Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurückWOODSTOCK IM HOFGARTEN
All we are saying is give peace a chance! Happy waren sie alle, die 300000 auf und um die Hofgartenwiese, ein "ungeheuer duftes Gefühl", mit so vielen zusammenzusein, die "vor allem das Gleiche fühlen", wie eine Demonstrantin es hinter- her im Jugendfunk dem Reporter erzählte: "Das kam von innen her- aus, nicht nur mit dem Kopf, verstehst du!" Dabei sein war alles, und indem man dabei war und sonst weiter nichts - "da wurde nichts politisiert", meinte ein Teilnehmer: wie man sich doch täuschen kann -, wurde d e r Erfolg der Demo erreicht, und das war Erfolg genug, für die große Mehrheit. Das merkte man vor al- lem bei den Reden: Während in Woodstock die Stimmung vom Podium gekommen sein soll, hat ein Großteil in Bonn die Redner nicht einmal gehört. Bei denen, die was verstanden, hielt sich das Mit- gehen in den Grenzen fast schon höflich-pflichtgemäßen Applauses. Leben ins Volk kam ein bißchen bei Böll, und so richtig munter machte die Leute eigentlich nur Harry Belafonte mit seiner Versi- cherung, Herrn Reagan zu erzählen, mit der Neutronenbombe wär's wohl nichts. Bereits der Sternmarsch zur Schlußkundgebung hatte Prozessionscharakter: Trotz ständiger Versuche, Sprechchöre anzu- leiern, blieb die Resonanz gering. Die Friedensbewegung war zu ergriffen durch die ständigen Meldungen, wie unheimlich viele sie seien. So versicherte man sich auf den Transparenten vor allem, wer man sei, der da auch mitginge. Vereine, Sportgruppen, Schul- klassen führten sich selbst auf und vor. Für Buntheit in den Marschsäulen sorgte vor allem die DKP: Erscheinungsbild ihrer Truppe vorwiegend blau-weiß mit Friedenstauben und zahlreichen Sandwich-Männern, deren Plakate gelesen wurden, weil sie sich so- viel Mühe gemacht hatten. Ein riesiges Transparent des "Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD" fast über die ge- samte Fläche des Hofgartens hinweg mit dem in dieser Szene uner- wünschten und auch sonst nicht mehr gehörten Spruch: "Der Haupt- feind steht im eigenen Lande, es ist der deutsche Imperialismus" wurde bestaunt, aber durchaus toleriert, weil die meisten jungen Leute meinten, das richte sich wohl gegen die CDU und die Rü- stungsindustrie. (Lustigerweise gab ein vom "Arbeiterbund" ver- teiltes Flugblatt dieser Auffassung durchaus recht.) Sonst gab's noch die schwarz-rot-goldenen Fahnen von den "Verfolgten des Na- ziregimes", friedlich vereint mit etlichem roten Tuch, das al- lenthalben der Präsenz von "K-Gruppen" zugeschrieben wurde. Mit denen wollte aber keiner gerne ins Gespräch kommen, weil "die das da doch nur ausnutzen wollen". Bis sich die Hofgartenwiese auf- füllte und die Kundgebung begann, verstrichen ein paar Stunden. So gab es reichlich Gelegenheit, sich gegenseitig mit Beifall zu bedenken: Größten Erfolg verbuchten hier die Ausländer (England, Holland) und Soldaten in Uniform mit dem Spruchband "Soldaten ge- gen Raketen". Diese selbstlose Radikalität, mit der die Bedie- nungsmannschaft gegen ihr Gerät auftrat, stieß auf große Begei- sterung, während eine Abordnung der Moon-Sekte, die als "Friedensbewegung" f ü r noch mehr Raketen manifestieren wollte, von den Ordnern aufs Sanfteste abgedrängt wurde. Helmut Kohl hetzte tags darauf gegen eine "alternative Subkultur" und tat damit der Demonstration geradezu lächerlich unrecht: Anwe- sende Punker, Rocker, Maskierte und diverse Verrückte wurden all- gemein bestaunt, und erfreut durfte man registrieren, daß auch "die" vom Frieden ergriffen worden sind. Fast schon obligatorisch für die Friedensbewegung die Zurschaustellung personalisierter Unschuld : Kein einziges Kleinkind durfte da an diesem kalten Samstag im Bett bleiben, und insgesamt zählte man wohl mehr Kin- derwagen als Busse. Daneben war es den ausgesucht jungen Polizi- sten fast schon peinlich, wie liebevoll ihnen mitgespielt wurde: Keiner kam ohne Blumen davon. Die Bonner Bevölkerung hätte sich jeglicher Solidarisierung durch Emigration aus der Innenstadt entzogen. Ihr von der Geschäftswelt repräsentierter Anteil demon- striert nackte Feindseligkeit: Verrammelte Geschäfte, als würde tatsächlich jene Bürgerkriegsarmee heranwalzen, vor der sie ihre christlichen Stadtväter gewarnt haben. Nach Epplers Auftritt war die Luft aus der Kundgebung raus. Mas- senweise begann die Abwanderung, allerdings sehr beschwingt. Auch ohne Alkoholika (Friedensfreunde trinken Milch, und der ver- sammelte "Antiamerikanismus" führte noch Tage später zu Coca- Cola-Engpässen im Raum Bonn) war man fast besoffen vor Genugtu- ung: "Mann, so viele Leute und alles friedlich!" Während die er- sten schon freiwillig mit dem Aufsammeln des Abfalls begannen, distanzierte sich Erhard Eppler noch von einem unverhüllten An- trag der "grünen" Petra Kelly, er solle sich doch an die Spitze einer neuen Partei aus der Bewegung setzen. Auf seinen Wunsch er- klärt die Leitung, Eppler wolle keinesfalls Bundeskanzler werden. Heinrich Böll, schon arg zerknittert, mahnte am Schluß noch ein- mal inständig zur Friedfertigkeit. Wer's hörte, nahm's nicht als Aufforderung, sondern als Bestätigung, und so war es wohl auch gemeint. Neben Eppler und dem Harry ohne Guitarre erhielt der alte Mann mit der Baskenmütze den wärmsten Applaus, auch und vor allem, als er an seinen "Freund Sacharow" erinnerte, den er als "Erscheinung des Friedens" bei einsetzendem Regen über die Ver- sammlung niederkommen ließ. Das Einzige, was die Demonstranten an diesem Tag bedauerten, war sein Ende. In der Innenstadt gab es in den Abendstunden Versuche, dagegen anzutanzen. Für die meisten war allerdings der Zug schon abgefahren. In den überfüllten Abteilen der Züge und im Bus auf der Autobahn erzählte man sich schon die ersten Nachkriegsge- schichten nach dem Motto: 'Weißt du noch, wie wir damals vor dem Krieg alle nach Bonn gefahren sind...' zurück