Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
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Die Rüstungsdiplomatie geht ihren Gang -
Die Friedensbewegung fällt darauf rein.
VORSICHT VOR FALSCHER ENTWARNUNG
Es wird wieder Ostern - es wird wieder marschiert, für den Frie-
den. Aber mal ehrlich: Die schönen Tage der zutiefst "empfundenen
Kriegsangst", als Gott und die Welt, Psychotherapeuten und leib-
haftige Bundeskanzler sich um die massenwirksame Friedenssehn-
sucht aufgeregter NATO-Bürger gekümmert haben - die sind vorbei.
Man/frau hat sich ganz schön abgeregt.
Mit Recht? Ist tatsächlich ein Krieg, der neulich noch gedroht
hat, in beruhigende Ferne gerückt?
Die abgebröckelten Massen der Friedensbewegung sind offenbar die-
ser Meinung. Und diejenigen, die auch dieses Jahr wieder für den
Frieden auf die Straße gehen? Es ist seltsam: Auch da sagt
k e i n e r zu der Entwarnungsstimmung, die sich in der Republik
breitgemacht hat, ein schnörkelloses N e i n!
Statt dessen "begrüßt" der Friedensfreund des Frühjahrs '88 mal
als erstes den INF-Vertrag, den die atomaren "Supermächte" neu-
lich ausgehandelt und ihre Chefs unterschrieben haben. Man hält
das für einen ersten Ausbruch derjenigen "Vernunft", für die man
neulich noch allein auf weiter Flur und gegen den Rest der Welt
hat einstehen müssen. Und am liebsten möchte man es so sehen, daß
die Friedensbewegung diesen Erfolg errungen und die Machthaber zu
besserer Einsicht gezwungen hätte.
Die Rüstungsdiplomatie - der Anfang einer Friedensidylle?
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Der Friedensfreund des Frühjahrs '88 hat da seine Zweifel - sonst
wäre er ja nicht auf der Straße -, aber er gestattet sich keine
anderen als k o n s t r u k t i v e. Er sorgt sich darum, ob
"der Friedensprozeß" auch w e i t e r g e h t. Er mißtraut der
Durchsetzungsfähigkeit, der Konsequenz, vielleicht auch der Ehr-
lichkeit des neu erwachten "Abrüstungswillens" der großen Atom-
mächte. Er meint, auf seine Wachsamkeit käme es enorm an, damit,
die Rüstungsdiplomaten n i c h t n a c h l a s s e n in ihrem
Geschäft. - Und so g l a u b t die Friedensbewegung felsenfest
daran, die Weltmächte würden in letzter Zeit tatsächlich von so
sympathischen Motiven wie einem "Abrüstungswillen" und von so ed-
len Subjekten wie einem "Friedensprozeß" bewegt - wenigstens ein
bißchen. Sie entdeckt keinen prinzipiellen Unterschied in der Sa-
che zwischen ihren Warnungen und Wünschen von gestern und den rü-
stungsdiplomatischen Kalkulationen der Machthaber heute. Wer
d a s anders sieht, entlarvt sich vor Friedensfreunden '88 als
notorischer Miesmacher - so ähnlich, wie es neulich noch die
Kanzler Schmidt und Kohl der Friedensbewegung vorgeworfen haben.
...
Denn tatsächlich ist der Friedensbewegung etwas Seltsames pas-
siert. I h r I d e a l einer Welt mit immer weniger Waffen und
auf dem Weg zum immerwährenden Frieden ist mit den Titeln und
Sprachregelungen der Rüstungsdiplomatie und der offiziellen Si-
cherheitspolitik in eine v ö l l i g e
Ü b e r e i n s t i m m u n g geraten. Dabei sind beide Seiten
in der Sache so weit auseinander, wie es nur geht. Denn wenn Po-
litiker "Frieden" sagen, dann meinen sie eine Welt unter ihrer
Kontrolle und können gleich die Liste der "Feinde des Friedens"
hersagen, gegen die sie Waffen brauchen. Wenn Politiker über
"Abrüstung" verhandeln, dann wollen sie die strategische Position
ihres Gegners verschlechtern und haben ganz fest die Front im
Auge, an der sie sich die Fähigkeit zum Siegen verschaffen wol-
len. Und wenn Politiker von "Entspannung" reden, dann erheben sie
Ansprüche an die Nachgiebigkeit ihres "Partners", und wenn sie
Erfolg haben, dann verbuchen sie das zufrieden als gelungene Er-
pressung - laut Kanzler Kohl haben die Russen beim INF-Vertrag
der H ä r t e d e s W e s t e n s nachgegeben und die
"Sprache der Gewalt" kapiert, weil sie sowieso "keine andere ver-
stehen". - Und das ist es doch wohl nicht so ganz, was die Frie-
densbewegung '88 unter einer friedlicher werdenden Welt versteht;
oder?
