Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurück Naturwissenschaftler gegen SDIDEUTSCHE ELITE ÜBT NATIONALE VERANTWORTUNG
Die "Initiative für Abrüstung" an der Technischen Universität Darmstadt hat jüngst ein Schreiben an die Max-Planck-Gesell- schaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Verein Deutscher Ingenieure und die Deutsche Physikalische Gesellschaft verschickt. Darin fordert Prof. Gernot Böhme als Wortführer der Darmstädter Friedensinitiative die besagten Organisationen "öffentlich zu einer Stellungnahme zur Frage einer deutschen Beteiligung an dem amerikanischen SDI-Programm" auf. Unternehmungen dieser Art sind nicht mehr selten hierzulande, verbreiten aber immer noch einen Geschmack von Zivilcourage um sich. Das spricht allerdings nur gegen die Gewohnheiten der bun- desdeutschen Feind- und Freundbildpflege, nicht für solche 'Vorstöße'. Deren erwünschter Effekt baut nämlich voll ausgerech- net auf d a s Prinzip des staatsbürgerlichen Konformismus: P r o m i n e n z zählt, also die von oben und allgemein aner- kannte Wichtigkeit für das Gelingen und den schönen Schein des Gemeinwesens, wie es ist, und keinesfalls die vorgebrachten A r g u m e n t e. Letztere sollen nicht überzeugen, sondern da- durch g e w i n n e n, daß N a m e n mit einem "guten Klang" sich dahinterstellen. Diese Vorgehensweise mag mancher für taktisch geschickt halten; nach dem nicht wenig zynischen Motto: 'Wenn die nationale Öffent- lichkeit schon so bescheuert ist und Leithammel braucht, dann bieten wir ihnen doch die besseren!' Die Hoffnung auf einen so zu erzielenden praktischen Effekt ist allerdings trügerisch. Mag sein, daß eine Stellungnahme auf diese Weise überhaupt publik wird; nur: als was? Als Kritik jedenfalls nicht mehr; stattdessen als Newcomer in der Konkurrenz um politische "Meinungsführer- schaft". Und damit ist sie gleich doppelt unwirksam gemacht. Sie ist eingeordnet in den Pluralismus einschlägiger Stellungnahmen, unter denen ja allemal auch die entgegengesetzten ihre prominenten Fürsprecher haben; und um in deren Konkurrenz zu bestehen, womöglich sich durchzusetzen, ist schon der bloße An- schein von Abweichung oder gar Gegnerschaft gegen die wirklichen politischen "Leithammel" der Nation eine schlechte Voraussetzung. Was für ein Argument hat ein mit Prominenz taktierender Kritikus denn noch auf Lager, wenn ihm die Gegenseite, die sich auf solche Tricks bestens versteht, sie also auch durchschaut, eben dies vorwirft - "leichtgläubig mißbraucht" heißt das Stichwort - ? Doch höchstens die Heuchelei, er wäre ein ganz wirklicher und wahrhaftiger Gefolgsmann der berühmten Männer, deren Namen er für ein Argument hält. Und was kann er ins Feld führen, wenn die Ge- genseite seinen Berufungsinstanzen eine unbestrittene Zuständig- keit für ihr engeres Fachgebiet attestiert, eine Zuständigkeit für "Meinungsführung" in den eigentlich berührten Fachfragen z.B. der Verteidigungswürdigkeit der westlichen Werte und der dafür angezeigten Methoden - aber bestreitet? Er müßte ja schon auf die Lüge zurückgreifen, Physik wäre die Universalwissenschaft auch für die Frage von Krieg und Frieden. Die Naturwissenschaftler, die mit Initiativen der genannten Art hervortreten, sind selber in der Regel aber gar keine wirklichen Taktiker des Einsatzes ihrer Prominenz und derer ihrer Kollegen. Sie glauben, was sie (unter)schreiben - und geben damit Zeugnis von ziemlich populären Fehleinschätzungen, die bei ihnen weniger aus dem Willen zu einer Kritik als aus Standesdünkel erwachsen. Die Verwechslung von Fachwissen mit stinknormaler Skepsis --------------------------------------------------------- Die kritischen Naturwirte, in diesem Falle die der TU Darmstadt, bedauern, daß nach Kanzler Kohls Befürwortung von Präsident Rea- gans "Offerte" an "die deutsche Wissenschaft " zur Beteiligung am SDI-Programm "weder Stellungnahmen der großen deutschen Wissen- schafts- und Ingenieurorganisationen eingeholt" wurden noch "diese von sich aus bisher dazu Stellung bezogen" haben. Sie se- hen darin geradezu einen Verrat an der "vielbeschworenen Verant- wortung der Wissenschaft" "Diese Verantwortung tragen die großen Wissenschafts- und Ingeni- eurorganisationen der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber, denn nur in ihren Reihen ist die Kompetenz zu finden, die hochkomplexen, mit SDI verbundenen wissenschftlichen und technologischen