Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN SPIEGEL - Nationaler Geist feiert Macht
zurückVERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG '89 - KUNSTHANDWERK VON DEMOKRATEN - GENUSSMITTEL DER NATIONALISTEN - IRRWITZ FÜR INTELLEKTUELLE
37 illustre Geister aus dem In- und Ausland hat Rudolf Augstein eingeladen, anläßlich Führers Geburtstag ihre Auffassungen über die "Bedeutung" des Geburtstagskindes aufzuschreiben. Die alten Warnungen, Mahnungen und Lehren, "das Schreckliche" be- treffend, kommen zwar vor, durch die Bank geht es aber sehr abge- klärt zu. Die ideologische Auseinandersetzung mit dem Faschismus ist gelaufen, in Sachen moralische Erziehung des deutschen Volkes herrscht kein Nachholbedarf. Umgekehrt ergehen sich die Autoren im freien Räsonnement, was sie sich schon immer zu Hitler gedacht haben oder was ihnen jetzt gerade so einfällt. Ob man nun über Hitler selbst, über Deutschland oder gleich über die Beschaffen- heit der Welt sinniert, macht da keinen großen Unterschied mehr - Hauptsache, der Autor hat einen einigermaßen o r i g i- n e l l e n Gesichtspunkt beizutragen, indem er als ausgewählte P e r s o n (un-)auffällig mit vorkommt. Insofern erfährt man zwar nichts über den Faschismus, einiges aber über die Beschaffenheit des demokratischen Geisteslebens. Hitler - vom Schandfleck zur Chance für die nationale Ehre ---------------------------------------------------------- Die Unvergleichbarkeit der BRD mit ihrem Vorgängerstaat, oder um- gekehrt: ihre überragende Güte gerade im Vergleich mit dem 12jährigen black-out - das sind alte Stiefel, keiner besonderen Erwähnung mehr wert. Von einem ausländischen Politiker, Signor Ferraris, lassen wir es uns schwarz auf weiß geben, daß wir aus der klassischen Erkennt- nis - "Die Entscheidungen, die zum Nationalsozialismus führten, haben sich als I r r w e g e erwiesen, weil sie 1945 z u r Z e r s t ö r u n g Deutschlands geführt haben..." (39; Hervor- hebung der MSZ) - die richtige Lehre gezogen haben; wir wurden eine Demokratie, denn die ist erfolgreicher: "Nur freie Menschen können langfristig daran denken, die Macht zu benutzen, um Erfolge zu eringen." (39) Und das ist dabei herausgekommen: "Auf deutschem Boden wurde die beste soziale und politische Ord- nung errichtet, die es je in Deutschland gegeben hat." (40) Klaus von Dohnanyi, der sich als freier Mensch auch ein bißchen aufs Regieren versteht, stört sich an der Penetranz, mit der die Republik und ihre öffentliche Meinung, für seinen Geschmack an den unpassendsten Stellen (manche Anregung wäre Hitlers Programm ja auch zu entnehmen), auf ihrem unverwechselbaren moralischen Unterschied zum Dritten Reich herumreitet: "Die sozialen Dienste, insbesondere die Pflege der alten Men- schen, werden immer schwerer bezahlbar. Warum kann man einen so- zialen Dienst für alle jungen Mädchen nicht wenigstens gelassen diskutieren, da wir einen Wehrdienst oder Ersatzdienst bei den jungen Männern haben? Nur wegen des Arbeitsdienstes von Adolf Hitler?" (58) Die Sorge quält ihn gleich gar nicht, daß einem bei "Wehrdienst" auch "Wehrmacht" einfallen könnte. Er denkt gleich an die Kunst des Führens, die er Entscheidungskraft nennt, und da will er sich wegen Hitler kein schlechtes Gewissen einreden lassen. "Hitler, seine Erfolge und seine Verbrechen haben uns heute poli- tisch nichts mehr zu sagen. ... Nur Grabfelder und neue Grenzen sind von ihm geblieben. Und in uns die Befangenheit der Schuld und eine Handvoll falscher Lehren, die unser Urteil trüben und unsere Entscheidungskraft lähmen." (58) Ein netter Vorwurf an die Konkurrenz: Sich beim alten Hitler noch Bedenklichkeiten abholen - das führt zu undemokratischen Eintrübungen und Lähmungen. Hitler - ein Auftrag an die politi- sche Entscheidungskraft! Willy Brandt, erster und einziger Nachkriegskanzler mit antifa- schistischer Vergangenheit, will sich mit dem einfachen Hinweis auf die "Schuld" - auf den selbstverständlich auch v. Dohnanyi nicht verzichtet - nicht begnügen. Gerade auf Grund seiner Ver- gangenheit fühlt er sich berufen, als R e p r ä s e n t a n t d e r d e u t s c h e n E h r e aufzutreten. Faschistische Verfolgung hin, Auslandsexil her: D e u t s c h e r N a t i o- n a l i s t ist er allemal geblieben. "Scheiß-Deutschland, du kannst mich mal", eine solche Konsequenz aus dem