Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION AUTONOME - Vom schwarzen Block


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       Bürgerkriegsübung an der Hamburger Hafenstraße:
       

DER STAAT BESORGT DEN RECHTSFRIEDEN

Seit letzter Woche steht die Hamburger Hafenstraße im Blickpunkt der Nation. Ein für Hamburg und den Rest der Republik "unerträglicher Zustand" soll dort herrschen. Von "Kriegserklärung an die Gesellschaft" durch ein "Gewaltpotential" ist die Rede, ein "rechtsfreier Raum" sei entstanden; und ernste Politiker-Mienen wie Gewaltszenarios, die jedem anständigen Bür- ger das Grausen lehren, unterstreichen, was hier auf dem Spiel steht: der Rechtsstaat zumindest. Dabei lassen allein schon die staatlich avisierten "Lösungsvorschläge" von wegen "gewaltsamer Räumung" gar nicht erst den Schein aufkommen, die Bewohner der paar heruntergekommenen Altbauten am Hamburger Hafen und ihr schwarzgekleideter Anhang könnten irgendeiner Weise auch nur die kleinste praktische Störung des Geschäftsganges dieser Republik bewerkstelligen. Darum geht es nicht - und braucht es auch nicht zu gehen, wenn die Ansprüche des freiheitlichen Rechtsstaates an law und order den Ausnahmezustand definieren und ihn staatsgewal- tig inszenieren. 1. Ein "alternatives Wohnprojekt" war die Hafenstraße noch nie. Mit regelmäßigen Hausdurchsuchungen, Zwangsräumungen und permanenter Polizeipräsenz hat der Hamburger Senat den dortigen Bewohnern schon seit längerem klargemacht, daß ihre vorübergehende Duldung in den Häusern zur Kündigung ansteht. Mit seinem Beschluß, eine definitive Erledigung herbeizuführen, war die Hafenstraße kein "Problem" mehr, mit dem das eine Mal durch Gerichtsvollzieher, das andere Mal mit Stromabschalten umzugehen war, sondern würde zum "rechtsfreien Raum". Als hätte der Senat plötzlich mitten im rechtsstaatlich durchorganisierten Hamburg eine souveräne Enklave entdeckt, deren Bewohner sich jeder Kontrolle durch Recht und Ge- walt entzogen hätten, hat er mit seiner Definition nicht nur das T h e m a für die öffentliche Meinungsbildung vorgegeben, son- dern sich selber die Handlungsmaxime erteilt, das in Sachen Ha- fenstraße die A u t o r i t ä t d e s R e c h t s s t a a t s wieder herzustellen sei. Er hat die Geltung des Rechts selber und dessen Durchsetzung zu seiner Sache erklärt, und an diesem Ent- schluß das Tun und Lassen der Hafenstraßenbewohner gemessen. Wo derart prinzipielle staatliche Ansprüche zur Entscheidung stehen, wird aus so manchem Vergehen etwas grundsätzlich Anderes: Die allenthalben empört aufgedeckten Rechtsbrüche von Leuten aus der Hafenstraße - vom "Mietrückstand" über "Stromdiebstahl" bis zum "Schwarzfahren" -, die als solche nicht einmal einen Kripobeam- ten, erst recht nicht auf St. Pauli, hinter dem Schreibtisch her- vorholen, sind dieser staatlichen Sichtweise gemäß lauter An- haltspunkte und Beweise für die Nichtanerkennung des Rechts als solchem und summieren sich zu einem einzigen "Gewaltpotential". Da stören dann Barrikaden und nicht deshalb, weil sie jeden freien polizeilichen Zugriff auf Häuser und die Bewohner ernst- haft vereitelt hätten - so lächerlich diese Lüge ist, für die Staatsgewalt und ihre Rechtsherrlichkeit buchstabiert sich der Sachverhalt umgekehrt. In den stinknormalen Rechtsbrüchen der Be- wohner bis hin Anfechtung der Räumungstitel sich für den Hambur- ger Senat der organisierte W i l l e, das Recht zu brechen. daß jemand in dieser sozialfriedlichen Republik den Respekt vorent- hält und Senat sehen, sogar gegen es aufbegehrt, mögen sie über- haupt nicht leiden, die demokratischen Herrschaften. Daraus be- gründen sie i h r e n Auftrag. Sie beschließen, daß die Erledi- gung des alten "Problems Hafenstraße" den Rechtsorganen Gericht und Polizei anheimfällt, sondern die Wiederherstellung des Rechts zur politischen "Chefsache" wird. Darüber wird aus der Hafen- straße eine S t a a t s a k t i o n, in der nicht mehr ver- letzte Rechtsparagraphen zur Bereinigung anstehen, sondern der demonstrative Willensbeweis der Bewohner erzwungen werden soll, daß sie sich der Geltung des Rechts fügen. 