Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
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Friedensbewegung
STATIONIERUNGSJAHR 1983
"Und wir werden in diesem Herbst den Anfang machen, wenn wir aus
diesem Parlament herausgehen, um uns mit all unserer Kraft und
physischen Existenz gegen die Stationierung der Raketen gewalt-
frei zu wehren...
Im Herbst werden wir auf der Seite stehen, wo die Knüppel der
Staatsgewalt auf die Menschen niedergehen werden, die die Statio-
nierung neuer Raketen aus Verantwortung vor sich und ihren Kin-
dern nicht hinnehmen können." (Marieluise Beck-Oberdorf, Die Grü-
nen, in ihrer Antwort auf Kohls Regierungserklärung. Aus: Süd-
deutsche Zeitung vom 6.5.83)
Daß 1983 das Stationierungsjahr neuer NATO-Raketen ist, betonen
die Bonner Verantwortlichen bei jeder Gelegenbeit - als gäbe es
überhaupt Zweifel an ihrem Willen oder gar ernstzunehmenden Wi-
derstand. Einen "heißen Herbst" kündigt Innenminister Zimmermann
an, als stünde die Republik auf den Barrikaden, wenn Anhänger der
Friedensbewegung "gewaltfreien Widerstand" ankündigen.
Seit geraumer Zeit bekundet die Friedensbewegung, daß ihr Konzept
"bewußt auch dann auf Rache und Gegengewalt (verzichtet), wenn
die Herrschenden zur Gewalt greifen und dabei eine Beeinträchti-
gung des Menschenlebens in Kauf nehmen." (Moderne Zeiten 5/83, S.
21)
Die ostentativ herausgestellte Gutartigkeit der Friedensbewegten
ist zwar rührend naiv in ihrer Vorstellung eines Wettbewerbs mit
einer Herrschaft, die vielleicht einmal "zur Gewalt greifen"
könnte, die sie längst hat und tagtäglich praktiziert, nützt ih-
nen indes wenig weil die Regierung längst beschlossen hat, auch
solche Kritik an ihrer Aufrüstung niederzumachen, deren Gegner-
schaft sich derart unterwürfig vorträgt, daß Fragen der Akti-
ons f o r m noch vor dem Inhalt rangieren. Wie die Axt im Walde
holzt Zimmermann gegen "verschiedene Erscheinungsformen des Ter-
rorismus" (Communique der EG-Innenminister zur Bekämpfung des in-
ternationalen Terrorismus), zu denen er vor der Fernsehkamera als
erste und einzige die Friedensbewegung als Kritikerin der
"Nachrüstung" zählt. Dieser Extremist im öffentlichen Dienst hat
blutige Köpfe längst einkalkuliert, um klarzustellen, daß das von
der Friedensbewegung ausgerufene "Entscheidungsjahr 1983" ganz
allein das deutscher Aufrüstung und Kriegspolitik ist.
1983 ist damit offiziell zum Entscheidungsjahr über die Friedens-
bewegung deklariert. Auf diese von höchster Stelle bekundete
V e r a c h t u n g der Friedensbewegung reagiert diese nicht
mit einer Besinnung auf Ziel- und Zwecksetzung des Gegners, son-
dern trostloserweise auf sich selber. Ihre e i g e n e
F u n k t i o n s f ä h i g k e i t stellt sie für den Herbst
zur Entscheidung. Sich selbst glaubt sie noch retten zu können,
wenn die Stationierung der NATO-Raketen denn nun schon über sie
hereinbricht:
"1983 - das wird das Entscheidungsjahr für die Friedensbewegung
in unserem Land, ob sie an diesem zielstrebig auf einen Atomkrieg
hinauslaufenden Plan noch etwas aufhalten, etwas verhindern
kann." (a.a.O., S. 40)
"Erscheinungsformen des Terrorismus"...
