Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION FRIEDENSBEWEGUNG - Von Waffen und Moral
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MIT DER BOMBE FRIEDEN MACHEN
Politiker lernen aus Hiroshima
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Anläßlich des 40. Jahrestags des Abwurfs der Atombombe auf Hiros-
hima und Nagasaki hat die j a p a n i s c h e R e g i e r u n g
- den Wehretat erhöht,
- ein Verteidigungsweißbuch vorgelegt, das die Bevölkerung über
die "latente Gefahr " durch die SU aufklärt, damit sich das
"absolut notwendige Verständnis für die Bedürfnisse der Streit-
kräfte" breitmacht,
- dem Yakasuni-Schrein, an dem die "Kriegstoten und auch die ja-
panischen Kriegsverbrecher verehrt werden", den ersten offiziel-
len Besuch abgestattet. Die Wende kommt also auch dort voran.
"Hiroshima erledigt" (taz 7.8.85) ? Von wegen. Auch dort wird
sich auf die O p f e r berufen, wenn der Staat zu neuen Taten
schreitet. Ihr Sinn besteht darin, daß Japans Unversehrtheit ge-
meint ist, wenn "No more Hiroshima" (dies die Parole der japani-
schen "Anti-Atom-Bewegung") gefordert wird. Das war schon damals
so:
"Der Kaiser Hirohito verkündete nach dem Atombombenabwurf auf Hi-
roshima und Nagasaki die Kapitulation und forderte sein Volk auf,
'das Unerträgliche zu ertragen'." (SZ 16.8.85 )
Daß die Verletzung seiner Handlungsfreiheit das einzige Opfer
ist, das der japanische Staat nicht zu dulden bereit ist, gilt
heute erst recht. Dabei hat er die Versafteten keineswegs verges-
sen - auch wenn sich, wie hierzulande mit Genugtuung vermerkt,
die Aufregung in Grenzen hielt:
"Außerhalb von Hiroshima beschränkte sich die Anteilnahme in Ja-
pan auf die prominente und ausführliche Berichterstattung in
Funk, Fernsehen und Presse. Im übrigen liefen alle normalen Un-
terhaltungsprogramme und Sportveranstaltungen wie gewohnt." (SZ
7.8.85)
Sport, Spiel und Zuversicht sind ein Gebot, wenn an die Toten als
Opfer höherer Werte gedacht wird, die damals draufgegangen sein
sollen: Friede und Leben sind auch in Japan nicht unbekannt. So
appellierte der japanische Staat im Namen von Heiwa und Inochi an
sich, sein Volk vor der russischen Gefahr beschützen zu wollen.
Die USA, die damals den Abwurf der Bombe angeordnet haben, mit
der das Verhängnis in Gestalt des Atoms über die Menschheit ge-
kommen sein soll, haben in ihrem Gedenken erst recht keinen Grund
gesehen, tätige Reue zu beweisen. Im Gegenteil. Sie waren die
Sieger und haben deshalb nur das Beste gewollt. Anläßlich des Hi-
roshima-Tages ließen sie daher Taten und lauter gute Gründe se-
hen:
- Sie gaben ihren Entschluß bekannt, den "pazifischen Raum" mit
350 Marschflugkörpern zu bestücken. Die Angabe eines Grundes
erübrigte sich, da er sich seit 1945 von selbst versteht.
"In einer Feierstunde an Bord des atomgetriebenen Flugzeugträgers
Enterprise in der Bucht von San Francisco erklärte Vizepräsident
George Bush, die USA würden niemals wieder so unvorbereitet sein
wie am 7. Dezember 1941, als die Japaner Pearl Harbour überfie-
len." (SZ 16.8.85)
Der Friedenswille der USA verzichtet hier auf die Zelebrierung
der Versöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner. Statt dessen
übermittelt man dem Gegner von heute, der nur die Sprache der Ge-
walt kapiert, direkt eine Botschaft. So gut wie heute waren die
USA noch nie auf einen Krieg vorbereitet. Die Nimitz wurde ver-
senkt. Heute geben wir unseren Flugzeugträgern optimistischere
Namen und den richtigen Antrieb. Vor der Benutzung von Atomwaffen
sind wir noch nie zurückgeschreckt. L e i d e r hatten wir sie
damals zu Beginn des Krieges bloß noch nicht. (Deshalb waren auch
nicht die Brandbomben auf Tokio (185000 Tote) der Vergeltungs-
schlag für Pearl Harbour, sondern die späte Rache von Hiroshima.)
- Und schließlich verbittet sich der Präsident persönlich jede
Kritik an den USA bezüglich Hiroshima als üble Nachrede, die ih-
ren Ursprung in Moskau hat:
"Der Präsident ging auch auf die sowjetische Kritik am Atombom-
benabwurf auf Hiroshima am 6. August vor 40 Jahren ein. 'Wir ha-
ben die Bombe abgeworfen, um den größten Krieg in der Geschichte
der Menschheit zu beenden', sagte er. Daß der Welt die Gefahr
dieser Waffen vor Augen geführt wurde und die Präsenz der Waffen
selbst als Abschreckungsmittel hätten 40 Jahre lang den Frieden
erhalten." (SZ 7.8.85)
Amerikanische Politiker radieren mit ihren Befehlen nicht einfach
ganze Städte aus. Wenn sie zum Handeln aufgerufen sind, lassen
sie Bomben nur in vollster Verantwortung für das Leben der
Menschheit und ihre Zukunft schmeißen. Von diesen Herren kann man
lernen, daß das gute Gewissen eines Siegers wahrhaft unerschüt-
terlich ist, - weshalb eine Kritik im Namen der Ideale, bei denen
er sich seine Befehle abholt, nur offene Türen einrennt. Wenn er
tötet, dann nur um weiteres Töten zu v e r h i n d e r n, der
Menschheit den F r i e d e n zu bringen und nicht nur das Ende
des Zweiten, sondern auch den Nicht-Ausbruch des Dritten Welt-
kriegs zu e r m ö g l i c h e n. L e i c h t g e m a c h t
hat er sich seine Entscheidung nicht, die sich von den
w e i t s i c h t i g s t e n Zielen leiten ließ. Wäre es nur um
ihn gegangen, hätte er auf den Einsatz der "gefährlichen" Waffe
eventuell sogar verzichten können. Da er es aber mit "der Welt",
Ungläubigen also, zu tun hatte, war die Entscheidung nicht zu um-
gehen: den Glaubenszweifel räumt nur die A n s c h a u u n g
der Wirksamkeit des Teufelszeugs aus.
