Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
zurück H.-E. Richter, "Amerikanismus, Antiamerikanismus - oder was sonst?"NATIONALE GESINNUNGSHYGIENE VOM OBERSTEN SEELENWART
Horst-Eberhard Richter gilt - gerade bei kritisch gesonnenen Leu- ten - als führender Vertreter der Psychologie, nicht zuletzt des- wegen, weil er laufend zu aktuellen politischen Streitpunkten und Auseinandersetzungen Stellung nimmt. Was diese Sorte politische Psychologie bewegt, dafür hat Richter mit seinem Aufsatz "Amerikanismus, Antiamerikanismus - oder was sonst?" (Psyche 7/86, S. 583 ff.) ein Lehrbeispiel abgeliefert: Ein Sorgerecht des Wissenschaftlers für die intakte nationale Gesinnung. Die Konjunkturen des Nationalismus: ----------------------------------- prekäre Zustände der Volksseele ------------------------------- Richter hat seinen Aufsatz geschrieben, kurz bevor im Zusammen- hang mit der aufgeregten Debatte um das BRD-nationale Pro und Contra einer Abrüstung der Mittelstreckenraketen die hiesigen parteipolitischen Fronten um den "Pro-" oder "Antiamerikanismus" etwas in Bewegung geraten sind - bevor also die SPD nicht umhin- kam, Ronald Reagan herzlich beizupflichten, und ein Alfred Dreg- ger im Pershing-Abzug ein bißchen US-Verrat an deutschem Atom-Be- sitzstand witterte. So etwas hat Richter nicht vorausgesehen; er geht also von der Situation aus, als in der bundesdeutschen Par- teienkonkurrenz die politischen Kampfbegriffe "Pro-" und "Antiamerikanisus" ziemlich eindeutig den Regierungs- bzw. den Oppositionsparteien zuzuordnen waren. Daß diese demokratischen Stilmittel dem Kontrahenten wechselseitig Vaterlandsverrat vor- werfen, also auf ein Publikum von Nationalisten berechnet sind, stört Herrn Richter nicht im geringsten. Im Gegenteil: Er teilt in diesem Streit die politische Linie der Opposition. Und zur Be- gründung führt er eine angebliche innere Notwendigkeit im Seelen- haushalt der Deutschen an: "Dem in der BRD so häufig als Vorwurf gebrauchten Begriff des An- tiamerikanismus ist der eines paranoiden Amerikanismus gegenüber- zustellen", und zwar als "Folge eines primären Identitätsdefi- zits". "Damit meine ich eine bis ins Unbewußte hinabreichende psychische Amerikanisierung, die weite Teile unserer Bevölkerung kennzeichnet". (583) Die von den Machern der Wende erfundene nationalmoralische War- nung vor "Antiamerikanismus" kontert Richter mit einer politpsy- chlogischen Retourkutsche: Hier sei unter Angehörigkeit der deut- schen Nation ein auswärtiger Geist am Wirken ("Amerikanismus"), was für den Psychologen allen Ernstes gleich so viel bedeutet wie eine seelische Krankheit ("paranoid")! Das ist also der Weisheit erster (und letzter) Schluß, den der ehrenwerte deutsche Psycho- analytiker seiner Gemeinde mitzuteilen hat: Eine Schieflage der Volksseele sei zu konstatieren, weil es der an "Identität" fehle. Was das Bei-sich-sein der Leute in Richters Weltanschauung aus- macht, geht aus seiner Diagnose des "Defizits" als 'zu viel vom Ausland übernommen' mit aller Deutlichkeit hervor: E c h t d e u t s c h zu sein, soll bei Leuten, die ungefragt mit einem deutschen Paß beglückt worden sind, d a s Merkmal von "Identität" sein. Die einem Psychologen offenbar selbstverständ- liche Auffassung 'ohne Nationalcharakter kein Charakter' ist schon ein starkes Stück: Immerhin wird da der puren Existenz von Staatswesen ohne Umstände entnommen, daß deren Angehörige dann gleich die sozusagen geborenen Mitmacher ihrer jeweiligen Nation sein müssen, deren - glückliche oder unglückliche - Elementarbe- findlichkeit vom glücklichen oder unglücklichen Zustand ihres Staates abhängen soll. Daß die zufällige Zugehörigkeit zu dieser oder jener National-Mannschaft überhaupt nur durch die Z w a n g s g e w a l t einer nationalen Obrigkeit über ein Stück Territorium samt darauf ansässiger Menschheit und deren Le- bensbedingungen zustandekommt, dort also eindeutige Verhältnisse zwischen Kommandogewalt und Untertanen herrschen, ist