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Wie kommen die Leute der Friedensbewegung dazu, sich den Prügeln
nicht nur zu stellen, sondern ihre Ohnmacht auch noch für ein
gutes Argument gegen die imperialistische Politik der Bundesrepu-
blik zu halten? Die "Wucht" der Anklage des Staates durch demon-
strativ in Kauf genommene Opfer berührt diesen nicht im minde-
sten. Sie verbleibt im Bereich der Klage, die die Politiker ihren
Untertanen auch noch zynisch als Ausdruck demokratischer Freiheit
gewähren werden, anstatt umgekehrt den Politikern ihre allzu
selbstverständlichen Freiheiten zu bestreiten. Es ist nicht nur
kläglich, sondern vor allem schädlich, sich bis zur Selbstver-
leugnung den Zumutungen der Politiker gegenüber ins hohe morali-
sche Recht des Betroffenseins zu setzen: Das bringt nichts außer
Schlägen und/oder Gerichtsverfahren und verhindert deshalb keine
"Nachrüstung" und keinen Krieg.
Die Selbstdarstellung der Untertänigkeit soll den ehren, der für
sich friedlich ist? Sie ehrt leider allenfalls den Staat, der -
selbst höchst unfriedlich - über solch brave Zeitgenossen gebie-
tet. Das Ärgerliche ist also, daß sich die Friedensbewegung um so
friedlicher aufführt, je kriegerischer die Kriegspolitik der BRD
wird.
Dabei war der Friedensbewegung einmal die sog. "Nachrüstung" der
Bundesrepublik Anlaß zum Protest, ehe sie sich zu dem selbstge-
nügsamen Standpunkt erniedrigte, sie sei
"mehr als eine Anti-Nachrüstungs-Bewegung" (a.a.O., S. 3)
Genau so verwandelt man seinen Unwillen gegenüber der deutschen
NATO-Linie in ein sehr menschliches Recht auf abweichende Meinung
und deren positive Ausgestaltung bis hin zu eigener Lebensart, um
sich sichtbar als das bessere Gewissen der Nation neben deren Ma-
chern zu etablieren. Das eigene gute Beispiel soll Schule machen:
Von Schweigekreisen bis zur Friedenspädagogik, von Friedensfesten
bis zu Fastenwochen wird vorgeführt, daß "der Mensch" friedlich
ist, wenn man ihn nur läßt.
...in untertänigem Wettstreit um Verantwortung für den Frieden
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Wenn damit gesagt werden sollte, daß Individuen sich nicht wech-
selseitig mit Krieg überziehen, ließe sich darüber rasch Einver-
ständnis herstellen, zur Tagesordnung übergehen und die Urheber
von Kriegen finden. Aber wem soll hier eigentlich etwas bewiesen
werden? Kann man sich einen ergebeneren Vorwurf an die Adresse
der Mächtigen denken als den ihrer Untertanen, die Friedfertig-
keit des Volkes bitteschön anzuerkennen? Die Botschaft, daß es
vor lauter idealen Staatsbürgern staatliche Gewalt nicht
bräuchte, sitzt dabei der Ideologie auf, es gäbe den Staat aus
zivilisatorischen Gründen zur Domestizierung der Menschennatur,
die ihn mit Erreichen dieses Ziels überflüssig mache. Die Staats-
macht rührt aber nicht aus einem gesellschaftlichen Vertrag,
einen Machtapparat über der Menschheit zu konstituieren, der sie
grundsätzlich zu ihrem Besten kontrollieren soll und dabei gele-
gentlich schikaniert, wie man das im Sozialkundeunterricht lernt,
sondern organisiert sehr souverän ihr Staatsvolk nach dem Krite-
rium seiner Brauchbarkeit für die Belange der Nation.
Vertragskündigungen angesichts solcher Pflichten sind staatli-
cherseits gar nicht erst vorgesehen. Es ist eine idyllische Vor-
stellung der Friedensbewegung, sich den Staat als eine mit ihr
konkurrierende Organisationsform wählerischer Menschen zu denken:
"Solange sich Menschen und Völker in Staaten organisieren, ist
die Kriegsgefahr latent. Nicht die 'Natur des Menschen' drängt
zum Krieg..., sondern ihre staatliche und mithin gegeneinander
gerichtete Organisierung." (a.a.O., S. 52)
"Friedensmacht muß außerstaatlich sein. Nicht unbedingt anti-
staatlich." (a.a.O., S. 53)
Die Staatsmänner haben da eine ganz andere Vorstellung: Sie dul-
den z.B. keinen auch noch so sittsam vorgetragenen außerparlamen-
tarischen Protest neben sich im Parlament, sondern behandeln ihn
als einen, der den Staat zersetzt. Grüne haben dort "nichts ver-
loren" (Strauß), und Farbtupfer, die deren Sympathisanten dem
Bundesadler während der Bundestagspflichtübung einer Jugendfrage-
stunde beibrachten, gehören mit der chemischen Keule gleich bis
zu den Urhebern bekämpft.