Klarstellungen zu Hiroshima
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Die Behauptung Präsident Reagans, der Abwurf der ersten Atombom-
ben sei notwendig gewesen, um "der Welt", sprich den USA, weitere
Opfer zu ersparen, hat seit 45 in den USA Tradition. Ihre Wider-
legung ebenfalls. Kurz nach Kriegsende kam die "Inspektion des
Strategischen Bomberkommandos der Vereinigten Staaten" in einer
Studie über die japanische Kapitulation zu folgendem Ergebnis:
"Japan hätte kapituliert, auch wenn die Atombomben nicht abgewor-
fen worden wären, auch wenn Rußland nicht in den Krieg eingetre-
ten wäre und auch wenn keine Invasion geplant oder in Betracht
gezogen worden wäre."
Trotzdem wird immer noch das R ä t s e l gewälzt, warum Amerika
die Bomben geschmissen hat, o b w o h l Japan "doch praktisch
schon geschlagen war" (SZ 3./4.8.85).
Hier die Auflösung:
Als Anfang 1945 die USA noch nicht über den Ablauf des Kriegsen-
des sicher sein konnten, trafen sie mit Stalin in Jalta eine ge-
heime Absprache, in der sich die SU dazu bereit fand, nach dem
Sieg über das Deutsche Reich Japan den Krieg zu erklären. Stalin
sagte das russische Eingreifen für drei Monate nach der deutschen
Kapitulation zu. Diese erfolgte am 8. Mai, die russische Kriegs-
erklärung gegen Japan am 8. August. Damit machte die SU ein ge-
heimes Vermittlungsersuchen der kaiserlichen Regierung um einen
"ehrenvollen" Frieden gegenstandslos, weil sie sich in Ostasien
Positionen sichern wollte.
Das japanische Ersuchen um Frieden (von dem die Amerikaner über
den geknackten japanischen Geheimcode erfahren hatten), und die
Tatsache, daß die japanische Armee keinen massiven Widerstand
mehr leisten konnte (Kamikaze-Flieger mußten mangels Benzin am
Boden bleiben), läßt darauf schließen, daß es den Amerikanern gar
nicht mehr bloß um die Kapitulation Japans ging, sondern um eine
s c h n e l l e Kapitulation - möglichst bevor die SU in den
Krieg eingriff.
So erklären sich die Versuche der USA, den Kriegseintritt der SU
zu verzögern und die Potsdamer Konferenz zu verschieben. Truman
wollte das Testergebnis des 1. Atombombenabwurfs für die Konfe-
renz als Druckmittel in der Hinterhand haben. Denn damit entfie-
len schlagartig sämtliche Rücksichten, die sich aus der Abhängig-
keit von sowjetischer Waffenhilfe ergaben. So durfte z.B. Stalin
die Vernichtungsdrohung der Konferenz gegen Japan nicht mitunter-
zeichnen. In dieser Droherklärung wurde Japan der absolute Ruin
prophezeit: Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß sich die
Planer über die Folgen der Nuklearexplosion durchaus im klaren
waren. Sie haben die Waffe eingesetzt - nicht weil sie die Folgen
nicht reflektiert oder nicht hätten wissen können, sondern weil
ihnen die Zerstörungskraft der Kernspaltung nur zu gut bekannt
war.
Die Folgen waren auch dem Unkundigsten offensichtlich, als die
Einwohner Hiroshimas verstrahlt waren. Um die japanische Kapitu-
lation zu beschleunigen - die Russen hatten ja mittlerweile Japan
offiziell den Krieg erklärt -, wurde die zweite Bombe schon drei
Tage später gezündet, ohne die Reaktion Japans auf den ersten Ab-
wurf abzuwarten. Der Erfolg wurde umgehend geerntet. Nach der Ka-
pitulation Japans verweigerte Washington der SU jedes Mitsprache-
recht an der Behandlung Japans: "Die Russen haben in Japan nichts
zu suchen." Außerdem war der Einsatz der Waffe "notwendig" gewe-
sen, "um Rußland in Europa nachgiebiger zu machen" (Byrnes, der
damalige Außenminister der USA). Und überhaupt war sie dazu er-
funden, die Russen "more manageable" zu machen: "Nur durch Stärke
können wir mögliche zukünftige Angreifer (also wirkliche jetzige
Gegner!) von der Tatsache beeindrucken, daß wir keine Bedrohung
des friedens dulden werden." (Truman im Oktober 45)
Was über den nächsten Krieg in der Öffentlichkeit nebenbei
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erwähnt wird: Wer ist der Feind, wer führt den Krieg,
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was ist sein Zweck, sein Mittel
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Der Besitz der Atombombe erlaubte den USA, noch vor Beendigung
des 2. Weltkriegs den nächsten Weltkrieg auf die Tagesordnung zu
setzen. Welch erfreuliche Wirkung die Bombe auf den Verhandlungs-
stil der USA zeitigte,
"registriert ein erstaunter Churchill. Der Präsident 'stellte
sich den Russen in einer höchst nachdrücklichen und entschiedenen
Manier und erklärte ihnen bezüglich gewisser Forderungen, daß sie
absolut abzulehnen seien, und daß die Vereinigten Staaten ganz
und gar dagegen sind'. Der Amerikaner sei 'ein veränderter
Mensch' gewesen, der 'den Russen sagte, wo sie ein- und auszu-
steigen haben'." ( Spiegel 19.8.85)
Also von wegen: '45 bricht "das Atomzeitalter" aus, das weder
Freund noch Feind kennt und die ganze "Menschheit" zum Opfer "des
Atoms" macht.
1. D e r F e i n d ist nicht "unser aller Schicksal, die
Bombe", sondern die UdSSR. Warum?
2. Weil d a s S u b j e k t des künftigen Weltkriegs - der
Deutlichkeit halber: es ist d e r f r e i e W e s t e n und
nicht schon wieder: das Atom - mit der A t o m b o m b e d a s
M i t t e l in der Hand hat, auf keine der sowjetischen Interes-
sen Rücksicht nehmen zu müssen, mithin ihre Existenz zu seiner
Bedrohung erklärt, die e r nicht zu dulden gewillt ist. 3. Da-
mit steht der Z w e c k des künftigen Krieges fest: Die kommu-
nistischen Regierungen des Ostblocks sollen beseitigt werden -
also von wegen Zerstörung überhaupt, Wahnsinn, sinnlos!
1.-3. von Churchill unmißverständlich zusammengefaßt: "Plötzlich
hatten wir das Mittel in der Hand, das die Zukunft rosiger ausse-
hen ließ." (zitiert nach Stern 1.3.85)
W i r - das sind die Politiker des Westens; u n s e r
M i t t e l - das sind die Atombomben, die Friedens- und Frei-
heitsbringer; und angesichts der Leichen von Hiroshima blicken
wir optimistisch nach vorn, weil uns die Waffe in der Behandlung
unseres F e i n d e s allerhand rosige Möglichkeiten eröffnet.