Faschismus kommt und kam für ihn nie in Frage. Er scheint sich damals schon wie eine Exil-Regierung vorgekommen zu sein. Deswegen appelliert er heute an den ihm so vertrauten Standpunkt der nationalen Solidarität, die durch Hitler "beleidigt" wurde, also um so fester gilt: "Ich habe mich - und was für mich zu einem akzeptablen Deutsch- landbild gehört - immer durch ihn beleidigt gefühlt. Auch durch diejenigen, die auf ihn hereinfielen, obwohl sie es besser wissen mußten." (12) Sich selbst hat er nämlich - mitten im Faschismus und stellver- tretend für das gesamte deutsche Volk - nie aus dieser nationalen Solidarität entlassen und sich lieber dem mühsamen Geschäft ge- widmet, ein "akzeptables Deutschlandbild" aufrechtzuerhalten. Das war darum besonders schwierig, weil er es ja mit a u s w ä r t i g e n N a t i o n a l i s t e n zu tun hatte. Nicht zugeben konnte er, daß Deutschland "dem Teufel verfallen" war, denn dann wäre es ja abgeschrieben gewesen: "Wer hätte zugeben und gar 'dem Ausland' signalisieren mögen, daß nicht nur das linke, sondern vor allem auch das gesittete Deutschland einer teuflischen Versuchung erlegen war?" Andererseits konnte er unmöglich dem nationalen Programm Hitlers umstandslos recht geben, obwohl daran nicht nur er, sondern auch seine auswärtigen Freunde manches, wenn nicht das meiste, sehr verständlich fanden. Also bleibt ihm nur die D e m o n s t r a t i o n e i n e s u n g u t e n G e- f ü h l s, eine begriffslose Distanzierung: "A.H. hatte angekündigt, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. War er damit nicht ganz gut in Gang gekommen, und war es wirklich so wichtig, daß erst einmal gewerkschaftliche-Rechte abgeschafft wurden? Die Gleichschaltung von Zeitungen, Vereinen, kulturellen Aktivitäten war vielleicht übertrieben, nicht sonderlich sympa- thisch, aber mußte man nicht Verständnis haben für die Wachstums- schmerzen eines so großen Volkes wie des deutschen? Und für die bitteren Gefühle, die Versailles und die Reparationszahlungen ausgelöst hatten?... Sozialdemokraten und Liberale würden mögli- cherweise etwas hart angefaßt, aber sie hätten aufpassen sollen, daß sie gut genug von den Kommunisten zu unterscheiden gewesen wären. Denn das war doch wohl klar: Mit dem Kommunismus würde H. in seinem Lande aufräumen - hoffentlich so, daß ganz Europa die heilsamen Wirkungen spüre. Im übrigen sei es doch ganz natürlich, daß Deutschland nicht eine Militärmacht minderen Ranges bleiben wolle...." (12 f.) Dem Faschismus enthält er seine Reverenz zwar vor, verständlich findet er ihn aber allemal. Zumindest seine Sympathisanten, was er dadurch belegt, daß er selbst als Antifaschist verwirrt und zu einer ordentlichen Kritik nicht in der Lage war: "Und was habe ich dem entgegenhalten können? ... Ich habe nicht gut genug antworten können." (13) Um wieviel schwerer mußte sich da das deutsche Volk tun! Willy Brandt als Kronzeuge für die spaltungsträchtige Polemik der KPD gegen die Weimarer SPD - von wegen "Sozialfaschismus"? Unerklär- lich und verständlich zugleich, daß es einem "hochbegabten Gei- steskranken" (13) folgte, und bedrückt mußte Willy Brandt miter- leben, "auf wie schamlose und schreckliche Weise nationale Empfindungen pervertiert werden konnten" (13). Wenn man bedenkt, daß selbst e r aus der Lektüre von "Mein Kampf" nichts entnehmen konnte - "Erst im Herbst '36, als ich camoufliert in Berlin lebte, habe ich mich in der Staatsbibliothek durch 'Mein Kampf' ... gezwungen und herausgefunden, daß mir nichts Wichtiges entgangen war. Nein, meinen skandinavischen Gesprächspartnern konnte ich auch jetzt so gut wie nichts von dem vermitteln, was das Phänomen A.H. und seine erschreckend einfache Machterschleichung hätte erklären können." (13) - wird deutlich, in welcher Klemme er zusammen mit dem deutschen Volk steckte: Zwar will er zu einer Rechtfertigung der Hitler- schen Taten nicht schreiten. Um Verständnis für die Drangsale der deutschen Nation wollte er aber bei seinen "Gesprächspartnern" schon damals werben. Für die Ehrenrettung der Nation läßt sich sachlich nichts anführen, aber sie gelingt in der sich quälenden Person des deutschen Nationalisten Willy Brandt. Mitten im Fa- schismus wälzt er - egal, ob im nachhinein so zurechtkonstruiert oder tatsächlich damals so empfunden - das Problem der "Vergangenheitsbewältigung", die