theoretisch vertraut machen, daß die Fol-
gen der staatlichen AKW-Entscheidung für die Gesundheit der Bür-
ger nicht aus der Bestechlichkeit bzw. Lenkbarkeit der
I n h a b e r staatlicher Ämter resultieren, sondern aus den
Notwendigkeiten, die den Zweck dieser Ä m t e r ausmachen! Doch
auf die läßt Ditfurth keinen Schatten fallen, und wenn doch ein-
mal, wie teilweise auf das Parlament, dann ist die betreffende
Institution nicht in dem Zustand, in dem sie sein s o l l t e,
sondern um bereits erwähnter "Herrschafts g e l ü s t e" willen
"degeneriert" ( 142), also letztlich doch dem schlechten
C h a r a k t e r ihrer I n h a b e r zum Opfer gefallen.
Diese Subjektivierung und damit Leugnung mißliebiger
S t a a t s funktionen beherrscht Ditfurth auch in ihrer histori-
schen Variante:
"Bald nach dem 2.Weltkrieg begannen in der Bundesrepublik alte
Nazis, ohne je für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wor-
den zu sein, mit dem Aufbau des Atomprogramms... Die Bundesrepu-
blik wurde nie wirklich 'entnazifiziert'." (63)
Auch wenn sich Jutta daher wenig Hoffnungen darüber macht, die
Institutionen könnten rasch von den braunen Filzläusen befreit
werden, so ist sie doch nicht um A l t e r n a t i v e n verle-
gen, die des Amtes w ü r d i g e Menschen sich zu Herzen nehmen
müßten. Wenn die p r a k t i z i e r t e n Staatszwecke gar
keine e i g e n t l i c h e n Staatszwecke sind, dann muß es
nämlich mal gesagt werden, worin letztere zu bestehen haben.
Staat, dem unser aller Wohl deine größte Sorge eigentlich sein
müßte, lerne aus Fehlschlägen:
"Die logische und verantwortungsbewußte Konsequenz aus Tscherno-
byl hätte die Schließung der bundesdeutschen Atomanlagen sein
müssen." (57)
Staat, mach doch einfach das Gegenteil von dem, was du bezweckst,
das kommt dich und deine Steuerzahler viel billiger:
"Übrigens, die geschätzten Baukosten für die Wiederaufbereitungs-
anlage in Wackersdorf liegen jetzt schon bei rund 10 Milliarden
DM. Unser Abschaltkonzept kostet nur 5,6 Milliarden." (60)
Und merk' dir - für meine vier Wände brauch' ich nicht das Atom:
"Um eine Wohnung auf 21 Grad zu erwärmen, gibt es genug Alterna-
tiven... Sonnenkollektoren, Wärmedämmung, passive solare Bau-
weise, gas- oder dieselbetriebene Wärmepumpen und vieles andere
mehr." (65)
Bliebe nur noch das Militär mit seinem industriellen Komplex,
denn die sind doch so auf die Atombomben scharf. Wenn sich aber
zeigen ließe, daß das Militär für unsere Verteidigung
ü b e r f l ü s s i g ist, dann wäre das Atomproblem endgültig
gelöst (und der "Komplex" soll dann auf Pflugscharen umsatteln).
Das Militär
-----------
Sein Handwerk ist der Tod, und BRD-Politiker gedenken, sich sei-
ner zu bedienen:
"Bundesdeutsche Politiker haben heute bereits ihr 'O.K.' zum ge-
planten Massenmord, zur radioaktiven Zerstrahlung unserer natür-
lichen Umwelt gegeben, das O.K. ist verpackt in die Formulierung:
Freiheit vor Frieden. Das heißt nichts anderes als: Besser die
Leute sind tot, als sie leben unter falscher Ideologie." (43f.)
Und der Grund von alledem:
"Ideologie und... Profitinteressen" (43).
Eine bizarre Erklärung! Was die Profitinteressen betrifft: Die
scheinen wohl nur noch bei der Rüstungsindustrie vorhanden, we-
nigstens solange, bis ihr die ersten Produkte der östlichen Kon-
kurrenzbetriebe aufs Dach fliegen. - Zur Ideologie: Daß die
Staatsmänner ihre Leute dafür, daß sie nichts Mißliebiges
d e n k e n, abschlachten lassen, kann nur einer Grünen einfal-
len, die sich Politiker und Militärs als rechte Trottel zurecht-
macht, weil sie im bürgerlichen Staat wieder einmal keinen Grund
für sein Tun entdecken will. Überhaupt: Seit wann ist denn eine
staatliche Ideologie wie 'Bewahrung der Freiheit' ein 'b l o ß'?
Jutta Ditfurth ist wohl unbekannt, daß sich in ihr ein politi-
sches Interesse prinzipiell artikuliert, das die Existenzgrund-
lage der BRD darstellt: ihre bedingungslose Feindschaft gegen den
Osten. Ausgerechnet da, wo solche grundsätzliche Feindschaft noch
v o r aller politischen Kalkulation m i t ihr und v o r al-
ler Ideologie, die vielmehr jener gemäß konstruiert wird, fest-
steht, weigert sich die Autorin, das Militär als etwas anderes
denn als Resultat ideologischer Verbohrtheit zu sehen, weshalb
mensch es, bei Lichte besehen, auch weglassen könne.