Im einzelnen:
Der neue sowjetische Staats-"Pazifismus"
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Am ehesten mag der Idealismus einer Staatenwelt, die sich ange-
sichts der Atomkriegsgreuel nach und nach ihrer schlimmsten Waf-
fen entledigt und Frieden hält, noch mit dem politischen Stand-
punkt der Sowjetunion ein paar sachliche Übereinstimmungen auf-
weisen. Denn dort hat man die Auffassung, daß Atomwaffen einen
Krieg zur Menschheitsvernichtung geraten lassen, also den Frieden
und als Weg dahin die Abrüstung erzwingen, zur Staatsdoktrin er-
hoben. Allerdings hat auch Gorbatschow es nicht geschafft, den
Widersinn dieses Glaubens an einen Z w a n g d e r W a f f e n
zur Abrüstung außer Kraft zu setzen: Die geglaubte Nötigung zur
Vernunft bliebe ja nur so lange in Kraft, wie Waffen des entspre-
chenden Kalibers tatsächlich die Menschheit bedrohen. Wie sollten
dann weniger Waffen die Lage verbessern?
Tatsächlich hat ja auch die Sowjetregierung aus ihrem offiziell
gemachten Horror vor Atomwaffen keineswegs die Konsequenz gezo-
gen, sich dieses "Teufelszeugs" einfach zu entledigen. Daß sie
sich mit Pazifismus in der Atomwaffenfrage dem Westen militärisch
ausliefern würden, wissen die Russen eben auch noch. Sie kriegen
gar nicht die Chance zu vergessen, daß in der Staatenwelt von
heute - dank der NATO und ihrer Weltordnungsansprüche - die
k r i e g s t r ä c h t i g e F e i n d s c h a f t gegen das
falsche, "freiheitsfeindliche" System allemal noch vor solchen
"übergeordneten", daher aber auch von keiner Staatsgewalt vertre-
tenen, bloß idellen Anliegen wie dem "Überleben der ganzen
Menschheit" rangiert und daß folglich d i e m i l i t ä r i-
s c h e D r o h u n g v o r d e m d i p l o m a t i s c h e n
E i n v e r n e h m e n k o m m t und nie dahinter ver-
schwindet.
Insofern hat der sowjetische Staats-"Pazifismus" eben auch eine
etwas heuchlerische Grundlage: Die über alles verurteilte Mensch-
heitsvernichtungsgefahr existiert ja unter anderem auch wegen des
zum Letzten entschlossenen Verteidigungswillens der Sowjetmacht.
Und auf d e r Grundlage übermittelt die sowjetische Weltunter-
gangsbeschwörung dem westlichen Kriegsbündnis auch eine etwas
andere Botschaft als einen unbedingten Stillhalte-, also Kapitu-
lationswillen. Daß man sich endlich mit der Existenz eines
"sozialistischen Lagers" a b f i n d e n soll: Das entnehmen
die westlichen Staatsführer durchaus den rüstungsdiplomatischen
Offensiven aus Moskau und halten das für eine einzige sowjetische
Zumutung.