Von diesem p r i n z i p i e l l f e i n d s e l i g e n
V e r h ä l t n i s gegenüber den kommunistisch regierten Staa-
ten - der Westen strebt die a b s o l u t e Handlungsfreiheit
ihnen gegenüber an, die ohne einen e r f o l g r e i c h e n
Krieg nicht zu haben ist - haben die USA nicht etwa abgelassen,
als die UdSSR a u c h über die Atomwaffe verfügte. Warum soll-
ten sie auch: nicht die Waffen sind der G r u n d des Kriegs,
sondern die amerikanische Gegnerschaft gegen die SU. Deshalb ha-
ben die USA 40 Jahre lang daran gearbeitet, daß der zu führende
Weltkrieg auch wirklich zu einem Erfolg für sie wird. Der Einwand
von Spiegel und Co., daß sich mit dem Besitz und später dann dem
Ausbau der Atomwaffen die b e a b s i c h t i g t e
W i r k u n g (noch immer) nicht einstellte, da die USA (immer
noch) auf die nun auch über Atomwaffen verfügenden Russen Rück-
sicht nehmen mußten, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen üb-
rig: Man entlarvt das Vorhaben als "sinnlos", als "eine der
großen Torheiten der Geschichte", weil sein Z w e c k - den man
teilt - nicht erreicht wird. So kann man angeblich "den Russen"
nicht kommen: Mit "ignoranter Härte bewirkt" man bei diesen Stur-
köpfen "immer nur das Gegenteil" dessen, was man erreichen will!
Als G e g n e r s c h a f t gegen die Politik der USA wird
diese Enthüllung sicher niemand mißverstehen. Schließlich sind
die Amis bedauernswerte Opfer in den Klauen des Atoms:
"T r a u m"tänzer, die "sich in die Obsession vom nuklearen Vor-
teil hineinsteigern", wo doch der Krieg bekanntlich das Ende der
Menschheit bedeutet. Da hilft nur noch warnen: die Besessenen
vorm "Jüngsten Gericht" (vgl. Spiegel 19.8.85).
Zum Kriegführen braucht aber ein Staat nicht nur das nötige Ge-
rät, sondern auch ein V o l k, das beim Krieg mitmacht. Ein
Volk, das sich seine Verteidigungsbereitschaft mit der Begründung
"Die Nation ist wichtig und wunderbar" (Japanisches Weißbuch '85)
unmittelbar einleuchten läßt. Warum sollte es auch ausgerechnet
anläßlich der von ihm geforderten Wehrhaftigkeit die Frage auf-
werfen, w o f ü r und i n w i e f e r n die Nation denn wich-
tig und w a s überhaupt das Tolle an ihr sei, wenn sich ihm
auch sonst die Frage von selbst beantwortet. Die japanischen
Oberbefehlshaber befinden sich daher nicht im Beweisnotstand,
wenn sie darlegen, warum "das Verständnis für die Bedürfnisse der
japanischen Streitkräfte a b s o l u t notwendig" sei: "Um den
friedlichen und stabilen Lebensstil zu erhalten", muß der Krieg
vorbereitet werden. Verständnis für den absoluten Vorrang der Be-
dürfnisse der Armee bringt Stabilität in die Bude, klaro. Und wer
wollte dem widersprechen, daß es Konsequenzen für den Lebensstil
hat, wenn die Bedürfnisse des Bürgers ganz in den Friedens- und
Stabilitäts-Interessen des Staates aufzugehen haben. Dann sieht
der Lebensstil eben sehr stabil und friedlich aus.
So werden anläßlich des geplanten Kriegs ein paar Illusionen über
den bürgerlichen Staat geradegerückt. Wenn die japanische Regie-
rung 40 Jahre nach Hiroshima sich auf einer Feierstunde dazu hin-
reißen läßt, "den Atombombenopfern die Verbesserung ihrer Versor-
gung zu versprechen" (SZ 7.8.85), dann dürfte sie sich kaum je-
mals als Versorgungsinstanz ihrer Bürger verstanden haben. Viel-
mehr betrachtet und behandelt der bürgerliche Staat seine Bürger
als das ihm zur Verfügung stehende Material, als Mittel, die ihm
alle verlangten Opfer zu bringen haben, bis sie selbst schließ-
lich nichts als Opfer sind. Und dagegen kann man sich gerechter-
weise nicht versichern. So berichtet die SZ von dem aparten Fall,
daß eine Amerikanerin in Hiroshima bestrahlt wurde - von der ei-
genen Bombe! - und hinterher ohne Versicherungsschutz dasteht:
"Wenn die Krankenversicherung (in den USA) erfährt, daß es sich
bei einem Patienten um einen Überlebenden des Atombombenabwurfs
handelt, verliert dieser sofort seinen Schutz, weil amerikanische
Krankenversicherungen für die gesundheitlichen Folgen von Atom-
bombenexplosionen nicht eintreten... Die Gesetzesvorlage (1972
das erste Mal eingereicht) sieht vor, daß die amerikanische Re-
gierung die Kosten der ärztlichen Behandlung für die Hibakusha (=
Atombombenopfer) übernehmen soll. Obwohl die Gesetzesvorlage be-
reits 11mal eingebracht worden ist..., ist es nicht zur Verab-
schiedung gekommen." (SZ 10./11.8.85)
Mit dem Atombombenrisiko hat heute jedermann zu leben: Als Pri-
vatmann kann er zwar mit einem Bunker etwas zu seinem Schutz bei-
tragen, doch wie sollte er sich gegen dieses Lebensrisiko der
Neuzeit versichern können? In diese Versicherungs"lücke" springt
der Staat natürlich nicht ein: er ist ja kein Versicherungsunter-
nehmen!