Solche Ankündigungen bzw. Praktiken gelten der Friedensbewegung
zwar als skandalös, aber der ehrpusseligen Betrachtungsweise die-
ser Musterstaatsbürger entsprechend leistet sich die "große Poli-
tik" hier lediglich Unverantwortliches. Selbst wenn Politiker
sich im Namen ihrer "Verantwortungsethik" explizit zu ihren
Frechheiten bekennen, fällt Friedensmenschen wenig mehr als das
Rechten darüber ein, ob nun wirklich das "Wohl des Volkes" ge-
troffen worden sei oder nicht, anstatt der Politik einmal jegli-
chen Respekt zu versagen, wenn sie ganz ohne die ihr von den
Friedensfreunden unterschobenen moralischen Bedenklichkeiten ge-
radeheraus erklärt, daß ihr "im Namen des Volkes" Rücksichten auf
dessen Wohlbefindlichkeit vollkommen gleichgültig sind. Diese
habe sich im Dienst an den Aufgaben der Nation zu erfüllen.
Ungerührt von der Inkommensurabilität der Seiten macht die Frie-
densbewegung ein "Kräfteverhältnis" zwischen dem von ihr postu-
lierten Anspruch an eine Politik im Interesse einer friedlieben-
den Bevölkerung einerseits und der realen bundesdeutschen Rü-
stungsoffensive gegen den Osten andererseits auf und kommt zu dem
absurden selbstbetrügerischen Resultat, daß letztere, da sie an
einem gedanklichen (!) Defizit in Sachen verantwortungsbewußter
Führung leide, auf permanentem Rückzug und sie selbst in der Of-
fensive sei. Mit ökonomischen Beweisen für die staatliche Ohn-
macht und konstruktiven "Lösungsoptionen" zur Bewältigung glo-
baler Herausforderungen des "Systems" der westlichen Welt wird
wie von einem Barbier der Wirtschaftsredaktion der "Süddeutschen
Zeitung" kolportiert:
"Die gesamte ökonomische und politische Struktur der herrschenden
Klassen Westeuropas ist heute durch ihre Abhängigkeit von den USA
bestimmt, so sehr, daß sie von sich aus nicht einmal mehr auf den
Gedanken kämen, sich dem gegenwärtigen Größenwahn der US-Führung
entgegenzustellen wenn sie nicht durch den Druck der Friedensbe-
wegung dazu gezwungen würden, sich eigenständig darüber Gedanken
zu machen, welchen Ausweg sie (zwischen dem Druck von unten und
den Erpressungsversuchen der westlichen Führungsmacht) denn noch
finden könnten, um ihre Position als herrschende Klasse im eige-
nen Land zu behaupten.
Diese historische Schwäche der herrschenden Klassen in Westeuropa
hat es möglich gemacht, daß die westeuropäische Friedensbewegung
in den letzten beiden Jahren derartig an politischem Gewicht ge-
winnen konnte, indem sie die von den westeuropäischen herrschen-
den Klassen verdrängten Probleme nachhaltig neu aufwarf. Und da
sich in dieser Hinsicht voraussichtlich nichts ändern wird, spre-
chen alle Anzeichen - einschließlich der neuen Aufrüstungspläne
der europäischen Regierungen - für die Erwartung, daß sich der
Aufschwung der Friedensbewegung auch 1983 fortsetzen wird."
(a.a.O., S. 44)
Obwohl die beschworene deutsche "Abhängigkeit von den USA" sich
allein dadurch widerlegt, wie sich die BRD mit allen ihr zur Ver-
fügung stehenden Mitteln als Frontstaat gegen den Warschauer Pakt
ausbaut und auch außerhalb ihrer Grenzen darauf drängt, weitere
imperialistische Mitverantwortung für die Welt zu übernehmen, at-
testiert ihr die Friedensbewegung Mitmachertum aus
S c h w ä c h e - eine ungemein dialektische Verdrehung deutscher
Politik der Stärke. Was Kohl und Konsorten für ihre Nation tun,
wird übersetzt in ein ungemein schwieriges Ringen um die richtige
"Philosophie" politischen Handelns, an dem die Friedensbewegung
teilhat.