Hier täuscht sie sich ganz gewaltig, denn nicht nur ist das Mili-
tär durch die Beseitigung der vermeintlich grundlosen Ideologie
nicht abzuschaffen; gerade sie übernimmt die ideologische Recht-
fertigung der Notwendigkeit 'unserer' Wehrmacht, erhebt aber mah-
nend den Zeigefinger, weil die g u t e Absicht s o nicht
klappt:
"Alle Versuche, Frieden durch Aufrüstung und Abschreckung zu er-
reichen, sind historisch gescheitert." (31)
Die Abschreckung bedarf nämlich der glaubwürdigen Androhung des
Atomkrieges, das aber macht dem Gegner Angst, und die senkt wie-
derum ausgerechnet seine Hemmungen, den Krieg anzuzetteln. Klarer
Fall, wir müssen die Kiste nur auf den Kopf stellen und dabei
nicht einmal auf unser vertrautes Feindbild verzichten:
"Wir brauchen also eine Politik, die das Gegenteil bewirkt.
Mensch muß die Faktoren berücksichtigen und verstärken, die die
Hand des Gegners vom auslösenden Knopf fernhalten können. ... Die
einzig wirksame Form der Verteidigung ist die Verstärkung der
kriegshemmenden Faktoren im wirtschaftlichen, sozialen, politi-
schen und kulturellen Bereich. Es ist die e i n z i g e Mög-
lichkeit." (32f.)
Na, so schlimm kann Ditfurths Abneigung gegen den "kalten... ka-
pitalistischen Staat... mit all den Erscheinungen wie..." nicht
sein, wenn sich ihr nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde
die Frage aufdrängt, was an dem für "mensch" eigentlich
v e r t e i d i g e n s w e r t ist, und wenn ihr die kapitali-
stischen Geschäfte mit dem Osten die einzige Möglichkeit sind,
den Krieg zu verhindern! Da sitzen wir dann doch wieder alle in
einem Nationalboot, natürlich a l t e r n a t i v: Es
"müssen andere Wege gefunden werden. Wege, die davon ausgehen,
daß eine Gesellschaft ohne militärische Rüstung keine militäri-
sche Bedrohung für eine andere Gesellschaft darstellen kann. Für
einen möglichen Angreifer entfällt eine wichtige Motivation. Me-
thoden einer strikt gewaltfreien, nicht-militärischen sozialen
Verteidigung zielen auf die Entwaffnung, Aufdeckung, Veränderung
und Beseitigung von Gewalt aufbauenden Zuständen ab. Nicht der
Mensch ist der Gegner, sondern seine Rolle als Vertreter zerstö-
rerischer Strukturen." (34)
Da heißt es aber erst einmal, daß ich und du das im Kleinen
ü b e n: Es
"werden verschiedene Schritte unverzichtbar, die ich kurz nennen
will: 1. Sich gegen Gewaltstrukturen im eigenen Alltag in allen
Lebensbereichen wenden. 2. Solidarisch mit Menschen umgehen, ih-
nen die Freiheit des Andersseins gewährleisten. 3. Herrschafts-
und gewaltfreie und solidarische Verhaltensweisen einüben. 4.
..." (34)
Jetzt kennen wir den wahren Friedensstörer: M e n s c h, reiß
dich zusammen! Und ihr Herren im bunten Rock, die ihr nicht mit
G e w a l t mitteln, sondern mit untauglichen Ge-
walt v e r h i n d e r u n g s mitteln herumhantiert, die leicht
ins Auge gehen können, für euch hat mensch keine Verwendung mehr.
Wären da nicht noch die herrschaftslüsternen Politiker, aber auch
für die gibt es die Möglichkeit, sich eines Besseren zu besinnen:
"Im Prinzip sind diese Entscheidungsträger in Wertsysteme morali-
scher, kultureller und politischer Art eingebunden und leiten aus
diesen, sich durchaus verändernden Zusammenhängen ihre Legitima-
tion und damit ihre Handlungen ab." (32)
Nicht die politischen Zwecke bestimmen die Gestalt ihres ideolo-
gischen Beiwerks, nein, es gibt humane und inhumane Wertsysteme.
Gottlob sind diese durchaus zu verändern siehe oben genannte
Übungsempfehlungen und dem Frieden auf Erden steht nichts Notwen-
diges mehr entgegen!
Doch wie steht es um den staatsinternen Gewaltapparat?
Die Polizei
-----------
Anders als bei der Truppe will Jutta Ditfurth hier keinen ver-
fehlten Sinn erblicken. Diese Institution ist a l s s o l c h e
für sie eine einzige Verfehlung des Staates an seiner an sich be-
grüßenswerten O r d n u n g s a u f g a b e:
"Die Polizei macht genau das nicht, was sie vorgibt. ... Die Po-
lizei schützt die Bürger s y s t e m a t i s c h nicht vor Ge-
walt. Die Polizei hat in den letzten 10 Jahren mehr als 150 Men-
schen erschossen. ... wenn ein Polizeigesetz beschlossen wird,
das den Todesschuß selbst gegen Kinder legalisiert, dann ist es
kein Zufall, sondern die Konsequenz des Systems." (179)
"Der Staat behält es sich vor, mittels der Polizei Bürger zu ver-
letzen oder sogar umzubringen." (182)
Doch auch hier bleibt sie ihrer unkritischen Tour treu: Der em-
phatischen Anklage, der wortradikalen Beschuldigung des Staates
folgt seine ideelle Entlastung auf dem Fuß:
"Die Polizei wird nicht zur Verteidigung von 'Demokratie und
Freiheit' eingesetzt, sondern zur Verteidigung der Vorrechte der
Herrschaftsgruppen, gegen Freiheit und Demokratie und für die Be-
tonierung sozialer Ungleichheit." (180)
"Sie sichert und schützt selbst zu Unrecht ausgeübte Gewalt."
(180)
Auf Freiheit und Demokratie läßt eine Grüne eben nichts kommen.
