Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN SPIEGEL - Nationaler Geist feiert Macht
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Rudolf Augsteins Kommentar zu SDI:
EIN MANN DREHT DURCH / DER MONATSPREDIGER /
DER LETZTE BIBLIANER / NEULICH, ICH SAGE EUCH!
"Von Dir aber höre ich, daß Du könntest Deutungen geben und das
Verborgene offenhalten." (Daniel 5, 16)
Nein - es handelt sich nicht um einen der periodischen Ausfälle
gegen die Sünde des Christentums und seiner Kirchen wider den
Augsteinschen Geist (Matth. 12, 32), wenn der "Spiegel"-Herausge-
ber sich unter dem Titel "Von der Bibel zum Turm zu Babel"
(Spiegel vom 6.1.) produziert! Das befremdende Wortspiel zielt
nicht auf die sonst beklagte Dekadenz des Christentums und seinen
Verrat an der Substanz der Heiligen Schrift. Es setzt beim Leser
allein auf das provozierte Unverständnis, das ihn zur Lektüre
verleiten soll - nach dem Motto: Was hat er denn jetzt schon wie-
der? - Interessantes vorzubringen?, würde der g e n e i g t e
Leser ergänzen.
Viel hat er nicht zu vermelden: daß die Herren des Westens, dem
er sich in vertrautem "Wir" verbunden weiß, ein Feindbild von den
Russen haben, das vor seinen intellektuellen Augen keine Gnade
findet" (1. Mos. 18, 3); daß das amerikanische Weltraumprogramm,
vor den Ansprüchen, die er ihm unterstellt - "absolut sicherer
Schirm" - kläglich versagt und daß "der sicherste Himmelsschirm"
gar gefährlich wäre, da er der Sowjetunion die "Bundesrepublik
als Geisel" ausliefere - ein "Feindbild", mit dem ein Intellektu-
eller durchaus leben kann. Auf diese verkehrten Gedanken frie-
densbewegter Reste verschwendet der Autor allerdings kaum mehr
als einen Absatz. Bei seinem Menetekel - Mene, Mene, Tekel, U-
pharsin (Daniel 5, 25, soll bloß keiner verlangen, daß wir das
erklären; dem Augstein mutet das ja auch keiner zu!) kommt es dem
Autor nämlich auf ganz was anderes an, als sei er jenseits des
Inhalts bloß auf seine Ungereimtheiten scharf. S e i n Seich
ist nicht von dieser Welt (Joh. 18, 36). Die Welt ist ihm ledig-
lich Mittel, sich als Kassandra in Szene zu setzen, die ver-
schlüsselt wie im Orakel zu Delphi die Apokalypse der biblischen
Offenbarungen allenthalben aufspürt und sibyllinisch verdrechselt
seinen "wissenschaftlich verklärten Zeiten" verzapft. So fegt der
Autor kokstrunken durch die Welt-, Literatur- und Geistesge-
schichte, prahlt mit seiner Fledderei Büchmanns "Geflügelter
Worte" und stellt Zusammenhänge her, auf die weiß Gott kein
Schwein kommt. Soll ja auch nicht! Je abwegiger, desto gelunge-
ner! Das steigert die Ver- und damit Bewunderung des Lesers für
die originellen geistigen Eskapaden eines Rudolf Augstein. Von
Wilhelm Busch über die alten Römer zur babylonischen Sprachver-
wirrung, von da in die Siegfried-Sage, dann über Jahwe und den
der Verwirrung vorausgehenden Turmbau hinein in die Philosophie -
"Reagans Sternekrieg ist ein Rausch zum Tode hin"; soll man da
nicht mit Heidegger ahnen, daß Reagan selbst nur ein Wurf zum
Menschen hin sei? -, zum Zitat eines unbekannten Russen und
schließlich Hegel. Dazu gehört mehr als alltäglicher Mut, wo den
doch jeder kennt wegen seiner der ihm eigenen Dialektik geschul-
deten Unverständlichkeit: "Es" (Nein, weder Freud noch Kind, son-
dern SDI - die Red.) "ist dabei in Wahrheit so gefährlich, weil
es nicht funktionieren kann, und es kann nicht funktionieren,
weil es so gefährlich ist. Ein bißchen Hegel könnte nicht scha-
den, denn dies liegt in der Dialektik der Sache." In der Dialek-
tik der Sache nun wirklich nicht (die gerade wegen ihrer Gefähr-
lichkeit, für den Feind nämlich, zum Funktionieren gebracht wer-
den soll) - viel mehr schon an der Dialektik der Aufblähung, die
mit Hegel beileibe kein Ende findet, weil Rudolf Augstein noch
eineinhalb Spalten zur Verfügung hat, um über Science-Fiction-
Filme und nach einer Anspielung auf Disneyland schließlich in ei-
nem furiosem Finale in Gestalt des "Herrn Jahwe" das vernichtende
Urteil über menschliche Hybris zu verkünden. Der Drang nach Un-
verwundbarkeit, Unsterblichkeit, den er da in allem am Werke
sieht - SDI und Genmanipulation erschließen da dem Kenner ewig-
menschlicher Laster ein und dasselbe, weil er seinen Analogien
längst zu einem selbständigen Dasein verholfen hat - steht den
Sterblichen nicht an. Über Verständigungs = Sprach = Friedlosig-
keit führt er bzw. der "Christen- und Juden-Gott" sie geradewegs
in den Untergang. Seine Originalitätsorgie beendet der Mon-
tagsprediger nicht mit einem "Amen". Das wäre erstens nicht ori-
ginell und zweitens ist R.A. kein Sonntagsprediger, der Historie
und Bibel für seine moralischen Lehren ausschlachtet. Er nimmt
vielmehr jedes, ihm passend scheinende, Ereignis zum Anlaß, wis-
send abzuwinken und sein Kulturgut auszubreiten - nach der De-
vise: Es gibt nichts Neues unter der Sonne; alte Mythen haben mo-
derne Absichten längst zum Scheitern verurteilt. Das abschlie-
ßende "Vergelt's Gott" gilt wohl den unversieglichen Quellen sei-
ner spinnösen Einfälle. Oder meint es einfach Lukas 18, il: "O
Gott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die übrigen der Men-
schen." Wahrscheinlich beides.
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