Probleme des Überlebens im Ungehorsam
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Auf diese frei erfundene Gemeinsamkeit mit einer Regierungspoli-
tik, die das täglich praktisch widerlegt, bildet sich die Frie-
densbewegung sogar noch etwas ein, wenn sie sich zugute hält, daß
sie es war, die deren angeblich "verdrängte Probleme nachaltig
neu aufwarf". So mischt man mit in einem Bereich, der einen
nichts anzugehen hat: Wenn die Regierung "Menschheitsprobleme"
wie z.B. die "Frage des Überlebens" gelöst hat, indem sie ihr
Volk nach dem Motto: 'Ein guter hält's aus!' auch in Vorkriegs-
zeiten bereits zielstrebig als Opfer einspannt, dann soll man
nicht moralische Alternativen wie etwa das Konzept der "sozialen
Verteidigung" der Republik durch lauter vaterlandsliebe Gesellen
entwerfen, das den Kriegsfall schon fest einkalkuliert, sondern
soll ihn halt verhindern. Was hätte das Wort vom "zivilen Unge-
horsam" sonst für einen Sinn, als den politisch Verantwortlichen
ihre Verantwortung zu nehmen und sie nicht mit ihnen auf höchster
moralischer Ebene auch noch diskutieren zu wollen!
Friedliche Mitverantwortung, die die Politiker für ihre Bürger
gar nicht, vorgesehen haben, weil sie vollauf mit dem Regieren
beschäftigt sind, soll man sich abschminken, sonst kommt man über
die ständige methodische Beteuerung, wie notwendig sie sei, nicht
hinaus. Statt Protest wird dann dessen Berechtigung vorgetragen.
Die moralischen Maßstäbe dessen, gegen den man kämpft, werden ak-
zeptiert und geteilt, wobei dem Gegner völlige politische Hand-
lungsfreiheit bleibt, man sich selber jedoch die Hände bindet,
wie das die Verfassung dieses Staats im Artikel - der Meinungs-
freiheit ja auch ausdrücklich vorgesehen hat. Wer auf diesem Ge-
biet immer überzeugender wirken will, kämpft nur noch um Glaub-
würdigkeit - für seine eigene und gegen die der Politiker, die
damit allerdings überhaupt kein Problem haben, weil sie ihre
Glaubwürdigkeit ohnehin nicht aus moralischen Argumenten bezie-
hen, sondern sie ganz einfach der gekonnten Ausübung ihrer Amts-
macht verdanken. Kein Wunder, wie sie grüne Redner im Bundestag
abfahren lassen: Als "Argument" dient der Hinweis auf die eigene
Amtsautorität, und damit basta.
Hierzu gehört auch die Arroganz von oben, sich "einseitige" Ab-
lehnung der Aufrüstung "bloß" beim Westen zu verbitten. Wie rea-
giert die Friedensbewegung auf diese Unverschämtheit einer Poli-
tik, die einen - ohne einen extra zu fragen - sowieso längst zur
Verteidigung der aufgerüsteten Freiheit verplant hat? Sie will
nicht unglaubwürdig sein. Mehrheitlich entschieden hat sich die
Friedensbewegung, gegen Aufrüstung in Ost und West zu sein. Des-
wegen wird sie trotzdem weiter als 5. Kolonne Moskaus behandelt;
denn in ihre imperialistische Befriedungspolitik läßt sich die
deutsche Regierung nicht einmal hineinreden.
Abrüstung in Ost u n d West
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Selbst solche von der Friedensbewegung reklamierte bürgerliche
Freiheit unterliegt dem Kommunismusverdacht. Da muß gar nicht
erst jemand finden, so aggressiv sei die Sowjetunion doch auch
wieder nicht, daß sie nicht
"hochgradig an eigener Abrüstung interessiert (ist) (im Rahmen
einer beiderseitigen Abrüstung natürlich)" (a.a.O., S. 51),
schon ist gegen das Regierungsdogma verstoßen, die Russen seien
Kriegstreiber und verkörperten "das Böse" schlechthin. Von wegen
"Abrüstung in Ost u n d West"! Ausgewogenheit hatten die Poli-
tiker gar nicht im Sinn, als sie der Friedensbewegung Einseitig-
keit vorwarfen, sondern gezielte Parteilichkeit: "Polen",
"Afghanistan" heißen die Stichwörter, "der Unrechtsstaat" muß
weg!
