Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN TV - Was das Volk aufregt


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"EINIG VATERLAND - DIE LEHREN DER GESCHICHTE"

Radio- und TV-Diskussion mit Lothar GALL (Bismarck-Experte), Fritz FISCHER (I. Weltkriegsexperte), K.D. BRACHER (Weimar-Ex- perte) und Michael STÜRMER (Experte für alles ab 1618) Historiker bestätigen: So mußte es kommen und so ist's recht! Was haben vier Herren, die als renommierte Fachleute für Vergan- genes vorgestellt werden, zum Projekt "Deutschland einig Vater- land" zu sagen, an dem in Bonn z.Zt. kräftig gebastelt wird? Zur S a c h e an sich nichts - ihr Metier ist schließlich der Schnee von gestern und nicht die Veränderung der Landkarte von heute. Eingeladen und freundlichst gebeten, den "großen Fundus Ihrer Weisheiten" auf Auskünfte und Erkenntnisse in Sachen aktuelle Vergrößerung der Nation zu befragen, werden sie, weil eine In- stanz namens "Geschichte" angeblich gewisse "Lehren" für die Po- litik bereithält, denen diese pfleglichst zu folgen habe. So ge- fragt, ließen die Historiker sich natürlich nicht lumpen und ver- kündeten unisono, daß die "Wiedervereinigung" - immerhin die Re- vision des Ergebnisses des letztens Weltkrieges - erstens sowieso unumgänglich war, zweitens natürlich gegen niemanden gerichtet ist, drittens aber unbedingt in der NATO zu geschehen hat. Dies alles lehrt sie ihre Brille, durch die sie die Welt betrach- ten. Und das geht so: Frage: "Gibt es so etwas wie einen 'furor teutonicus', eine Art Zerstörungswut der Deutschen, und gibt es heute einen neuen deut- schen Nationalismus?" Antwort: "Daß die deutsche Geschichte sich im 19. Jhd. plötzlich so verschärft hat - in den Augen der Nachbarn -, hängt mit 2 Pro- blemen zusammen: einmal mit dem sog. verspäteten Nationalstaat, also der verhältnismäßig späten und unter schwierigen Bedingungen zustandegekommenen nationalen Einigung, und zweitens mit dem Nachholbedarf bestimmter imperialer Tendenzen, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich. Das beides ist im Ersten, v.a. aber im Zweiten Weltkrieg - endgültig, will ich sagen - zu Ende gegangen. Teilweise widerlegt, teilweise anachronistisch geworden. Insofern leben wir heute tatsächlich in einer anderen Zeit." (Bracher) Frage und Antwort kennzeichnen das Strickmuster der Sendung. Zunächst wird den anwesenden Professoren ein Verdacht vorgetra- gen, den sich kritische Kollegen ihres Fachs ausgedacht haben: Gibt es nicht so etwas wie ein typisch deutsches W e s e n, das zu Zerstörung und Krieg neigt und immer dann zum Vorschein kommt, wenn die deutsche Nation sich auszuweiten gedenkt? Dieser Ver- dacht würdigt kein einziges, vergangenes oder aktuelles, politi- sches, wirtschaftliches oder militärisches I n t e r e s s e, das deutsche Gewalthaber und Geschäftemacher gegenüber anderen Staaten an den Tag legen, sondern entwirft nach der Logik eines negativ gewendeten Geschichtsdeterminismus ein B i l d von ei- nem teutonischen Monster, das nichts als kaputtmachen will und wegen dieses ewigen Germanen in uns allen öfter mal zuschlagen muß - und ist gerade als dieser unsympathische Pappkamerad das geeignete Stichwort für die anwesenden Experten: Früher mag "der Deutsche" ja so gewesen sein, aber heute! Dieses Schauspiel nahm vor etwa 150 Jahren seinen Lauf. Zu einer Zeit also, als es Deutschland noch gar nicht gab. Das war aber gerade das Pech! Während sich überall um "uns" herum nämlich Nationalstaaten bildeten - woran dem Historiker das Warum und Wozu herzlich scheißegal ist, weil er dieser Tatsache eh bloß die Weisheit entnimmt, daß dann ja wohl die Zeichen der Zeit auf Nationalstaat gestanden haben müssen! -, hinkten wir dem Erblühen junger Nationen hinterher wie ein spätes Mädchen. Damit haben die Professoren schon einmal sehr grundsätzlich alles, was die Macher unserer "unter schwierigen