Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION ALLGEMEIN - Von diversen Einmischungen
zurück DiskussionsveranstaltungWAS IST DRAN AN DER "NEUEN PROTESTBEWEGUNG"?
1. In den Hausbesetzungen und Demonstrationen der letzten Zeit gegen die staatliche Wohnungs- und Energiepolitik hat die Presse Anzeichen für eine besorgniserregende Geistesverfassung der heu- tigen Jugend entdeckt. Eine Protestbewegung sei entstanden, die auf "enorme Spannungen zwischen den Generationen" (SZ) hinweise: jeder Kommentator weiß eine Liste von politischen Tugenden aufzu- zählen, welche die Eltern den Heranwachsenden beizubringen und vorzuleben versäumt haben, und schildert die moralischen Defekte, die das "Anspruchsdenken unserer Gesellschaft" erzeugt - bis hin zur polizeipsychologischen Diagnose der seelischen Perversionen, auf die das Werfen von Pflastersteinen schließen läßt. Daß dane- ben für rücksichtsloses Vorgehen gegen Rechtbrecher plädiert wird, ist überhaupt kein Widerspruch zu dieser Art Würdigung des militanten Protests als Generationenkonflikt: es handelt sich um öffentliche Meinungen darüber, wie die laut gewordene Kritik am Staate nun effektiv zu bewältigen ist, wenn sie schon nicht ver- mieden worden ist. Unwichtig ist für dieses Urteil der Inhalt des Protests, entscheidend die Gewaltfrage: denn man ist sich sehr einig darin, daß eine politische Forderung niemals zur prakti- schen Behinderung der Staatsgewalt führen darf. 2. "Verständnis" bringen Staat und Öffentlichkeit also gern für die "Motive" der Demonstranten auf, deren Kritik die Politiker zum Anlaß nehmen, zu erklären, daß sie ihrerseits durchaus Wohnungs- not und Atomkraftwerke als politische Aufgaben wahrnehmen. Als indiskutabel gilt dabei der Schaden für Geldbeutel, Gesundheit und Leben des Staatsbürgers, mit denen der Staat in Sachen Woh- nungsbau und Kernkraftwerke rechnet. Nur mit einer Riesenportion guten Glaubens an die Politik ist das Votum der Hamburger SPD ge- gen eine finanzielle Beteiligung der Stadt am Kernkraftwerk Brok- dorf mit einem "Schritt" der SPD zur "Abkehr von der bisherigen Energiepolitik" zu verwechseln; der Bau ist bekanntlich letzten Freitag wieder aufgenommen worden. Was für den Wohnungsbaumini- ster zur Debatte steht, sagt er ebenfalls deutlich: zusätzliche Förderungsprogramme für die Investition in Wohnungsbau und Sanie- rung, welche allerdings, so Haack, nur bei einer gewissen Bele- bung der allgemeinen "Mietzahlungsbereitschaft" lohnend erschei- nen. Daß der Staat sich bei diesen Entscheidungen das Wohl seiner Bürger und die Abschaffung der "Mißstände" zu Herzen genommen hätte, gegen die protestiert wird, ist ein durch beabsichtigter, aber falscher Eindruck. 3. Die Hausbesetzer und Demonstranten legen angesichts dessen Wert auf die Erklärung, daß Anliegen wie ihre Mittel auch nach den staatlichen Maßstäben gerechtfertigt seien. Man stellt korrekt fest: "Durch seine Sanierungsplanung und die Art, wie der Berliner Se- nat Modernisierungssubventionen verteilt, macht er das gezielte Verrottenlassen von ganzen Straßenzügen für die Hausbesitzer zum lohnenden Geschäft." - um dann die Besetzung als Beispiel guten Willens zur "Selbsthilfe" vorzustellen (und zu praktizieren), die der Gegner aus "unverständlichen" Gründen kriminalisiert. "Dieser verschwenderischen (!) Baupolitik setzten betroffene Woh- nungssuchende Selbsthilfemaßnahmen entgegen, indem sie Häuser in- standbesetzten. Sie zeigten damit die Möglichkeit auf (!), vor- handenen Wohnraum billig zu erhalten." Die Schwäche dieses Angriffs, die moralische Enttäuschung über den Staat, der sich über die Bedürfnisse seiner Bürger gewaltsam hinwegsetzt, wenn sie sich illegal betätigen, zeigt sich nicht nur darin, daß das Beispiel polizeilich unterdrückten Widerstan- des gegen die Staatsgewalt das Vertrauen des Bürgers in seine Po- litiker nicht erschüttert - schließlich setzt er nicht auf Wider- stand, sondern auf die polizeilich erlaubten Verkehrsformen. Die dramatisierte Interpretation von Straßenschlachten als revolutio- näre Schlüsselerlebnisse entspricht leider auffallend der Journa- listenrede von der "neuen Jugendbewegung": "Das Bild, das der Platz um das Kottbusser Tor bietet, versetzt mich schlagartig in eine andere Realität. Eine Hochstimmung macht sich breit, der Prozeß der Vergesellschaftung ist in vollem Gange. In dieser Nacht sind in Kreuzberg die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt... Kreuzberg als Exterritoriales Ge- biet?" (taz) Und manch einer fühlt sich zum Ausbau eines linken Selbstver- ständnisses gedrängt, das nichts weiter zum Inhalt hat als das Bekenntnis, man sei eben ein herzlos diskriminierter Jugendli- cher: "Alle wollen ein herrschaftsloses Leben ohne Unterdrückung füh- ren. Wir werden kriminalisiert, nur weil wir uns verwirklichen wollen. Nur, weil wir zufällig gegen ein paar Gesetze verstoßen, die sich irgendwelche Greise ausgedacht haben." (Ein Göttinger Hausbesetzer) So harmlos ist die Sache wirklich nicht! zurück