ein gedankliches Resultat garan- tiert sicherstellt: "Man" konnte "es" vorher nicht wissen. Hitlers geschichtlicher Ort --------------------------- Das ideologische Interesse demokratischer Politik, die Form na- tionalsozialistischer Politik von ihrem staatlichen Wesen zu trennen, begreift der h i s t o r i s c h e G e i s t von heute intuitiv als ureigenste Domäne seiner Betätigung. Darauf geeicht, sich die Erklärung politischer Sachverhalte als das Verhältnis eines V o r h e r zu einem durch es bedingten (Kontinuität) oder nicht bedingten (Wandel) N a c h h e r vor- zustellen, legt sich der Geschichtswissenschaftler zunächst ein- mal die spannende Frage vor, wie der Führer zur (vorangegangenen) deutschen Geschichte paßt. Alles wie gehabt, meint Fritz Fischer: "Dieser Vulkan an Energie, Wille und Leidenschaft ist dennoch ohne die gesellschaftlich-sozialen wie die ideellen Bedingungen Deutschlands im Kaiserreich und in der Weimarer Republik nicht denkbar. Jedenfalls kam Hitler nicht aus der Hölle oder vom Him- mel und war kein 'Betriebsunfall'. Er gehört, gemessen an den Voraussetzungen, die sein Wirken und sein Auftreten ermöglichten, wie an seiner Gedankenwelt, tief in die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hinein." (105) Allerdings hat er das dem Staatsmann zustehende Maß verletzt: "Neu, der Person Hitlers allein zuzuschreiben, ist die Überstei- gerung dieser Politik ins Kriminelle." (104) Der Amerikaner Norman Birnbaum findet noch stärkere Worte, wenn er Hitler als Exekutor der die deutsche Geschichte prägenden Volksseele deutet: "Man kann nicht einmal behaupten, daß Hitler die Tiefen deutscher Primitivität bloßlegte, indem er die erst in Ansätzen vorhandene Wut einer Nation freisetzte, die nicht fähig war, zu akzeptieren, daß sie die Welt mit anderen teilen mußte. Er mobilisierte nur, was schon da war und machte so die ganze Nation mit voller Ab- sicht zum Mittäter seiner Verbrechen." (110) Gut, daß wir einen Golo Mann haben, der die Verhältnisse wieder zurechtrückt. Das wäre ja nochmal schöner, wenn dieser Versager als Volksgenosse durchginge: "Der letzte und bei weitem gemeinste der Eroberer, der 'großen Männer'. Kein Deutscher... Ein echter Österreicher war er auch nicht. ... Nur einer aus Niemandsland konnte sich die Deutschen so unterwerfen, wie es ihm gelang." (27) Der Beweis für diese erstaunliche Entdeckung muß uns einleuchten: Ein deutscher Staatsmann liebt sein Volk, d.h. er verheizt es nur in erfolgreichen Kriegen! Dagegen "Meister Adolf, als das 'Ostvolk sich als das stärkere erwiesen' hatte: Die Besten seien ohnehin alle tot, die Übriggebliebenen taugten nicht viel, darum sollte nun alles zerstört werden, was sie zum Leben brauchten. Der soll ein Patriot gewesen sein, der die Deutschen 'geliebt' habe?" (27) Nicht minder bedeutend erscheint den Geschichtlern die Frage, ob Hitler überhaupt staatsmännische F ä h i g k e i t e n aufzu- weisen hatte. "'Führer' der Nation" (21), da kann Hans Mommsen nur lachen. Schon die Ideologie war ein einziges Durcheinander: "Hitler widersetzte sich allen Bestrebungen, die schillernde na- tionalsozialistische 'Weltanschauung' in eine systematische Pro- grammatik oder eine politische Theorie umzusetzen." (22) Das kann man doch wohl erwarten, genauso wie eine ordentliche Amtsführung - doch auch hier Fehlanzeige: "Hitler (scheute) persönlich davor zurück, institutionelle Bin- dungen einzugehen. ... Hitler hatte die Routineaufgaben des Reichskanzlers von Anfang an vernachlässigt; im Kriege kümmerte er sich immer seltener und nur akzidentell um die innere Poli- tik." (22) Wer weiß, vielleicht hätte sich mit dem Nationalsozialismus durchaus noch Staat machen lassen, aber: "Schon in der Kampfzeit fürchteten weiterblickende NS-Führer, daß Hitler, wenn er von unkritischen Mitarbeitern umgeben sein werde, die Beziehung zum w i r k l i c h e n p o l i t i s c h e n H a n d e l n vollends verlöre und durch die Ü b e r s t e i- g e r u n g seiner Ziele in einer Katastrophe enden könne." (22 f./Hervorh. MSZ) Ernst Nolte sieht Hitlers politisches Versagen primär auf außen- politischem Gebiet angesiedelt. Dabei entwirft er ein kühnes Ge- dankengebäude: Daß das stärkste unter des Führers Motiven der An- tibolschewismus gewesen sei, findet Nolte eine gute Sache - "Mit keinem seiner Motive war Hitler