Bedingungen" doch noch zustandegekom- menen Nation in den letzten 150 Jahren getrieben haben, total auf den Kopf gestellt - die T a t e n ihrer Kaiser, Kanzler, Führer und Feldherren werden als R e a k t i o n auf die Anforderungen der jeweiligen Zeit interpretiert -, und "die Geschichte" schreibt sich fortan fast wie von selbst: Während die anderen schon frühzeitig ihre "imperialen Tendenzen" austobten, wie das offenbar, zumindest während ihrer Pubertät, im Wesen von Natio- nalstaaten liegt, lagen wir noch in Geburtskrämpfen und hatten d e s h a l b dann selbstverständlich allerhand "nachzuholen" - drum Erster und Zweiter Weltkrieg! So konnte einerseits der Ein- druck vom "furor teutonicus" entstehen, mit dem es andererseits aber auch mal wieder sein Bewenden haben mußte. Also guckt unser Experte ganz genau hin und fixiert den Endpunkt der "imperialen Tendenzen" des Deutschen Reiches haarscharf auf das Jahr 1945: Melde gehorsamst, "Nachholbedarf" gedeckt, "endgültig, will ich sagen!" Es ist zwar überhaupt nicht einzusehen, warum der "Bedarf" einer Nation, die 2 Weltkriege angezettelt hat, ausge- rechnet durch 2 Niederlagen "widerlegt" bzw. "anachronistisch" werden sollte - wieso nicht noch ein dritter Versuch? -, aber hier schlägt dann eben doch das Deutsche im Historiker durch, das er auch beim Denken nicht vergißt: schließlich hat er das "Zugeständnis", zu welchen Schlimmlingen uns die Geschichte f r ü h e r gemacht hat, eh nur gegeben, um die "Lehre aus der Geschichte" herauszuholen, daß wir uns "insofern" h e u t e "tatsächlich" geläutert haben. Nein, einen neuen deutschen Nationalismus gibt es nicht! Das beweist auch der Blick in die Gegenwart: Beweis Nr. 1: "Wir haben heute die Erfahrung einer erfolgreichen Demokratie, die sich nicht als Imperialstaat, sondern als Teil einer größeren Staatsgemeinschaft versteht. Darum sehe ich hier auch keinen überschäumenden Nationalismus." (Bracher) "Auch heute gibt es den Verdacht, Deutschland wolle erneut seine politische Stellung in der Welt verbessern. Aber wir sind ja ein- gebunden in große internationale Verbände: in die NATO, in die europäische Verteidigungsgemeinschaft, in den europäischen Kul- turbereich." (Fischer) Zuallererst geben die Kenner der Geschichte also zu Protokoll, daß sie die Sprüche von Kohl, Genscher und Co., die gerade die Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zu ihren Gun- sten betreiben, ausgezeichnet nachzuplappern verstehen. Die wis- sen nämlich sehr genau, daß dies der Witz am Projekt "Deutschland einig Vaterland" ist und nicht das Zusammenführen von Menschen - und betätigen sich darum auf der internationalen Bühne auch noch als Diplomaten, die aller Welt versichern, daß sich niemand daran stören soll, wenn Deutschland immer größer wird, weil es uns ja "nur" um Demokratie und Europa geht... . Diese feinsinnige Kunst diplomatischer D a r s t e l l u n g nationaler Vorhaben hat es unseren Historikern offenbar dermaßen angetan, daß sie sie glatt für die Wahrheit der Lage halten: da wir uns "nicht als Imperialstaat v e r s t e h e n", s i n d wir auch keiner - logisch; da wir unseren Anspruch auf die DDR und unsere Feindschaft gegen den Osten seit 40 Jahren als "Teil großer i n t e r nationaler Verbände" anstreben, sind wir dabei natürlich nie und nimmer auf unseren n a t i o n a l e n Erfolg erpicht - noch logischer; und da diese großen Verbände so anhei- melnde Namen tragen wie "NATO, europäische Gemeinschaft und euro- päischer Kulturbereich" (und nicht etwa Warschauer Pakt, sowjeti- scher Zwangsverband und asiatische Barbarei), ist der "Verdacht", es gehe Deutschland, Deutschland über alles, endgültig in den Be- reich übler Nachrede verwiesen - klar?! Eine Lehre gehört also ganz bestimmt nicht zum Fundus geschichts- wissenschaftlicher Weisheiten: daß, wer so auffällig heftig de- mentiert, es in aller Regel nötig hat. Die