Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurück Münchner Hochschulzeitung, 20.10.1981 Sonderausgabe Sozialwesen Friedensdemonstration in Bonn300000 MACHEN IHREN FRIEDEN
1. Daß die Bonner Veranstaltung "ohne Zwischenfälle" verlaufen ist, wird von jeder Zeitung und von jeder Nachrichtensendung in Rund- funk und Fernsehen als d i e Meldung über die Demonstration am Samstag verbreitet. Die wohlinszenierte Spannung der vergangenen Woche darf sich in die entsprechende Beruhigung auflösen: Die Au- gen der Öffentlichkeit waren anläßlich der bevorstehenden Frie- denskundgebung zuallererst auf die U m s t ä n d e gerichtet, unter denen sie ablief, und konnten so feststellen, daß außer ei- nem Verkehrschaos nichts passiert war, was den Rahmen einer ord- nungsgemäßen Wahrnehmung des Demonstrationsrechts verletzt hätte. Diese Begutachtung des W i e der Friedensdemonstration hat dann auch die Maßstäbe geliefert, anhand derer ihr Anliegen beurteilt wird: Weil und insoweit die Demonstranten die Regeln einer er- laubten Meinungsäußerung respektiert haben, ihnen großzügig Re- spekt für ihre Meinung gezollt. Wer sich an Gesetz und Ordnung hält, und schon durch die Form zu erkennen gibt, daß ihm seine politischen Gegenspieler nicht als Feinde gelten, darf die Regie- rung auch kritisieren, seine Friedensliebe verdient die Prädikate "gutwillig", "ernst gemeint" und "echt". In genau dem Maße, in dem er den Spielregeln derer, die Friedenspolitik in Bonn machen, gehorcht und deren Kampfansage an den Osten wenigstens mit dem Beweis beantwortet, daß er mit diesen Widersachern der Nation nichts zu tun haben will, wenn er schon an der eigenen Außenpoli- tik berumkrittelt. Das Resultat ist jenes allseits öffentlich zum Ausdruck gebrachte Beruhigtsein über die Kundgebung der 300.000 von der Vorkriegspolitik der Bundesrepublik Beunruhigten - ein Resultat freilich an dessen Zustandekommen die Demonstranten nach Kräften mitgewirkt haben. 2. "Es ist unser Erfolg, daß so viele so friedlich für den Frieden demonstriert haben" (die Veranstalter hinterher). Es kommt schon darauf an, welche Erfolgskriterien man hat. Wenn man sich frei- lich als Friedensbewegung die Ansprüche der anderen Seite an sich - "gewaltlos nicht antiamerikanisch, nicht einseitig" - zu Herzen nimmt, dann kommt so etwas heraus: Da latscht die respektable Masse von 300 000 Leuten durch die Bundeshauptstadt mit dem Ziel, ihren Protest gegen die Regierung so zu gestalten, daß deren An- griffe auf die friedensliebenden Menschen als ungerechtfertigt dastehen. Wo einen die Politiker mit dem Siegel national unzuver- lässiger Subjekte belegt haben (was im übrigen darüber Auskunft gibt, daß den Frieden zu wollen entweder heißt, die Politik des eigenen Staats stärken zu wollen - oder sich der Kollaboration mit dem Feind verdächtig macht) stellte die Friedensbewegung ihre Demo ganz in den Dienst ihre Lauterkeit und daher Anerkennungs- würdigkeit durch die Herrschenden herauszukehren. Häßliche Töne gegen die Politik, die nun einmal dort fallen, wo sich Unmut über deren Taten breitmacht und zeigt (= demonstrieren!), waren unter- sagt und fehl am Platze. "Leben, Lachen, Frieden machen" hieß die Parole, und Polizisten schmückte man mit Blumen jeder Menge. Und damit den Bonner Herren nicht zu stark auf die Zehen getreten wurde, sang man im Refrain: "Marschieren wir