Daß der Kodex dieser obersten Werte, das heißgeliebte Grundge-
setz, nicht nur in Art. 14, wo es Freiheit als R e c h t a u f
E i g e n t u m definiert, oder z.B. in Art. 9, wo es "jedermann
und für alle Berufe" das Recht gewährt, Vereinigungen zu bilden,
D e m o k r a t i e als Herrschaftsform der kapitalistischen
Klassengesellschaft ausweist, ist für frau (Ditfurth) undenkbar.
Deswegen will es ihr auch nicht in den Kopf, daß die beklagte so-
ziale Ungleichheit und die gewaltsame staatliche Absicherung ge-
gensätzlicher Interessen aus dem G e- und n i c h t aus dem
M i ß brauch des Rechts herrühren.
Wäre unser Staat, wie er sein sollte, dann gäbe es die Polizei
nicht, denn
"die deutsche Polizei ist... von ihrer Geschichte her keine In-
stitution der Demokratie. ... die deutsche Polizei war eine der
tragenden Säulen des Faschismus." (184 f.)
Vielmehr ist sie
"Staat im Staat für die Machterhaltung und Machtexpansion der
staatstragenden Komplexe, für die Interessen von Bürokratie, Ka-
pital und Militär." (190)
Andere Interessenten außer diesen Dunkelmännern gibt es nicht.
Was folgern wir daraus? Logo: Solange die langfristige Perspek-
tive
"einer Gesellschaft, frei von der Herrschaft von Kapital und Mi-
litär... nicht erreicht ist, ist die Polizei schon aufgrund ihrer
strukturellen Tendenz zu Gewalt einer unabhängigen BürgerInnen-
kontrolle zu unterStellen" (190).
Aber bei w e l c h e r Tätigkeit, wenn doch Töten und Unrecht-
tun ihren Job a u s m a c h e n, soll mensch die Polizei über-
haupt kontrollieren?
Richtig, das geht gar nicht, und eben dies ist die Grundlage für
unseren Trick 17. Wir fordern etwas, was gar nicht möglich ist,
denn diese Erkenntnis lenkt unser Augenmerk auf die
P e r s p e k t i v e, auf die es ankommt:
"Für eine demokratisierte Polizei eintreten, die die Menschen-
rechte respektiert, setzt voraus zu erkennen, daß es letztendlich
eine demokratische und gewaltfreie Polizei nicht geben kann. Die
Polizei als Polizei muß, weil sie das Organ des Gewaltmonopols
des Staates ist, immer eine gewaltstiftende und undemokratische
Grundposition haben." (190)
Die Abschaffung der Polizei setzt aber die Aufhebung ihres Grun-
des voraus:
"Eine polizeilose Gesellschaft zu wollen bedeutet, das Gewaltmo-
nopol des Staates zur Disposition zu stellen." (191)
Will Ditfurth also doch noch den bürgerlichen Staat als die poli-
tische Gewalt des Kapitalismus abgeschafft haben? Weit gefehlt!
Staat und Gewaltmonopol sind für sie nämlich z w e i e r l e i:
Als Organ des G e w a l t m o n o p o l s ist für sie ja die
Polizei undemokratischer Staat i m Staat. Letzterer, also der
'eigentliche' Staat, soll sich daher dieses Fremdkörpers entledi-
gen. Ihr Wunsch ist der Aberwitz eines S t a a t e s o h n e
G e w a l t m o n o p o l!
*
Das ist die Krönung ihrer 'Analysen', die so recht zu den anderen
Wahngebilden ihres Harmonieidealismus paßt: Die Gemeinheiten, die
die kapitalistische Ökonomie und der bürgerliche Staat den Leuten
antun, sind Jutta Ditfurths Ausgangspunkt. Doch so, w i e sie
diese Wirkungen als systembedingt = notwendig faßt, werden aus
den r e a l e n N o t w e n d i g k e i t e n von Staat und
Kapital e i g e n t l i c h e U n n ö t i g k e i t e n, unnö-
tig von ihrem BRD-Ideal aus gesehen, für dessen noch ausstehende
ökologischhumane Entfaltung sie lauter dem Staat
ä u ß e r l i c h e Gründe verantwortlich macht: Irrtümer, un-
sere 'unselige' Geschichte und v.a. inhumane egoistische Interes-
sen privilegierter M e n s c h e n. Aber auch diese erfundenen
Letztursachen der Übel sind als solche ohne innere Notwendigkeit
konstruiert; ihre Mythologie ist 'optimistisch': Von der Ge-
schichte und von Irrtümern kann mensch Abstand nehmen. Damit das
auch bei den Interessen klappt, verdoppelt Ditfurth deren Träger
in diese selbst und in die Abstraktion M e n s c h, deren fun-
damentalen Notwendigkeiten die Interessen unterzuordnen seien.
Daß die Abstraktion Mensch real gar nicht existiert, ist ihr kein
Einwand, sondern Ansporn: Den M e n s c h e n im Kapitalisten,
im Juristen usw. spricht sie an, und mit jenem sieht sie sich ei-
nig, wenn sie gegen seine 'uneigentliche' ökonomische oder poli-
tische 'Hülle' losschwadroniert!
Diese ideelle Vereinnahmung von allem und jedem, was in dieser
BRD kreucht und fleucht, vom General bis hin zum Tierbefreier,
ist Opportunismus im Quadrat, ist Opposition, die sich selbst
aufhebt: Denn der im Bild der Ö k o l o g i e u n d
H u m a n i t ä t sich manifestierende Versuch, das oppositio-
nelle Anliegen in den Rang einer Unwidersprechlichkeit zu heben,
zu dem von seiten der Ökonomie und des Staates gar kein Wider-
spruch mehr denkbar sein können soll, ist moralische Selbstbe-
friedigung, weil er eben auch keinen einzigen realen Gegensatz
ankratzt der das Wohlergehen der Leute verunmöglicht.
