Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral


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       Verteidigungsministerium contra kritische Naturwissenschaftler
       

IRRWEGE DER SDI-KRITIK - HINWEISE EINES KRIEGSPLANERS

Der Planungschef im Verteidigungsministerium Hans Rühle hat sich in einem Beitrag im "Spiegel" kritisch mit dem 'Credo' des kriti- schen Naturwissenschaftlers Hans Peter Dürr gegen die 'Strategische Verteidigungsinitiative' auseinandergesetzt. Diese Antwort aus Wörners oberster Amtsstube zeichnet sich durch zwei- erlei aus: durch die Lässigkeit, mit der Rühle auf eine Widerle- gung der Einwände im ernsthaften Sinne verzichtet, und durch die Tatsache, daß er mit der Logik eines Rüstungsplaners gleichwohl die Schwächen der Rüstungskritiker ziemlich schonungslos auf- deckt. Das liegt freilich nicht an ihm. "Wissenschaftler gegen SDI" --------------------------- Soviel weiß man inzwischen von den "Wissenschaftlern gegen SDI", die in der Bundesrepublik auf sich aufmerksam gemacht haben. Ihre Kritik am amerikanischen Weltraumwaffenprogramm ist weitaus kom- plizierter als das einfache Argument, daß sich hinter der Rede von der "Militarisierung des Weltraums" nichts weiter verbirgt als der politische Wille der NATO zum konsequenten Aufbau einer voll aktionsfähigen Militärmacht, deren logischer Endpunkt die Schaffung einer effektiven Raketenabwehr ist. Die "Wissenschaftler gegen SDI" treten überhaupt nicht mit einer Theorie über die westliche Kriegsvorbereitung in Erscheinung, sondern verstehen sich als gute Menschen, die gegen den Krieg sind. Sie produzieren sich daher als brave Staatsbürger, deren Rüstungskritik die Gestalt einer eigentümlichen Sorge angenommen hat, die sie im Grunde gar nichts angeht. Die "Wissenschaftler gegen SDI" wenden sich an die Rüstungsmacher der NATO und strei- ten mit ihnen über ihre Befürchtung, daß die Absichten und Kalku- lationen, mit denen der Westen sein SDI-Projekt verfolgt, womög- lich gar nicht in die Tat umgesetzt werden könnten. Eine Kritik ist es schon, wenn diese Wissenschaftler die Behauptung in die Welt setzen, SDI sei ziemlich unrealistisch und daher s i n n l o s. Sie scheinen sich aber durchaus im klaren darüber zu sein, daß derartige Vermutungen mit dem Geschäft von A u f r ü s t u n g s kritik nicht das Geringste mehr zu tun ha- ben; denn man findet bislang bei ihnen kein Dokument, in dem sie sich überhaupt mit den Absichten und Kalkulationen selbst be- schäftigen, deren Realitätstüchtigkeit sie in Zweifel ziehen. Was man ihren Manifesten - so auch dem Aufsatz von Dürr im "Spiegel" - entnimmt, ist statt dessen der Eindruck, daß diesen Wissen- schaftlern kein gängiger Maßstab aus dem politischen Planungs- und Entscheidungsprozeß der NATO-Rüstungskanzleien zu billig ist, um ihn nicht für die Glaubwürdigkeit ihrer Sorgen herauszuputzen. Das ist in der Tat die Leistung der Wissenschaftler: Sie haben es geschafft, der Rüstungskritik in der Bundesrepublik den letzten Rest von Befassung mit der Sache auszutreiben und sich nur noch bei Erbaulichkeiten aufzuhalten, wie sie unvermeidlich auftreten müssen, wenn der bürgerliche Antimilitarismus sich verwandelt in die Recherche, ob SDI überhaupt kosteneffektiv genannt werden dürfe. Die Überprüfung von SDI hinsichtlich ihrer Kosten gibt das Niveau aller Bedenklichkeiten an, mit denen sich die "Wissenschaftler gegen SDI" gar nicht lächerlich vorkommen. So