Quelle: Archiv MG - BRD OPPOSITION ALLGEMEIN - Von diversen Einmischungen


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DIE STUDENTENBEWEGUNG (1. TEIL)

Die Rebellen der sechziger Jahre sind unverrichteter Dinge abge- treten. Kein einziges ihrer kleinen und großen Ziele haben sie erreicht. All das, wogegen sich ihre oppositionellen Bemühungen richteten, schreitet munter fort. Die Anlässe, "radikal" zu wer- den und das "System" anzugreifen, werden von dessen Machern täg- lich vorgeführt. Die BRD '88 präsentiert sich unverschämt wie eine Materialsammlung für die Kritik des Kapitalismus, die einst Karl Marx vertrat. Und was treiben die Veteranen der Protestbewe- gung, insbesondere die, an denen ein bißchen Prominenz hängen- geblieben ist? Sie stellen sich, in ungetrübter Eitelkeit, den Medien zur Verfügung und stricken mit an der Jubiläumslüge; nach dem ekelhaften Muster "wir feiern die verdienstvollen Konsequen- zen und bleibenden Errungenschaften" der Bewegung entlocken sie gemeinsam mit ihren Feinden von damals ihrem Rückspiegel eine im- mergleiche Botschaft. Die Logik der Würdigung ----------------------- Ohne rot zu werden, wiederholen "Dabeigewesene" die Einsicht der professionellen Schönfärber: Nein, ohne die Studentenbewegung wäre die Republik nicht das, was sie heute ist! Ja, sie hat un- sere politische Kultur entscheidend geprägt. Auch die Friedens- und Öko-Bewegung geht auf die von damals zurück. Das Reformieren ist in die Bonner Szene eingezogen. Usw. Sturzzufrieden mit der BRD '88 verabreichen die Rückblicker ohne jeglichen Zorn der Op- position von einst das Kompliment, sie hätte sich um das Gemein- wesen verdient gemacht. Und sie fühlen sich auch gar nicht ge- drängt, zu erzählen, was an der BRD '88, die sie so rückhaltlos begrüßen, so prächtig ist. Meinen sie die AKWs und die Arbeitslo- sen? Die Fortschritte der Rüstung in den letzten 20 Jahren, die imperialistischen Glanztaten, die "Nord-Süd"-Frechheiten der SPD, die Notstandsgesetze? Glauben sie, die Grünen seien gut, weil sie irgendetwas Böses verhindert hätten? Denken sie bei "politischer Kultur" an Korruption, Hanau, Flick oder an Barschel? Offenbar geht es nur um die Darbietung des Märchens, da hätte sich eine Nation von ihren Kritikern tief beeindrucken lassen, sich geläutert - womit natürlich auch das Ende der radikalen Be- wegung in Ordnung geht. Nur zur Richtigstellung dieses schwarz- rot-goldenen Märchens sei daran erinnert, - daß die Bewegung der 60er Jahre ein etwas anderes Programm hatte als eine BRD '88, in der sich manche so wohl fühlen - daß dieser unser Staat die Rebellen von einst bekämpft hat (manche haben es nicht überlebt), und daß sein Lernprozeß eher in Richtung Gewalt für ganz viel inneren Frieden gegangen ist. Die politischen Positionen der Studentenbewegung ------------------------------------------------ Daß die Rebellion manchem Bürger sehr umstürzlerisch vorgekommen ist, hat mit dem Inhalt der Kritik nicht übermäßig viel zu tun. Eher schon hat das Auftreten, das Demonstrieren und "Besetzen", die Konfrontation mit der Polizei bei braven Leuten wie bei der hetzenden Journaille den Eindruck erweckt, hier hätte das Abend- land eine große Bewährungsprobe zu bestehen. Die Einwände der aufmüpfigen Jugend verdienen eigentlich zurecht das damals auch übliche Etikett "r a d i k a l d e m o k r a t i s c h"; und die Reaktionen der real existierenden Demokratie belegen nur, daß die "beste aller Herrschaftsformen" Illusionen über sich nicht duldet, sobald sie praktisch werden wollen. a) Wissenschaft und Ausbildung ------------------------------ An den Lehren der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften ent- deckten die bewegten Studenten einen Mangel, der von Wissen- schaftlern wie Habermas schon leidlich salonfähig gemacht worden war. Sie vermißten am Vorgelesenen und in Seminaren Diskutierten die Gelegenheit, die "methodologischen Voraussetzungen" zu