Mindestens reichlich naiv also von der Friedensbewegung, sich
auch im Osten umzutun und der SU anzukreiden, daß sie als Staat
Sicherheitsbedürfnisse mit eigener Logik hat:
"Und die schließt 'Vorwärtsverteidigung' ein, ist also unfried-
lich, sogar - gegebenenfalls - expansiv..., aktuell in Afghani-
stan, ebenso die Drohung mit militärischer Intervention gegenüber
Polen..." (a.a.O., S. 52)
Solche Töne wollen Politiker hierzulande hören! Keine Rede davon,
daß sie es sind, die die SU weltweit erpressen und jetzt zum End-
kampf um die Festung Ostblock angetreten sind. Da sollen die drü-
ben abrüsten?
Wie kommt ein Friedensmensch eigentlich dazu, offenkündige NATO-
Parolen im Mund zu führen? Den sowjetisch ausgerichteten Teil der
Welt als "Völkergefängnis" zu verurteilen, soll das etwa dadurch
gerechtfertigt sein, daß man sich in der Friedensbewegung die
"Befreiung vom russischen Joch" nicht gerade mit Raketen vor-
stellt, die diese Menschen erst einmal wegputzen? Wer in der
Friedensbewegung den Völkern des Ostens etwas Gutes tun will, der
soll gefälligst hier und heute verhindern, daß der "Freie Westen"
auf die Ausmerzung des sowjetischen Staates und seiner Bünd-
nispartner setzt, und nicht den ideologischen Part übernehmen,
daß die SU ganz schön "überrüstet" sei.
Was sollen dann noch Einsichten wie die der Friedensbewegung, die
SU sei sicher nicht schuld am Scheitern der Abrüstungsverhandlun-
gen und daran, daß ihre Moratoriumsvorschläge einer nach dem an-
deren abgeschmettert werden:
"Daß dem Sowjetblock bei seinen diversen Moratoriums- und Ein-
frierungs-Vorschlägen auch kein Erfolg beschieden war, lag nicht
an ihm. Die Interessenlage des NATO-Blocks stand dem entgegen.
(a.a.O., S. 51)
Diese richtige Feststellung gibt der Friedensbewegung keinen Hin-
weis darauf, sich um die NATO-Staaten als ihren Gegner zu küm-
mern, sondern wird in den kopfschüttelnden Vorwurf an die westli-
che Adresse umgebogen, die Abrüstung nicht beim Wickel gepackt zu
haben, die die SU - der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe
- angeboten habe:
"Der Sowjetblock... hat viel weniger noch als der auch
'krisengeschüttelte' kapitalistische Block jene wirtschaftlichen
Ressourcen, die zur Aufrechterhaltung oder gar noch Steigerung
eigener Rüstungsvorhaben notwendig sind. Unter diesen Umständen
verliert er die Fähigkeit, die eigene Bevölkerung ruhig zu hal-
ten, wofür ein bestimmtes Maß an konsumtiver Bedürfnisbefriedi-
gung Voraussetzung ist, die er aber immer weniger aufzubringen in
der Lage ist. Dafür sind sowohl die extreme Westverschuldung wie
auch der jüngste wirtschaftliche Zusammenbruch Polens nur beson-
ders eklatante Beispiele. Daraus bastelt der imperialistische
Block seine Strategie des "Totrüstens". (a.a.O., S. 51)
Einmal davon abgesehen, daß die SU beim Aufstellen ihrer Raketen
mit ihrem Volk noch die geringsten Probleme hat und die
"Strategie des Totrüstens" ein frommer westlicher Wunsch ist,
wieso sollten die NATO-Staaten überhaupt einer "Schwäche" der SU
nachgeben und mit ihr zu Abrüstungsverhandlungen kommen, wo sie
doch der stabile Garant der Verschuldung der Ostblockstaaten und
aller daraus erwachsenen ökonomischen Schwierigkeiten sind? Sie
fahren doch die Ernte täglich erneut erfolgreicher Erpressungsma-
növer gegenüber der SU nicht ein, weil sie sich irgendeine (dazu
noch falsche) Strategie "gebastelt" hätten, sondern weil sie in
der Vergangenheit alles fürs Gelingen dieser Operation getan ha-
ben.
