Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurück Anmerkungen zum Ostermarsch:FEINDBILD WEG = CHANCE FÜR DIE ABRÜSTUNG?
Die Friedensbewegung schöpft neue Hoffnung: Dieser Hoffnung hat sie in zwei Aufrufen Ausdruck verliehen. Darin appelliert sie an die deutschen Politiker, den einseitigen Abrüstungsmaßnahmen Gor- batschows, der Auflösung des Ostblocks als auch dem damit hinfäl- lig gewordenen Feindbild von der Bedrohung aus dem Osten endlich Rechnung zu tragen und ihrerseits entsprechende Taten folgen zu lassen: "Für eine zivile Bundesrepublik Deutschland, für eine Bundes- republik ohne Armee (BoA)" und "Ohne Rüstung leben (Ostermarsch 14.-16.4.90) "Seit Jahren hat die Friedensbewegung und haben mit ihr einsich- tige PublizistInnen und PolitikerInnen festgestellt: jede Form eines Krieges der hochgerüsteten Blöcke in Europa ist beiderseits so sinnlos wie tödlich. Die dramatischen Ereignisse der letzten Monate haben nunmehr den letzten Rest einer politischen Rechtfer- tigung für die Szenarien der Unvernunft beseitigt. Wenigstens eine europäische Welt ohne Rüstung und Militär ist eine realisti- sche Perspektive geworden." (BoA) "Die Chance zur Abrüstung ist noch nie so groß gewesen wie jetzt. Die radikalen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Osteuropa ermöglichen es erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einer europäischen Friedensordnung zu gelangen... Niemand bedroht uns. Deshalb ist jede für Rüstungszwecke ausgegebene Mark zu- viel." (Ostermarsch) Die Zuversicht, daß sich nunmehr niemand der "Einsicht" ver- schließen könne, wie "sinnlos und tödlich" jeder Krieg in Europa sei, ist allerdings in mehrerlei Hinsicht auf Sand gebaut: 1. Rüstung ist tödlich? Klar, nur ist diese Auskunft so richtig wie nichtssagend. Vor allem: W e m sagt man das? Denjenigen, die im Krieg als Kanonenfutter und Soldaten vorgesehen sind? Für d i e sicherlich keine rosige Perspektive! Nur: Gilt das damit auch gleich für die anderen - für diejenigen, die die Waffen an- schaffen und die Armeen aufstellen? Liegt da nicht eher der Ge- danke nahe, daß sie dies w e g e n und nicht etwa trotz der tödlichen Wirkung tun? Und gilt es dann nicht zu ermitteln, wel- ches I n t e r e s s e die FührerInnen der Nationen daran ha- ben, über solch tödliche Potenzen an Schlagkraft, Reichweite und Treffgenauigkeit zu verfügen und für einen Krieg bereitzuhalten? 2. Die Antwort, die der Aufruf auf diese Frage gibt, lautet: Nein, es gibt kein, zumindest es kann kein vernünftiges Interesse an einem Krieg in Europa geben - denn er wäre "so sinnlos wie tödlich". Adressaten dieses Befundes sind eindeutig die "beiden hochgerüsteten Blöcke": Nicht nur für deren Bewohner, also Otto/Iwan Normalverbraucher, sondern auch und gerade für deren politischen Häuptlinge und militärischen Befehlshaber soll die Einsicht gelten, daß Krieg sinnlos, also kein Mittel der Politik ist und darum auch nicht sein darf. Die Haken an diesem Befund - der sich so etwas als überstaatliche Weisheit präsentiert, an dem niemand vorbeikommt - sind aller- dings die: Mag ja sein, daß die SU und ihr Gorbi dies durchaus so ähnlich sieht und derzeit bemüht ist, die Konfrontation abzubauen - bloß folgt daraus noch lange nicht, daß die NATO dies darum g e n a u s o sehen und Gleiches tun müßte. (Und sie tut es ja auch nicht.) Und: Mag ja sein, daß auch NATO-Strategen schon öf- ter gesagt haben, daß "ein Atomkrieg gegen die SU nicht gewinnbar ist" - bloß folgt daraus keineswegs, daß diese Option aus dem Programm gestrichen wird, weil sie eingesehen hätten, daß sie da- bei nur verlieren können. (Eher umgekehrt haben dieselben Strate- gen damit ausdrücken wollen - man beachte den leicht bedauernden Unterton! - daß der atomare Schlagabtausch dann eben gewinnbar g e m a c h t und die durchaus einkalkulierten Verluste an Mensch und Material tragbar gemacht werden müssen.) 