kriti- sieren. Das erscheint heute wie eine Ironie: die Dummheiten und Ideologien der Universität tragen sich 20 Jahre danach allesamt mit dem Bekenntnis zu einer Methode, zu einem Ansatz vor, legen ihr "Erkenntnisinteresse" offen und fürchten nicht im geringsten den Vorwurf der Parteilichkeit. Anders kann sich heute kein Aka- demiker mehr Wissenschaft vorstellen, und als "kritisch" gilt das Bekenntnis zum Pluralismus, das auch als Gebot für jedermann da- herkommt. Daß Wissenschaft einen Gegenstand hat und diesen er- klärt, hält die universitäre Gemeinde für schieren "Dogmatismus", der Triumph des methodischen Denkens ist vollständig, so daß sich auch die widersprüchlichsten Auffassungen friedlich in jeder Dis- ziplin versammeln - nach dem Motto: "wie man herangeht, so fällt die Wissenschaft eben aus." Daß manche von den Jungakademikern ihren damaligen Einwand heute für erledigt ansehen und fröhlich an der modernisierten und me- thodisch-kontrollierten Ideologiebildung mitmischen, ist unbe- streitbar. Dennoch kam die Forderung, Professoren sollten endlich explizit ihre methodischen Voraussetzungen angeben - und zwar ge- trennt und möglichst vor ihrer Lehre - damals aus einem anderen Bedürfnis zustande als dem, das akademische Treiben möge sich endgültig zum Instrumentalismus und zum parteilichen Vielerlei entwickeln. Gefordert war gegen Professoren einer früheren Gene- ration, deren sinnstiftende Lehren mit den Interessen der Studie- renden nicht vereinbar schienen, eine Besinnung auf die "gesellschaftliche Relevanz" des Zeugs. Der für fortschrittlich erachtete Ansatz war die nervtötende Übung, alles "gesellschaftlich" zu sehen und damit nicht die ebenfalls schnell durchgesetzte Soziologisierung der Wissenschaft zu beantragen, sondern auf eine soziale Verpflichtung zu dringen. Daß noch von der letzten Literaturinterpretation und Geschichtsvorlesung eine Auskunft über die Verbesserung und Gestaltung einer demokrati- schen Gesellschaft auszugehen habe, war das eingeklagte Vorur- teil, das als Ansatz seine Eintrittskarte in die Uni verlangte. Die Mehrzahl der Lehrenden an den Universitäten sah in solchem Ansinnen eine "Politisierung" der Wissenschaft, zog sich den al- bernen Vorwurf "unpolitisch" zu und galt dafür als reaktionäres Pack, das sich in seinem "Elfenbeinturm" einhaust. Der zweite "Einwand" gegen die Wissenschaft war damit auch schon fertig: vermißt wurde die "Reflexion der praktischen Folgen des Gelernten", wie überhaupt damals wenig Wissenschaft betrieben, dafür aber immerzu alles "reflektiert" wurde. Genauso wenig, wie die Forderung nach der methodischen "Selbstkritik" einen Fehler an der "herrschenden Wissenschaft" zu ermitteln gestattete, führte besagte "Reflexion" zu einer Wissenschaftskritik. Statt falsche Gedanken in den verschiedenen Fächern auszumachen, den Grund dafür zu suchen und einmal den Lehren selbst einen Vorwurf zu machen, erging sich der kritische Student der 60er Jahre in "kritischer Wissenschaft". Darunter verstand er die ewige Frage- rei nach "praktischer Relevanz" getrennt und vor, später neben der Befassung mit den dargebotenen Theorien. Dabei ist manchen Leuten die Erfindung von "praktischen" Bedeutungen gelungen, die nur als Witz faßbar sind. Der Glaube, daß die akademischen Ideo- logien von der VWL bis zur Literaturverehrung im wirklichen Leben Anwendung finden, irgendwie den Gang des gesellschaftlichen Le- bens entscheidend bestimmen, war gang und gäbe. Der F a n a- t i s m u s d e r d e m o k r a t i s c h e n W i s s e n- s c h a f t war unterwegs und reklamierte mit dem Attribut "demokratisch" von der Wissenschaft lauter "F u n k t i o- n e n", die der garantiert nicht anzuhängen sind. Gemeint war eben 'Praxis' im Sinn gesellschaftsverändernder guter Werke. Alle demokratischen Ideale, der Wunsch, alles ein wenig sozialer und gerechter haben zu wollen, kamen zum Zug - und die Entwürfe alternativer Berufspraxis hatten