Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral


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       das aktuelle Friedenslexikon
       

FRIEDENSSEHNSUCHT

Daß alles, was Leuten, die der bundesdeutschen Aufrüstungspolitik mißtrauisch bis ablehnend gegenüberstehen, als durch den Kopf geht, derzeit unter dem Obertitel "Friedenssehnsucht" gehandelt wird, ist eine Leistung der offiziellen politischen Propaganda. Besagte Sprachregelung für die Bonner Politikern e n t g e- g e n gehaltene Begehr, vom Krieg verschont zu werden, steht nämlich dafür, wie hierzulande Opposition in Sachen Militär- politik e r l e d i g t wird. Wie das geht? E r s t e n s wird denen, die Frieden fordern, gerne, dies sei ja wohl das selbstverständlichste Verlangen, das man als Mensch haben könne, insofern auch unbedingt anzuerkennen. Dieses 'Zugeständnis' an Kritiker oder Skeptiker der Regierungs- politik hat es in sich, weil es nämlich gar keines ist. Es wird ja von den so Angesprochenen nichts Geringeres verlangt, ab ihre Vorbehalte gegen BRD-Politiker zurückzustellen, um sich mit über- haupt jedermann und speziell mit ihnen in die imaginäre Einheits- front 'Menschen wollen keinen Krieg' einzuordnen - als ob jemals zur Debatte gestanden hätte, der Hobbysegler und Eintopf-Liebha- ber Helmut Schmidt kalkuliere mit Krieg und Frieden und nicht der Chef eines demokratisch-kapitalistischen Staates mit maßgeblicher Teilhaberschaft am NATO-Bündnis; und als ob es nicht die Kalkula- tion der letzteren Sorte Mensch wäre, die plötzlich aller Welt die Sorge um "d i e Kriegsgefahr" nahegebracht hätte, als ob diese so anonym, wie es die Floskel will, über uns genauso wie über den Kanzler hereingebrochen wäre. Diese ausgekochte Manier, den Kritikern in der Form eines Entgegenkommens ihrerseits das Blanko-Zugeständnis abzufordern, man dürfe niemandem (gemeint sind natürlich die Rüstungspolitiker) den Friedenswillen abspre- chen, läßt sich dann auch bis zu der Offensive ausreizen, die Bonner Demonstration für Frieden wäre, soweit sie Protest ge- gen... war, nicht nur überflüssig, eben weil d a f ü r alle wä- ren, sondern Zeichen einer für 'Friedensfreunde' sehr verdächti- gen "Arroganz", sich als allein wahrhaft friedliebende Minderheit aufzuspielen, also Zeichen einer tendenziell 'unfriedlichen' Ge- sinnung. Umgekehrt fällt es solchen Ideologen nicht schwer, die gleiche Demo so umzuinterpretiren, daß sie als Ausdruck des in der deutschen Bevölkerung allseits verbreiteten Friedenswunsches per se eine Bekräftigung sämtlicher Doppel- und sonstiger Frie- densbeschlüsse bedeute, die von den Bonner Regenten als den ver- antwortlichen Verwaltern genau dieses Volksanliegens über die Bühne gebracht werden. Z w e i t e n s ist das Gerede von der Friedenssehnaucht offen negativ gemeint. "Ihr Ziel, die Politik positiv zu beeinflussen, um das Undenkbare zu verhindern, kann die Friedensbewegung aber nur erreichen, wenn sie ihrem emotionalen Engagement stärker als bisher eine gründli- che Argumentation hinzufügt." (SPD-Ehmke) Mit dem heuchlerischen Gestus, um die mangelnde Durchschlagakraft der friedensbewegten Argumentation besorgt zu sein, spricht der SPD-Mann d a s gültige Argument gegen die Friedensfreunde aus: es handle sich um eine n u r emotionale, also jeder politischen Rationalität bare "Sehnsucht". Als ob Kritiker der bundesrepubli- kanischen Rüstungspolitik - wohl w e i l sie das sind, statt direkt die staatlicherseits praktizierte und per Friedensideal abgesegnete Kriegs- und Friedenslogik zu übernehmen - keinerlei Grunde für ihre politische Haltung vorweisen könnten, reibt man