fragen sie die Kriegsplaner von SDI besorgt, ob sie denn auch an alle möglichen G e g e n m a ß n a h m e n der Russen gedacht haben. So fragen sie sich überhaupt, ob der n a t i o n a l e n S i c h e r h e i t nicht durch alternative Verteidigungsstrate- gien besser geholfen wäre. Sie sehen überhaupt nicht die Aussicht auf einen Fortschritt in der R ü s t u n g s k o n t r o l l e, wenn SDI Wirklichkeit werden sollte. Sie weisen im Detail nach, daß auch bei bestem Gelingen von SDI ein totaler S c h u t z der Bevölkerung nicht eintreten wird. Und sie halten es im Ernst für einen Einwand gegen die Rüstungspolitiker, daß das SDI-Pro- jekt der s t r a t e g i s c h e n S t a b i l i t ä t zwi- schen den Großmächten nicht förderlich sein werde und die E r s t s c h l a g s g e f a h r wachse. Der Fehler der "Wissenschaftler gegen SDI" läßt sich auf den Begriff bringen: Sie halten Wettrüsten für eine Idylle und die westliche Politik für ihre natürliche Schutzinstitution. Hans Rühles Pamphlet... ----------------------- Der Planungschef des Bonner Verteidigungsministeriums hat bei seinem geistigen Kampf gegen "den Kampf" der "Wissenschaftler ge- gen SDI" gegen diesen Fehler selbstredend nichts einzuwenden. Der Gesichtspunkt von Herrn Rühle in seiner Breitseite gegen Dürr und sein "klassisches Produkt" eines "esoterischen brainstorming" be- steht nicht darin, die Einlassungen der SDI-Kritiker nach Restbe- ständen von Argumenten gegen die NATO durchzugehen - dazu besteht wahrhaftig kein Anlaß. Die unverschämten Ausfälle dieses Wendebü- rokraten gegen die braven Wissenschaftler - Rühle bezichtigt sie glatt der "wissenschaftlichen Skrupellosigkeit", des "militär- strategischen Dilettantismus" in Tateinheit mit "politischer Einseitigkeit", schließlich, als Gipfel, des Mißbrauchs der guten "deutschen Naturwissenschaft" - verdanken sich allein seinem Haß gegen ein selbstgefälliges Expertentum, das sich weigert, ohne Wenn und Aber und vor allem mit der nötigen Begeisterung im großen Aufrüstungsbauwerk der NATO teilzunehmen. Da schwillt der ideologische Kamm des Herrn Rühle, wenn er sich an seiner Entlarvung erfreut, daß es sich bei dem Versuch der Dürr- Gemeinde, "Stimmung" im Lande zu machen und Zweifel am Gelingen von SDI zu schüren, nur um die vergebliche Anstrengung handelt, mit Berufung auf das - längst abgehalfterte! - "wissenschaftliche Establishment des amerikanischen Ostküsten-Liberalismus" Glaubwürdigkeit gegenüber einer deutschen Bundesregierung und ihren entschiedenen Einsatzes für SDI erzielen zu wollen ...und sein harter Kern ----------------------- Rühle stellt in seinem Artikel im Spiegel auch ein paar Wahrhei- ten über die erpresserischen Kalkulationen dar, die die NATO mit SDI verbindet, auch ohne allzu konkret werden zu müssen. Daß die USA mit SDI eine ungeahnte Verstärkung ihrer Vergeltungskräfte erreichen und nicht eine Schwächung der Abschreckung, kein kriti- scher Wissenschaftler kann dies dem Planungschef von Wörner wi- derlegen - und was könnte es sonst für ein "Argument" für SDI ge- ben als die unablässige Vervollkommnung der dem Westen offenste- henden militärischen Optionen gegen die Sowjetunion? SDI am Ideal einer p e r f e k t e n Verteidigung zu messen, wofür Verteidi- gung reichlich unmilitärisch mit "Schutz der Bevölkerung" assozi- iert wird, das findet Rühle mit Recht ziemlich hirnverbrannt. Der Erwägung kritischer Prüfer, bereits "ein Prozent der sowjetischen Raketen - cirka 100 Sprengköpfe - genügten, in den USA einen nicht hinnehmbaren Schaden zu verursachen", und kein noch so gutes SDI-System könne diese Tatsache aus der Welt schaffen, hält der militärische Fachmann kühl entgegen, wie sich der Dritte Weltkrieg wirklich berechnet. Angesichts von "cirka 2000 gehärte- ten Zielen in den USA" nütze den Russen das Durchbringen von "lediglich (!) 