Konjunktur. Durch die Veränderung von Wissenschaft und Ausbildung gemäß dem radikalde- mokatisch ermittelten Veränderungsbedarf der "Gesellschaft" wollte man letztere umkrempeln. Der historische Zufall wollte es, daß diese Bewegung in den Ideo- logen der "Bildungskatastrophe" einen streitbaren Bündnispartner fand. Die Auffassung, vom Ausbildungswesen und vom Quantum der Elite hinge ein wenig die Zukunft der Nation ab, war damals auch bei maßgeblichen Zeitgenossen Mode. Was aus "uns" wird, sollte sich an der Bildungsfront entscheiden - und aus dem Zusammenwir- ken beider Mannschaften ist dann eine Bildungsreform geworden. Mit ein paar Arbeiterkindern mehr an der Uni, ein paar zusätzli- chen Idiotensilos und ganz viel arbeitslosen Akademikern, auf die die "Gesellschaft" pfeift, weil sie ihre Arbeitslosen und ihr Bruttosozialprodukt zählt... b) Die bundesdeutsche Demokratie -------------------------------- Die Protestanten an den Hochschulen haben den akademischen Be- trieb konsequent an der Demokratie gemessen - und zwar an der, die sie im Kopf hatten. Vor diesen Idealen hat sich der tägliche Betrieb des bundesrepublikanischen Ladens gründlich blamiert. Der demokratische Geist, den die jungen Staatsbürger nicht nur an der Uni, sondern überall suchten, war einfach nirgends da. Daß die nicht mehr so junge Generation bei Demokratie einfach "unser Staat" meinte, daß sie für den Staat und für "Ordnung" herzlich viel und ohne weiteres Prüfen übrig hatte, merkten die verände- rungsbeflissenen, gelehrigen Schüler des Sozialkundeunterrichts, Marke "post-faschistisch" sehr schnell. Sie ermittelten zu ihrem Entsetzen bei den praktizierenden Demokraten des Volkes, gewöhn- lich schon in der eigenen Familie, ganz gewöhnliche Staatsbürger und Opportunisten, die sich recht viel gefallen lassen und darauf noch stolz sind. Ebenso stolz wie auf ihre Zugehörigkeit zu einer Nation, in der alte Nazis flott in der demokratischen Machthabe mitmischten. An einem Präsidenten Lübke, der nicht nur auch ein Nazi war, sondern auch noch dumm wie die Nacht, monierten sie einen Widerspruch, der nur in ihrer Einbildung existierte. Aufge- regt befanden sie, daß die Macht in einer deutschen Demokratie einer besseren moralischen und geistigen Ausstattung würdig sei. Die Idee der Unversöhnlichkeit von faschistischem und demokrati- schem Regieren reizten sie bis zur Unglaubwürdigkeit aus. Nie ist es der ersten Generation von Bewegten eingefallen, daß sich viel- leicht ihre Vorstellungen an der Wirklichkeit blamieren könnten statt umgekehrt. Gleichheit und Freiheit vermißten sie allenthal- ben, weil sie nicht merkten, daß die bürgerliche Gesellschaft nur die Härten dieser staatlichen Einrichtungen vollstreckt. Sie glaubten an diese und alle anderen "Werte" und entdeckten einen Verstoß nach dem anderen. Die große Koalition warf sie aus der Bahn ihres Glaubens an die Demokratie, was den Segen vom Kampf der konkurrierenden Willensbildner um gute Regierung anlangte. Freilich nicht so sehr, daß sie auf die Verwirklichung ihres Glaubens als kritische Haltung verzichteten. Die Notstandsge- setze, mit denen die demokratisch ermächtigten Politiker alles Nötige für den Fall des Falles ihres Staates beschlossen, hielten sie für ein Verbrechen am demokratischen Auftrag und für so etwas wie den Vorabend eines Putsches zur Beseitigung eben von Demokra- tie. Nichts von dem, was ihnen mißfiel, wollten sie als Konse- quenz und Notwendigkeit der demokratischen Art, Staat zu machen, auffassen. Der von einigen "linken" Professoren zurechtgeschu- sterte "Widerspruch" von Verfassungsanspruch und -wirklichkeit hatte es ihnen angetan, und ein Buch namens "Die Transformation der Demokratie" machte schwer Eindruck. In soziologischen Wendun- gen erfuhren sie die bittere Kunde, die ihrer Aufregung ent- sprach: Die Demokratie sei schwer in Rückbildung begriffen und ihrer eigentlichen Wesenszüge verlustig gegangen. Den Verdacht konnte