weniger isoliert als mit diesem" (35) - allerdings hat er diesen Ansatz viel zu wenig fruchtbar gemacht, da er die Bolschewisten irrtümlich mit d e m Juden identifi- zierte. Was Churchill später selbstkritisch bemerkte, man habe das falsche Schwein geschlachtet, trifft für Nolte schon auf den Führer zu: "Hitler nimmt nicht zur Kenntnis, daß Juden wie Axelrod und Mar- tow zu den schärfsten Gegnern der Bolschewiki zählten..." (36) Deshalb hat der Führer die Endlösung der Bolschewismusfrage ver- paßt. Weshalb die fällig war? Weil die bolschewistische Revolu- tion Hitler als Vorbild für seine Rassenmorde gedient hatte: "Nichts kann törichter sein, als diese 'biologische Idee', wie Alfred Döblin sie 1946 nannte, von der ursprünglicheren Ideologie zu trennen, welche die Erde von allen sozialen Schädlingen reini- gen wollte und alle 'Proletarier' zum weltweiten Bürgerkrieg auf- rief..." (36) Dafür, daß sie ihm die Kopiervorlage für seine Pogrome zur Verfü- gung stellten, hätte Hitler die Bolschewisten bestrafen müssen und nicht die Juden! Mit dem Bonus versehen, als Personifikation des bundesdeutschen kritischen Bewußtseins zu gelten, attestiert der Herr Herausgeber selber dem deutschen Volk daß es mit guten Gründen in Hitler den Führer gesehen hat: "Genie gehört dazu, auf einer legalen Ernennung zum Reichskanzler kompromißlos zu bestehen, wo er so viele Wähler und so viele SA- Rowdies hinter sich hatte. Genie, sogleich mit der katholischen Kirche ins reine zu kommen. Genie, 1934 ein Abkommen mit Polen zu schließen..." (4) Es ist schon erstaunlich, wie wenig es braucht, daß der "Spiegel"-Herausgeber einem Mann wie Hitler staatsmännische Größe bescheinigen muß. Und wieviel es andererseits braucht, um dann doch Zweifel anzumelden. Augstein darf für die Gnade seiner spä- ten Geburt dankbar sein: "Man mußte damals ein Gegner, ja; ein Feind Hitlers sein, um das, was er tat, schlecht zu finden... Es war jetzt bald unmöglich, ein Antinazi zu werden, wenn man es nicht schon war." (4) Kongenial tadelt Augstein Hitler nicht dafür, daß er mit dem Ein- marsch in die CSR bereits den Krieg provoziert hat, schließlich bekam er dann ja, was er wollte. "Man kann sich in der modernen Geschichte keinen größeren diplo- matischen Erfolg denken als den, den Hitler am 19. September 1938 in München errang. Sein Reich war zur Vormacht des Kontinent ge- worden." (5) Doch im Moment des schönsten nationalen Triumphes wird er des Ab- grundes in Hitler gewahr. Denn nun das Erreichte aufs Spiel set- zen in einem Krieg, von dem wir seit 1945 wissen, daß er gar nicht gut gehen konnte, ist ein untrügliches Indiz für geistige Umnachtung: "Trotzdem tobte er, weil er seinen Krieg nicht bekommen hatte. Alles Genie kommt ihm abhanden. ... Man kann es Wahn, Befehls- wahn, man kann es eine Art Tollwut nennen." (5) Der deutsche Staat fiel einem "Verrückte(n) " (5) zum Opfer, weil dieser sich beim Gebrauch der staatlichen Gewalt in einer für den Staat nutzlosen Weise verzettelt hat, und nicht einmal die Mili- tärs, die doch hätten wissen müssen, was für den Sieg über den Russen nötig ist, sind ihm in den Arm gefallen: "Beginnend mit Stalingrad hat es den Anschein, daß Hitler mehr Energie und Material darauf verwandte, die Juden zu vernichten, als den Krieg zu gewinnen. Welche Schande, daß Monokel-Marschälle und Widerstandsoberste diesen hochbegabten Schwadroneur nicht um- gebracht haben. ... Erst spät kamen Stauffenberg und Tresckow zu der Einsicht, daß man das Attentat auch um des deutschen Namens willen wagen müsse." (5) Da Genie und Wahnsinn des Führers nunmehr überdeutlich geworden sind, kann sich die Geschichtsschreibung um eine Frage nicht herum drücken. Martin Broszat stellt sie: "Kann einer Figur wie Hitler das Attribut einer, wenn auch über- wiegend nur im negativen Sinne, g r o ß e n g e s c h i c h t- l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t eingeräumt werden? War Hitler nur Exponent und I n k a r n a t i o n von elementaren Kräften, Vorurteilen und Erwartungen, die ihn trugen und ihm erst die Rolle eines charismatischen Führers verschafften, in die er mit seinem demagogischen Vermögen erfolgreich hineinschlüpfen konnte, o d e r war er, losgelöst von solchen ihn leitenden Massenstimmungen, Führer und Diktator kraft s e i n e r p e r s ö n l i c h e n F ä h i g k e i t e n u n d E