gegen Ost? Nein! Marschieren wir gegen West? Nein!" Marschiert wurde in Bonn für sich für die eigene "unübersehbare Friedfertigkeit" für die selbst übernommene Ausräumung des der Friedensbewegung nach wie vor hingeriebenen Verdachts, man wolle eine Gegnerschaft zur praktizierten Politik, einen "Angriff auf die Regierung" starten. Demonstriert wurde, daß das Eintreten für den Frieden, das sich zur Regierung in Distanz begibt, nicht als Aufkündigung des Ver- trauens in die Politik mißzuverstehen ist, sondern als "Wille, den Verantwortlichen zu helfen" (Albertz). Wie sehr dieser "Kampf für Frieden" mit Charakterlosigkeit der Protestierenden zu tun hat, blieb dem Spezialisten für das Verzapfen politischen Mo- ralins, Pfarrer Albertz, zu sagen vorbehalten; "Es wäre wirklich schön gewesen, wenn jemand von diesen Verantwortlichen hierher gekommen wäre und sich mit uns darüber gefreut hätte, welche Stärke es ihm einbringt, wenn er auf uns verweisen kann." (Jubel). Protestieren, um sich von denjenigen, gegen die man sich dabei richtet, ein paar Streicheleinheiten, eine Bescheinigung ein besonders guter, weil verantwortungsbewußter Untertan zu sein, einzufangen; protestieren, um sich von der Zielscheibe der Empörung moralisch sauberes Anliegen anerkennen zu lassen - dies ist nicht nur eine Einbildung der Demonstranten über die Politik sondern die selbstbewußte Zurschaustellung, wie beharrlich und ausschließlich man auf deren guten Willen zu bauen gedenkt - ge- rade dort, wo ihnen die Politik frank und frei erklärt, daß sie den guten Willen der Kundgebungsteilnehmer nicht uneingeschränkt gelten läßt. 3. In Bonn haben 300 000 Menschen den Fehler demonstriert, zu bemer- ken, daß die Politiker den nächsten Krieg planen und dafür mit Land und Leuten sehr frei als Manövriermasse kalkulieren, dies als Verstoß gegen ihre Vorstellung vom Zweck der Politik, sie sei dazu da, den Frieden zu machen, ausgerechnet da zu kritisieren, wo sich diese Vorstellung angesichts der praktizierten Politik als purer Idealismus blamiert, und damit immer wieder den Glauben an die prinzipiell guten Absichten der Politik zu erneuern. Die Demo geriet immer dann, wenn von Beweggründen der Aufrüstungspo- litik die Rede war, zu einer offensiven Bekundung des Desinteres- ses der Friedensfreunde, in den politischen Leistungen der natio- nalen Führer der BRD in Friedenszeiten auch nur den geringsten Grund für die laufende Kriegsvorbereitung entdecken zu wollen. "Blindheit" (Böll), "Absolutes Versagen" (Mechtersheimer), "Irrsinn, Wahnsinn" (Alle) usw usf. hießen die Urteile über die Politik, die allesamt ein Dementi des Vorwurfs sind, die Frie- densleute hätten hierzulande und/oder anderswo im Westen politi- sche Zwecke ausgemacht, die für die beschworene "Kriegsgefahr" verantwortlich sein könnten. Die sich kämpferisch gebärdende Kri- tik lautete: Blindwütige Aufrüstung ist doch ein ganz falscher Weg, den gemeinsamen Zweck Frieden und Freiheit auf der Welt durchzusetzen. Wer die imperialistischen Umtriebe seiner Politiker dann, wenn diese einen Krieg aufs Programm gesetzt haben für Verfehlungen, Zwecklosigkeiten, ja für reif für die Klapsmühle hält, drückt nichts weiter aus als ein durch nichts zu trübendes Vertrauens- verhältnis. Er appelliert an die Politik als im Grunde extra geschaffene Einrichtung für die Verwirklichung seines Friedens- idealismus - und setzt prompt auf die "Repräsentanten der Unver- nunft" als seine einzig erfolgversprechende Adresse. Die Frie- densbewegung hat sich die ungeheuerliche Aufgabe gestellt, Blin- den "die Augen zu öffnen", Versagern "unter die Arme zu greifen", Unfähigen "Mut zuzusprechen", kurz: dem Wahnsinn "das Gewissen zu schärfen" (Albertz). Die Bewußtlosigkeit und Verkommenheit der Kritik an den demokra- tischen Führern der Nation, die denen mit der Beteuerung kommt, daß das Ideal des Friedens auch wirklich eines der Politik(er) selbst ist ("das Eintreten für den Frieden ... ist die Pflicht des einzelnen, angesichts der Unsicherheit (!) unserer Repräsen- tanten" Albertz), hat sich in den Bonner Straßen als Kampf prä- sentiert um die Anerkennung als moralisch einwandfreie, friedens- idealistische Begleitung des politischen Geschäfts. 4. In Bonn hat sich die Friedensbewegung also die Linie gebracht. Programmatisch hat dies Eppler, seit Samstag d e r anerkannte Repräsentant der Friedensbewegung, ausgesprochen: "Dies muß eine Bewegung sein der Mutigen, nicht der Ängstlichen, der Diskutierenden, nicht der Schreienden, der Selbstkritischen, nicht der Arroganten, der einfallsreich Agierenden und nicht der stumpf Parierenden, der Friedlichen und nicht der Gewalttätigen, der Fröhlichen und nicht der Fanatischen, der Liebenden und nicht der Hassenden." Die moralische Abqualifizierung einer Gegnerschaft als Gewalt, Haß, Überheblichkeit und Fanatismus und die gleichzeitige Propa- ganda demokratischer Tugenden wie Bescheidenheit Offenheit, Friedfertigkeit, Phantasie und Liebe haben das Selbstbewußtsein der Friedensbewegung auszumachen. Ab sofort verbietet sich, Pro- pagandaoffiziere der Bundeswehr als Agitatoren für die wahrhafte Verfolgung der nationalen Interessen gegen den Feind im Osten zu behandeln: "Wer angesichts eines Bundeswehroffiziers in Haßge- sänge ausbricht, der gehört nicht zur Friedensbewegung." (Eppler) Man hat sie als Leute mit gleichen Zielen zu respektieren, die sie nur mit einer unterschiedlichen Methode - und darüber darf gestritten werden (und klar ist auch, wer sich dann dabei bla- miert) - verfolgen. Das gemeinsame Ideal des Friedens soll end- lich seine positive moralische Kraft entfalten, als gutes Gewis- sen praktizierter imperialistischer Politik und nicht gegen diese ins Feld geführt werden. Eppler hat den Friedensfreunden unter deren Applaus die Rechnung aufgemacht, daß sie nur dann eine Chance haben, wenn sie sich hinterher die staatstreuen Befürworter der sozialliberalen Frie- denspolitik stellen, hinter SPD und DGB: "Die Friedensbewegung wird nur dann mehrheitsfähig, wenn sie nicht ausgrenzt, sondern sich öffnet. Zu ihr gehört jeder, der dazugehören will, auch in meiner Partei. Friedensbewegung wird nur mehrheitsfähig, wenn sie zusammenwirkt mit der organisierten Arbeiterbewegung." d.h. wenn sie endgültig beweist, daß sie nur eine alternative Un- terstützung der nationalen Politik vorhat und den letzten Schein eines Gegensatzes zu dieser aufgibt. Für seine Person hat er da Klarheit geschaffen. Er will nicht als politischer Gegner von Schmidt und Brandt angesehen werden, er will sie "nicht stürzen" - weswegen er peinlich berührt war angesichts des Antrags der Grünen, sich als politische Alternative zu präsentieren, hinter der die ganze Friedensbewegung stehen wolle -, sondern da Frie- dens i d e a l i s t und Mahner der Regierung die Regierung un- terstützen und in dieser Eigenschaft der SPD zu Mehrheiten ver- helfen. 