3. Und was den zusätzlichen und Haupttrumpf angeht (= 'Jetzt ist doch endgültig bewiesen, daß uns niemand bedroht'), den die Frie- densbewegung für sich entdeckt zu haben glaubt - da muß man sich schon entscheiden. Wenn die bis gestern gültige, von oben ausge- gebene Begründung für die Bundeswehr, jedes angeschaffte Schieß- gewehr sei eine bloße und unumgängliche A n t w o r t auf gleichartiges Gerät drüben, mit dem der Russe "uns" einkassieren wolle, tatsächlich nur eine Bedrohungs-L ü g e war - dann war die B e d r o h u n g, die der Frontstaat BRD dem Ostblock auf- gemacht hat, aber auch niemals von dieser Lüge a b h ä n g i g! Dann ist es aber auch verkehrt und illusionär, per nachträglicher Zustimmung zur Wehr-P r o p a g a n d a von gestern den Schluß auf die nun endgültig bewiesene "Überflüssigkeit" der Wehr- M a c h t heute zu ziehen. - Überflüssig wofür? Anders gesagt: Wenn der staatliche Wille zur Feind s c h a f t gegen den Osten es war, der sich bis dato mit dem Feind b i l d vom aggressiven russischen Bären schmückte, dann entfällt mit der Beerdigung dieser Ideologie der politische G r u n d der Bun- deswehr keineswegs gleich mit - weil der eben noch nie im Schutz der Bevölkerung und ihrer Zahnbürsten, sondern in der Vorwärts- verteidigung deutscher Weltgeltungsinteressen bestand. Dann ist es aber auch verkehrt und illusionär, gar nicht diese A b s i c h t westlicher Rüstungspolitik zur Kenntnis zu nehmen, sondern den hierzulande ausgebreiteten Friedens-P h r a s e n die Hoffnung abzulauschen, nun könne und dürfe sich auch ein Kohl und ein Stoltenberg dem allgemein waltenden Trend zur Abrüstung nicht mehr entziehen. Oder - an der Bedrohungsgeschichte war doch ein bißchen was dran... Dann kann die Bundeswehr in der Tat nicht anders als sich aufzulösen - und "wir" können uns in Zukunft all den schönen Auf- gaben widmen, die wg. Rüstungsetat bisher angeblich hintan- gestellt werden mußten: "Die durch die ersatzlose Auflösung der Bundeswehr freiwerdenden Mittel werden zur sozialen Sicherheit, zum Umweltschutz, zur Un- terstützung von Friedensdienstprojekten zur Völkerverständigung, zur Hilfe für osteuropäische Länder, vor allem aber auch der ar- men und ausgebeuteten Völker der sog. Dritten und Vierten Welt und nicht zuletzt der DDR dringend gebraucht." (BoA) "Die freiwerdenden Gelder sollen für gerechte Löhne, Preise und Entwicklungschancen in der ,3. Welt' eingesetzt werden. Wir brau- chen statt Panzer und Kasernen gesunde Umwelt, soziale Sicherheit und Arbeit, die dem Menschen nützt." (Ostermarsch) Was könnten "wir" mit den "freiwerdenden Geldern alles anfangen! Klar k ö n n t e n "wir". Doch muß man bei der Erstellung die- ses Wunschzettels schon übersehen, wie das zivilisierte Abendland mit seiner Marktwirtschaft, seinen Genschern und seiner Gewalt an der H e r s t e l l u n g all der "Probleme", gelinde gesagt, beteiligt ist, die in einer Zukunft ohne Armee um so viel besser zu "bewältigen" wären. Ansonsten wäre es ja auch ein bißchen ab- surd, ausgerechnet denjenigen, die den ganze Reichtum und die ganze Macht ihrer Nation dazu verwenden, zuhause unter tatkräfti- ger Benutzung der eigenen Arbeitermannschaft die Schornsteine rauchen zulassen und auswärts die "3. Welt" und "nicht zuletzt die DDR" aufzumischen, vorzurechnen, wie sie die Gelder, die sie genau d a f ü r einsetzen, a n d e r s anlegen könnten! Doch zuguterletzt scheint die Friedesbewegung dem von ihr ser- vierten Braten einer durch und durch friedlichen BoA, die welt- weit nur noch Gutes tut, auch nicht so zu trauen. Den offenbar durchaus vorhandenen Verdacht, die Politik werde ihren Appellen doch mal wieder nicht folgen, bewältigt sie auf bemerkenswerte Weise: "Der Bundespräsident könnte selbst einen wichtigen ersten, wenn auch zunächst nur symbolischen Schritt in Richtung auf eine zi- vile Bundesrepublik Deutschland machen: wir bitten ihn, das bis- herige militärische Zeremoniell bei Staatsempfängen durch zivile Formen der Begrüßung seiner Gäste zu ersetzen." (Ende des BoA- Aufrufs) Wenigstens ein Z e i c h e n der A n e r k e n n u n g ihres Anliegens erwartet sie - na, von wem wohl? Wenigstens der Bundes- präsident, der Herr über unsere Kanonen für Salut-Schüsse und silberlockige Repräsentant g l a u b w ü r d i g e r Politik, sollte ein wenig den guten Willen bezeugen, den die Appellanten ihr dauernd unterstellen - damit wäre doch beiden Seiten gedient. Ein erster Schritt in die richtige Richtung? (siehe auch Artikel in der neuen MSZ 2/90: "Deutschland militä- risch neutral: kommt nicht in Frage") zurück