ihnen ihr Dagegensein als Beweis für Irrationalität, unpolitische Weltfremdheit und ein zwar gut gemeintes, aber untaugliches bis staatsgefährdendes Spinnertum hin ("Gesinnungsethik" oder auch "Gefühlspazifismus" heißt das dann in verfeinertem Jargon). Diese negative Charakterisierung des außer-parlamentarischen Friedens- wunsches führt nahtlos über zu der Folgerung, was ihm nottut: er hat ergänzt zu werden durch ein prinzipielles Vertrauen in die Verantwortlichkeit der demokratischen Politiker in Sachen Frie- densbewahrung, er hat ihnen daher die Freiheit zuzugestehen, ge- mäß ihren Kriterien in einem Namen Friedenspolitik zu machen. Ra- tional ist die Sehnsucht nach Frieden also nur dann, wenn sie sich ganz jenseits ihrer Zweifel dem Sachverstand der zuständigen Herrschaften überantwortet - und der verrät noch in seinen ideologischen Formeln sehr deutlich, daß er mit der naiven Vorstellung, Politik sei zur Verhinderung von Kriegen da, aber auch rein gar nichts zu schaffen hat. Am deutlichsten vielleicht kommt das in derjenigen programinati- schen Parole zum Vorschein, die alle deutschen Parteien unisono und 35mal pro Woche ihrem Volk verkünden: "Frieden in Freiheit". So wird in der BRD ausgedrückt, daß die amerikanische Staatsrai- son, wonach es 'Schlimmeres gibt als den Krieg' (Haig), auch hierzulande Gültigkeit besitzt. Damit ist erstens gesagt, daß es keineswegs u n bedingt um die Erhaltung eines friedlichen Zu- stands geht, sondern nur soweit und solange, als "die Freiheit" nicht gefährdet ist. Umgekehrt: für die Sicherung der Freiheit ist die Beendigung des Friedens kein zu hoher Preis - auf den kleinen Mann gemünzt heißt dasselbe leicht abgewandelt "Lieber tot als rot": auf daß die Freiheit seines Staates weiterleben kann. Aber das ist immer noch nicht die ganze Wahrheit über unsere Friedenspolitik. Die Freiheit nämlich ist nicht erst gefährdet, wenn ihr erklärter Gegner, der im Osten wohnt, ihr kriegerisch zu Leibe rücken will. Der reale Inhalt des westlichen Freiheitsprin- zips, der Anspruch auf unbeschränkte Aktionsfreiheit für kapita- listische Plusmacherei rund um den Weltball, bringt es mit sich, daß bereits die bloße Existenz nicht-kapitalistischer = unfreier Staaten einen Anschlag auf die Freiheit bedeutet - weshalb der Westen auch seit 36 Jahren bestrebt ist, die Sphären der Unfrei- heit in der Welt klein zu machen. Weil man hierzulande also seit eh und je darauf aus ist, den "Friedhofsfrieden" im Osten zugun- sten der Lebendigkeit des westlichen Business 'einzudämmen', und weil man sich dessen bewußt ist, daß so laufend Gründe für den Gegner geschaffen werden, sich auf sein letztes Mittel zu besin- nen, kalkuliert man nicht erst heute damit, daß Frieden in Frei- heit letztlich nur zu haben ist, wenn man einen Krieg gegen den Herd des Unfriedens ("Zentrale des Weltterrorismus" heißt das heute offiziell) siegreich bestehen kann. Die Fruchtbarkeit die- ser Logik der Friedenspolitik sieht man derzeit, wo jegliche Äu- ßerung aus den Reihen des Hauptverbündeten - und sei da noch so unmißverständlich vom "Problem der Führbarkeit eines Atomkrieges" die Rede - entschieden als Beweis für die Friedensliebe der guten Seite genommen wird, während noch die weitestgehenden vertragli- chen Angebote zum Verzicht auf den Einsatz von Kriegsgerät (vgl. Breschnew-Interview im SPIEGEL), so sie vom Osten kommen, als ge- fährliche Einmischungen in unsere Friedensstrategie abgeschmet- tert werden. Der Frieden, den "wir" meinen, will schon ausgefoch- ten sein. Und d a f ü r ist der Frieden dann auch ganz unbedingt wichtig - nämlich der i n n e r e Frieden. zurück