Schwache SU - gute SU
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Das Argument des Friedensfreunds leugnet diesen Zusammenhang und
gefällt sich in der gewiß nicht antiimperialistischen, da parasi-
tären Vorstellung, die "Schwäche" des sowjetischen Staates sei
eigentlich sehr befördernd für den Frieden, sie zwinge ihn mehr
oder weniger zur Abrüstung. So kann man die Erfolge des Westens
also auch sehen - antisowjetisch, dem Westen gegenüber aber nicht
ab-, sondern kritisch (versteht sich) zugeneigt, sich östlicher
Schwachheiten zu bedienen: ausgerechnet für "den Frieden"! Den
verfolgen die Obermacher des Imperialismus schon immer - mit dem
feinen Unterschied, daß sie dafür Millionen Tote kalkulieren. Und
da kommt einer von der Friedensbewegung daher und rechnet laut
vor, wie "der Frieden" von den Russen billiger zu haben wäre!
Ganzschön zynisch, sich den ideologischen Windungen der NATO-
Strategen mit alternativen Konzepten anzupassen, den Osten zu zi-
vilisieren.
Die Härte des westlichen Anspruchs auf "Freiheit" etc. bekommen
die drüben gerade vorexerziert, und da sollte sich ein Friedens-
anhänger in der Bundesrepublik ausgerechnet die Sorge machen, was
im Osten an "Menschenrechten" etc. durchsetzbar ist? Soll er sich
doch um die 10 imperialistischen Konflikte des Tages kümmern und
Schlächtereien à la Falkland, Libanon, Vietnam, Angola,
Äthiopien, Nicaragua, El Salvador usw. usw. nicht durchgehen las-
sen.
Dazu gehört allerdings etwas anderes, als Arbeitermassen zu ent-
decken und einen Generalstreik gegen die Politik des Imperialis-
mus zur öffentlichen Diskussion zu stellen. Auf dieser rein ideo-
logischen Ebene, daß
"der Generalstreik an Stationierungsorten für neue Raketen legi-
tim werden müsse," (Trampert, Ideologiekongreß der Grünen am
5.6.83 in Hannover)
läßt sich trefflich streiten. Oskar Lafontaine hatte gar gemeint,
"seine Idee eines 'Aufstandes der internationalen Arbeiterbewe-
gung gegen Hochrüstung und Krieg'... sei... mindestens ebenso
'ehrenhaft' wie die, 'Krieg zu verhindern, indem man anderen mil-
lionenfach Tod androht'." (Frankfurter Rundschau vom 24.5.83)
Habe die Ehre - bei solchen Alternativen! SPD und Gewerkschaften
waren bei dieser Scheißdebatte natürlich von Anfang an dabei -
und zwar sehr adäquat, nämlich vom Boden des Grundgesetzes aus:
"SPD-Vorstandssprecher Wolfgang Clement (ließ) am Dienstag durch-
blicken, daß sich das Führungsgremium am Vorabend gegen einen po-
litischen Streik ausgesprochen habe. Die Sozialdemokraten würden
jedem zur Seite stehen, der seine verfassungsmäßigen Rechte im
Sinne des Ziels in Anspruch nehme, einer wirksamen Abrüstung nä-
herzukommen. Dies setze aber auch die Respektierung der Grenzen
voraus, die das Grundgesetz 'der Einwirkung auf die Entscheidun-
gen von Parlament und Regierung' ziehe." (Frankfurter Rundschau,
18.5.83)
Wer wird die Regierung schon "nötigen" wollen! Von daher ist ganz
locker der Übergang zur organisierten Arbeiterbewegung gemacht,
die garantiert staatskonform Frieden will.