i n- g e b u n g e n?" (18/Hervorh. MSZ) Das aufgeworfene 'Problem' erlaubt einige Rückschlüsse auf die Stellung des Historikers zu seinem Beobachtungsobjekt: Einem die politische Landschaft erfolgreich 'neuordnenden' Staatsmann trägt die Wissenschaftlerzunft nichts nach, im Gegenteil: Sie sieht sich aufgerufen, ein Charakterbild desselben zusammenzukleistern, das die 'historische Tat' als dessen Spiegelung erscheinen läßt. Wenn hingegen, wie bei Hitler, ein Krieg seinem Initiator n i c h t s einbringt, hat eben die Geschichte ihr berühmtes Ur- teil über ihn gesprochen, und der Historiker sieht den 'Machthaber' ins Unrecht gesetzt und seinen Charakter diskredi- tiert. Wie kann aber, so Broszat, eine solche Unperson wie Hitler dermaßen die Welt verändern, daß Generationen von Historikern sich daran abzuarbeiten haben? "...im Falle Hitlers (besteht ein) extremes Mißverhältnis zwi- schen den enormen geschichtlichen Wirkungen dieses Mannes und seiner kaum faßbaren, in Nichtigkeit und Mediokrität zerfließen- den persönlichen Struktur." (18) Des Rätsels Lösung: In all seiner Nichtigkeit war Hitler mehr als er selbst. So ist die Größe seiner Wirkung erklärt, die einem Hi- storiker allemal unbedingt Respekt abnötigt, ohne daß von diesem Respekt irgend etwas der verurteilten Figur zugutekommen muß. "In vieler Hinsicht kann man Hitler deshalb als unpersonales Me- dium und Katalysator von Energien und Prozessen bezeichnen, die außerhalb dieses Mannes entstanden und begründet waren, aber die ohne die Bündelung und Umsetzung in und durch diesen einen Mann und seinen Mythos längst nicht in gleichem Maße hätten politisch wirksam und geschichtsmächtig werden können. Unter diesem Ge- sichtspunkt ist statt von einer großen geschichtlichen Persön- lichkeit von dem historischen 'Faktor' Hitler zu sprechen." (18) Mit Broszats Kreation "Faktor" erreichen die nationalhygienischen Bemühungen der Historiker ihren würdigen, nämlich methodischen Höhepunkt. Hitlers und der Deutschen Seele ------------------------------- Was aber ließ Hitler überhaupt zu diesem Faktor werden: Hierzu meldet sich zunächst mit Alice Miller eine Vertreterin der P s y c h o a n a l y s e zu Wort, die mit der Sichtung des Hit- lerschen Innenlebens ihr berufliches Anliegen als Gegnerin der Prügelstrafe verknüpft. Ob Kinder verdroschen gehören, hält sie offenbar für die wichtigste Entscheidung im Leben der Menschheit. Ihr Argument: Da kommt womöglich ein Hitler raus! "Kann man sich im heutigen Deutschland noch der Einsicht entzie- hen, daß es ohne Kindesmißhandlungen, ohne Erziehung zum blinden Gehorsam mit Hilfe von Gewalt keinen Hitler und keine Hitler-An- hänger gegeben hätte? Also auch keine Millionen von Ermordeten?" (92) Nun kommt es zwar bei einem erwachsenen Menschen immer noch dar- auf an, was für Schlußfolgerungen er aus den Prügeln zieht, die er als Kind bekommen hat. Es soll ja sogar schon vorgekommen sein, daß Kinder eine Abneigung gegen den blinden Gehorsam gefaßt haben, der ihnen eingebleut werden sollte. Psychologen haben nun aber außer Determinationsgedanken für nichts eine Erklärung auf Lager. Wenn sie also Hitlers Gewalttätigkeit professionell erklä- ren wollen, dann muß eine psychische Determination z u r Ge- walttätigkeit her. Was liegt da näher als eine Ableitung a u s Gewalttätigkeit: So hat der - seinerseits erziehungsbedingte - sadistische Charakter des Vaters Alois, vermittelt über den Kom- pensationsbedarf der Sohnesseele, eine Form staatlicher Herr- schaft mitsamt ihren Gewaltmitteln in die Welt gesetzt: "Der Führer erzählte einmal seiner Sekretärin, daß es ihm gelun- gen war, während einer der üblichen Auspeitschungen durch seinen Vater nicht mehr zu weinen, nichts dabei zu empfinden und die 31 Schläge sogar zu zählen. Auf diese Weise, durch die vollständige Verleugnung der Schmerzen, der Ohnmachtsgefühle und der Verzweif- lung, das heißt durch die Leugnung der Wahrheit, hat sich Hitler zum Meister der Gewalt und Menschenverachtung hinaufstilisiert. Das Ergebnis war ein sehr primitiver Mensch... In nahtloser An- lehnung an das Erziehungssystem entwickelte er nun seine NS-Ideo- logie, die in der Praxis folgende Konsequenzen hatte: ..." (92 f.) Mit ihrem Absehen von allen politischen Gründen, die Hitler für die Notwendigkeit des 'völkischen' Staates vorbrachte und mit denen er bei