Auf eine gewisse Unordnung im Verhältnis Staat/Bürger macht die
SZ aufmerksam wenn sie voller Empörung meldet:
"Nicht einmal die Zahl der Todesopfer steht fest. Die Stadtver-
waltung von Nagasaki schätzt... Die ersten präzisen Zahlen stam-
men aus der Volkszählung von Oktober 1950." (3./4.8.85)
Nur gut, daß wir in Deutschland leben. Da hat jeder Bürger seine
Nummer - und die Leichen des kommenden Kriegs können unbesorgt
sein: sie müssen mit ihrer Erfassung bestimmt nicht 5 Jahre auf
die nächste Volkszählung warten! Was die Teile des Volks angeht,
die im Auftrag des Staates das für die Kriegsführung nötige Mord-
zeug erfinden, so brauchten auch sie nicht erst den Krieg abzu-
warten, um sich "deprimieren" zu lassen:
"In Sitzungen eines wissenschaftlichen Beraterteams, das Präsi-
dent Truman einberufen hatte, machte der Nobelpreisträger Arthur
Compton eine deprimierende Erfahrung: 'Wir wurden nicht gefragt,
o b die neue Bombe gezündet werden sollte, sondern nur, w i e
sie einzusetzen sei.'" (SZ 16.7.85)
Aus ihrer besonderen Nützlichkeit für den Staat ergibt sich kei-
neswegs ein besonderer Anspruch ihm gegenüber: da wäre die Herr-
lichkeit des Staates schnell dahin, wenn er seinen Bürgern das
"Ob" seiner Entscheidungen anheim stellte.
Damit erledigt sich nebenbei auch noch die Lüge, die Naturwissen-
schaftler hätten über die Wirkungsweise ihrer Konstrukte nicht
Bescheid gewußt - warum hätten sie ihre Auftraggeber wohl vor
"dem Unvorstellbaren" warnen sollen?
"Die Temperatur, die dabei entsteht, entspricht etwa dem Inneren
der Sonne. Der Explosionsdruck würde das Leben in weitem Umkreis
auslöschen. Die Größe des Gebiets ist schwer abzuschätzen, wird
aber wahrscheinlich dem Zentrum einer Großstadt entsprechen."
(1940 - Peierls und Frisch, zitiert nach Stern 8.8.85)
Die Wirkung der Bombe war und ist also bestens bekannt. Schon bei
der Wahl des Abwurfziels hat sich die amerikanische Regierung um
die Wissenschaft verdient gemacht, indem sie nur unzerstörte
Städte in Betracht zog. Sie hat darüber hinaus unmittelbar nach
der Kapitulation Forscherteams samt Kamera an den Ort des Gesche-
hens entsandt, die ihre Studien an den Opfern treiben sollten.
Entgegen dem Gerücht, daß nach einem Atomkrieg "alles aus" ist
und "das menschliche Leben verschwunden sein wird", waren in Ja-
pan der Kapitalismus, der Imperialismus nebst der Katholischen
Kirche durch die Atombombe nicht totzukriegen. Im Gegenteil:
"Hiroshima, die vollständig wiederaufgebaute Hafenstadt" (SZ
3./4.8.85)
"Heute, 40 Jahre später, ist das Sportstadion von Nagasaki wieder
aufgebaut, größer und schöner denn je. Auch die Schiffswerft -
Mitsubishi - gibt es wieder, größer und viel leistungsfähiger als
das vorgeschriebene Bombenziel vom 9. August 1941." (SZ
3./4.8.85)
"... katholischer Gottesdienst in dem neuerbauten Gotteshaus, das
an der Stelle der alten Kathedrale steht, die bei dem Bombenab-
wurf zerstört worden war." (SZ 10./11.8.85)
40 Jahre nach Kriegsende erfreuen sich diese Subjekte bester Ge-
sundheit. Die anderen Subjekte, mehr oder weniger verstrahlt auch
in der 2. und 3. Generation, machen sich für die maßgeblichen In-
stanzen nützlich. So daß alles seinen geregelten Gang geht. Bis
zur nächsten unvorstellbaren Katastrophe. Denn wie "erzählt" "ein
Atombombenopfer":
"Heute denke ich oft: Daß wir die Zeit damals überhaupt durchge-
standen haben." ( SZ 6.8.85)
Offensichtlich hält der Mensch allerhand aus, wenn er muß. Und
was das Leben betrifft, so kann es gar nicht anders, als weiter-
zugehen.
Was man aus der Bombe lernen soll
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Papst segnet Bombe: Sie macht den Frieden möglich.
"Papst Paul II. rief dazu auf, das Gedenken an den Bombenabwurf
a l s Ausgangspunkt für die Bemühungen um friedliche Konfliktbe-
wältigung z u n e h m e n." (SZ, 7.8.85 )
Sein Freund, der Präsident der Vereinigten Staaten, hat auch dazu
aufgerufen. Also hat die geneigte Menschheit schon zwei Gründe,
w a r u m sie "angesichts der Katastrophe" das Denken ausklinken
und ihren Oberen absolutes Vertrauen entgegenbringen soll. Der
G l a u b e an den Frieden stellt sich wie von selbst ein, so
man nur die hilfreiche methodische Handreichung des Papstes be-
achtet. Man muß nur von all dem a b s e h e n, wer "die Bombe"
weshalb zum Einsatz bringt - und schon entfaltet sie ihr wunder-
sames Eigenleben. Dann kann man sich vorstellen und wünschen, daß
mit ihr und durch sie doch "letztlich" ein höheres gutes Prinzip
siegen wird. Bei i d e a l e r Sichtweise des Atomkriegs wird
einem so sogar die Bombe s y m p a t h i s c h.
Wahnsinn! oder: Kleiner Knopf und irre Wirkung!
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"Beahan betätigte den Auslöser und richtete damit unten auf der
Erde ein Inferno an, dessen Schrecken bis heute nur bruchstück-
haft vorstellbar sind und immer noch fortwirken." (SZ, 3./4.8.81)
"Hiroshima 6.8.1941: HEUTE UM 8.16h WURDEN 120000 MENSCHEN UMGE-
BRACHT. Vielleicht möchten Sie 10 Sekunden über das nachdenken,
was heute vor 40 Jahren in Hiroshima geschah." (Stern-Reklame)
Solche Botschaften gehen jedem braven Bürger glatt runter - und
so braucht er tatsächlich nicht mehr als 10 Sekunden, um sie zu
schlucken und zu verdauen: In 10 Sekunden wurden 120000 Menschen
umgebracht. Wahnsinn! Womit der Fall erledigt wäre.
Auf das Urteil Wahnsinn kann nur verfallen, wer die
W i r k u n g der Bombe zu ihrem Z w e c k erklärt: Vernichten
wollen, Zerstörung pur, ohne etwas anderes als sie selbst mit ihr
bezwecken zu wollen, das kann doch niemand wollen. Wie wahr. Und
schon sind die Politiker aus dem Schneider - sie verfolgen in ih-
rer Politik tatsächlich konkretere Zwecke als d a s B ö s e,
wenn sie mit Menschenleben kalkulieren -, und ihre Taten in den
A u s d r u c k eines P r i n z i p s übersetzt, das sich hin-
ter ihrem Rücken und gegen ihren Willen durchsetzt. Der Glaube an
das Gute als den Sinn freiheitlicher Politik schafft sich den
Wahnsinn der Bombe als gemeinsamen Feind. So hat man "das Atom"
zur Sinnlosigkeit verklärt, die niemand geringerer als die
Menschheit zu spüren bekommt.