vom Psycho- logen in ein innermenschliches Harmonieverhältnis verwandelt, bei dessen 'Störung' das Mißlingen des Menschseins zu befürchten steht. Mit dieser psychologischen Elementarideologie ausgerüstet, steigt Richter den Konjunkturen des bundesdeutschen Nationalismus der Nachkriegszeit nach. Dabei propagiert er die polit-psychologische Gleichung 'deutsche Menschen finden ihren Seelenfrieden nur in wirklich deutschen Verhältnissen', so daß er ihr Vorhandensein besonders auf regierungsamtlicher Seite immerzu vermißt. Der Bündnisnationalismus als ---------------------------- "Symptom einer großen Identitätsschwäche" ----------------------------------------- Darin besteht denn auch schon Richters Methode, sein psychologi- sches Phänomen zu präsentieren; "das ich als westdeutschen A m e r i k a n i s m u s bezeichnen möchte" (583). Dabei ist dem Richter zunächst klar - wie jedem nationalbewußten Bundes- deutschen -, daß das heutige 'Wir sind wieder wer!' Marke BRD auf-der Beteiligung an der Nachkriegsordnung Marke USA beruht, ohne die nichts liefe in Sachen Welt-Geschäft und Welt-Gewalt: Da gibt es "bedeutende politische, wirtschaftliche und militärische Interessen", die "die BRD mit den USA verknüpfen", sowie "unvergessene Hilfeleistungen" bei der Befreiung von Hitler, bei der Berlinblockade usw., mit denen "die Amerikaner sich unsere besondere Loyaliät verdient" hätten, Kriegsbündnis NATO also in- begriffen - alles keine Frage für den Herrn Friedenspsychologen. Bloß: Anno 86 entdeckt der kundige Interpret des nationalen See- lenhaushalts, der sich bis dato vorwiegend um das rechte Maß an 'Trauerarbeit' wg. Drittem Reich gesorgt hat, an der "Antiamerikanismus"-Agitation der christliberalen Regierungen Symptom für eine Art undeutsche Über-Reaktion, ein "Symptom einer großen Identitätsschwäche": "Für weite Kreise der Bevölkerung bedeuten die USA weit mehr als eine äußere Führungs- und Schutzmacht. Amerika gibt ihnen inneren Halt und kompensiert ihre tiefe Selbstunsicherheit." (583) Psychologisieren ist offenbar ein Verfahren, das Heruntermachen dessen, was einem auf der Welt nicht paßt, mit dem Schein einer t i e f i n n e r l i c h e n Problematik zu versehen. Und da kennt ein Richter sich aus. Allerdings ist kaum zu übersehen, da gar kein p s y c h o l o g i s c h e s 'Problem' den Anlaß für seine Unzufriedenheit abgibt - seit wann ist "innerer Halt", wenn er nur vorhanden ist, für einen Psychologen etwas Bedenkliches? Vielmehr bildet seine offensichtliche Vorliebe für die konkurrie- renden Sprachregelungen des Alternativnationalismus der SPD-ge- führten Opposition den Leitfaden seiner Nörgelei: Deren öffentli- che Bemühungen, die Regierung als "blinde Amerikanisten" mit "automatischem Amerika-Gehorsam" (585) undeutsch und schwach aus- sehen zu lassen - jedermann als Buhlen ums national gesinnte Stimmvieh geläufig -, dienen ihm zuvorderst als Belastungs-Zeugen für das monierte Zuviel an "Identifizierung" mit den Amis. Und die weiteren Belege hierfür bestehen im Nachbeten der despektier- lichen Geschmacksurteile intellektueller Gemüter über eine Häu- fung amerikanischer TV-Serien im deutschen Fernsehen (583; statt mehr Schwarzwaldklinik und dalli dalli?). Richter möchte das p o l i t i s c h e Ideal jedes Nationali- sten, daß seine Nation vor keiner Großmacht klein beizugeben braucht, mit der Fiktion von einem g e s u n d e n N o r m a l- m a ß n a t i o n a l e n S e l b s t b e w u ß ts e i n s un- termauern, das sich dann, bei "innerem Halt" Marke Deutschland, auch mit Loyalität zum großen Bruder durchaus verträgt - von gleich zu gleich eben. Dazu hat er das allgemeine psychologische Menschenbild, demzufolge der Mensch in der gelingenden Anpassung an "die Umwelt" - e g a l welche - sein inneres Gleichgewicht ins Lot bringen und so in der Versöhnung mit der ohnehin dominanten Realität sein Glück finden muß, regelrecht n a t i o n a l i s i e r t: "Wenn man nicht mehr sicher ist, auf welche