einer beträchtlichen Anzahl so sehr auf Verständnis stieß, daß nicht einmal heute einem Willy Brandt etwas Gescheites gegen sie einfällt, erklärt die Seeleninspizientin nebenher auch jegliche Kritik an den Inhalten der von ihr erwähnten NS-Ideolo- gie für unangebracht. Sie hat es auch nicht nötig, einen Gedanken über den Staat zu verlieren, der ihr ein so vortreffliches Reser- voir an Psychokrüppeln zur Verfügung stellt. Ein L i t e r a t aus der DDR, Rolf Schneider, entdeckt den Ur- sprung des Dritten Reichs in einer anderen seelischen Blessur Hitlers: "Hiermit nähern wir uns einem Bereich, dem Hitler von allem An- fang an zustrebte, der ihn freilich von sich stieß, und erst diese Frustration machte den Politiker. Wir reden von der Kunst. ... Adolf Hitler ... war tatsächlich eine Künstlernatur, eine ge- brochene, eine gescheiterte; zu seinen Schlüsselerlebnissen ge- hörte die Ablehnung, die er als Studienbewerber in Wien erfuhr ..." (25 f.) Judenvernichtung und Weltkrieg als mißlungenes Gesamtkunstwerk - warum nicht? Man könnte freilich auch psychosomatische Ursachen ins Auge fas- sen: "Professor Dr. med. habil. Dr. phil. nat. E.G. Schenck ist ärzt- licher Zeitzeuge, der letzte noch lebende Arzt, den Hitler kurz vor seinem Selbstmord noch ansprach." (75) Ihm verdanken wir eine "medizinische Biographie", die uns über Hitlers Sexualität und Bewegungsunrast nicht minder aufklärt als über sein Gebiß und seine "Magen-, Darm-, Leber-(abdominelle) Er- krankungen" (75). Wer möchte ausschließen, daß vielleicht gerade aus diesem Blickwinkel Auschwitz verstehbar wird? Der psychologische Quatsch ist durchaus nicht einseitig. Hitler konnte ja sein verkorkstes Ego nur austoben, weil das V o l k ihm seelenverwandt war; dazu die Kinderfreundin Miller: "Hitlers Gelegenheit, Europa und die Welt zum Schlachtfeld seiner Kindheit zu machen, bestand darin, daß es im damaligen Deutsch- land Millionen Menschen gab, die in der Kindheit ähnliches erfah- ren haben." (92) Uri Avnery, aus Deutschland emigrierter israelischer Publizist und Politiker, sieht im Faschismus eine Volksseuche: "In jeder Gesellschaft existiert zu jeder Zeit der Bazillus des Faschismus. ... Eine normal funktionierende Nation kann dieses Element leicht un- ter Kontrolle halten. Aber dann passiert etwas. ... Ein nationa- les Unglück, etwa die demütigende Niederlage im Krieg. ... Plötz- lich gewinnen die verachteten Randgruppen der Faschisten an Be- deutung. Mit einem Mal infizieren sie die Politik, die Armee und die Polizei. Eine Nation wird verrückt." (46) Na klar, wenn der Nationalismus der Bürger nicht die ihnen von oben agitatorisch beigebrachte Verwandlung ihrer Abhängigkeit vom Staat in lauter Parteilichkeitsgründe für ihn darstellt, sondern als natürliche völkische Erbanlage einfach vorhanden ist, so daß die Gefahr der Entartung zum faschistischen Krebsgeschwür immer besteht, hat es natürlich keinen Zweck, die faschistischen Parolen zu widerlegen. Es heißt vielmehr aufpassen, daß man sich nicht a n s t e c k t! George Tabori, Schriftsteller und Sohn eines Auschwitzopfers, beweist, daß es geht: "Ich habe ihn (Hitler) besiegt, das darf ich in aller Bescheiden- heit sagen, denn es ist ihm nicht gelungen, daß ich ihm und sei- nesgleichen ähnlich geworden bin, das vor allem hat er nämlich von mir und von der ganzen Menschheit erwartet und haben wollen." (76) Kein Kunststück freilich, denn Tabori ist Ungar; die Deutschen - so Avnerys rassistischer Befund - tun sich da schwerer: "Die Widerstandskraft gegen die Krankheit war in Deutschland ge- wiß schwächer als in anderen Ländern des Westens." (46) "Was steckt dahinter?" fragt Erich Kuby und weiß auch die Ant- wort: "Angst! Es ist eine sehr merkwürdige Angst, sie ist gegenüber der statistisch zu begründenden Möglichkeit eines 'Gau', der weitum alles Leben auslöschen würde, geringer als gegenüber dem politi- schen Risiko, das mit einem Vorgehen verbunden wäre, das zum Bei- spiel den 'Gau' durch Demontage aller Atommeiler ein für allemal unmöglich machte." (51) Sehr merkwürdig, in der Tat: Die Deutschen haben so arg Angst vor Unsicherheiten, daß sie sich deshalb in die größten Gefahren stürzen! Kuby stört die Mitmachergewohnheit der deutschen Bürger, die mit Aufrüstung und Atomprogramm genauso wenig ein Problem ha- ben wie mit Notstandsgesetzen und Russenhetze. Dabei