Schmerz, laß nach! oder: W e n trifft die Bombe?
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Der Atomkrieg ist ein Problem, das "der Mensch" m i t s i c h
abzumachen hat. Er war es, der die Bombe erfunden hat: denn ist
nicht die Bombe die Ausgeburt des menschlichen Wahns, alles be-
herrschen zu können/wollen/dürfen? E r ist es also auch, der
"die Bombe in sich entschärfen" (SZ, 16.7.85) muß - per
"geistiger Kettenreaktion" (SZ, 6.8.85) oder ähnlichem. Diesen
Kampf zweier Linien kann man sich vorstellen als: Gut gegen Böse
- Geist gegen Materie - Mensch gegen Atom - Friedenssehnsucht ge-
gen Aggression - Leben gegen Zerstörung - Gott gegen die Bombe.
Die Tatsache, daß das eigene Leben für den Fall eines Atomkriegs
von den zuständigen Stellen verplant ist, gewinnt jetzt an Erha-
benheit Gegen "den Atomkrieg" ist Kritik sehr erwünscht:
U n t e r "der Vernichtung", die "das menschliche Leben"
"bedroht", darf man da aber gar nicht erst anfangen. Mindestens
"die Menschheit" hat man als Opfer zu benennen, wenn man sich
beim "Atom" über den nächsten Krieg beschweren will. Zwei
Beispiele gefällig?
Es warnt ein Verein für den Schutz der Menschenrechte vor dem
Atom:
"Mit Atomwaffen können Menschen Völkermord begehen. Was uns
droht, ist die totale und letzte Verletzung der Menschenrechte...
Die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe wächst durch den Rüstungs-
wettlauf täglich." ("Krefelder Initiative" - zitiert nach: SZ,
6.8.85)
Also Menschlein, erwache! Du hast den Rüstungswettlauf auf Touren
gebracht. Du brauchst also nur zu bemerken, wie gefährlich er/Du
(b)ist, um umzukehren. Andernfalls stehst Du hinterher ohne Men-
schenrechte da. - Oder glauben die etwa im Ernst, daß die Men-
schenrechte besser ohne den Menschen übrigblieben?
Kultur bringt Glück
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Daß es im Krieg sehr darauf ankommt, Wertgegenstände überleben zu
lassen, meint jedenfalls der Spiegel. Er beglückwünscht Japan
dazu, daß die Amerikaner Hiroshima und nicht, wie anfänglich er-
wogen, Kyoto, ,Japans alte Kaiserstadt, höchstes nationales Hei-
ligtum mit 3000 Tempeln und Schreinen, mit wundersamen Gärten und
Kunstschätzen", zum Abwurfziel der ersten Atombombe erkoren ha-
ben:
"Stimson (der amerikanische Kriegsminister) - welche Glückskoin-
zidenz für Japan - ist sogar ein ausgesprochener Kenner und Lieb-
haber von Kyoto." (19.8.85)
Die Spiegelredakteure haben gut reden: Sie können Zuflucht bei
Sankt Pauli und der Reeperbahn, international anerkannten natio-
nalen Kulturgütern, suchen. Die Banausen müssen eben sehen, wo
sie bleiben.
Rätsel, Ironie und tiefere Bedeutung
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Wie das Übel in die Welt kam...
Familien v ä t e r als Kinder k i l l e r
"An den Geschäften und Gemeinschaftsräumen (in Los Alamos) waren
Schilder angebracht: '25% der Todesfälle von Kindern werden durch
Feuer verursacht.... Bedenken Sie das.' Die Väter der Kinder, die
das bedenken sollten, waren Männer wie Oppenheimer, Enrico Fermi,
Hans Bethe, Victor Weißkopf, John von Neumann und Edward Teller,
deren wissenschaftlicher Tatendrang eine Bombe schuf, deren Feuer
alles vernichten kann." (SZ, 6.8.85)
Kein Wunder, daß sich Abgründe auftun, wenn man keine Unter-
schiede mehr kennen will. Wenn befreundete und verfeindete Staa-
ten, ihre Politiker und deren Staatsbürger allesamt gleichermaßen
als Menschen gelten, dann muß wirklich unerfindlich bleiben,
warum das große Morden anhebt - es sei denn, man entdeckt einen
D r a n g...
Das Böse wohnt mitten unter uns...
K l e i n stadt als W e l t vernichtungszentrum
"Los Alamos: Das Laboratorium des Todes. Los Alamos ist eine
Kleinstadt, wie es sie nur noch selten in den USA gibt, über-
schaubar, sauber und gepflegt. Hier gibt es keine Arbeits- und
Obdachlosen, keine Minderheiten und keine Slums.... Frau Prather,
Mutter von 7 Kindern, hat eine Organisation gegründet, die sich
'Psychologist for Social Responsability' nennt und der Friedens-
bewegung angehört. Als sie in den 50er Jahren in Los Alamos auf-
wuchs, hat sie allerdings wie viele Einwohner geglaubt, das ato-
mare Wettrüsten könne die Welt retten. 'Wir waren die Cheerlea-
ders der Bombe', sagt sie. In Los Alamos sind dies die meisten
Leute heute noch." (SZ, 6.8.85)
Sieh an: Das Böse gibt sich harmlos und wohnt in gepflegter Umge-
bung. Schon wieder ein Grund zum wohligen Gruseln. Wenn es einem
paßt, kann man also auch einen Unterschied zwischen Oben und Un-
ten wieder einführen. Sind die lauteren Absichten
e i g e n t l i c h in der Politik beheimatet, wie kann dann das
Böse Macht über sie erlangen? Genau, der Steuerzahler, der was
"sehen will für sein Geld" (vgl. Spiegel, 19.8.85), ist nun mal
ein geborener Gewaltfanatiker. Das darf man ihm nicht durchgehen
lassen. Man hat ihn sich ja entsprechend zurechtkonstruiert: Ganz
so, als ob der Mensch aus purer Lust und Laune die Gewalt hochle-
ben ließe - und nicht Staatsbürger Waffenstärke begrüßen, weil
sie dem e i g e n e n Staat Handlungsfreiheit verschafft. - Der
Glaube an das Gute im Menschen braucht jedoch auch angesichts der
mißratenen Mannschaft von Los Alamos nicht zu verzagen. Auch dort
soll es Menschen geben, die noch an das Gute in der Politik glau-
ben. ...