5. Als kritische Begleitmusik der Friedenspolitik, die von hehrsten nationalistischen Idealen aus die Regierung zur Verantwortung an- hält, führt sich inzwischen die Friedensbewegung auf. Brausenden Beifall bekommt der Redner vor 300 000, wenn er meint: "Friedensbewegung zeigt, daß die alten Nationen Europas mehr sind als nur die Schachfiguren auf dem Brett der Weltmächte und zwar beider Weltmächte ... Die Europäisierung Europas - und ich sage das nach Moskau hin und nach Washington hin - findet nicht nur an der Weichsel statt, sondern auch am Rhein. Und das bedeutet auch eine sowjetische Intervention in Polen wäre ein Schlag gegen uns alle." Dieses nationale WIR, die Besinnung auf eigene europäische Inter- essen, verlangt Eppler im Namen der Friedensbewegung von der Bun- desregierung - ganz, als ob ihre Mitwirkung an der Erpressung der Sowjetunion durch den Westen bezeugen würde; daß die deutschen Interessen in der Weit zu kurz kommen. Mehr Nationalismus also im Interesse des Friedens: Die westlichen Kriegsvorbereitungen sind von der Frage aus zu beurteilen, ob sie sich Deutschland nicht von den Weltmächten hat aufdrängen lassen; und für Frieden ist dann gesorgt, wenn die BRD i h r Interesse in der Welt durch- setzt. Ohne sich folglich darum zu kümmern, welche Ziele die BRD bei ihrer Beteiligung am Imperialismus wirklich verfolgt, beruft man sich im Namen von Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung auf die Einheit von nationalem Interesse und Nutzen des Bürgers (welcher nicht als "verweichlichter Westler" - Eppler -, sondern als verantwortungsvoller Deutscher Gehör beansprucht) - und die ist dann gewährleistet, wenn die Deutschen in der Welt selbständig für ihren Erfolg sorgen. So, als alternativer und selbstbewußter Nationalismus, gibt die Friedensbewegung das gute Gewissen zu allen imperialistischen Ta- ten der BRD ab. Die Befreiung der Polen durch den Westen hat ein hehres Ziel - nur sollen die Amerikaner dadurch nicht egoistisch ihre Weltmachtstellung verbessern wollen. Gegen die Sowjetunion zu sein, weil sie die Brüder und Schwester im östlichen Europa unterjocht, ist Pflicht jedes "Gutmeinenden", wenn man es nur so formuliert, daß man sich eine Friedensdemonstration auf dem Roten Platz wünscht, bei der Sacharow die Massen gegen die Kreml-Regie- rung aufbringt (so Georg Benz und Heinrich Böll auf der Kundge- bung - die CDU hätte sich dort freilich die Bonner Demonstration gewünscht). Für den Abbau der SS 20 als Vorleistung für Abrü- stungsverhandlungen einzutreten, steht einem Friedensmenschen gut an - Eppler brüstet sich damit, dies furchtlos im Kreml vertreten zu haben -, wenn man sich dabei auf seine Friedensabsicht beruft. Und selbst dann machen Friedensfreunde Punkte, wenn man die Auf- stellung der Pershing-II-Raketen als unnötig ansieht wegen der ohnehin erreichten militärischen Überlegenheit des Westens (Eppler, Mechtersheimer). 6. Die halbe Anerkennung der Politik ist diese: Friedensbewegung da- her seit Samstag sicher. Daß das Tüpfelchen auf dem i, die Be- schuldigung der Moskowiter als der eigentlichen Ursache der wach- senden Kriegsgefahr, noch fehlt wird sich bei passender Gelegen- heit schon aus bessern lassen. zurück