konstatiert er einen Widerspruch zwischen Elementen der nationalistischen Ideologie - "Sicherheit", "Keine Experimente!" - und möglichen Gefahren, die praktisch daraus folgen, daß die Bürger sich als Opfer zur Verfügung stellen. So erklärt ein Kopfschütteln über die Psychopathologie der Deutschen den Zusammenhalt von Volk und Führer im Faschismus: "Alles deutet darauf hin, daß die 'Russenangst' nur Verpackung einer v i e l t i e f e r sitzenden, a u f k e i n k o n k r e t e s M o t i v z u r ü c k z u f ü h r e n d e n A n g s t ist, eben jener Angst, die eine unterirdische, un- sichtbare, historisch kaum oder nur höchst mangelhaft abzuleiten- den Bezugsebene allen Handelns und Unterlassens der Mehrheit bil- det. Auf dieser Ebene wurde das 'Dritte Reich' errichtet, auf dieser Ebene steht nach einer kurzen Zwischenphase des Selbstver- lustes die Bundesrepublik. ... So gesehen, wird Hitler einerseits zu einem Wünschelrutengänger, schrumpft andererseits zum E r f ü l l u n g s g e h i l f e n d e r M e h r h e i t zu- sammen, war w e d e r i h r L e h r e r n o c h i h r F ü h r e r." (52/Hervorh. MSZ) Die Botschaft hör'n wir wohl, allein uns fehlt der Glaube, daß, wo so t i e f e menschliche Schichten zum Tragen kommen, die "historisch kaum oder nur höchst mangelhaft" abzuleiten sind, überhaupt noch etwas spezifisch Deutsches an den Bedingungen der Möglichkeit Hitlers auszumachen sein wird. - Richtig: Dem p h i l o s o p h i s c h e n Geist gebührt das letzte Wort. Des Menschen Seele und Schicksal -------------------------------- "Hitler bin ich" (73), eröffnet der Philosoph André Glucksmann dem verblüfften Leser. (Hoffentlich weiß Isabelle das nicht!) In- dessen, nur wer der Gabe geistigen Tiefgangs völlig entbehrt, kann annehmen, hier melde sich ein französischer Neonazi unerbe- ten zu Wort, zumal der Weise uns auch den Sinn seines Bekenntnis- ses enthüllt: "Die Gleichartigkeit zwischen mir und Hitler auszuhöhlen veran- laßt weniger dazu, ihn besser darzustellen, als er war, als mich zu verdächtigen, daß ich in mir ein Übel trage, das ich lieber nicht kennen will. Über Hitler philosophieren... fordert den Phi- losophen und den einfachen Bürger auf, sich in irgendeiner hit- lerschen Seite zu entdecken. Wenn man die Gewalttätigkeit der Na- zis als innerliche Gewalttätigkeit denkt, wird sie dadurch nicht weniger bestialisch und unerträglich, selbst wenn sie uns zwingt, das Bestialische und Unerträgliche in uns zu prüfen." (73 f.) Wenn man es so denkt, i s t es auch so! A r g u m e n t e für die Gleichartigkeit von 'uns allen' mit Hitler darf man freilich nicht erwarten, dies widerspräche der philosophischen Konsequenz, die Glucksmann in so hohem Maße ziert. Denn während der Histori- ker den subjektiven Faktor aus den parteilich aufbereiteten hi- storischen Fakten 'ableitet', die psychologische Betrachtung die- ses Gesichtspunktes auspinselt, indem sie besondere Merkmale ei- ner psychischen Deformation - des Führers wie der Geführten - als Determinanten des Faschismus erfindet, zieht der Philosoph die pfäffische Summe und fordert die Anerkennung eines allgemeinen P r i n z i p s: "Geben wir uns nicht damit zufrieden, als Psychologen Adolf zu einem klinischen Fall umzubiegen, dessen Krankheitsbild unsere wissenschaftliche Neugier weckt. Begnügen wir uns nicht mit den stets nützlichen Betrachtungen des Historikers, der datiert, ein- kreist, erklärt und endlich die Glasscheibe der Zeit zwischen uns und das Dritte Reich schiebt. ... je mehr wir auf diese objektive und losgelöste Weise 'wissen', um so weniger sind wir betroffen." (74) Aber genau darauf kommt es an, damit 'wir' nicht etwa sagen kön- nen: "Ich bin Revolutionär, und ich lehne jede Verantwortung für die nazistische Konterrevolution ab." (74) Den moralphilosophischen Wahn g r u n d l o s e r S e l b s t- b e z i c h t i g u n g und das ihm entsprechende Bekenntnis prinzipieller Verantwortung für alles und jedes will Glucksmann dem Leser verabreichen. Dazu bedient er sich des Mittels des Kontrastes: "Ich bin Demokrat, ich muß mich kneifen, um denken zu können, 'Hitler bin ich', alle meine guten Geister leugnen eine so maso- chistische Selbstanklage... Ich bin Jude... wie kann man im glei- chen Atemzuge behaupten, 'ich bin Hitler'?" (74) Wenn aber sogar dieser erhabene Geist das trotzdem hinkriegt, dann