Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN TV - Was das Volk aufregt
zurück Ein starkes Stück Deutschland im Fernsehen:SAG DU ZU MIR. DEIN NRW
Ab sofort sollen sich alle Nordrhein-Westfalen duzen, ob groß oder klein, ob Chef oder Kollege Arsch, ob Ministerpräsident oder Bürger xy. Dieser bahnbrechende Vorschlag eines Werbeexperten vom Kommunalverband Ruhrgebiet mag mehr oder weniger ernst gemeint sein; er bringt jedenfalls Idee und Absicht der Kampagne pro NRW sehr genau auf den Punkt. Je härter die Zeiten, desto dichter stehen wir alle an Rhein und Ruhr zusammen. Dabei kennen wir we- der Klassen, noch Parteien: Thyssen-Vorstand und Thyssen-Prolet verbrüdern sich genauso innig wie SPD und CDU. Und wir mögen uns selber und unser Land natürlich mächtig, da bringt uns kein Mies- macher von ab. Eine einzige Inflation des "wir", der letzte Woche gut 150 Sendeminuten im Dritten gewidmet waren. Eine einzige Gleichmacherei, und das ganz ohne Kommunismus. Wie geht das? Die befragten Bürger -------------------- mußten nicht erst auf Linie gebracht werden. Sie wußten, was ge- fragt war: "Sind Sie glücklich in diesem Land?" Aber immer! Da solches Bekenntnis für den Zweck der Sendung ein bißchen wenig problembewußt ausfiel, wurde solange nachgebohrt, bis das Hurra auf NRW in nachdenklicher Form vorgetragen wurde. Glücklich ja, aber was bringt die Zukunft? Werden unsere Kinder auch noch so glücklich sein können? Gut so! Damit ist klar, daß das "Glück", nach dem gefragt wurde, mit der eigenen Lebenslage sowieso nichts zu schaffen hat. Und bekräftigt ist damit auch, daß die "Zukunft" gar nicht in der Zuständigkeit derer liegt, die sich hier bekla- gen. Ihre Sorge ist nämlich nichts als ein untertäniger Appell an die hohen Herren Politiker, sich zu kümmern. Es muß etwas getan werden - dieser dumme Spruch ist für Bürger nie der Auftakt zu einer Einmischung in die Politik, sondern deren Ende. Es ist fünf vor zwölf, die Lage ist ernst - damit ist dann folgerichtig und endgültig der Blankoscheck an die Zuständigen ausgestellt. Wer wird angesichts dieser Lage an sich selbst denken wollen! Die Bürger hatten damit ihren Part gespielt, Ihre paar Sorgen um Lehrstellen und Arbeitslosigkeit waren abgehakt und eingeordnet: als bloßes Material für eine Sorge ganz anderer Art. Es geht ums Ganze, um unser schönes NRW. Die anwesenden Politiker ------------------------ nahmen diesen Ball auf und spielten ihn sich in der Folge wech- selseitig zu. Streit gab es keinen, wie auch? Farthmann ist für NRW, Worms auch und Rohde sowieso. Im Unterschied zu den treu- doofen Bürgern im Publikum wissen diese Herren allerdings sehr genau, daß ihre Parteilichkeit für das Bundesland, dem sie vorstehen (wollen), von ganz anderem Kaliber ist als die rührselige Heimatliebe, die sie beim gewöhnlichen Volk so sehr schätzen. Sie wollen ein schlagkräftiges Land, das sich die Butter nicht von irgendeinem Ausland vom Brot nehmen läßt, sondern eben umgekehrt die Konkurrenten in die Pfanne haut. Sie wollen ein Land, über das sich unter Inanspruchnahme des geschätzten Volkes erfolgreich regieren läßt. Das ist die Heimatliebe von Politikern. Die Rolle des feindlichen Auslandes spielt dabei ironischerweise die südliche Rest-BRD. Diese Bayern und Schwaben, die wir nach dem Krieg mit Kohle und Stahl durchgefüttert haben und die sich jetzt anmaßen, NRW in Sachen Fortschritt belehren zu wollen! Das ist für Politiker nicht nur einfach furchtbar ungerecht - mit dieser moralischen Sichtweise bedienen sie allein die Empfindungen ihres Publikums, sondern ein einziger Handlungsbedarf. Rhein und Ruhr müssen industriell nachrüsten. Eine gewaltige Anstrengung namens "Strukturwandel" stehe auf der Tagesordnung, trompeten die Landespolitiker ins Land. Man mag schon kaum noch nachfragen, was diejenigen, die mit ihrer Arbeit oder Arbeitslosigkeit für diesen Aufschwung in die Pflicht genommen werden, denn eigentlich selber davon haben, außer eben der tristen Genugtuung, es "den anderen" gezeigt zu haben. Eine Orgie in Nationalismus fand da im Fernsehen statt; zwar im regionalen Kleinformat, aber mit allem, was dazu gehört: äußerer Feind, innere Ge- und Entschlossenheit und der demonstrative Verzicht auf kleinliches Parteiengezänk angesichts der Schicksalsfrage für unser Land. Die Vertreter der Wirtschaft ---------------------------- gaben zu Protokoll, daß der Aufschwung ganz