Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurück Prof. Bahr: Unterbrechung der GewaltKÄMPFERISCH DIE BACKE HINHALTEN!
Ausgangspunkt von BAHRs Ausführungen ist, wie nicht anders zu er- warten, die biblische Leidensgeschichte Jesu, gegen deren offi- zielle Interpretation der Kirchenoberen als Leidensweg er sich allerdings wendet. "Gehorsam aber, Gehorsam bis zum Kreuz, diese Wegbeschreibung Jesu, wurde sie nicht entstellt zur Unterwerfungsmoral für das christliche Volk? Wurde Gehorsam so nicht zum Zeichen für politi- sche Ohnmacht, statt zum Anzeichen einer Leidenschaft für das Ge- rechte?" (Dieses und alle weiteren Zitate aus BAHRs "Osterbotschaft 1983: Widerstand leisten ohne Gewalt. Revolte ge- gen den Todestrieb", in Die ZEIT, 1.4.83) Einen dicken Haken enthält diese Einschätzung: so sehr die "Wegbeschreibung Jesu" die in Geschichten gesetzte christliche Unterwerfungsmoral ist, so wenig brauchte sie dazu "entstellt" werden; so sehr Gehorsam das Dreinschicken in das politisch Ver- langte, also praktizierte politische Ohnmacht ist, so wenig kann er gleichzeitig "Anzeichen" für etwas anderes, besseres sein. So sehr BAHR also auf der einen Seite festhalten mag, welch trostlo- sen Trost eine Moral der, also zur (hingenommenen) Unterwerfung, aufzubieten hat ("Das schwere Kreuz schwankte stolz" - bis zum Grab!), so wenig scheint ihm die daraus fällige Schlußfolgerung zu schmecken: daß Moral überhaupt nur dort n ö t i g ist, wo sonst n i c h t s Handfestes geboten ist außer viel staatlicher Organisation dieses Zustandes, die den Leuten ein Leben in Armut beschert und ihnen das als ihr unabänderliches Schicksal ver- kauft! Da will der kritische Theologe doch lieber nichts auf die Moral kommen lassen und setzt stattdessen - gänzlich unbeleckt von den schäbigen Verhältnissen, die solche Durchhalteparolen wie die Spekulation auf das süße "Jenseits" dieses "Jammertales" of- fenbar provozieren - auf das "Prinzip Hoffnung", daß mitten in Unterwerfung und Gehorsam das "Anzeichen" einer Alternativen Mo- ral des Widerstandes ebenso enthalten sei. Und in der Tat, er entdeckt sie! Dazu bedarf es allerdings zunächst eines erschröcklichen Gegenbildes: "Jesus - mit dem Gewehr eintretend für die Entrechteten? Wäre das nicht nur die bloße Umkehr des Ohnmachts-Christus, ein Umkippen ins andere Extrem? Mich entsetzt der Anblick von Christen, die anderen Menschen Leidensgeschichten zufügen, um eigenes Leiden zu beenden." Natürlich ist es kein schöner Anblick und erst recht kein schönes Erlebnis, wenn Christen (oder weiß der Teufel wer) andere Leute umbringen - aber wem sagt BAHR das eigentlich? Und vor allem: Wieso bringt das ausgemalte Umkehrbild des Untertanen, der das ihm zugefügte Leid brav und ergeben erträgt, eigentlich den of- fensichtlichen Zugzwang mit sich, nun plötzlich b e t e u e r n zu müssen, daß man die U r h e b e r des Leidens "a u c h" verabscheut? "Aber (!) Kirchenleute und Parteisprecher hierzulande, die denen da draußen strictissime Pazifismus als Vorbedingung für Hilfsgü- terempfang" (vor kurzem hieß die "Hilfe" noch "Unterdrückung"!) "verordnen, selber indes (!) unser eigenes System militärischer Gewaltandrohung gutheißen, solche Gewissensimmunen jagen mir ebenso (!) Furcht ein." Weit entfernt davon, den einfachen Gedanken zu fassen, daß die den Bürgern v e r o r d n e t e "Gewaltfreiheit" d i e Bedin- gung dafür ist, daß die staatliche Gewalt sich ungehemmt an ihrem Menschenmaterial austoben kann, hat BAHR ein völlig losgelöstes moralisches P r i n z i p aufgestellt, bei dessen Anwendung auf die wirkliche Welt sich alles dreht: ausgerechnet die Verantwort- lichen für den ganzen Mist, die Politiker, die i h r e n Zwecken gemäß die Welt kühl-kalkulierend herrichten, stehen nun als i n k o n s e q u e n t e M o r a l i s t e n da, deren "Pazifismus" (diese Untertanentugend hat BAHR ihnen gutgläubig untergejubelt!) sich "indes" daran blamiere, selber über Militär (!) zu verfügen, während die Jesu mit der Knarre dem Verdikt Mar- tin Luther Kings anheimfallen: "Gewalt mit Gewalt erwidern - das macht die Nacht, in der die Sterne fallen, noch schwärzer." Doch BAHR ist Wissenschaftler genug, um seine eigene Übersetzung von Gewalt als Mittel bestimmter politischer Zwecke in eine C h a r a k t e r f r a g e als Gesetz der Wirklichkeit auszuge- ben: "Es ist eine empirische Einsicht, keine Forderung idealer Moral: Wer einem anderen Gewalt antut, und sei es als Ultima ratio der Selbsterhaltung, wird in Kettenreaktion neue Gewalt auslösen." Ein ebenso