Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION ALLGEMEIN - Von diversen Einmischungen
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Marxistische Schulzeitung Bremen, 27.06.1980
Freie Republik Wendland zieht um
HÖHEN UND TIEFEN DER BRETTERBUDEN-DIPLOMATIE
Wie von gewöhnlich nicht unterrichteten Kreisen zu erfahren war,
haben die Pioniere des ersten "Bretterbudenstaates" auf den Gras-
matten der Wallanlage dank "diplomatischer Beziehungen" zum Bre-
mer Senat einen ersten Achtungserfolg errungen: sie sind mit ih-
rer Republik umgezogen. Da die Freie und Hansestadt Bremen nach
Auskunft ihrer Diplomaten keine Lust hatte, ihrerseits umzuzie-
hen, einigte man sich gütlich: Die Holzverschläge sollen auf den
Kennedy-Platz. Anfängliche Bemühungen seitens der Wendland-Diplo-
matie, einen eingeschriebenen Heimatvertriebenenverband zu grün-
den, wurden wieder aufgegeben. Das Gipfeltreffen, das in herzli-
cher, aber konstruktiver Atmosphäre verlief, konnte letztlich
doch in seinem Ausgang als hinreichender Erfolg der Wendland-Di-
plomatie präsentiert werden:
"Die Vertreter des Senats hatten insbesondere an den guten Willen
der Atomkraftgegner appelliert, daß sie es als engagierte Umwelt-
schützer doch wohl nicht gutheißen könnten, eine Grünfläche zu
verschandeln..."
Konnten sie nicht, zumal sie auch an dem eigenen Wendländischen
Gartenbauamt, Markenzeichen der Wald- und Wiesenbewegung, nicht
vorbeikamen. Das trat ganz energisch für Grün ein, wie es seines
Amtes ist, stand also auch den Senatagärtnern fair eine grüne
Wallanlage sehr aufgeschlossen gegenüber.
Getrübt wird der Erfolg nach bislang unbestätigten Berichten al-
lerdings durch zweierlei: erstens will der Bremer Senat jetzt,
nachdem die Grashalmtreter mit ihrer Republik das Gebiet gewech-
selt haben, die Wallanlage doch betonieren. Die in ihrem diploma-
tischen Wert sicher nicht zu unterschätzende Zusage des Senats,
die Wendland-Politiker dürften ihr Territorium auf seinem Ken-
nedy-Platz benutzen für die Ausstellung von "Windrotoren als Mo-
dell für die Nutzung alternativen Energien", hat sich in ihrem
politischen Kern mittlerweile als echtes Windei erwiesen: am Ken-
nedy-Platz gibt es gar keinen Wind, wie Anwohner glaubhaft mach-
ten. Außer dem, den die Anwohner wegen der Umsiedlung selber ma-
chen.
"Diese Befürchtungen, so meinte gestern ein Wendlandrepublikaner,
seien unbegründet und spiegelten lediglich Vorurteile wider."
(WESER-KURIER)
Wie dem auch sei, den jungen Diplomaten kann man bescheinigen,
daß sie bereits Stunden nach ihrem ersten Aggrgment und ohne ein-
zigen roten Teppich mit Füßen getreten zu haben, im Procedere
dieses Geschäfts versiert sind. Getrübt wird diese Vorstellung
allerdings durch eine Visitenkarte, die sie den Anwohnern an ih-
ren Schlagbäumen verteilten. Hier entsteht der Eindruck, als wäre
in der großen Politik, der sie nacheifern, auch der Beschiß an
den lieben Anwohnern zuhause. Lapsus oder Wahlverwandschaft?
Liebe Mitbürger,
seit dem 15. Juni wurden wir Ihre neuen Nachbarn. Wir würden uns
freuen, bei Kaffee und Kuchen (es wäre hilfreich, wenn Sie selbst
etwas mitbringen könnten) über die Sorgen, die Sie bewegen und
über die Sorgen, die uns bewegen, mit Ihnen ins Gespräch zu kom-
men.
Termin: Montag, 16. Juni 1980 ab 18.30 Uhr auf dem Präsident-Ken-
nedy-Platz
Sollten Sie zu diesem Zeitpunkt nicht kommen können, so sind wir
selbstverständlich auch zu jedem anderen Zeitpunkt bereit, ein
Gespräch mit Ihnen zu führen.
Mit nachbarschaftlichen Grüßen
DIE PLATZGRUPPE
Kennt man du nicht von Politikern? Erst versprechen sie ein Kaf-
fekränzchen. Dann, statt "Die Krönung" auf den Tisch zu stellen,
wollen sie den mitgebrachten Kaffe der anderen saufen. Aber auch
noch unverhohlene Schadenfreude auszudrücken über das willfährige
Fußvolk - "W i r würden uns freuen..." - geht einen Schritt zu
weit. Vertrauensbildende Maßnahmen tun hier not, folgt man der
großen Politik, die so jede ihrer Zumutungen in politisches Kapi-
tal für sich beim Wähler ummünzt. Der Idee nach war wohl mit dem
Kaffetrinken ähnliches beabsichtigt, in der Durchführung aber
zeigt die Mimikry große Schwächen und entartet mehr und mehr zur
ungewollten Persiflage.
Da heißt's dazulernen, will man im Geschäft bleiben, Ein ganzes
Jahr haben die Diplomaten vom Bretterstaat allerdings dazu Zeit,
weil sie sonst nichts zu tun haben.
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