eigenen Mythen, Tra- ditionen, Ideologien man sich stützen kann, borgt man sie sich eben von außen. Wenn man zweifelt, ob man, was man von den Vätern geerbt hat, erwerben darf, um es zu besitzen, dann sucht man Halt durch Identifizierung mit idealisierbaren Ersatzeltern." (583/4) Eigenartig: Wenn der Herr Psychologe schon die hohe Auffassung vom "Menschen" pflegt, dessen nötigstes Lebensmittel es sei, sich geistigen U n f u g ("Mythen, Ideologien" ) zum Zwecke eines grundlosen S i c h - E i n r e i h e n s ins höhere Ganze ("Traditionen") vorzumachen wieso tun es denn dann f r e m d e nicht genau so gut? Zwar gibt die Logik der einen Psycho-Idiotie ihre Differenzierung in "eigen" und "von außen" gar nicht her, aber wer wird schon kleinlich sein, wenn es um die gute Sache ei- ner nationalen Sinnstiftung geht. Und da tut die andere Psycho- Idiotie ebenso gute Dienste, das vertraute Bild vom Kleinkind, das mit der Muttermilch auch den Seelenhalt einsaugt von Herrn Richter gleich total locker ausgedehnt auf den 'Vater' S t a a t, offenbar - gerade in psychologischer Sicht - d e r Lebensbedingung jedes Menschleins. Zwar ist es wiederum nicht be- sonders folgerichtig, wenn die Leute einerseits ihrem Staat schlechterdings nicht auskommen können, andererseits, wenn der Staat D e u t s c h l a n d heißt und gerade ein vergeigtes Drittes Reich zu vererben hat, dann auf Pflegeeltern umzusatteln - aber die Botschaft ist klar: Des Menschen erstes Bedürfnis ist das von keinem Vorbehalt getrübte Aufgehen in seinem nationalen Verein, und es kann einfach nicht gutgehen, wenn man dafür auf eine f r e m d e Obrigkeit schielen muß. Darin ist Richter wirklich einmal konsequent: Wenn Nationalismus schon ein Muß ist, dann in Deutschland eben deutscher! Hitler und die Folgen im nationalen Seelenhaushalt -------------------------------------------------- Daß nun "weite Teile unseres Volkes" dem Gütesiegel eines intak- ten nationalen 'Wir', d e m Wertmaßstab des Seelenkundlers, ganz und gar nicht genügen, dafür weiß Richter freilich schon wieder eine Notwendigkeit. Der Ex-Großmeister in Sachen Größe Deutschlands, der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, habe bei der Benutzung "einer Generation", die "ihre Opferbereitschaft für das Volk, vertreten durch den Führer, als ihre wichtigste Bestim- mung" anzusehen gelernt habe, f a l s c h g e s p i e l t: "Aber statt Treue war absoluter Gehorsam gemeint, Verzicht auf Mündigkeit." Das ist gut: Treue zur Nation s t a t t Gehorsam! Jedenfalls teilt Richter mit, daß sein Ideal von "Mündigkeit" mit total u n gezwungenem Ja-Sagen zur Unterwerfung unter die Zwangsgeeinschaft namens Nation zusammenfällt. Hitler indes, of- fenbar auch so ein ausgefuchster Volksseelenkenner, soll zur "Entschädigung für diese Entmündigung" für seine Volksdeutschen lauter offenbar höchst attraktive Angebote an den "Narzißmus der Individuen" parat gehabt haben, nämlich auf "Partizipation an der grandiosen (!) fiktiven (!) Einheit Volk, Reich, Führer" (alles 586). Was einem Psychologen alles so einleuchtet: Soeben vom Staatschef um ein echtes nationales 'Wir' betrogen, ist es doch nur konsequent, daß die Deutschen ihrem Führer dann deshalb fol- gen, weil der ihrem schlechteren, nämlich selbst- statt staats- verliebten Ich Avancen macht, und zwar mit unwiderstehlichen Staats-Shows, bei denen nur leider nichts dahinter war... Für einen Richter hätte es schon eine n i c h t - "fiktive Einheit Volk, Reich, Führer" sein müssen, aber in puncto Einseifen der normalen Menschheit findet er den größten Blödsinn, den er sich ausdenken kann, sehr plausibel - so geht das herablassende Ver- ständnis à la Richter, wenn er das beliebte 'Wie konnte es nur dazu kommen?' mit einer psychologischen Unausweichlichkeit be- dient. Jedenfalls muß Richter dem Führer von damals anlasten, daß er einen ungebrochenen positiven Haushalt der Nationalseele ganz gründlich vergeigt hat. Wie standen die Deutschen bloß da anno 