geistige Tätigkeit der Historiker besteht vielmehr in gar nichts anderem, als die Erwei- terung der Nation, f ü r deren Verwirklichung sie mit Kopf und Bauch heftigst sind, vom Ruch des Imperialen und Nationalisti- schen zu befreien - indem man das Kind einfach auf ein paar an- dere Namen tauft. Oder indem man den Vorwurf weiterreicht: Beweis Nr. 2: "Es besteht die Gefahr, daß die Deutschen mit ihrem aufgeklärten und bescheidenen Nationalgefühl zwischen zwei Feuern liegen: zwischen den unkontrolliert auflodernden antisowjetischen Nationalismen im Osten und einem sozusagen tief aus dem 19. Jhd. kommenden antieuropäischen Gefühl in England bzw. der Angst vor einem großen und notwendigerweise zentralen Deutschland." (Stürmer) Schaut her, ihr Völker: Sind wir nicht bescheiden? Da das Feuer englischer Nationalisten, die seit dem finstersten 19. Jhd. uns unsere Mittellage mißgönnen, dort das Feuer ausrastender Aser- beidschaner - dagegen nimmt sich die nationale Besoffenheit am Brandenburger Tor doch richtiggehend bescheiden aus! Mehr noch: Sind wir nicht z u bescheiden, angesichts der bedrohlichen "Feuer" um uns herum? Im Notfall müssen wir dagegenzündeln... Und überhaupt, kräht Lothar Gall: Beweis Nr. 3: "Es gibt Preußen nicht mehr!" Sie erinnern sich? Preußen: Pickelhauben, zack-zack, Obrigkeits- staat! Gibt's das heute noch? Na also! Dann wirft das ja automa- tisch ein gutes Licht auf Bundeswehr und Demokratie - und es gilt, nur noch eines klarzustellen: Frage: "Unsere Nachbarn haben eine erstaunliche Sorge vor deut- schem Neutralismus. Ist das eine Lehre der Geschichte?" Antwort: "Es gab Leute, die waren immer gegen die NATO und sind es heute noch. Sie können nur kein beruhigendes Sicherheitskon- zept vorlegen ohne ein vernünftiges atlantisches Bündnis. Ein Machtvakuum kommt schließlich nicht in Frage - das wäre ja die Österreich-Rolle: die kann man spielen, wenn man 7 Millionen hat, aber nicht, wenn man 70 hat - oder man schafft sich eine nukleare Zentralmacht, um sich gegen alle Gefahren zu sichern." (Stürmer) So geht das, wenn ein think-tank aus der "Denkfabrik der Regie- rung", als deren Direktor Stürmer vorgestellt wurde, historische Alternativen konstruiert. E n t w e d e r wir imaginieren uns mal kurz als Österreich - eine geradezu abstruse Vorstellung für ein Historikerhirn, das sich aktuell am Anschluß der DDR be- rauscht: dann "geht" das natürlich wirklich nicht; o d e r, denkt der Kanzlerberater sehr realistisch weiter, wenn nicht NATO, dann müßte ja ein gleichwertiger Ersatz her: "die nukleare Zentralmacht'' - drunter schiebt sich da nichts; b l e i b t: das, was zu beweisen war - die NATO ist das einzig Senkrechte! Das ist die "Lehre der Geschichte", und diesen Auftrag hat die deutsche Politik zu erfüllen: nicht, weil es ihr politischer W i l l e wäre, sondern weil "die Geschichte" es von ihr v e r l a n g t. Kann sich das westliche Interesse, die DDR heim in die NATO zu holen, eine schönere Berufungsinstanz wünschen? Die "Lehre der Geschichte" i s t ... halt immer das, was für deutsche Interessen g u t ist. Nachdem sie 45 Minuten lang eine Sachgesetzlichkeit nach der anderen erfunden hatten, um ihre ein- deutige Deutung der Lage zu objektivieren - wußten Sie schon, daß "das vereinigte Deutschland eine für Neutralität" einfach "zu kritische Größe" (Bracher) und "dann zu viele Grenzen" (Stürmer) hat (schätzungsweise genau 1 Einwohner + 1 Grenze oberhalb des kritischen Punktes) - tat es dafür zusammenfassend auch noch der alte Historiker-Kalauer, daß heute nicht schlecht sein kann, was gestern prima war: "Deutschland war nie neutral und kann es heute weniger denn je sein." Und warum "kann" es nicht? Weil die Jungs von der historischen Fakultät schlußendlich auch noch ihre Freunde über den Erfolg des Westens mit einem Argument verwechselten: "Keine Frage: Dies ist die Stunde des Westens!" zurück