beliebter wie falscher Schluß: Die Tatsache, daß die Weltgeschichte vor Blut nur so trieft, berechtigt noch lange nicht zu der Behauptung, ein wechselseitig sich hochschaukelnder M e c h a n i s m u s von Gewalt und Gegengewalt setze dies ins Werk, und "Unterbrechung d e r Gewalt" schaffe da Abhilfe. Ein im doppelten Sinne frommer Wunsch: wo man nicht mehr zwischen Subjekt und Opfer der jeweils eingesetzten Gewalt unterscheiden will, tritt die Fiktion in Kraft, s i c h - und damit ist glei- chermaßen jedermann in seiner "Eigenschaft" angesprochen, "Mensch" zu sein - per ganz viel gutem Willen und Charakterfülle aus dem Regelkreis der Gewalt auszublenden und ihn damit zu "unterbrechen": "Der Gewalt eines (!) anderen läßt sich wirksam, also mit Aus- sicht auf dessen Lernfähigkeit, nach dieser Logik" (stimmt; aber eben auch nach dieser), "eben nur in gewaltloser Opposition be- gegnen... Jesus schlägt nicht zurück. Damit verblüfft er die an- deren. Stattdessen spricht er die Konfliktpartner an" (Hallo Partner, dankeschön), "erzeugt Verlegenheit." Es handelt sich hierbei leider um mehr als Naivität (BAHR ist auch so ehrlich - oder zynisch? -, dies einzugestehen: "ES kann für den gewaltlos Opponierenden durchaus als Katastrophe enden"). Es ist das Programm einer vorgestellten Idylle, die selbst, ja vor allem gegenüber der (durchaus immer wieder zitierten) staat- lichen Gewalt, von dem offenbar durch keine noch so harte Erfah- rung angreifbaren - Wunsch getragen wird, Staat und Volk als eine h a r m o n i s c h e G e m e i n s c h a f t zu sehen, in der Gewalt an sich völlig überflüssig sei, wenn nur diese blöde, un- zureichende "Lernfähigkeit" nicht wäre! Aber da ein so zutiefst moralischer Mensch wie Hans-Eckhard BAHR sich lieber die Zunge abbeißen läßt, als die G e g e n s ä t z e zur Kenntnis zu neh- men, mit denen staatliche Herrschaften die "Konfliktpartner" zu einem Gemeinwesen verbinden, g l a u b t er nicht nur steif und fest an deren "Lernfähigkeit", sondern nimmt ihnen auch noch ihre zweckdienliche Lüge ab, selber ganz furchtsam und bedroht zu sein: "Meine Furcht, ins Leiden zu geraten, führt ja entweder dazu, daß ich mich mit Sicherheitssystemen abschirme, notfalls auch mit zu- schlagender Präventivgewalt die Glaubwürdigkeit meiner Verteidi- gungsbereitschaft demonstriere. Oder ich werde meiner Angst da- durch Herr, daß ich meine Verletzlichkeit voll annehme." Fragt man sich angesichts dieses Zitats, wer denn jeweils mit den vielen ichs' und michs' gemeint sein soll - man wird es nicht rauskriegen! Rauskriegen kann man aber eines: Bis in die konse- quenteste Vermischung von Attributen persönlicher Hilfslosigkeit und moderner militärstrategischer Terminologie hinein ist BAHRs Konstruktion dahin fortgeschritten, prinzipiell alles, was auf der Welt kreucht und fleucht - vom kleinen Angestellten, der sei- nen Vorgarten mit Cruise missiles verteidigt, über den "unmenschlichen Wohnungsbau" und "die Flak des Preßlufthammers" (Beispiele aus der Vorlesung) bis hin zu Staatsmännern, die "ihre Verletzlichkeit nicht annehmen" -, gleichermaßen als M a c h e r u n d B e t r o f f e n e von Gewalt zu verdächtigen. Wir alle in einem Boot, auf alternativ, das ist es doch, oder? Und wo BAHR derart treffsicher die offizielle Aufrüstungsideolo- gie der "Verletzlichkeit" (deren "letzte Fenster" ein Ronald Rea- gan mit einem gigantischen Raketenprogramm den Russen vor der Nase zuknallt) eingeholt hat, die es umgekehrt allerdings "anzunehmen" gelte, da kann es gar nicht ausbleiben, daß zu guter letzt eine a l t e r n a t i v e Sicherheitspolitik gegen den äußeren Feind (der bei BAHR keinen Namen hat, aber trotzdem) auf den Tisch kommt. Anstatt zu bemerken, daß diese "Bedrohung" von Osten nur deshalb als solche gilt, weil das verständnisvoll un- terstellte "Sicherheitsinteresse" der freien Welt so maßlos sich aufführt, daß jede Rakete beim Feind als nichthinnehmbarer Gewal- takt gegen die "pax americana" interpretiert wird, da glaubt ein Apostel der "Gewaltfreiheit", sich lieber gegen Vorwürfe von "Gegnern des Pazifismus" verwahren zu müssen, ein vaterlandsloser Geselle zu sein: "Es geht nicht um Widerstandslosigkeit! Es geht um Widerstand ohne Gewalt!" Ja, wobei denn? F a z i t: Es ist schon ein ziemlich trostloses Geschäft, die wirklichen Inhaber der Gewalt zu "wohlgerüsteten Abgesandten des Nichts" zu verklären, also zu verharmlosen, und dagegen das "Vertrauen" auf die eigene Moralität (am Ende noch gottgewollt) als "stärkste Widerstandskraft" auszurufen. zurück