2. Was als Ringen des Senats um eine "friedliche Lösung" diesem li- berale Anerkennung verschafft hat, war deshalb nicht von Anfang an nicht als Angebot an die Hafenstraße gedacht, mit einem Miet- vertrag versehen einfach zu wohnen. Das wäre ja auch ohne "Ringen" zu haben gewesen. Der vom demokratischen Staat üblicher- weise gewährte Rechtsstatus, in dem das elende Mieterdasein auf dem freien Wohnungsmarkt geregelt ist, war für die Bewohner der Hafenstraße auf keinen Fall vorgesehen. Schließlich geht es, wie die zuständigen Herren im Rathaus nochmal eigens klarstellten, nicht einfach um eine "friedliche Lösung", sondern um die "Herstellung des Rechtsfriedens". Und der buchstabiert sich ge- waltsam. Was nicht nur die Form des U l t i m a t u m s, mit dem der Staat der Hafenstraße seine Bedingungen ihres Überlebens angeboten hat, deutlich klarstellt. Seinem Inhalt nach beseitigt der Vertrag alle Momente eines solchen, verbietet jeden berech- nenden Umgang der Hafensträßler mit der Rechtsform, und sei es nur gesichertes Wohnen. In den Klauseln des Vertrages, an dem die ehrenwerten Senatoren wochenlang gefeilt haben, haben sie für die Hafenstraße einen völlig neuen Rechtsstatus geschaffen, der ihre Bewohner jenseits jeder Gerichtsbarkeit der p o l i t i- s c h e n Kontrolle durch den Senat unterstellt. Von der Mißachtung der Hausordnung, wie z.B. das Versäumnis der Geh- wegreinigung, bis zur Straffälligkeit eines Bewohners durch zwei- maliges Schwarzfahren, ist alles aufgelistet, was der Senat "unter den gegebenen Umständen" nicht einfach als Ordnungswidrig- keit oder Rechtsvergehen verstehen will, sondern als oppositio- nellen Akt definiert, und deswegen mit der fristlosen Kündigung des Mietvertrages aller Häuser geahndet werden muß. Was ansonsten allenfalls gerichtliche Mahnbescheide nach sich zieht oder über- haupt nicht Gegenstand eines mietrechtlichen Verhältnisses ist, will der Senat als Rechtstitel zu seiner direkten Verfügung si- chergestellt wissen, mit denen er das Mieterdasein der Hausbewoh- ner seiner Kontrolle unterstellt. Damit hat er den Bewohnern der Hafenstraße nicht nur einfach eine Blankovollmacht zur jederzeitigen Räumung der Häuser zur Unter- schrift vorgelegt, sondern einen dauernden politisch beurteilten Gesinnungstest als Bedingung für den Verzicht auf staatliches Zu- schlagen diktiert. Nach dem Muster einer Freiheitsstrafe auf Bewährung haben sie ge- fälligst dauerhaft und ständig ihre Unterwerfung unter die staat- liche Aufsicht anzuerkennen und als demonstrierte Einsicht vor sich herzutragen - indem sie sich als durch und durch anständige Musterknaben aufführen. Andernfalls droht ihnen die gerechte ge- waltsame Beseitigung. Das ungeheuer friedfertige Vertragsangebot des Senates ist schlicht auf die Infamie hinausgelaufen, die georderte demonstra- tive Anerkennung der staatlichen Autorität unter Androhung ihrer gewaltsamen Durchsetzung dem Willen und Benehmen der Hafensträß- ler selbst zur Aufgabe zu machen. Sie sollen als leibhaftiger Er- folg staatlicher Erziehungsbemühungen herumlaufen. 