Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral


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       Bonn, 13.6.1987
       

100.000 FÜR NICHTS

Gerade hat in Berlin der oberste Kriegsherr des freien Westens die U n v e r s ö h n l i c h k e i t der NATO mit dem 'Reich des Bösen' unmißverständlich bekräftigt und dem Frontstaat BRD im Frontstadtsumpf Berlin in diesem Sinn herzlich auf die Schulter geklopft. Gerade eine Woche ist es her, daß die Führer des Front- staates in einer Bundestagsdebatte bekräftigt haben "Abrüstung ist kein Selbstzweck - sie darf in keinem Fall zu weniger Si- cherheit führen." Von der SPD wurden sie sehr oppositionell daran erinnert, daß das "Gewicht der deutschen Interessen" dabei wach- sen müsse. Zwei Klarstellungen, wie die BRD und ihre NATO-Partner "Frieden" buchstabieren. Daß sie ihre "Sicherheits-" sprich Kriegskal- kulationen derzeit unter dem Titel "Abrüstung" debattieren müs- sen, verdankt sich einzig und allein dem beharrlichen Druck aus Moskau. Und schon treten 100.000 Menschen in Bonn an - nein, nicht um g e g e n diese "Friedenssicherung" zu protestieren, sondern um ihr den Rücken zu stärken! "Unser Ziel bleibt Frieden durch Abrüstung und Gerechtigkeit", heißt es im Aufruf zur Demonstration, der Journalisten nach Zei- tungsmeldungen gleich auf die Idee gebracht hat, in den Parteizentralen von CDU und FDP nachzufragen, ob auch sie Redner bei der Schlußkundgebung stellen würden. "Abrüstung", das ist im Westen das notgedrungene Einwilligen in eine sowjetische ultimative Nullösungsofferte, und zwar mit dem erklärten Willen, dem fortbestehenden Kriegszweck militärische Alternativen zu sichern und neue zu verschaffen. D a s soll dasselbe sein wie F r i e d e n durch Abrüstung? Können oder wollen Friedensbewegte nicht unterscheiden zwischen den Zielen, die die Politik v e r f o l g t, und denen, die sie ihr u n t e r s t e l l e n? Dieser Wille zur Täuschung über die Nation hat Tradition. Das ist der konsequente Endpunkt einer Bewegung, die den strategischen Kalkulationen der Politik und al- len entsprechenden Rüstungsanstrengungen immer nur den "eigentlichen" Auftrag für veantwortungsbewußte Politiker entnom- men hat, nämlich "Friedenssicherung". Dementsprechend ist diesen Friedensmenschen bei der Stationierung von Atomraketen auf "deutschem Boden" die heiße Frage eingefallen, ob die nicht an- statt "den Frieden sicherer" zu machen "die Kriegsgefahr erhö- hen". Und das Stationierungsland BRD, das so scharf auf die Rake- ten war, kam gleich doppelt als O p f e r ins Visier: als Opfer der Rüstungsspirale und des Ami-Präsidenten, und als Opfer der russischen Antwort auf Pershings, die "Magneten" heißen. Ein möglicher Abzug amerikanischer Pershing-Raketen von deutschem Boden bestärkt die Friedensbewegten in ihrer frommen Einbildung vom Unschuldslamm BRD. Das ist der Sieg, den sie sich an die Brust heften. Ausgerechnet jetzt, wo Gorbatschow im Westen das reinste Entset- zen auslöst, weil er tatsächlich ultimativ Abrüstung fordert und damit im NATO-Bündnis heftige Debatten auslöst über nichts an- deres als A l t e r n a t i v e n d e r s t r a t e g i s c h e n K a l k u l a t i o n, fällt den Friedensmenschen nichts auf, sondern nur ein, d a s als i h r e n Erfolg zu feiern und als die "Chance zur Abrüstung" zu propagieren. Ausgerechnet jetzt, wo die BRD-Regierung sich als O p f e r d e r A b r ü s t u n g in die Brust wirft und neue "Nachrüstungen" ankündigt, spricht die Friedensbewegung von einem ersten Schritt in die richtige Richtung, der von den C-Parteien leider nur halbherzig oder unwillig getan würde. Mit der Durch- sortierung von ein paar Raketen werden aus Reagan und Kohl Bünd- nispartner einer Abrüstungsbewegung. Mit dem neuen Vorsitzenden der Nachrüstungspartei SPD hatten die Demonstranten in Bonn den passenden Hauptredner. Gegen a m e r i k a n i s c h e Atomraketen hat die SPD nämlich Beden- ken - auch wenn sie sie damals selbst ins Land geholt hat. Jetzt, wo die Amerikaner die Raketen womöglich der Nullösung wegen ab- ziehen, zeigt sich ihr schlagender M a n g e l: f r e m d e Raketen taugen in letzter Instanz nicht dazu, d e u t s c h e n Interessen mehr Geltung zu verschaffen. So ist ein Vogel mutig für die Beseitigung der US-Brummer, weil nur original d e u t s c h e Aufrüstung deutsche Weltgeltung verbürgt - gegen die Russen und im Bündnis. Und "Abrüstungsexperte" Egon Bahr lie- fert dazu die strategischen Kalkulationen, wie der "kon- ventionelle Pfeiler Europa in der NATO" gestärkt werden kann. D a s können oder wollen Friedensbewegte schon wieder nicht un- terscheiden von ihrem Ziel "F r i e d e n durch Abrüstung". Dieses Vertrauen in die Führer des Freiheitsstalles "Westen" geht nicht ohne das Selbstverständnis der "Kritiker", es mit Freiheit und Demokratie gut getroffen zu haben. Das führte Petra Kelly mal wieder exemplarisch vor, indem sie verlangte, "außer einem Ver- zicht auf Rüstung, der Unterdrückung und Verletzungen von Men- schenrechten in allen Teilen der Welt entgegenzutreten." Egal, wie sich zahlenmäßig das Verhältnis amerikanischer Blutbäder zu russischen Interventionen ausnimmt, in einem Punkt sind sich sol- che Leute sicher: Jeder Kriegstote oder verprügelte Demonstrant im Westen gilt als V e r s t o ß gegen die gültigen Menschen- rechte, während dem Osten die menschenrechtliche Grundlage fehlt: Sein S y s t e m i s t ein einziger Verstoß. S o können sich Abrüstungsfreunde mit Aufrütungspolitikern vertrauensvoll eini- gen. Im Namen der Friedenssicherung die ideologischen Titel des NATO-Kriegsprogramms herausputzen - so sieht das "Rinnsal der Vernunft" aus, aus dem laut Vogel "ein breiter Strom des Frie- dens" werden soll. zurück