Auch die Autorin merkt, daß sich im Grundsätzlichen nichts
schiebt, erklärt sich dies aber mit der Zählebigkeit der schlech-
ten Interessen. Denn wo jedem Akt kapitalistischer Ausbeutung und
jeder Staatsmaßnahme ihre immanente Rationalität durch die Kon-
frontation mit 'Menschheitsanliegen' bestritten ist, da müssen
"lineares D e n k e n" (21), "f e h l e n d e r Wille" (26)
(Hvhg. MSZ) und ähnlicher Käse daran schuld sein, daß die bessere
Alternative, obwohl doch m ö g l i c h, nicht zum Zuge kommt.
So unverzichtbar es ihr daher erscheint, Managern, Richtern und
Politikern ins ökodemokratische Gewissen zu reden, so wenig will
sie sich angesichts der in diesen Kreisen verbreiteten Untugenden
allein auf den Erfolg dieser Bemühungen verlassen. Der im Prinzip
tugendhafte, aber leider noch viel zu verzagte Bevölkerungsteil
der b e t r o f f e n e n k l e i n e n L e u t e muß aufge-
muntert werden, damit er obigen Herrschaften auf die Sprünge
hilft. Auf dem Programm steht also das W a h r m a c h e n
d e r D e m o k r a t i e.
Radikalökologische Politik
--------------------------
"... ist radikale Politik, d.h. eine Politik, die an die Wurzeln
der Gesellschaft geht, die - ausgehend von den sozialen, ökologi-
schen und humanen Interessen - die Profitlogik dieses kapitali-
stischen Wirtschaftssystems in Frage stellt. Radialökologische
Politik vermittelt radikale Formen mit konkreter Utopie, d.h. wir
setzen uns für konkrete Verbesserungen der Lebenssituation der
Menschen und ihrer natürlichen Umwelt ein, die jedoch mit einer
Gesamtperspektive vermittelt sein müssen. Beides, konkrete Verän-
derungen und konkrete Utopie, geht nicht ohne einander. Das er-
stere erstickt für sich allein im perspektivlosen Gebastel, das
zweite läuft für sich allein Gefahr, nicht an die Interessen der
Menschen, nicht an ihr reales Bewußtsein anzuknüpfen und damit
auf die Basis für gesellschaftliche Veränderungen zu verzichten."
(216)
Die Gesamtperspektive besteht in der
"Umorientierung der gegenwärtigen Politik" (274),
also darin, daß sich der Staat einerseits von den für undemokra-
tisch bzw. überflüssig erklärten Abteilungen trennt und anderer-
seits seine potentiell wohltätigen Institutionen bestimmungsgemäß
betrieben werden. Der Witz des radikalökologischen Programms
liegt aber in der geforderten ideellen Wechselbeziehung: Was wäre
eine konkrete Verbesserung, z.B. der Bau eines sicheren Straßen-
überweges für Kinder, ohne ihr Bezogensein auf die Gesamtperspek-
tive: Sie wäre perspektiv l o s, eben nur das, was sie i s t.
Sie soll aber mehr sein, mehr als sie ist: Beweis für die
M ö g l i c h k e i t (im obigen Sinne) grundlegender
V e r ä n d e r u n g e n. Das komplementäre Verhältnis -
"... wird eine gesellschaftliche Perspektive erst dadurch poli-
tisch, daß sie mit 'kleinen konkreten Schritten' begonnen werden
kann" (151) -
betont das obige Beweisziel nur anders: Die bestehenden Verhält-
nisse e r l a u b e n ihre Veränderung. Wenn aber die Tauglich-
keit einer "konkreten Verbesserung", die Möglichkeit grundsätzli-
cher Veränderungen zu beweisen, davon abhängt, daß sie als
"konkrete Utopie" verstanden wird, dann wird radikalökologische
Politik zum Kampf um die s y m b o l i s c h e
D e n k w e i s e der Bürger: Die "konkrete Verbesserung"
'beweist' die grundsätzliche Veränderbarkeit nur dann, wenn
mensch sie interpretiert als "kleinen Schritt" a u f d e m
W e g z u r "Utopie"!
Im Parlament
------------
Das beschert der Radikalökologie ganz seltsame Probleme: Sind
Grüne mit ihren Vorschlägen in irgendeinem Stadtparlament relativ
erfolgreich, so interessiert sich niemand mehr für das Be-
weis a n l i e g e n der "konkreten Verbesserung", nämlich daß
sie dafür da ist, "grundlegende gesellschaftliche Veränderungen
vorzubereiten" (145)
"Nichts schlimmer, als wenn 'unsere' Wähler alle sagen, Mensch,
was sind die GRÜNEN fleißig, die machen das schon für uns, wir
brauchen nur noch zu wählen." (274)
Das würde ja das Parlament als eine Institution unterstellen, in
der die "sozialen, ökologischen und humanen Interessen" der Bür-
ger schon das maßgebliche politische Entscheidungskriterium wä-
ren. Ignoriert nämlich der grüne Wähler dieses perspektivische
'M e h r' als den die betreffende Parlamentsentscheidung
i n s p i r i e r e n d e n und von ihr zugleich d i f f e-
r i e r e n d e n Maßstab, wird es ihm schlechterdings
unmöglich, an der Institution Parlament, die den wunderbaren grü-
nen Konzepten zu praktischer Gültigkeit verhilft, noch einen Man-
gel zu entdecken:
"Es ist uns von Anfang an bewußt gewesen, daß wir gerade als
GRÜNE ParlamentarierInnen Illusionen im Parlament geradezu schü-
ren - je besser wir arbeiten, desto mehr." (146)
Es ist daher nötig, darüber aufzuklären, wie sehr diese Einrich-
tung, und nicht nur sie, im argen liegt:
"Wir müssen die Funktionsweise und die Entscheidungsstrukturen im
Parlament und zwischen Parlament, Verwaltung und Industrie trans-
parent machen." (274)
Da wäre grundsätzlich erst einmal mit der Lüge aufzuräumen,
"daß die zentralen gesellschaftlichen Entscheidungen in den Par-
lamenten stattfinden und nicht etwa, durch Kapitalprozese be-
stimmt, in den Chefetagen von Konzernen und Militär getroffen
werden" (230).