"Die Ostermärsche stellten mit über 750.000 Teilnehmern bundes-
weit (in München über 20 Tsd.) einen weiteren Höhepunkt im Kampf
gegen die Stationierung neuer Erstschlagsraketen dar. Vor allem
die zunehmende Unterstützung der Gewerkschaften ist ein ermuti-
gendes Zeichen." (Pazifix, Münchner Zeitung für Frieden und Abrü-
stung Nr. 5, Mai 1983)
Auch im Herbst, wenn die Raketen endgültig in die Bundesrepublik
kommen, wird sich voraussichtlich ein breites Bündnis artiger
Friedensanhänger von Ulm bis Stuttgart die Hände reichen, Kaser-
nentore einweben und mit der Demonstration ihrer eigenen Hilflo-
sigkeit = absolute Anständigkeit die Gewalt der Politik blamie-
ren, die sie in diesem Punkt sicher nicht enttäuschen wird - sie
schlägt eben einfach zu, was zu beweisen statt zu kritisieren
war.
Im Sonderzug nach Pankow
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Vorläufiger Höhepunkt dessen, zu welchen Knechtsdiensten für ihre
Herrschaft sich Friedensmenschen in aller gebotenen freien mora-
lischen Verantwortlichkeit berufen fühlen: der Auftritt der Grü-
nen in Ostberlin. Als ob sie die Junge Union persönlich wären,
verkünden Ober-Grüne weinerlich triumphierend bei ihrer Heimkehr,
daß sie schlecht behandelt worden seien! Was haben sie sich ei-
gentlich erwartet, wenn sie gegen die Souveränität einer anderen
Nation vorgehen? Und nicht einmal die Kreislaufschwäche der il-
lustren Petra Kelly, bzw. ihren Busen haben die DDR-Polizisten
speziell berücksichtigt! Eine ausgesprochene Gemeinheit, die
schlagend den Unrechtscharakter dieses Staats vor Augen führt.
Der Honecker will sich nicht umstandslos zum Erfüllungsgehilfen
der Friedensbewegung machen!
"Wir begrüßen... die Impulse, die aus Jena gegen Militarisierung
und für Abrüstung kamen; wir sind solidarisch mit den Menschen
der DDR, die wie wir den Militärdienst von Frauen ablehnen, wir
sind solidarisch mit allen Kriegsdienstverweigerern aus Gewis-
sensgründen und wir und solidarisch mit "Schwertern aus Pfugscha-
ren", einer Bewegung, die doch genau die Ziele anspricht, die Sie
in Ihrem Brief vom 13.5.83 bekräftigen - Verpfichtung für Frieden
und Entspannung, Einsatz der DDR in ihrem Bündnis für Rüstungs-
verzicht und Abrüstung. Menschen, die sich aus ethischer Motiva-
tion und politischer Vernunft auf beiden Seiten der Grenze zwi-
schen unseren Ländern für eine Abwendung der Auslöschungsgefahr
einsetzen, handeln verantwortungsbewußt und dürfen nirgendwo un-
terdrückt oder gar zu Staatsfeinden gestempelt werden.
...
Darüber hinaus appellieren wir an Sie, über die Unterstützung so-
wjetischer Abrüstungsvorschläge hinauszugehen und von der UdSSR
auch jene Bereitschaft zum einseitigen Rüstungsverzicht, ja zum
einseitigen Abrüstungsbeginn zu verlangen, die wir schon lange
vom Westen fordern. ...
Mit einem solchen Beitrag würde sie sich in die weltweite neue
Friedensbewegung einfügen, die dem Konzept folgt: 'Einseitige Ab-
rüstung in jedem Land - bei uns damit anfangen'." (Frankfurter
Rundschau vom 25.5.83, Brief der sechs Grünen an Erich Honecker)
Die Funktionalisierung der UdSSR für eine neue Friedensordnung in
Europa und der Welt - das kennt man doch irgendwoher. Vielleicht
sollte sich die Friedensbewegung doch einmal die Zwecke "unseres"
monströsen Staatsgebildes überlegen, das schon bei seiner Grün-
dung sehr unfriedliche Ansprüche auf Ostterritorium angemeldet
hat, und künftig der Ventilation der "Deutschen Frage" eine Ab-
sage (gerade auch der im alternativen Friedensgewand) eine Absage
erteilen.