die Bewegung nur bestätigen; und was die Indolenz und In- toleranz ihrer Mitdemokraten anlangte, kam sie zu dem betrübli- chen Schluß, daß es sich um einen klaren Fall von Manipulation handeln müsse. Es ehrt freilich die Jungs und Mädels von damals, diesen seiner Natur nach elitären Gedanken zum Anlaß genommen zu haben, auf Opposition und Widerstand zu machen. Immerhin sind sie darauf verfallen, sich mit Gott und der Welt anzulegen; so wurden sie für die real existierende Demokratie und deren Macher im Nu zu Feinden. Und nicht nur für die. Auch viele, deren sie mehr De- mokratie und soziale Wohltaten zukommen lassen wollten, hielten sich nicht nur vornehm zurück, sondern traten energisch für eine Aussiedlung nach drüben ein. c) Der Imperialismus -------------------- Die Sache mit dem Vietnamkrieg und anderen Unternehmungen der freien Welt wurde schon wieder nach demselben Muster erledigt. Die geglaubte Güte der westlichen Staatsform bildete den Stachel für Zweifel und Verdächtigungen der radikalsten Sorte. Das Inter- esse daran, was die offiziellen Mächte des demokratischen Lagers alles anstellen, was die Freiheit von Geschäft und Gewalt voll- bringt, ging in Ordnung. Und es hätte auch ganz gut den Glauben erschüttern können, man hätte es mit dem Zufall, in einer Demo- kratie leben und studieren zu können, ganz gut getroffen. Tat sie aber nicht, die Befassung mit den Auswärtsspielen des Imperialis- mus. Eine gewisse Rolle dürfte dabei die der BRD zugestandene "Harmlosigkeit" gespielt haben: ökonomische Einmischung, Kapital- export und dergleichen - alles Dinge, die auf der militärischen Wucht der NATO beruhen - waren noch als friedlicher Handel und Wandel verbucht; und die offenkundigsten Untaten erledigten die USA, so daß der Protest eine Zeitlang ein wenig die Gestalt der Forderung annahm, demokratische Herrschaften in Bonn möchten sich von der Schutzmacht distanzieren. Erst in der Bekanntschaft mit Basis-Botschaftern des Auslands, mit persischen und lateinameri- kanischen Studenten wurde einigen Protestanten deutlich, daß die BRD alles andere als eine friedliche Ausnahme in der Allianz der Freiheitsstifter sein dürfte. Freilich wähnte man sich sogleich im Bündnis mit den Kämpfen der unterdrückten Völker, wenn in Ber- lin, Frankfurt oder München eine Demo war. Der Täuschungen gab es also genug, und das Erklären des Imperialismus fand sehr mäßig statt. Aufklärung wurde verlangt und fremden Leuten eher gemäß den Tagesbedürfnissen entsprechend dargeboten, gewöhnlich als Deuten darauf, was für ungeheuerliche Taten im Namen von "freedom and democracy" begangen werden; welche Gäste in Bonn aufmar- schierten, war stets eine Überlegung wert; wo sie auf der nach oben offenen Verabscheuungswürdigkeitsskala hingehörten, war leichter zu entscheiden als die Frage, was die Bonner Mannschaft und die "eigentlich" demokratische BRD mit denen zu tun hat. Noch bei den klarsten Befunden über die Geschöpfe der freien Welt, die dann "Dritte Welt" hießen, wurde die im diplomatischen Verkehr manifeste "Komplizenschaft" gegeißelt, ganz als ob der jeweilige Staatsempfang nichts Dauerhaftes und Handfestes zur Grundlage hätte. Wer wußte damals schon etwas von den Waffen der Konkur- renz, die im Schutze der NATO-Waffen ihre Wirkung taten! Von Wäh- rung und Kredit nicht die Spur einer Ahnung, dafür jede Menge Em- pörung darüber, daß erstens der freie Westen gar nicht aus lauter demokratischen Bündnispartnern bestand, und daß zweitens in Bonn das gar kein Problem war. Auch auf diesem Gebiet der Solidarität mit beleidigten und er- niedrigten Völkern, der Appelle an die regierenden Demokraten, ihrem Ideal gerecht zu werden, ist die Protestbewegung jede mög- liche Konfrontation eingegangen. Die Idee der 'Revolution' dürfte sie wohl aus fernen Landen geholt haben, wo nach einem Wort von Mao-Tse-Tung "Revolution gerechtfertigt" ist. Daß sie sich den Kommunismusverdacht zugezogen hat, war ihr