Fragen überhaupt zu beurteilen und den zur poli- tischen Legitimation von SDI heraufbeschworenen Illusionen entge- genzutreten." An welche Illusionen mögen sie da denken? Haben sie selbst denn Reagans "Traum" von einer "Welt ohne Atomwaffen" für bare Münze genommen, bis sie die "hochkomplexe Materie" wissenschaftlich durchgearbeitet haben und auf nicht aufhebbare Schranken der Technologie gestoßen sind? Ist es i h n e n wie Schuppen von den Augen gefallen, als sie zu dem - naturwissenschaftlich ohne- hin unhaltbaren; aber sei's drum - Urteil: G e h t n i c h t! gelangt sind? Im Vertrauen gesagt: Reagans SDI "beschwört" nur solche Illusio- nen "herauf", die die Bürger der westlichen Demokratien sowieso hegen; und die sind wesentlich bescheidener - i n s o f e r n sogar realitätsnäher - als die Vorstellung eines totalen Schutzes, den eine Anti-Raketen-Waffe ihnen bieten könnte. Ein aufgeklärter Demokrat ist schon zufrieden, wenn er einen "Schritt in die richtige Richtung" verbuchen kann, hin zu "e t w a s m e h r" Schutz. Daß das wenigstens ein Zweck der Kriegsvorbe- reitungen seiner Nation wäre, die im übrigen den Frieden will: Das allenfalls ist die I l l u s i o n, die im Freien Westen über das NATO-Bündnis und seine Vorhaben verbreitet ist. Noch verbreiteter ist übrigens die Fortsetzung, wonach der unverbrüch- liche Friedenswille der eigenen Seite durch den der Gegenseite immerzu durchkreuzt wird, also am besten so zum Zuge kommt, daß er mit dem notorischen Störenfried aufräumt; und dieser nationa- listische Gerechtigkeitswahn ist über sämtliche Schutz-Illusionen längst hinaus. Was von diesen t a t s ä c h l i c h verbreite- ten und geglaubten Irrtümern läßt sich, bitte schön, durch Spit- zenkenntnisse in der Technologie der Weltraumfahrt - deren Nach- weis wir damit jedem engagierten Naturwissenschaftler erlassen! - widerlegen oder entkräften? Die Entdeckung, die die Böhme- und ähnliche Initiativen bekannt- machen wollen, ist ihnen selber tatsächlich n i c h t im For- schungslabor gekommen. Sie sind, mit wieviel Spezialwissen im Kopf auch immer, auf demselben Weg dahingekommen, an Reagans SDI- U t o p i e zu zweifeln, wie jeder normale Mensch, der im Ernst nie an diese Utopie glaubt: Sie können sich einfach nicht vor- stellen - weder einfach noch kompliziert -, daß das hinhaut. Der erste Hauptsatz der demokratischen Technologie: --------------------------------------------------- Vertrauen in die Führung ------------------------ Diese wohlfeile S k e p s i s gegenüber Reagans Plan beruht al- lerdings, bei ihnen wie beim "normalen" Menschen, auf einem uner- schütterten, viel größeren und viel verkehrteren V e r t r a u- e n, nämlich auf eine billigenswerte A b s i c h t. Wenn sie den SDI-Politikern schon nicht glauben, daß es gehen kann, der Schutz nämlich, so unterstellen sie dabei nur um so fragloser, daß es denen eben darum geht. Das verschafft ihnen die Basis für einen sehr zulässigen, sehr ehrenwerten Meinungsstreit - geht's nicht doch ein bißchen?... -, der todsicher nur eines leistet: Er beseitigt keine wirkliche Illusion über westliche Rüstung, sondern bekräftigt sie alle. Der gar nicht verkehrten Feststellung: "SDI ist strategisch gesehen kein Fortschritt in der Friedenssicherung" lassen sie nicht die gar nicht so schwierige Schlußfolgerung folgen: "Also ist SDI strategisch gesehen ein Fortschritt in der Kriegsvorbereitung", sondern sie setzen ein empörtes, vorwurfsvolles Ausrufezeichen. So viele Kriegsmittel höchsten Kalibers können offenbar auch die größten Aufrüster der Weltgeschichte einfach nicht hinstellen, daß ihrer friedliebenden Opposition einmal Zweifel daran kämen, ob "Friedenssicherung" wirklich der letzte Zweck demokratischer Po- litiker ist! Lieber wollen Friedensmenschen ihre politischen Chefs wie schon bei der "Nachrüstung", so auch bei SDI, darüber aufklären, daß ihre Rüstungsmaßnahmen bloß ein einziger großer Irrtum seien - "Erstschlag" statt "Friedenssicherung"; nicht nur "defensiv", sondern auch "offensiv"; "Chancen von Abrüstungsver- handlungen verschlechtert" -, als daß sie deren T a t e n ein- mal die politischen A b s i c h t e n entnehmen. Diese Enthaltsamkeit ist um so weniger zu entschuldigen, als der Schluß vom Mittel auf den Zweck gerade im Fall des SDI-Programms schon allein deswegen keine technologische Forschung erfordert, weil beständig sehr anschaulich vorgeführt wird, wozu die