Im Parlament, das letzteren Subjekten zu dienen hat,
"wird von den Abgeordneten die Verpflichtung auf das bürgerliche
Gemeinwohl, den Interessenausgleich zueinander in Widerspruch
stehender Interessen, verlangt. Obgleich kein Interessenausgleich
zwischen Kapital und Arbeit möglich ist, werden mittels dieses
Ausgleichsmechanismus Interessen verschiedener gesellschaftlicher
Gruppen miteinander 'in Einklang' zu bringen versucht, berech-
tigte Interessen verwässert - seien es ökologische oder soziale.
Dieser Interessenausgleich, ideologische Grundlage der Volkspar-
teien, schlägt im Kapitalismus immer zuungunsten sozial schwacher
Gruppen und der Umwelt aus." (265 f.)
Die Verwirklichung ihres Demokratieidealismus eines 'wirklichen'
Interessen a u s g l e i c h s z u g u n s t e n "sozial schwa-
cher Gruppen", notfalls auch gegen Kapitalinteressen - als ob
nicht schon überhaupt die vom Kapital produzierte
E x i s t e n z "sozial schwacher Gruppen" deren unausgleichba-
ren Gegensatz zum Kapital ausmachte! - sieht Ditfurth gerade
durch den gegenteiligen Zustand v e r h i n d e r t. Wenn es
daher so ist,
"daß wir in den Parlamenten keine g r u n d s ä t z l i c h e n
Veränderungen durchsetzen können" (145),
dann leidet aber der gewollte Symbol w e r t von im Parlament
durchgesetzten "konkreten Veränderungen" ganz beträchtlich. Es
stellt sich dann überhaupt die Frage, wozu man in einen solchen
Saftladen Leute reinwählen soll. Doch so war die düstere Diagnose
natürlich nicht gemeint; die beklagten Mißstände müssen durch
eine Demokratisierung des politischen Willensbildungsprozesses
beseitigt werden. Die Lösung bietet die direkte Demokratie:
Wir zweifeln an der Funktionsweise dieser repräsentativen Demo-
kratie, in der die Bürger nur alle 4 Jahre eine Stimmkarte aus-
füllen dürfen. Es fehlt die basisdemokratische Anbindung der Par-
lamentarier. Die einzige Kontrolle ist bei den undemokratisch
strukturierten etablierten Parteien, nicht beim Wähler. Wir müs-
sen über Möglichkeiten direkter Demokratie diskutieren." (171)
Diese besteht darin,
"staatliche (Entscheidungs)Gewalt zu dezentralisieren, an die
Menschen zurückzugeben" (210).
Damit ist zweierlei auf den Kopf gestellt: W e i l der bürger-
liche Staat in der Durchsetzung der kapitalistischen Notwendig-
keiten seinen Bürgern einiges zumutet, er darin
H e r r s c h a f t ausübt, daß er in der Festlegung des
'Gemeinwohls' die Erfordernisse des Wirtschaftswachstums den Trä-
gern recht k o n t r ä r e r Interessen als v e r b i n d-
l i c h e Richtschnur ihres Handelns vorgibt, läßt er sich zu
dieser notwendigen Freiheit der Politik von den Ansprüchen der
Bürger von diesen in Wahlen periodisch ermächtigen. Weil die
Kapitalakkumulation für einen Radikalökologen gar nicht das
Zwangsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft, sondern bloß ein zu
Unrecht überprivilegiertes Interesse darstellt, leugnet er die
notwendige Trennung des Staates von der bürgerlichen Gesellschaft
und stellt die Fiktion auf, wenn die Leute die Politik selbst be-
trieben, verlöre diese ihren 'inhumanen' Charakter. Das ist die
eine Seite.
Den Radikalökologen quält aber eine andere: Weil die
"Profitinteressen", die sich die staatlichen Institutionen unter-
jocht haben, Mensch und Natur kaputt machen, bedarf es einer
grundlegenden Veränderung der Gesellschaft, zu der es auch ge-
hört, daß das Parlament zu dem wird, was es sein soll:
"Raum freier Debatten,... Ort demokratischer Entscheidungsfin-
dung" (142).
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen "konkrete Verbesserungen" er-
kämpft werden, die auf die Erreichbarkeit des Ziels verweisen.
Wie jedoch gesehen, verhindert die gegenwärtige Struktur der
Volksvertretung dieses Unterfangen. Deshalb muß das Parlament de-
mokratisiert werden, d.h., um die Bedingungen der Möglichkeit ei-
ner grundlegenden Veränderung zu gewährleisten, müssen Teile der-
selben, wenn nicht sie sogar zur Gänze vorweggenommen werden:
"Ökologie ist die materielle Grundlage für gesellschaftliche Ver-
änderungen. Wer nicht atmen kann, hat keine Luft für den langen
Atem für den politischen Kampf für Frieden, gegen Kapitalismus,
gegen den Faschismus, für demokratische und soziale Menschen-
rechte und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung." (52)
Um aber der Ökologie zu ihrem Recht zu verhelfen und um das Par-
lament zu demokratisieren, müßten in diesem schon Verhältnisse
bestehen, die diese Vorhaben erlaubten, was aber nicht so ist
etc. pp.