einfach wäre, wenn man sie nur machen ließe. Das "man" sind die Politiker, genauer: die Bürokratie. Mit dieser Standard-Berschwerde über allerlei Hemmnisse ihres unternehmerischen Tatendranges bestritten sie ih- ren Part. Und widersprochen hat ihnen auch niemand, es war ja ein Abend der Einigkeit. Zwar wußten die Unternehmer auch nicht so recht zu sagen, wo denn in NRW die ganz besondere Unternehmer- feindlichkeit zu suchen sei, die dieses Land ins Hintertreffen gebracht habe. Das jedenfalls wollten sie loswerden: man muß sie machen lassen. Die Chancen sehen sie günstig. Eine "hochmotivierte Arbeiterschaft" warte nur darauf, von ihnen aus- gebeutet zu werden. Dieses nette Kompliment fand sogar herzlichen Beifall im Publikum. Einige nähere Ausführungen, was denn darun- ter im einzelnen zu verstehen sei, brachte auch noch. Die Gewerk- schaft ins Bild. Sie war zwar in den Gesprächsrunden nicht ver- treten, was sie sicherlich sehr gewurmt hat, weil sie doch NRW und seine Hochleistungsproleten auch ganz vorne sieht. Aber als ein Widerling von Speditionsunternehmer aus dem schwäbischen Reutlingen sich damit brüstete, daß seine Arbeiter auch samstags die Mercedes-Lastwagen wienern, durften die Jungs von der Arbei- terbewegung das 35-Stunden-Emblem kurz in die Kamera halten. So war auch für ein bißchen Basis auf Zollern 2/4 gesorgt. Das Ansehen ----------- insbesondere des Ruhrgebiets liegt im argen. So hat man vieler- orts das völlig unhaltbare Vorurteil, daß die Luft hier schlecht ist. Nun mag es einen heimatliebenden Eingeborenen hart ankommen, daß man andernorts über seine Örtlichkeit schlecht denkt. Mit dem "Klima", das im Zusammenhang mit Investitionen und Profit gemeint ist, hat dies jedoch nur insofern zu tun, als sich ein Manager überlegen kann, ob er sein Penthouse in München-Pasing mit einer Villa in Essen-Bredeney tauschen soll. Den Investitionen und dem Profit ist das ziemlich egal. Und dem Manager letztlich auch. Überhaupt hängt vom "Klima" wie auch von einer angeblich oder wirklich herrschenden "Stimmung" gar nichts ab. Wenn allerdings das kapitalistische Geschäft kriselt, wird so getan, als läge der Grund dafür nicht in dieser Ökonomie, sondern in allerlei Emp- findlichkeiten der nationalen Seelenlage. Dann ist an der Krise allen Ernstes das schlechte "Image" schuld. Aber glückicherweise gibt es auch einen Lichtblick: Die Wissenschaft ---------------- und ihre universitären Hochburgen in NRW, die auch über die Lan- desgrenzen hinaus angeblich in einem ausgezeichneten Ruf stehen. Dies der passende Übergang, zum Auftritt von Wissenschaftsmini- sterin Brunn, die nicht anstand, die "enorme Leistungsfähigkeit" der nordrhein-westfälischen Geistesarbeiter zu preisen. Ihre Parole "Die Intelligenz nutzen!" wird von den hiesigen Intelli- genzlern vermutlich wieder als ein einziges Kompliment aufgefaßt werden. Statt aber gleich wieder geschmeichelt jedes akademische Innovationszentrum und jeden Technopark als staatliche Anerken- nung ihrer Fähigkeiten und als Eldorado ihres Forscherdranges aufzufassen, könnten sich auch diese Musterbürger einmal überle- gen, wozu sie da eigentlich ihren nordrhein-westfälischen Geist in Bewegung setzen sollen. Das ist sicher auch von Roboter- forschern nicht zuviel verlangt. Jenes Sprichwort, daß Wissen Macht sei, hat noch nie gestimmt. Die Macht will über taugliches Wissen verfügen können, um es für ihre Zwecke zu benutzen - dar- über gibt gerade die gegenwärtige NRW-Kampagne einige Auskunft. Daß Wissen nicht Macht und auch kein Kapital ist, sondern beide voraussetzt, dies könnte unser "junges Wissenschaftlerpotential" spätestens beim Verfassen der ersten Bewerbungsschreiben merken. Für all die anderen, die bei Wissenschaft eh bloß Bahnhof verste- hen, ist auch gesorgt: sie dürfen mit Jean Pütz staunen, welche unglaublich famosen neuen Kunststoffe die einheimische Chemiekü- che zaubern kann. Freizeit und Kultur ------------------- sind ebenso eine "Investition in Zukunft", was auch sonst. In der Nähe von Brilon im Hochsauerland kann man tatsächlich Ski fahren, und in Köln gibt es große und wichtige Museen. Kurz: Wenn man al- les nur konsequent genug unter dem Gesichtspunkt betrachtet: "Wie steht unser Land da?", dann ist natürlich auch alles ungemein be- deutsam für unser Land. Apropos: Wußten Sie schon, daß Sie in der "wichtigsten Kulturlandschaft Europas" wohnen? Sehen Sie! zurück