Die westliche Bereitschaft zum Verhandeln -
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in der "Sprache der Gewalt"
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Daß sie zu den sowjetischen Ansprüchen und Angeboten nicht offen
"Nein!" sagen, sondern "Aha!" und "Interessant!" und
"Hoffnungsvoll!", das hat dem US-Präsidenten und schließlich auch
dem Bundeskanzler unter Friedensbewegten den Ruf eingetragen, sie
wären endlich auch ein bißchen zur Vernunft gekommen. Dabei haben
Reagan und Kohl immer sofort ihr "Aber..." nachgeschoben; und sie
haben nie einen Zweifel darüber gelassen, welche p o l i-
t i s c h e Bedrohung sie in den sowjetischen Abrüstungs-
vorschlägen sogleich ausgemacht haben: Die in Aussicht gestellte
Milderung des militärischen "Drucks" aus dem Osten sei darauf
gerichtet, die Allianz zu entzweien. Und wenn es so wäre? Ist die
NATO denn nicht nach ihrer eigenen offiziellen Daseinsideologie
bloß die Antwort auf den "übermächtigen militärischen Druck" aus
dem Osten? Offenbar trifft das eben doch nicht so ganz die
Wahrheit. Wenn die NATO-Führer gleich die Haltbarkeit und Un-
verwüstlichkeit ihres Kriegsbündnisses auch für den Fall beschwö-
ren, daß die Sowjetunion sich nicht als Kriegsgegner hergeben und
Abrüstung vereinbaren will, dann geht die weltkriegsgefährliche
Unduldsamkeit ja wohl von ihnen aus. S i e sind gar nicht ge-
willt, die Sowjetmacht aus der Position des erklärten Feindes zu
entlassen, solange deren Grenzen immer noch ihren weltweiten Kon-
trollansprüchen irgendwie eine Schranke setzen.
"Wir wollen die unnatürliche Teilung des europäischen Kontinents,
unter der am unmittelbarsten das deutsche Volk zu leiden hat,
schrittweise überwinden... Die militärische Präsenz der So-
wjetunion in Europa stellt eine direkte Herausforderung unserer
Sicherheit und unserer Hoffnungen auf einen Wandel der politi-
schen Situation in Europa dar." (NATO-Abschlußerklärung)
In diesem "Geist" "prüfen" die NATO-Oberen alle sowjetischen Vor-
schläge, diktieren Bedingungen ihrer Bereitschaft, darüber zu
verhandeln - und treiben die Rüstung in den erdnahen Weltraum
voran. Denn dort, so lautet der NATO-Beschluß, wird den Russen
die nächste militärische Front aufgemacht - auch wenn SDI noch so
teuer wird und keines der dazu erfundenen Schutz-Ideale erfüllt.
Natürlich sind die billigen Beteuerungen, man wolle das alles
selbstredend nur um des lieben Friedens willen, auch aus den
Hauptstädten der Freien Welt täglich abzuholen. Allerdings läßt
man in der NATO den pazifistischen Fehlschluß, folglich müßte
partout abgerüstet werden, nicht einmal zum Schein gelten. Ganz
unbefangen buchstabieren westliche Sicherheitspolitiker ihren
sehnlichen Friedenswunsch als den festen Willen, die feindliche
Seite m i l i t ä r i s c h u n t e r K o n t r o l l e zu
kriegen - des Kanzlers goldenes Wort von der "Sprache der Ge-
walt", die "totalitäre Regimes" wie das sowjetische allein ver-
stünden, ist eine Variante, um diesen Anspruch zu äußern. Der US-
Präsident hat seine ganze Freie Welt an den paradoxen Standpunkt
gewöhnt, daß mit den Russen nur zu verhandeln sei, wenn der We-
sten Verhandlungen gar n i c h t n ö t i g hat; nämlich nur
aus einer Position militärischer Stärke, die die Vertragstreue
der anderen Seite garantiert'- also deren militärische
E r p r e ß b a r k e i t. Vom Osten respektierte Überlegenheit:
Das ist der politische Inhalt, den die westliche Rüstungsdiploma-
tie derzeit zur Verhandlungsserie ausgestaltet und als
"hoffnungsvollen Friedensprozeß" bejubeln läßt. Und das ist sie:
die "Entwarnung", die die NATO-Führer ausgerufen haben.
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Mit den "ersten Erfolgen", die die Friedensbewegung im Frühjahr
'88 feiert, hat das alles nichts zu tun. Aber was feiert sie denn
dann eigentlich? Die skeptische Zustimmung, die sich unter Frie-
densfreunden breitgemacht hat, ist doch auch nur eine Tour, auf
die volkstümlichen Phrasen des totalen staatlichen Durchsetzungs-
willens hereinzufallen. Und praktisch taugt diese mißtrauische
Erleichterung nur dazu, sich allmählich wieder, beruhigt, in die
Gewohnheit des wahlberechtigten Zuguckens zu verkrümeln.
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