Außerhalb des Parlaments
------------------------
Die radikale Jutta weiß aber auch, wie diesem Karussel zu entrin-
nen ist: Es gilt,
"den gesellschaftlichen Druck von außen zu organisieren, der dann
wiederum in den Parlamenten zu vorwärtstreibenden Reformen führen
kann" (274).
Mit dieser Zielrichtung des "gesellschaftlichen Drucks" läßt sie
freilich keine Zweifel darüber aufkommen, wer für die Inkraftset-
zung der notwendigen Veränderungen z u s t ä n d i g ist:
"Laßt uns... gesellschaftliche Power organisieren mit dem Ziel,
den Bundestag unter massiven Druck zu setzen. Der beschließt die
Gesetze, der ändert und streicht sie." (318 f.)
Gerade Jutta Ditfurth sind die Opfer, die der Staat seinen Bür-
gern auferlegt, nachdem er sie zuvor durch seine Institution des
Parlaments hat absegnen und in Kraft setzen lassen, faktisch
wohlbekannt. Der Rückschluß, daß es sich beim Bundestag um eine
H e r r s c h a f t s i n s t i t u t i o n handelt, ist jedoch
mit ihrem negativ-moralischen Denkschematismus unvereinbar. Für
sie ist das Parlament die staatliche Einrichtung, die dazu beru-
fen ist, 'V e r a n t w o r t u n g' für uns alle auszuüben;
Herrschaftsakte der härteren Sorte übersetzt sie sofort in den
Befund, hier sei der Bundestag seiner Verantwortung nicht gerecht
geworden, und 'folgert' daraus messerscharf, daß es ihre Aufgabe
sei, diese Diskrepanz zu beheben. Deswegen bleibt das Parlament
t r o t z der dort waltenden 'strukturellen Hindernisse' für
"grundsätzliche Veränderungen" der Lieblingsarbeitsplatz des Ra-
diakalökologen. W e g e n den unauflöslich scheinenden Hinder-
nissen dünkt es ihn jedoch unabdingbar, als flankierende Maßnahme
ins Volk zu gehen, um dort "s o z i a l e B e w e g u n g e n"
(145), deren Funktion es sein soll, D r u c k a u f d i e
V e r a n t w o r t l i c h e n auszuüben, entweder ins Leben zu
rufen oder ihnen die richtige Perspektive zu geben.
Dazu, wie solche Aktionen aussehen, ein Beispiel: 1984 entdecken
die grünen Frankfurter Stadtparlamentarier, daß in öffentlichen
Bauwerken, z.B. Brücken, Sprengkammern angebracht sind, deren
Zweck es ist, im Kriegsfall die Bürger am Verlassen der Stadt zu
hindern, damit diese den aufmarschierenden Divisionen nicht in
die Quere kommen. An der Brücke haben die Grünen die Kammern zu-
gemauert:
"Die einzige Wahl, die wir haben, ist, so viele Menschen wie ir-
gend möglich über die Wirklichkeit dieses möglichen Grauens zu
informieren und zu erreichen, daß sich Menschen für die Interes-
sen der Herrschenden nicht wie Lämmer zur Schlachtbank führen
lassen. ... Nur durch unsere Aktion der Zumauerung der sieben
Sprengkammern in der Frankfurter Friedensbrücke am 16. September
1984 konnten wir z.B. die Bevölkerung in einem ersten Schritt
darüber informieren, welche Rolle ihnen im tödlichen Spiel der
Großen zugedacht wird. Wir beschlossen im Sommer, die Beschädi-
gung der Friedensbrücke wieder rückgängig zu machen und die ge-
plante Sprengung symbolisch durch eine reale Zumauerung zu bloc-
kieren." (45)
Es ist nicht verwunderlich, daß die radikalen Abgeordneten nicht
auf die Idee gekommen sind, die Leute über die Kriegsträchtigkeit
der Z w e c k e der bürgerlichen Staaten aufzuklären und ihnen
zu sagen, w a r u m die Erhaltung von Hof und Herd nie und nim-
mer der Zweck eines Krieges ist. Damit hätten sie das "reale Be-
wußtsein" ja kritisiert und nicht an es "angeknüpft"! Worauf die-
ses Anknüpfen sich bezieht, teilt Jutta Ditfurth uns mit:
"Betroffene Reaktionen von Bürgerinnen und Bürgern sind es, die
uns das Gefühl geben, in einem Land zu leben, in dem trotz der
eingeschränkten Souveränität und trotz der Sonderrechte der Be-
satzer, die in fast alle wesentlichen Bereiche unserer Demokratie
eingreifen können, Menschen da sind, die die Wirklichkeit nicht
mehr verdrängen wollen." (46)
Daß Kriege eine ziemlich lebensgefährliche Angelegenheit sind,
dürfte der Frankfurter Bevölkerung auch schon vor dieser Aktion
bekannt gewesen sein. Auf Ungläubigkeit sind die offiziellen
Feindbilder, mit denen die Notwendigkeit der Verteidigung unserer
Freiheit begründet werden, deswegen noch lange nicht gestoßen.