100 Sprengköpfen" gar nichts, und das umso mehr, weil sie danach der noch ziemlich intakten "amerikanischen Ver- geltung" ausgesetzt sind. Was bei Rühle vom Einwand der SDI-Kri- tiker übrig bleibt, ist somit der ernste Vorwurf an sie, das so- wjetische Militär für Idioten zu erklären, wenn denen solch ein "unrealistisches Erstschlagskalkül" unterstellt wird. Selbstbe- wußt präsentiert der Bonner Kriegsstratege daraus den Schluß, be- reits ein "begrenzt wirksames strategisches Defensiv-System" zwinge den Feind zu der Lagebeurteilung, "daß er seine Ziele nicht erreichen kann". So siegesgewiß wie bei seiner Polemik ge- gen das Ideal einer perfekten Verteidigung tritt Rühle an, wenn es um die Beschwörung der Erstschlagsgefahr geht, die dem Westen nach Meinung der SDI-Kritiker durch die Russen blühe, weil sie sich durch ein SDI-System provoziert fühlen müßten. Auch hier schlägt er die SDI-Kritiker mit ihren eigenen angewandten Be- trachtungsweisen. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die angestrebte Kalkulation der NATO, gerade mit SDI jede erdenkliche von Kriti- kern wie Dürr an die Wand gemalte Erstschlagsgefahr durch den Feind ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Hierfür fragt er demagogisch, weil den Erfolg von SDI bereits unterstellend, ob jemand übersehen wolle, was sich die Russen ohne SDI in einem Krieg gegen die NATO so alles erlauben könnten. Umgekehrt ist aber nach Rühle durch SDI für die USA eine solche Überlegenheit erzielt, die das sowjetische Militär schachmatt setzt, weil ihm die Möglichkeit entzogen ist, mit einem Erstschlag zu drohen: "Um dasselbe Ergebnis zu erzielen, das sie heute mit 6000 Gefechts- köpfen gegen 2000 Ziele erreichen kann, müßte die SU dann 400.000 Gefechtsköpfe einsetzen." Und 400.000 Gefechtsköpfe, meint Herr Rühle, das sei so schnell selbst den Russen nicht zuzutrauen! Was die t e c h n i s c h e n Probleme bei der Produktion von SDI angeht, die der SDI-Kritik so viel Kummer bereiten, so ist es un- serem Mann von der Hardthöhe einigermaßen peinlich, wie sehr die Sachkenntnis bei manchen deutschen Naturwissenschaftlern zu wün- schen übrig läßt. Das Sündenregister, welches Rühle den SDI-Kri- tikern in diesem Punkt vorhält, ist ebenso lang wie langweilig, darüberhinaus wenig anfechtbar. Er ist schließlich Geheimnisträ- ger der Bundeswehrführung, darf mit Neuigkeiten aus Los Alamos protzen und Optimismus verbreiten über die konkurrenzlose Klasse der amerikanischen Kriegsindustrie. Daneben hat Herr Rühle genügend Scharfsinn übrig, den gedankli- chen Fehler aufzudecken, den SDI-Kritiker gewöhnlich begehen, wenn sie den Nutzen von SDI mit dem scheinbar plausiblen Hinweis bezweifeln wollen, G e g e n m a ß n a h m e n wären effektiv bereits vorhanden. Dieses Kalkül hält Rühle für eine Milchmäd- chenrechnung, wobei er gar nicht falsch liegt. Die Möglichkeit von Gegenmaßnahmen gegen die SDI ist für den NATO-Fachmann zwar ein weites Feld zum Nachdenken im Generalstab; die d e r z e i t i g e n Raketengenerationen, welche