45! "Aber wer sagte ihnen jetzt, wer sie waren, welche Sprache sie sprechen, welchen Konzepten sie folgen sollten? All das lieferten uns im Westen umgehend die Siege, an deren Spitze die Amerikaner. Die funktionierten wie ein neues Animationssystem, das die Iden- titätsleere ausfüllte." (587) Na also, wenn das die Menschheit braucht: 1. eine starke Führung und 2. eine glaubhafte, weil s i e g r e i c h e, dann war doch alles in Butter, oder? Natürlich nicht: "Es war durchaus keine mühsame, sondern eine ersehnte, rettende Anpassung, freilich ein eher mechanischer Prozeß; die Flucht aus einer Hörigkeit in die nächste." (ebd.) Daß diese "rettende Anpassung" an die Führungsmacht von freedom und democracy gleich wieder "Hörigkeit" und "nur vertauschte Ab- hängigkeit" (ebd.) heißt, verdankt sich Richters feiner nationa- ler Differenzierungskunst, wonach "Identität" und "Mündigkeit" erst dann als geglückt gelten können, wenn die Sinnstiftung fürs Menschlein auch ganz eigenstaatlich erfolgt. Der Mensch als Volksgenosse braucht eine e i g e n e e r f o l g r e i c h e Führung - im Namen seines Seelenheils. So viel zum Thema Rassismus und Psychologie. Das bessere Deutschland im Anmarsch ----------------------------------- Und heute ist es so weit. Die BRD ist längst der Rolle als 'politischer Zwerg' entwachsen; da brauchen "wir" auch kein na- tionales Anlehnungsbedürfnis mehr. Auf diesem Hintergrund hält der bundesdeutsche Seelenhygieniker vom Dienst den politischen Vorwurf namens "Antiamerikanismus" für schlichtweg kontraproduk- tiv: "Hier werden also falsche Wir-Gefühle geschürt. Ein neues gemein- schaftliches Identitätsbewußtsein jenseits der Kategorie von Ame- rikanismus versus Antiamerikanismus statt dessen kann nur von un- ten, von der Basis aus wachsen, indem wir uns überall - in den Familien, an Schulen und Universitäten, in den Berufsgruppen, in den Gemeinden und den diversen gesellschaftlichen Organisationen - der Vergangenheit stellen, ohne deren Akzeptierung uns die En- ergie und der Mut weiterhin fehlen würden, uns ein neues eigen- ständiges Deutsch-Sein zu erarbeiten, das weder für eine Blut- und-Boden-Ideologie anfällig ist, noch von vornherein der Stabi- lisierung gegen ein Nicht-Wir, gegen Anders-denkende, Minderhei- ten oder gar eines dämonisierten Weltfriedens bedarf." (589/9) So also hat der Richter sie immer schon angesehen und seiner Sym- pathie für würdig befunden die ganzen 'fortschrittlichen Menschen und Bewegungen' im Lande: als "Basis" eines "neuen eigenständigen Deutschseins", sprich: als glaubwürdige Zeugen für einen Nationa- lismus mit gutem Gewissen! Dafür setzt er auf die weitere Kulti- vierung der bewährten Tour bundesdeutscher 'Vergangenheits- bewältigung', die ein schlechtes Gewissen über den erfolglosen Vorgängerstaat zur Schau trägt, damit die heutige Republik, ohne weiteres Ansehen ihrer Taten und Absichten, Anspruch auf moralische Hochwertigkeit geltend machen und so gleich wieder als maßstabsetzendes Prachtexemplar von Staatswesen weltweit Respekt erlangen kann. Diese Sorte nationaler Selbstdarstellung möchte Richter am lieb- sten als eine Art ewigen Kirchentag des guten bzw. des besseren Deutschland organisiert sehen, dem nichts und niemand entgehen kann. Die 'kritische Generation' mit ihrem Bedürfnis nach 'aufrechtem Gang' ernennt er zur "Basis eines neuen Deutsch- Seins", zur nationalen Ressource gewissermaßen - macht also aus tiefster eigener Gesinnung heraus Propaganda für die g a n z a u t o n o m e U n t e r w e r f u n g jedes einzelnen unter die höchste Gewalt jener Nation namens Deutschland. Dabei täuscht er sich freilich sehr, wenn er auf das Aufgehen ausgerechnet d e r Gleichung 'deutsch = nicht fremdenfeindlich, kein Feinbild etc.' hofft. Schließlich hat er mit seiner Konstruktion einer deutschen Volksseele selber deutlich genug dokumentiert, daß Na- tionalismus ohne A u s g r e n z e n - von Fremden bis zu Fein- den - schlichtweg nicht zu haben ist. zurück