Jutta hingegen stellt sich den Bürger als einen vor, dem fürs Op-
ponieren gar keine Argumente genannt werden müssen, oder anders:
Das D e u t e n, das Vorhalten einer Lupe vor den Skandal,
i s t schon ihr halbes Argument! Der Irrglaube, der Bürger würde
schon mordsmäßig rebellieren, wenn er nur wüßte, ob's denn geht,
ist der Grund für die s y m b o l i s c h e Aktion, die - statt
Opposition zu begründen - deren M ö g l i c h k e i t belegen
soll. Es ist notwendig so, daß auf diese Weise hervorgerufene
Aufregung unter den Bürgern bald nach ihrem Entstehen wieder ver-
ebbt: Denn die Meinungskundgabe "So etwas darf nicht sein!" re-
flektiert ja gerade auf ihre a l l g e m e i n e Akzeptierbar-
keit, statt sich zu den Kalkulationen der Machthaber in begründe-
ten Gegensatz zu setzen: R a d i k a l d e m o k r a t i e ist
eben keine Aufkündigung des staatlichen Herrschaftsverhältnisses
von unten, sondern der illusionäre G l a u b e an dessen
'h u m a n e' M o d i f i z i e r b a r k e i t: eben weil die
hoheitliche Verfügung über Leib und Leben des Bürgers als
v e r f e h l t e staatliche B ü r g e r f ü r s o r g e auf-
gefaßt wird! Der Geschädigte soll nicht gegen die Instanz ange-
hen, die ihn durch ihre Regelungen b e t r o f f e n m a c h t,
sondern als B e t r o f f e n e r, d.h. als Objekt, Untertan
staatlicher Herrschaft, deren Inhaber ausgerechnet dadurch unter
Druck setzen können, daß er ihnen mit aufrechter Gesinnung gegen-
übertritt, d.h. ihnen die grünen Kopien ihrer Harmonieideologien
massiv unter die Nase hält (= "gesellschaftliche Power")!
Ohne begriffen zu haben, warum das gar nicht anders sein kann,
ist es vielen Grünen dennoch nicht entgangen, daß auch von der
"gesellschaftlichen Gegenmacht" (15) nicht der nötige Druck aufs
System ausgeht; sie haben daher beschlossen, sich auf das
'Machbare' zu beschränken, d.h. ohne die penetrante Betonung der
Perspektivität der "konkreten Veränderung" d a s s e l b e zu
machen wie ihre radikalökologischen Parteifreunde. Aus dem Glau-
ben an die g u t e n P o t e n z e n des Staates, den Jutta
Ditfurth mit ihnen gemeinsam hat, haben sie den Schluß gezogen,
daß es nur darauf ankommt, daß sie als Grüne sie n u t z e n
können. Ditfurth hingegen will ihren Glauben an die humanökologi-
sche Benutz b a r k e i t der Nutzung nicht opfern:
"Dieses Land braucht keine Reformpartei, deren Grenzen durch
einen in der Sackgasse der Integration endenden Reformismus abge-
steckt werden, sondern eine Partei, die aus ihrer
(Gesellschafts)Utopie die Kraft zu einer radikalen Reformpolitik
schöpft."
Eine Radikalisierung der staatlichen Reformideologie:
-----------------------------------------------------
Jutta Ditfurths Konzept der nichtreformistischen Reform
-------------------------------------------------------
Der Motor des Ditfurthschen Politiktreibens ist ihre
U n z u f r i e d e n h e i t mit dem, was unter dem Etikett
'R e f o r m p o l i t i k' praktiziert wird: Da entdeckt sie
nur lauter Halbheiten, lauter unernsthafte, weil sich nur am Be-
stehenden orientierende Reformbestrebungen. Damit freilich ist
sie der staatlichen Reform i d e o l o g i e schon im Ausgangs-
punkt auf den Leim gegangen.
Ideal und "Sachzwang"
---------------------
Sei es nun etwa die Reform des Gesundheitswesens oder die Steuer-
reform: Die Politik präsentiert ihre Maßnahmen nicht als bloße
Durchsetzung staatlicher Notwendigkeiten - was sie sind! -, son-
dern pflegt den Schein, als ginge es bei ihrem Geschäft darum,
die Verhältnisse ü b e r h a u p t zu verbessern, 'd e m
M e n s c h e n' gemäßer zu machen. So betrachtet, geht es dem
Staat nicht einfach um eine für ihn sehr zweckmäßige Verteilung
der Kosten fürs Kranksein, sondern um die Rettung der Leistungs-
fähigkeit unseres Gesundheitswesens, allen 'wirklich' Bedürftigen
zu helfen. Da geht es nicht um eine konjunkturgerechte Neusortie-
rung und Erweiterung der staatlichen Finanzquellen, sondern um
mehr Gerechtigkeit für alle. Dieser Adelung staatlicher Maßnahmen
tut es durchaus keinen Abbruch, wenn über ihren I n h a l t we-
nig Freude aufkommt, im Gegenteil: Gerade deswegen soll man das
jeweilige Gesetz so s e h e n, nämlich als das 'Machbare', also
als optimalen Kompromiß zwischen dem angeblichen Ziel, dem
I d e a l, und den obwaltenden S a c h z w ä n g e n. Als das
Machbare definiert, wird noch das ungemütlichste Gesetz zum Beleg
für die Lüge, daß es der Politik eigentlich um m e h r ginge,
als was sie praktiziert, nämlich um solche o b e r s t e n
M e n s c h h e i t s a n l i e g e n wie z.B. Gerechtigkeit,
die zwar für niemanden einen materiellen Vorteil versprechen, je-
dermann aber die Täuschung nahelegen, sich einen solchen einzu-
bilden.
Reformismus = radikal
---------------------
Jutta Ditfurths Radikalität besteht nun nicht darin, daß sie die
Versatzstücke der staatlichen Reformideologie nicht teilen würde,
sondern darin, daß sie die Funktion des Verhältnisses von politi-
schem Idealismus zum tatsächlichen Gang der Politik auf den Kopf
stellt: Während nämlich der Staat seine M a ß n a h m e n als
den jeweils m a c h b a r e n Kompromiß zwischen Ideal und
Sachzwängen präsentiert, ist für die Grünradikale der gedachte
Bezug der Maßnahme auf das Ideal B e w e i s für d e s s e n
Machbarkeit! Statt daß also das Ideal dazu in Anspruch genommen
würde, die staatliche Tat als unter den gegebenen Umständen mög-
lichen Schritt zu ihm hin zu glorifizieren, erhalten bei Ditfurth
jedes Gesetz, jeder Verwaltungsakt usw. auf Basis des prinzipiel-
len Bonus, bei ihnen g i n g e es eigentlich um die Verwirkli-
chung humaner Ideale, zugleich grundsätzlich einen Malus, weil
sich ihre Realität vor dem Ideal immer blamiert.