Irrtum zeugt Bombe...
E i g e n t l i c h hätte die Menschheit sie gar nicht gebraucht
"... Wissenschaftsboss Bush an den US-Präsidenten...: 'Es ist
durchaus möglich, daß Deutschland vor uns liegt und sehr wohl fä-
hig sein k ö n n t e, früher als wir Superbomben zu produzie-
ren.' Diese Furcht hat die Atombombe gezeugt... (Doch) zu keinem
Zeitpunkt bis zum Ende des Hitlerreiches droht auch nur der
Schatten einer deutschen 'Superbombe'. Es gibt sie nicht... So
hat die schrecklichste Waffe aller Zeiten ihren Ursprung in einer
Täuschung, in einem gigantischen Mißverständnis: Die Gefahr, ge-
gen die sie erfunden wird, existiert nicht. Der Wettlauf um die
erste Kernspaltungsbombe findet gegen ein Gespenst statt. All das
Denken und Wissen, das den Bau der Überwaffe möglich macht, wird
von Nichtwissen gelenkt, vom Irrtum angetrieben. Es ist die erste
der diabolischen Ironien, von denen das Atomzeitalter gekenn-
zeichnet sein wird." (Spiegel, 19.8.85)
Die Bombe hätte es eigentlich nicht gebraucht, weil Hitler sie
gar nicht h a t t e. Interessant, Was aber, wenn ein
w i r k l i c h s c h l i m m e r Staat - es soll ja da immer
noch einen geben - über sie verfügt? Dann hätte die Bombe immer-
hin einen späten Sinn. Andersrum: Wer sagt denn, daß die USA
glaubten, Hitler h ä t t e die Waffe. Bereits die Vermutung, er
ließe an ihr bauen, die M ö g l i c h k e i t (vgl. das Bush-
Zitat) also, daß er über sie verfügte, reichte hin für den Be-
schluß: Diese l a t e n t e B e d r o h u n g können wir nicht
gelten lassen, Von wegen Täuschung also: Mit dem Gegensatzpaar
Wissen/Nichtwissen wird die Atombombenpolitik ihres politischen
Zwecks entkleidet und in einen geistigen Lapsus, in eine Absurdi-
tät verwandelt, mit der man sich die H i n t e r g r ü n d e
des Geschehens zu Gemüte führt. Ganz schön diabolisch, wie da der
Irrtum die Geschicke der Menschheit hinterrücks an sich reißt,
Wahrlich amüsant, wie hier auch der planende und befehlende Teil
der Menschheit als Würstchen dasteht, als Opfer des eigenen sinn-
losen Tuns, das ihm nun seinen Willen aufzwingt... Irgendwie
kommt sie einem doch bekannt vor, die Kraft, die stets das Gute
will und stets das Böse schafft...
Die Bombe will verantwortet sein...
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... von den Naturwissenschaftlern:
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Nützliche Idioten erwünscht!
"In Washington behält der Atomwaffengeneral Groves die Oberhand
über die mahnenden Atomphysiker, die nun erkennen müssen, daß sie
nichts weiter als die nützlichen Intelligenz-Idioten des Militärs
und der Machtpolitik sind." (Spiegel, 19.8.85)
Was ist also gefragt? Nützliche Idioten mit Unterscheidungsvermö-
gen. Wenn sie sich überzeugt haben, daß sie es mit Nicht-Atomge-
nerälen und Nicht-Machtpolitikern zu tun haben, sind ihre Dienste
unausweichlich und ihre Mahnungen voll der besten Folgen.
Wissenschaft im Schauder vor der Geschichte
Vor allem aber müssen Wissenschaftler in der Verantwortung vor
den W i r k u n g e n ihres Tuns ihre F o r s c h e r t ä-
t i g k e i t mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Folgen
v e r w e c h s e l n. Dann kommen sie beim Physiktreiben aus
dem Schwindel gar nicht mehr raus:
"'Über den Nachweis und das Verhalten der bei der Bestrahlung des
Urans mittels Neutronen entstehenden Erdalkalimetalle.' So
w e n i g v i e l v e r s p r e c h e n d lautet die Über-
schrift eines knapp fünf Druckseiten langen Textes, den die Fach-
schrift 'Die Naturwissenschaften' in ihrer Ausgabe vom 6. Januar
1939 veröffentlicht. Die Verfasser: Otto Hahn... Fritz Straßmann.
Inhalt:... Mitteilung, daß die beiden Forscher nach dem Beschuß
von Uranproben 'mittels Neutronen' Stoffe 'mit der Eigenschaft
des Bariums' gefunden haben. Hahn getraut sich nicht, diesen
Stoff unzweideutig 'Barium' zu nennen; denn er fühlt sich über-
fordert von den u n e r h ö r t e n physikalischen Folgerungen,
die sich daraus ergäben. Er und sein Assistent, schreibt Hahn,
könnten sich zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphy-
sik widersprechenden Sprung noch nicht entschließen.'
Den s c h w i n d e l e r r e g e n d e n 'Sprung', vor dem
Otto Hahn zurückschreckt, w a g t eine gerade erst vor den Na-
zis geflohene 60jährige Frau. ... Lisa Meitner wird zur Schlüs-
selfigur auf dem Weg zur atomaren Geschichtswende." (Spiegel,
19.7.85)
Der "wenig vielversprechende" Titel hätte wohl besser gelautet:
"Ankündigung des alsbaldigen Beginns des Atomzeitalters". Doch
Hahn, dem Zauderer, fehlte wohl selbst zu dieser Überschrift der
Mut. Da mußte erst eine Frau den Männern vormachen, wie man dem
"unerhört" Neuen in der Physik gerecht wird: physikalische Folge-
rungen a l s geistiges Wagnis von nicht abzusehender Reichweite
zu wag-folgern. Peinlich, peinlich.
Mehr Halt in die Wissenschaft!
"Sie waren geniale Forscher, Diener der reinen Wissenschaft. Sie
sollten die Fesseln der Materie sprengen, doch sie entfesselten
ein Zeitalter des Schreckens: Zauberlehrlinge, die die Sonne auf
die Erde holen wollten und die Atombombe in die Welt setzten.
Seither leben wir in Erwartung der Apokalypse." (Stern, 1.8.85)
Die Wissenschaftler müssen sich schon allerhand gefallen lassen,
wenn ein aufgeklärtes Blatt die Staatsgewalt in die r e i n e
R e l i g i o n verwandelt. Dann sind "reine" Forscher die rein-
sten T e u f e l. Ihre Wissenschaft ist nichts als der
F e h l glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des menschlichen
Geistes, wo man doch bei Mensch immer laut "Grenze" schreien muß.