kann es der "einfache Bürger" schon gleich! Moralisten ande- rer Couleur als Glucksmann mögen sich darüber erzürnen, daß bei solcher Betrachtung der tote Obernazi seiner verdienten Extraver- dammung entgeht. Dabei übersähen sie aber glatt, wie billig und prätentiös diese Selbstanklage ist. Vielleicht aber ist ja alles noch ganz anders: Denn wer wollte etwa dafür seine Hand ins Feuer legen, daß nicht gar das Walten vom Menschen ganz unabhängiger Prinzipien uns den Faschismus ein- gebrockt hat? Dem "Spiegel" ist es zu danken, daß er mit Giovanni Spadolini einen Mann zu Worte kommen läßt, der uns bislang mehr als "prosciutto cotto" denn als K u l t u r p h i l o s o p h bekannt war: "Ein gleißendes Licht erhellt das Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es leuchtet eine Vielzahl von Vorzeichen aus, die von klugen Geistern als Ankündigung einer tiefen, radikalen Krise erkannt werden: Es ist der Niedergang einer Kultur, die auf die Werte der Vernunft gegründet ist und auf einer umfassenden Sicht der großen gesellschaftlichen Phänomene." (87) Dem Leser stockt der Atem, wenn er erfährt, was seine Großeltern gequält hat: "Gerade die Auflösung der Einheit des Individuums ist das ent- scheidende Element, das den Anfang eines neuen Jahrhunderts an- zeigt. Der Verlust des Einheitsgefühls ist das direkte und sicht- bare Ergebnis einer Krise, die dazu bestimmt ist, sich schnell durch die sich ununterbrochen entfesselnden Zentrifugalkräfte weiter zu entwickeln. Der Mensch fühlt sich zum erstenmal in der modernen Geschichte extrem einsam und tatsächlich schwach. Die Aussichtslosigkeit verleitet die Vernunft zur längsten und tief- sten Krise" (die bei Spadolini offenbar immer noch anhält) "in der Geschichte der Menschheit." (87) Denn was trieb die von der Auflösung der Einheit des Individuums in Versuchung geführte Vernunft? Nur Mist! Sie ließ "revolutionäre und irrationale Ideologien... in das 20. Jahrhun- dert ein(dringen)" (87), wodurch sie ihren Wirt, den Menschen, in eine ausweglose Lage hineinmanövrierte: "Der einsame Mensch wohnt der Entstehung des Moloch-Staates bei, ein tragischer Mythos, ein abstraktes und entferntes Wesen, das symbolisch alle Mythen und Erwartungen einer endgültig atomisier- ten Gesellschaft umfaßt. Jenes entfernte und auf trügerische Weise beruhigende Wesen behält den Menschen und sein leeres und vom Untergang der Werte gelähmte Bewußtsein im Auge." (87) Man muß hier endgültig darauf verzichten, den Wahrheitsgehalt der Thesen zu überprüfen. Hier ist der historische Geist des Politi- kers am Werke, der aus seiner Kenntnis des später eingerissenen Faschismus genial auf die Existenz einer zu ihm hinführenden Ent- wicklung 'schließt' und diese philosophisch unter ein von ihm frei gewähltes negatives moralisches Prinzip subsumiert. Dabei ist seine Idee, die entgleiste Vernunft, nur eine Metapher für die Entwicklung zum Faschismus, soll aber als deren Movens aufge- faßt werden. Genaugenommen ist der Nationalsozialismus für Spado- lini eine n o t w e n d i g e R e a k t i o n "D e u t s c h l a n d s" (das sonst so gepriesene Prinzip der Differenzierung würde hier nur stören) auf eine höchst ideelle Katastrophe: "Die dramatische Spaltung zwischen Zivilisation und Kultur - wo- bei die nationalistischen und rassistischen Mythen die Oberhand gewinnen - ergänzt das vernichtende Werk und verstärkt die Flucht in die Utopie. Nur aus einer solchen Perspektive läßt sich die verführerische Kraft des Nationalismus und der Vaterlandsliebe begreifen: ein ausschlaggebendes Kapitel, das die bevorstehende Katastrophe in Europa erklärt und die unvermeidbare Veränderung ihrer Schicksale." (87) Dann war da wohl nichts zu machen! Die ansonsten immer präten- dierte 'Lehre', die 'wir' aus dem Dritten Reich ziehen müßten, ist ganz hinter der Perspektive geschichtlicher Schicksalsmächte verschwunden. Die bange Frage stellt sich uns daher: "Besteht noch diese Drohung für die Menschheit:" (89) Doch da geziemen dem Menschen keine letzten Gewißheiten. Dennoch ist vorerst Entwar- nung angesagt: "Freiheit und Demokratie sind dank der wiedergefundenen Synthese von Kultur und Zivilisation aufgeblüht." (89) Nicht einmal der Faschismus hat das Abendland kleingekriegt - ein G l ü c k s f a l l d e s S c h i c k s a l s, für den wir d a n k b a r sein müssen! zurück