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Eine Kompromißkette von Stuttgart nach Ulm
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Man hätte es ableiten können, was die "Aktionskonferenz" der süd-
deutschen Friedensbewegung Anfang Juni in Ulm bewegen würde. Wer
wie die Friedensbewegung seinen durch nichts begründeten Optimis-
mus auf die Hoffnung gründet, die Politik werde sich die Frie-
denssehnsucht der Massenbewegung zu Herzen nehmen müssen und
dementsprechend ihre kriegsvorbereitenden Schritte mäßigen, bei
dem führt die Feststellung, daß im Herbst die Raketen kommen,
tatsächlich zu Resignation. Wer sich wie die Friedensbewegung die
Auflagen des Gegners, gewaltlos und tolerant nur seine
G e s i n n u n g, der die Politik sowieso nicht folgen könne,
zeigen zu dürfen, zu Herzen nimmt und zum Kriterium der eignen
Glaubwürdigkeit macht, der diskutiert zwischen der Demonstration
der eigenen Friedfertigkeit und dem Protest gegen die Macher der
Kriegsgefahr hin und her. Und je weniger ein Erfolg des Anliegens
sichtbar ist, desto glaubwürdiger will man werden, bis man sich
selbst nur noch als guter, friedlicher Mensch vorträgt.
In Ulm trat die Resignation in der Form von seltsamen Alternati-
ven auf. Die erste warnte vor der Isolierung der Friedensbewe-
gung. Man müsse alles tun, damit die Bürger nicht gegen die Frie-
densbewegung aufgebracht würden, so als wäre noch mehr
G l a u b w ü r d i g k e i t ein Mittel andere von der Notwen-
digkeit zur Gegnerschaft gegen die Kriegsvorbereitung zu überzeu-
gen. Die zweite unterstellte den Leuten gleich, daß sie Bescheid
wüßten, längst Gegner der Aufrüstung seien, aber nur nicht den
Mut hätten zu Aktionen gegen sie. Also müsse man ihnen durch
"S t e l l v e r t r e t e r a k t i o n e n" Mut machen nach
dem Motto "audaces fortuna juvat" als Ersatz für jede Überzeu-
gungsarbeit. Die dritte Alternative wollte mit demonstrativem
M ä r t y r e r t u m - "und setzt ihr nicht euer Leben ein, so
wird kein Leben gewonnen sein" - die ernsthafte Verantwortung für
die Menschheit zeigen. Sie verzichtete also gleich ganz darauf,
für die Gegnerschaft zu mobilisieren und sie vorwärtszubringen.
Die eigene S e l b s t l o s i g k e i t als Fanal.
Doch ging es in Ulm nicht um eine Entscheidung über diese trost-
losen Varianten der Fortsetzung des Kampfes. Die Einheit der
Friedensbewegung war mal wieder Hauptthema. Ausgetragen wurde
dieser Streit an der Frage von Ort und Form der Großdemonstration
am 22.10.83 zum Abschluß der beschlossenen Aktionstage.
Zwar zeigte sich, daß dieses Einheitsverlangen so unschuldig neu-
tral nicht ist, als wieder mal gegen die "der DKP nahestehenden"
Gruppen Front gemacht wurde (ob wohl es doch immer heißt, daß
alle, die für den Frieden eintreten, zur Bewegung gehören), aber
im Endeffekt konnte die Spaltung verhindert werden. Der Kompromiß
wird eine Menschenkette von Neu-Ulm bis Stuttgart sein. Er kam
bezeichnenderweise nicht aus der Überlegung zustande, wie man am
effektivsten den Protest gegen die Nachrüstung gestalte, sondern
weil die einen lieber in Stuttgart, die anderen lieber in der
Nähe von Raketenbasen demonstrierten wollten. Der Kompromiß mit
der Kette erfüllt alle Kampfprinzipien der Friedensbewegung. Die
Kette ist g e w a l t f r e i, die Kette aus M e n s c h e n
symbolisiert den hingebungsvollen Widerstand der Friedfertigen
und, was den Ausschlag gab für den Entschluß, sie ist vor allem
Symbol für die E i n h e i t der Friedensbewegung. So kann kei-
ner sagen, sie sei zerstritten und trete gar nicht einheitlich
und ehrlich nur für den Frieden ein. Ihre beiden Grundlinien wer-
den sichtbar verzahnt und niemand wird ausgegrenzt, hieß das Ei-
genlob zu dem Kompromiß. 1500 Menschen haben in Ulm diesen Fort-
schritt vom Kampf gegen die Nachrüstung weg erarbeitet.
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