Die Versündigung gegen die dem Menschen gesetzten Schranken
r ä c h t sich. Wer die Fesseln der Materie sprengen will - so
ein Quatsch kommt dabei raus, wenn Journalisten der 'Glasperlen'-
Wissenschaft mit deren 'A l l m a c h t s phantasie' eins rein-
würgen wollen -, bekommt zu spüren, daß er selbst nur ein Stäub-
chen ist. Als ob die Naturwissenschaftler etwas dafür könnten,
wenn der "Stern" beschließt, den W e l t u n t e r g a n g zu
prophezeien, auf den man gefälligst zu w a r t e n hat, wird
diese Propaganda als Folge ihres ruchlosen Tuns "abgeleitet":
Weil sie das Menschenunmögliche wollten und sich Gott-Ebenbürtig-
keit anmaßten, läßt der Herr "uns" als Menschen dafür büßen. Ge-
mein, gell. Wenn da schon nix zu fordern geht, muß wenigstens die
Parole "Mehr Halt in die Wissenschaft" erhört werden. Am besten
zurück hinter Newton zu Ptolemäus, da war die Wissenschaft noch
nicht vom G l a u b e n abgefallen:
"Das alte Newtonsche Weltbild der Harmonie und Stabilität, der
Unteilbarkeit der Atome und der Berechenbarkeit aller Vorgänge in
der Natur war zusammengebrochen. Der Umsturz war nicht weniger
dramatisch als 400 Jahre zuvor die Erkenntnis des Kopernikus, daß
sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.... Es gab
keine festen Haltepunkte mehr. Gewiß war nur eines: Die Kernphy-
sik hatte eine Grenze erreicht, wo sie aufhörte, ein Glasperlen-
spiel zu sein. Wo es nicht um abstrakte Erkenntnisse ging, son-
dern um den Weg, den die europäisch-amerikanische Zivilisation
einschlagen würde." (Stern, 1.8.)
...von den Befehlsempfängern:
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Wir sind alle Gewissenswürmer!
"Navigator fühlte sich schuldig - Selbstmord. Hiroshima-Pilot be-
reut nichts. Auch Präsident Nixon hat viermal den Einsatz der
Atombombe erwogen." (AZ, 6.8.85)
Das Auch bringt's. Egal, ob Befehlsgeber, -empfänger oder Opfer:
Die Bombe ist und bleibt eine Frage, die der Mensch m i t
s i c h auszumachen hat.
Du sollst Dir ein Gewissen machen, wurscht welches!
"- Der eine Atombombenschütze bringt sich um. Depressionen.
- Der nächste will sich des öfteren vor japanischen TV-Kameras
entschuldigen: 'Es tut mir leid`'.
- Der dritte sagt: 'Ich bereue nichts. Der Krieg ist immer grau-
sam. Egal, ob er mit Pfeil und Bogen oder mit dem Knüppel ausge-
fochten wird. Darüber moralisieren die Leute dann gern. Ich habe
nur meine Arbeit getan. Ich hatte Erfolg und freue mich darüber.'
- Der vierte hatte Schuldkomplexe, ließ sich später ein Dutzend-
mal bei Einbrüchen und Raubüberfällen erwischen. Er wollte wenig-
stens bestraft werden und im Gefängnis sühnen." (AZ, 6.8.85)
Der Herr mit dem Knüppel braucht sich heute nicht mehr den Ver-
gleich mit einem KZ-Schergen gefallen zu lassen, auch wenn ihn an
seinen Opfern nur interessiert, wie erfolgreich er den Befehl an
ihnen vollstreckt hat. Heute wird eben das gute Gewissen eines
Mörders umstandslos vorgeführt - immerhin hat er die nationale
Sache ganz schön voranbringen geholfen. Und um nicht einseitig zu
erscheinen, läßt man an den anderen kleinen Negerlein ihre Tat
als ihren bösen Willen an ihnen nagen und zehren.
... von den Politikern:
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Der Mensch als militärisches Ziel der Bombe kommt nicht in Frage!
"Unter großer Anteilnahme des Auslands gedachte Hiroshima... des
ersten Atombombenabwurfs einer gegen Menschen eingesetzten Atom-
bombe vor 40 Jahren am 6. August 1945." (SZ, 7.8.85)
Die "Abendzeitung" enthüllt, daß Nixon 1969 den Atombombeneinsatz
erwog: "Ganz ernst war es Nixon 1969 in Vietnam. Er entschied
sich letztlich dagegen: 'Weil es sich nicht um militärische Ziele
handelte'," (AZ, 6.8.85)
Neben der Bekräftigung des Glaubens an den verantwortungsbewußten
Einsatz des Mordgeräts - als Mensch kann man sich also selbst im
Atombombenzeitalter einigermaßen sicher fühlen - wird schon mal
ansatzweise klargestellt, daß Politiker über diese Waffen nicht
verfügen, um sie n i c h t einzusetzen: militärische Ziele ge-
hen voll in Ordnung.
Es gibt noch Gentlemen in der Politik
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"Der 77jährige Kriegsminister Stimson ist nicht nur ein Gentleman
alter Schule, der in barbarischen Zeiten Reste einer nobleren Ge-
sinnung zu bewahren versucht und schon wegen der zurückliegenden
Großangriffe gegen die Zivilbevölkerung besorgt ist, weil er
nicht will, daß die 'Vereinigten Staaten den Ruf bekommen, Hitler
an Greueltaten zu übertreffen.'...
Stimson rechtfertigt aber seine gute Tat (die Rettung der Kaiser-
stadt Kyoto) keineswegs mit kulturellen Werten, sondern mit dem
Problem, von dem das Denken der führenden Amerikaner schon total
beherrscht wird: der Rivalität mit der Sowjetunion. ... 'Die Ver-
bitterung, die ein solcher Willkürakt (in Japan) hervorrufen
würde, könnte es unmöglich machen, daß sich die Japaner in der
langen Nachkriegsperiode mit uns versöhnen statt mit den Rus-
sen'." (Spiegel, 19.8.85)
Nobel also, die Gesinnung, auch wenn hinten und vorne nicht zu
erkennen ist, daß der Glaube an die zu bewahrenden höheren kul-
turellen Werte der Grund war, weshalb Kyoto verschont wurde: Sie
löst sich ganz auf in das Bedenken, welch nachteilige Wirkung die
Zerstörung der Kunst- und Kaiserstadt auf den politischen Ruf der
USA in aller Welt und auf die beabsichtigte Benutzung des Kriegs-
gegners "in der langen Nachkriegsperiode" haben könnte. Macht
aber nichts, eine gute Tat war's trotzdem. Dann ist eben der
Gentleman, für den man ihn unbedingt halten möchte, zum Opfer
seiner antikommunistischen Umgebung geworden. Politiker haben es
besser: Sie brauchen nur einen gewissen R u f zu haben und
schon können sie gar nichts mehr falsch machen.