die Sowjets unterhalten, seien aber auf alle Fälle n i c h t zur Überwin- dung des SDI-Systems zu gebrauchen, womit der gute Mann schon wieder wie von selbst bei der unbedingten Notwendigkeit von SDI angekommen ist. Reiner Unsinn liegt laut Rühle schließlich vor, wenn SDI-Kritiker als "Hauptschwäche" des Kriegs im Weltraum ent- larvt haben wollen, daß "wir" in Europa an dieser Dimension des Weltkrieges nicht teilnehmen dürfen, weil SDI nur für die natio- nale Sicherheit der USA vorgesehen sei. Auch in diesem Punkt ha- ben die "Wissenschaftler gegen SDI" keinen Widerspruch in der Kriegsvorbereitung der NATO gefunden, behauptet Rühle mit Recht. Aus der Tatsache, daß die USA durch SDI nicht die "g e s a m t e nukleare Bedrohung", sprich die g e s a m t e russische Rake- tenstreitmacht bekämpfen können, folgt lediglich, daß für die NATO-Mächte Frontabschnitt Europa die Produktion eines e r g ä n z e n d e n Waffensystems nach dem Vorbild der SDI oberste Priorität hat. Schon wieder eine kleine N a c h r ü- s t u n g also zur Liquidierung von Eurolücken: Klar, "daß ein strategisches Defensiv-System ergänzt werden muß durch Systeme zur Abwehr von nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen, Cruise Missiles sowie zur verbesserten Luftabwehr." Woran die SDI-Kritiker das Vorhaben messen, also die Liste mögli- cher "Risiken", angefangen von technischem Versagen über die wirtschaftliche Ruinierung des Westens bis hin zu unerwünschten Unfreundlichkeiten der Russen, an und mit allen diesen fiktiven Beurteilungskriterien für SDI beweist der Rüstungsplaner Rühle Kritikern wie Dürr nur eines: daß sie Miesmacher und Hasenfüße sind. Mehr als m i t ideologischen Titeln wie Sicherheit, Ko- sten, Verteidigung, Stabilität, Erstschlagsgefahr etc., die Not- wendigkeit von SDI herzuleiern, braucht Rühle sich nicht anzutun, schon weil er mit Recht davon ausgeht, daß er sich in einem Glau- benskampf um SDI zu bewähren hat, in dem die streitenden Parteien nicht zuletzt durch ein gemeinsames ideologisches Fundament ver- bunden sind. Dazu gehört die Befriedigung von Rühle, in der Bundesrepublik werde die Debatte um SDI "wesentlich durch t e c h n i s c h e Argumente dominiert"; womit er allerdings auch zu Protokoll gibt, daß eine "Debatte" gar nicht stattfindet. Alles, was in der Öf- fentlichkeit passiert zu diesem Thema, ist die Ausbildung poten- tiell jedes Staatsbürgers zu einem "hobby"-Leser. Die Leute krie- gen die Großartigkeit eines Rüstungsprojekts in allen Einzelhei- ten ausgemalt. Das gläubige Anstarren und die Verherrlichung der Leistungskraft eines Kriegswerkzeuges gehört nun einmal zu der ideologischen Massenbetreuung durch Kriegsnationen, die das öf- fentliche Leben nur noch in einer Hinsicht gestalten: in der freudigen Erwartung auf den erlösenden Durchbruch an der militä- rischen Front. Genauso wird der Menschen heute das SDI-Projekt eingetrichtert: als die Lösung a l l e r Probleme, die sich der NATO in ihrem fortwährenden Überlegenheitskampf gegen die sowje- tische Aufrüstungsgegenwehr bislang hartnäckig summierend in den Weg gestellt haben. Punkt für Punkt macht Rühle die Argumentation der "Wissenschaftler gegen SDI" fertig und tut sich nicht schwer da- mit. Sein Verfahren besteht einfach darin, die Waffen der Kriti- ker gegen diese selbst zu kehren, genauer betrachtet souverän da- mit zu jonglieren, daß er sowieso nur mit zahnlosen Rüstungs- kritikern zu tun hat. zurück