wegen der Nichtbefas- sung mit dem realen Sozialismus einerseits egal - Kommunismus galt sowieso so viel wie "verwirklichte Demokratie" -, anderer- seits spätestens mit dem russischen Einmarsch in Prag viel Di- stanzierungskunststücke wert. Aber wie sollten Leute, die bei "Kapitalismus" ungefähr so etwas wie "Behinderung echter Demokra- tie", also auch bei Geld, Kapital, Lohn, Preis und Profit immerzu nur an Gerechtigkeit dachten, den realen Sozialismus beurteilen. Das einzige "Urteil", das sie beherrschten in bezug auf den Ost- block, lautete: Das wollen und meinen wir nicht! Für Cuba und Che zirkulierte indes jede Art von Sympathie - und ein paar sind auch gleich hingefahren. d) Das Bedürfnis nach "Marxismus" --------------------------------- Die Studentenbewegung hat sich in drei Belangen aufs Streiten verlegt. Das Bemühen, ihre Sache möglichst beredt zu vertreten, war also sehr lebendig. Die Propaganda einer alternativen Art, Wissenschaft zu treiben; einen theoretischen Ansatz zu fordern, der "soziales Denken" verbürgt - das führt allemal zur Suche nach Quellen, die einem helfen. Allerdings wird der Unterschied zwi- schen wissenschaftlichen Befunden und weltanschaulichen Bekennt- nissen unwichtig für den, der seine Lektüre immerzu an dem An- spruch entlang betreibt, den ihm sein praktisches Interesse ein- gibt. Manche halten bis zum heutigen Tag Marx für die bessere Me- thode, Sozialwissenschaft zu zelebrieren, halten die Feuerbach- Schrift nicht für verkehrt, sondern für eine vorzügliche Anlei- tung zur kritischen Soziologie. "Dialektik", Sein und Bewußt- sein", "Praxis" und "historisch denken" etc. - das werden Schla- ger im Werkzeugkasten von Leuten, die ständig darauf bedacht sind, extrem "kritisch zu denken" und ganz übersehen, was sie oder Marx eigentlich zu kritisieren haben. Der Ausflug in die Gesellschaftskritik, der sich der Meinung ver- dankt, die Demokratie sei noch nicht, hat ebenfalls seine Tücken. Die Verwechslung von "sozial" und "sozialistisch" hat Tradition, und an die haben sich viele Lesende unter den Bewegten lieber ge- halten, als daß sie sich bei Marx die einschläigen Korrekturen einleuchten ließen. Wieviele wissen denn schon, daß der Sozial- staat ebenso wie die Institute Gleichheit und Freiheit zur Klas- sengesellschaft gehören? Und daß Gerechtigkeit immer so ausfällt, wie die Produktionsweise es gebietet? Offenbar ist es bequemer, sich an Literatur zu bestätigen, die den eigenen Standpunkt be- kräftigt - und gerade an Schriften, die den Marxismus methodisch und "sozial" zurechtlegen, mangelt es wahrlich nicht. Was die er- wähnte "Theorie" der Manipulation angeht, bringen es manche fer- tig, aus einem Spruch von Marx über "notwendig falsches Bewußt- sein", aus dem "eindimensionalen Menschen" von Marcuse und aus der beherrschenden Macht der Medien haargenau dasselbe Klagelied zu komponieren. Der Imperialismus erzeugt das Interesse von Wissen über und aus der "Dritten Welt", aber für einen ideellen Globaldemokraten die Schwierigkeit, vom Seufzer nach " Entwicklung" und "Demokratisierung" loszukommen. Die falsche Erklärung von Lenin für Weltmarktsunsitten und Krieg hatte deswegen keine lange Kon- junktur, weil sie unkritisiert zugunsten anderer und ziemlich hu- manistisch angelegter Machwerke beiseitegelegt wurde. Beliebt war eine Zeilang Originales aus den Stätten des Volkskriegs, auch wenn es vor lauter Volksgerechtigkeit oft ein wenig dumm ausfiel. Daß das alles nicht anders sein kann, stimmt nicht. Wer Marx erst einmal in die Hand nimmt, hat auch ganz gute Chancen, in seiner Erklärung die BRD wiederzuerkennen und seine Veränderungsbestre- bungen neu zu sortieren. Teil II in der nächsten MSZ - Die Praxis der Bewegung - Das Vereinsleben der Avantgarde - Die Auflösung der Bewegung - in Reformpolitik und -hochschulen - in die K-Gruppen - in Spontaneismus und Terrorismus - Die Spuren, die in der heutigen BRD übriggeblieben sind zurück