Wie man sich gegen die Bombe feit
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Du kannst noch wählen: Gott oder die Bombe?
"Die Irrationalität der Atombombenpolitik kann nur mit der Ratio-
nalität von Politikern überwunden werden, die endlich sich auch
vorzustellen wagen, welche Folgen ihre Politik haben könnte. Es
fehlt nicht an Phantasie, es fehlt an Mut zum ersten Schritt, und
es fehlt an Ehrfurcht vor dem Leben, an Ehrfurcht vor Gott. Gott
oder die Bombe? Wem vertrauen wir mehr?" (Franz Alt in der AZ,
6.8.85)
Warum hängt eigentlich der Gang des Weltgeschehens vom Glauben
der Mannschaft ab, wenn Gott und der Böse es sowieso unter sich
abmachen? Von der Entscheidung für das Gute oder das Böse, wie
hier fingiert, hängt schwerlich etwas ab: Selbst Herr Alt dürfte
sich schwer tun, jemanden aus seinem Bekanntenkreis zu benennen,
der sich dem Bösen verschrieben hat. Aber auf den Glauben, daß
die Welt vor der Alternative "Bombe oder Leben!" steht, daß die
Welt in Ordnung geht oder gehen könnte, wenn sich nur die richti-
gen Leute der richtigen Werte annehmen, kommt's schwer an.
Nicht umsonst ist hier die Möglichkeit: weder Gott noch die
Bombe, und Vertrauen schon gleich gar nicht - nicht vorgesehen.
Das 11. Gebot: Du sollst nicht abtreiben!
"Als ein schlimmes Zeichen, das an Schrecklichkeit nicht hinter
den Atompilzen von Hiroshim und Nagasaki zurückstehe, hat der
Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter,
die Abtreibungspraxis in der Bundesrepublik bezeichnet.
Wie der Kardinal bei einem Pontifikalamt zu Mariä Himmelfahrt im
Dom meinte, sei die Menschheit über die weltweite atomare Bedro-
hung mit Recht bestürzt. Allein in der Bundesrepublik würden aber
in einem Jahr mehr als 200.000 Kinder im Mutterschoß getötet, was
die Zahl der Opfer beider Atombomben vom August 1945 in Japan
noch übersteige.
In dieser Situation, so sagte Wetter weiter, sei die verklärte
Gottesmutter für die Menschen ein Zeichen des Lebens und der
Hoffnung, unter dem auch Atombomben schwächer und bedeutungsloser
würden und das Übel und Unrecht der Abtreibung zurückgehen könne.
Keine Macht der Welt könne das von Gott geschenkte Licht des Le-
bens und der Hoffnung zerstören." (SZ, 16.8.85)
Somit entstehen jedes Jahr zwei Abtreibungspilze im Bauch Deines
Volkskörpers, dem Dein Bauch gehört.
Sag ja zum Leben!
"Durch meine Freunde, die Hibakunisei (Kinder der Atombombenop-
fer) habe ich bemerkt, wie sehr das Weiterleben durch ein Kind
ein elementares menschliches Bedürfnis ist. ... Sie erleben eine
Geburt, d.h. das Weiterleben, intensiver als wir.
In Japan gibt es einige Politiker, die den Hibakunisei Kinder
verbieten wollen und damit eine extreme Form der Verdrängung
praktizieren. ... Aber wenn die Menschheitserfahrung der Hiba-
kusha und Hibakunisei nicht verstanden, sondern verdrängt wird,
besteht die Gefahr, daß diese Erfahrung wiederholt werden muß."
(taz, 7.8.85)
Daß gegen die Atombombe kein anderes Nein als das unbedingte Ja
erlaubt ist: das sagen der Papst, Reagan und Geißler. Das sagt
die taz auch, weil sie auf ein Opfer gestoßen ist, das das auch
sagt. Und sie geht gleich noch einen Schritt weiter. Das wirklich
uneingeschränkte Ja - zum Überleben nämlich, dessen Name heute
Kind ist - sagt man nur, wenn einem die Pistole auf die Brust ge-
setzt wird. Also "muß" "möglicherweise" die negative "Erfahrung"
doch noch mal wiederholt werden, damit das Ja endlich klar genug
rauskommt!
Was tun?
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Die Frage erübrigt sich. "Reife" beweist die Menschheit, indem
sie überlegt, wie sich "mit der Bombe leben" (SZ, 16.7.85) läßt.
Und da schau an: es läßt sich. Die Opfer sind wie immer solida-
risch und tauschen mal zur Abwechslung einen "Erfahrungsaus-
tausch" über ihre Bestrahlung aus (SZ, 6.8.81). Alle Menschen
guten Willens appellieren an den guten Willen aller Menschen,
damit es nicht zum "Unvorstellbaren" kommt. Andere wieder warnen
- nicht etwa die Politiker davor, so weiterzumachen wie bisher,
sondern:
"Hiroshima ist eine niemals endende Warnung für die Zukunft der
Menschheit."
Wen hat er jetzt eigentlich wovor gewarnt? Die Menschheit vor der
Zukunft oder die Zukunft vor der Menschheit? Auf jeden Fall müs-
sen sich beide schwer in Acht nehmen. Die nächsten versorgen die
Welt mit Informationen über die Bombe, an denen sie schon vorher
keinen Mangel litt. So bestaunt dann alle Welt den Atomkrieg als
Schicksal, Wahnsinn oder tiefgründig hintersinnige Geschichtsiro-
nie, als ein Rätsel, aus dem eine Lehre gezogen sein will. Man
kann aber auch schweigen, beten oder Kinder kriegen für den Frie-
den, damit diese dann Friedenskraniche basteln und Fähnchen
schwenken können für den Frieden. Man soll nämlich optimistisch
in die Zukunft blicken, vor der man sich auch gruseln darf. Und
die Meinung, daß es i m m e r s c h o n Kriege gegeben hat,
ist auch nicht verboten. Aus ihr läßt sich auch Trost schöpfen:
Die G e f a h r eines Krieges muß ja nicht unbedingt, sondern
nur vielleicht eintreten. Dann blickt man mit einer ausgewogenen
Mischung von Schauder und hoffnungsvoller Erwartung auf das, was
kommen mag - nicht ohne den Politikern für die Erledigung dessen,
was ansteht, recht viel Weisheit zu wünschen.
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