ange- strebten Abfangwaffen tatsächlich t a u g e n s o l l e n. Die strategischen Machtmittel d e r S o w j e t u n i o n sollen wirkungslos zerplatzen: Ist die A b s i c h t nicht klar genug? Nein, nicht für Parteigänger der Freien Welt, die noch die erle- sensten Kriegsphantasien und strategischen Hochrechnungen ihrer Führung nicht unter "Erpressung" und "Weltmacht" abheften, son- dern unter "zweifelhafter Schutz". Der zweite Hauptsatz deutscher Fachkompetenz: --------------------------------------------- Ehre für Stand und Vaterland ---------------------------- Was bleibt übrig ? Das Pochen auf öffentliches Gehör, und zwar ausgerechnet mit dem Fingerzeig auf die g u t e n D i e n s t e für den demokratischen Kapitalismus, denen so staatstragende Men- schen wie Max-Planck-Gesellschafts-Mitglieder und deutsche Inge- nieure ihr öffentliches Ansehen verdanken. Mit genau dem selben Lob der staatsbürgerlichen Verantwortung von Naturwissenschaft- lern hat Ronald Reagan bei seiner Vorstellung des SDI-Projekts die US-Rüstungsfachleute zur Fahne gerufen - offenbar zweifelt er nicht im mindesten an deren Loyalität, wenn er schon heute mit einem Waffenprogramm politische Erpressungen startet, dessen Be- standteile seine Fachidioten ihm erst noch beschaffen sollen! Als erwiesenermaßen gute, anerkanntermaßen gewichtige P a t r i o t e n melden sich die initiativ gewordenen bundes- deutschen Experten zu Wort - logischerweise mit nichts als einem guten und gewichtigen P a t r i o t i s m u s, der mit seiner skeptischen Ablehnung des SDI-Programms nur eins beweist: Da ha- ben Leute gemerkt, wie w e n i g e h r e n v o l l es ist, vom großen Bruder zu Hilfsarbeiten für ein "Friedens- sicherungskonzept" geladen zu werden, das gar nicht auf deutschem Mist gewachsen und für die eigene Nation auch leicht eine Nummer zu groß ist. Wie sollte auch ein Stand, der sich seiner Staatsbürgerpflicht bewußt ist, an den zuständigen Sachwaltern der Nation etwas anderes auszusetzen haben als Fehlgriffe bei der Mehrung des n a t i o n a l e n E r f o l g s! Dies die Einwände, die vom Standpunkt dieses (gar nicht so besonders) alternativen Nationalismus aus zustandekommen: - Unsere bombige Wirtschaftsmacht, die den Rest der Welt mit Er- folg von sich abhängig gemacht hat, könnte Schaden nehmen: Unter- suchungen "zeigen, daß SDI für die Wirtschaft der Industrienatio- nen und damit (!) vielleicht für die Weltwirtschaft ruinös sein kann." Bei eurer Begründung, werte politökonomische Dilettanten, für eure tiefe Besorgnis ums Gelingen des imperialistischen Wachstums - "weitere Steigerung der Staatsverschuldungen" - kann euch übri- gens Mr. Reagan ganz praktisch beruhigen: Der hat mit Rekord-Auf- rüstung und Rekord-Staatsdefizit den größten Wirtschafts- und Dollar-Boom hingekriegt. Ob das der D-Mark nicht auch guttäte? - Unser großartiges Europa könnte vielleicht mit SDI die Gelegen- heit einbüßen, die ganze US-Militärmacht als ihr Mittel gegen den Osten zu benutzen: SDI stellt keinen Fortschritt dar, "weil es zur Abkopplung Euro- pas führt (SDI ist zur Abwehr von strategischen Waffen, nicht ge- gen Mittelstreckenraketen und taktische Atomwaffen konzipiert)." Keine Sorge, ihr Amateurstrategen! Eure Sorgen werden bei den po- litischen Strategen in Amt und Würden schon Berücksichtigung fin- den - schließlich laufen sie auf das I d e a l v o l l- k o m m e n e r w e s t l i c h e r Ü b e r l e g e n h e i t in allen Sparten der Kriegsmittel hinaus. Berücksichtigung zwar nicht im Sinne der Kriegs v e r m e i d u n g; für demokratische Kriegsherren sind eigene Opfer an Land und Leuten eben kein Einwand gegen einen Krieg, wenn er nur Sieg verheißt. Aber für eure überaus konstruktiven Bedenken in Sachen W i r k s a m- k e i t der Kriegsmittel für E u r o p a - W e s t werden so bewährte Fachleute wie die Herren Weinberger, Rogers, Wörner oder Hernu doch für passende Antworten zu sorgen imstande sein. Ein SDI-Programm plus ein europaeigenes EUREKA-Programm, die beide den Osten das Fürchten lehren: wäre das eine passable Lösung? Mag sein, daß kritische Naturwissenschaftler diese Konsequenz we- der denken noch billigen würden. Das heißt aber nur: Sie haben sich nie klargemacht, was sie schon alles unterschrieben haben. Zu einem modernen nationalistischen Standesdünkel gehört in der Demokratie doch allemal das gute Gewissen, von so etwas kein biß- chen infiziert zu sein! zurück