3. Daß der Senat vorab und unbedingt auf der "Räumung sämtlicher Barrikaden" und sonstiger "baulicher Veränderungen", die den Zu- tritt der Staatsgewalt behindern könnten, besteht und an dieser Bedingung den "Frieden" scheitern läßt, ist somit eine sehr be- rechnete Prinzipienreiterei. Er setzt damit die uneingeschränkte Respektierung seiner Staatshoheit auf die Tagesordnung, die den Schein von zwei auch nur formell gleichberechtigten Verhandlungs- partnern nicht verträgt. Die Anerkennung der uneingeschränkten Gültigkeit der staatlichen Souveränität erklärt der Senat zu der Voraussetzung, der sich die Hafenstraße zu unterwerfen hat, damit überhaupt etwas zur Verhandlung steht. Daß die zu "Befestigungsanlagen" aufgebauschten Stacheldrähte und Stahltüren eine nennenswerte Behinderung des staatlichen "Zutritts" darstel- len würden, glaubt keiner; weg sollen sie als Symbol des "ungebrochenen Widerstands". Genau diesen letzten Rest eines Dokuments einer sich auflehnenden Gesinnung hat der Senat im Auge, wenn er den "Abbau der Befesti- gungsanlagen" fordert - und damit nicht einfach den Abbau von diesen, sondern das Aufgeben der "dahintersteckenden" Gesinnung. Verlangt ist damit nämlich eine sichtbare - und zwar republikweit sichtbare - Demonstration des eigenen Unterwerfungswillens. Und diese abgeforderte Dokumentation des Gesinnungswandels wird zur unverzichtbaren Eingangsvoraussetzung für Vertragsvereinbarungen erklärt: So dürfen die Hafenstraßenbewohner erfahren, daß mit dem Verstreichen des Ultimatums ihr Dasein als R e c h t s s u b- j e k t e, die sich auf bestehende Mietverträge bzw., das Mietrecht berufen oder auf neu auszuhandelnde hoffen können, beendet ist. Wer sich nicht einmal durch die drohende Konfrontation mit der Staatsgewalt zu rechtsfriedlichem Verhalten abschrecken, läßt, ist unbelehrbar. Die praktische Inszenierung dieses Urteils gibt ab sofort das Maß für das bürgerkriegsmäßige Zuschlagen von Poli- zei und Bundesgrenzschutz ab. Die "Herstellung des Rechtsfrie- dens" gegen Subjekte, von denen nach staatlicher Definition nicht zu erwarten ist, daß sie sich ihm beugen, diktiert das Ausmaß der Gewalt, und Rücksicht wäre vollkommen verfehlt. Der Staat be- schließt, sein Bürgerkriegsszenario wahrzumachen und stellt damit endgültig klar, daß Gewalt das einzig angemessene Mittel zur Be- friedung der Hafenstraße ist. 4. Die SPD-Regierung hat mit dem Ultimatum die Gewaltfrage von oben aufgemacht - gleichzeitig in der Form der Verhandlung die Notwendigkeit des staatlichen Aufräumens ganz in die Hände derer gelegt, mit denen aufgeräumt werden soll. Die Vorabklärung der S c h u l d f r a g e war der Nebenzweck der Verhandlungsstrate- gie. Die bewußte Inszenierung von pausenlosen Senatssitzungen mit demonstrativer Verhandlungs w i l l i g k e i t hat so - ohne den Schein sachlicher Kompromisse zuzulassen und die Plazierung von 1000 Polizisten, Grenzschutztruppen und GSG 9 um St. Pauli auch nur ein Stück weit zurückzunehmen - das für die Durchführung des Gewalteinsatzes unverbrüchlich gute Gewissen der Staatsgewalt gestiftet. Bis zuletzt durften sich Freunde der Hafenstraße ein- mischen - als Ringer um stückweise Deeskalation, sprich Kapitula- tionsbereitschaft ihrer Klientel. Bis zuletzt waren Täter und An- wälte der Opfer nicht Parteien gegeneinander, sondern bemüht, dem "Frieden eine Chance" zu geben. So ist in dieser Richtung die Bürgerkriegsübung Hafenstraße schon vor ihrer endgültigen Beendi- gung gelungen. Der Rechtsstaat definiert sich und seine Gewalt als in seinem unumschränkten Autoritätsbedürfnis bedroht - und unterschiedslos alle beteiligen sich, an der Güte des Gewaltmono- pols mitzuwirken. Wer sich bei soviel gutem Willen immer noch verbarrikadiert - dem gebührt die "Ausgrenzung", die an ihm vollzogen wird. zurück