Dieses Mißverhältnis - eine ideologische Seifenblase! - ist für
frau Ditfurth die L a g e, die überhaupt den Gegenstand ihres
Veränderungsprogramms ausmacht: Sie fordert, das Ideal dürfe beim
Verwirklichen nicht immer vor die Hunde gehen. Sie zeiht Staats-
maßnahmen der Inkonsequenz; bedingt durch falsche Rücksichtnahmen
werde der Zukunftsentwurf, der Politik zu sein habe, verraten.
Die auf die Darstellungsbedürfnisse staatlicher Politik zuge-
schnittene (Ideo)Logik der Kategorie des Machbaren weist sie von
sich und begibt sich damit in den törichten Widerspruch, Reformen
zu postulieren, die sich nicht nur an dem, was geht, orientieren,
sondern m e h r sind! Dies wirft die rasend interessante Frage
auf, w i e radikal Reformen gesehen und angegangen werden müs-
sen. Antwort: S e h r radikal! Mit all diesen Frage- und Pro-
blemstellungen bewegt sich Ditfurth auf der Ebene ideologischer
Interpretationen der Politik, und damit ist klar, daß sie
n i c h t im Bemühen, die bestehenden Verhältnisse praktisch zu
verändern, erfolglos geblieben ist, sondern sich der Kultivierung
eines Spleens verschrieben hat, die den Gang der Politik per se
nicht antastet. - Ihre Radikalität besteht daher auch nicht
darin, daß i h r e Reformideen i n h a l t l i c h über die
von ihr kritisierten h i n a u s g i n g e n (da tut's manchmal
schon die Sicherung eines U-Bahnsteiges), sondern im Anlegen ei-
nes a b s o l u t e n Reform m a ß s t a b e s - H a r m o-
n i e der Menschen untereinander sowie zwischen Mensch und Natur
- negativ vorgestellt als T o t a l z e r s t ö r u n g d e r
W e l t, die das gemeinsame richtige Handeln aller erfordert:
Wenn jetzt die nötigen Veränderungen unterlassen werden, geht
alles baden!
So erklärt sich auch ihre spezielle Radikalität im Verhältnis zu
den Realos: Alle Anliegen grüner Politik teilt sie und versieht
alle Resultate derselben mit dem Stempel: Das darf doch
n i c h t a l l e s sein! Radikal sein heißt, eine a n d e r e
S i c h t w e i s e zu fordern, nämlich das jeweils Erreichte
als einen ersten Schritt zu interpretieren. Dementsprechend löst
sich auch Ditfurths Warnung vor der SPD - Gefahr für die Grünen -
auf:
"Die h e r v o r r a g e n d e Qualität der Sozialdemokratie
ist es... stets gewesen, in regelmäßigen historischen Rhythmen
starken sozialen Bewegungen das Rückgrat zu brechen - in Hessen
und an manch anderem Ort knirscht es schon." (266)
Das Bedeutet ganz banal: Die SPD will uns das g r ü n e M e h r
kaputtmachen, und die Realos machen auch noch dabei mit! Welche
I n h a l t e "reformistischer" grüner Reformpolitik von ihr be-
anstandet werden, ist insofern zufällig, als es um diese gar
nicht geht. So ist sie zwar nicht darum verlegen, ihre Kritik am
grünen hessischen Gift- und Atomminister Fischer a n Inhalten
zu illustrieren; auf ihn eingeschossen aber hat sie sich, weil er
als Minister praktisch - e n t g e g e n den ökologischen
Idealen seiner Partei - dieselbe Politik betrieben hat wie sein
S P D-Vorgänger, weil er also das g r ü n e M e h r aufgegeben
habe:
"Es geht an allererster Stelle nicht um die persönlichen Schwä-
chen oder Probleme eines GRÜNEN-Umweltministers, es geht um
Strukturprobleme (!), die unter den gegenwärtigen Machtverhält-
nissen für DIE GRÜNEN entstehen und die s t a t t i n
ö k o l o g i s c h e r R e f o r m p o l i t i k i n orien-
tierungs l o s e m R e f o r m i s m u s enden. " (247/Hvhg.
MSZ)
Das Ideal der nichtreformistischen Reformpolitik
------------------------------------------------
l e u g n e t die Tatsache, daß die Teilnahme an staatlicher
Machtausübung die Unterwerfung unter d e r e n Rationalität be-
dingt, daß also politischer Idealismus nur soweit zum Tragen
kommt, als er für den Staat benutzbar ist: Weil die Denktechnik,
alle G e m e i n h e i t e n des Kapitalismus in
A u f t r ä g e zu übersetzen, deren an sich g u t e m Kern
zum Durchbruch zu verhelfen sei, durch Tatsachen nicht zu er-
schüttern ist, betrachtet Jutta 'W i d e r s t a n d' - so heißt
der unermüdliche Vollzug des Idealismus, die Inhaber der Institu-
tionen auf das Mehr zu stoßen - daher nicht zu Unrecht als
L e b e n s a u f g a b e. Da muß solcher Widerstand zur persön-
lichen H a l t u n g werden:
"... eine lebendige, rebellische Widerstandskultur ist eine le-
bensnotwendige Voraussetzung, die Auseinandersetzung in der Bun-
desrepublik auf Dauer im aufrechten Gang und mit langem Atem
durchzuhalten." (13)
Na dann weiterhin viel Spaß!
zurück