Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN SPIEGEL - Nationaler Geist feiert Macht
zurück
Rudolf Augstein: Preußens Friedrich und die Deutschen
FRIEDRICH DER GROSSE NATIONALE VERSAGER
Es war sehr geschickt von Rudolf Augstein, sein Buch so zu timen,
daß er zum 200. Todestag des Titelhelden die Neuauflage als
"Jubiliäumsausgabe" placieren konnte: 20 Jahre Rudolf Augstein
"Preußens Friedrich und die Deutschen". Solange ist das her, daß
er meinte, mit einem neuen Friedrich b i l d dem neuen deutschen
Geist auf die Sprünge helfen zu müssen.
Der neue deutsche Geist, das war damals der, der mit dem alten
nichts mehr zu tun haben wollte - und das gleich so radikal, daß
er die Demokratie, die er "mehr wagen" wollte, vorher mit Not-
standsgesetzen risikoversicherte und nachher mit Radikalenerlaß
und Antiterrorgesetzen aufrüstete.
Die historische Sicht der Sozialliberalen hat dabei nichts an Ak-
tualität eingebüßt; sie steht der Wende gut zu Gesicht. Das liegt
einfach daran, daß Augstein weder den Alten Fritz noch die von
ihm ins Visier genommenen "konservativen" Friedrich-Historiker
einer Kritik unterzieht. Statt dessen überprüft er in seinen
"Mitbringseln seines Abstiegs zu den Vätern" (16) den "realen"
Fritz daraufhin, ob er den Idealen, die diese deutsche Wissen-
schaft ihm zuspricht, auch gerecht geworden ist. Logisch, daß da-
bei die nationalistischen Tugenden nicht nur gänzlich ungeschoren
bleiben, sondern zum quasi objektiven Maßstab avancieren. Das
Schema des Schinkens ist also so einfach wie blöde: Friedrich war
nicht das, wofür man ihn ausgibt.
Schlesien nicht unser!
----------------------
Wer die Frage stellt: "War Friedrich ein großer Feldherr?" (294),
will natürlich nie den Feldherrn kritisieren, sondern wissen, ob
dieser Friedrich seine Sache gut gemacht hat oder nicht. Die Sa-
che selbst - mit dem Einsatz von Material und Leuten Raum gewin-
nen - wird der Maßstab, nach dem dem Kriegsherrn Lob oder Tadel
zugemessen wird. Beispielhaft am Raum Schlesien:
"Insgesamt also 16 Siege und sieben Niederlagen, pas trop mal."
(293)
Gelohnt hat sich die Sache also, weswegen sich die Errechnung des
Verhältnisses von Leuten pro Quadratmeter auch erübrigt (Diese
beliebte Rechnung steht bei Niederlagen oder Phyrrussiegen an).
Augstein will ja vor allem wissen, ob die von Friedrich angezet-
telten Kriege und geführten Schlachten ihm auch als militärische
Leistung zugeschrieben werden können. Und da sieht's dann schon
weniger gut aus. Im Unterschied zum Erfolg errechnet sich die
Leistung nicht aus der Formel Aufwand/Raumgewinn. Als zusätzli-
cher Faktor tritt die Zahl der Gegner auf: Viel Feind, viel Ehr'!
Der G e g n e r war jedoch gar nicht so überlegen, wie vielfach
behauptet:
"Das oft bestaunte Zahlenverhältnis des Siebenjährigen Krieges -
fünf Millionen Bevölkerung gegen neunzig Millionen - ist ein we-
nig schematisch aufgestellt. ... So kann man über den Daumen
schätzen, daß die Zahlenstärken der beiden Lager sich bis zum
Ausscheiden der Russen aus dem Krieg selten anders als im Ver-
hältnis 1:1 befunden haben." (294/295)
Das Lob, das er ihm so gerechterweise immer noch spenden müßte,
erspart sich der Autor, indem er - ganz Fachmann - dem Gegner Un-
fähigkeit und mangelnde Zusammenarbeit, seinem Helden dagegen ein
paar gelungene "Pfadfindertricks" und vor allem jede Menge Glück
attestiert:
"Vor dem Untergang hätte sie (seine Strategie) ihn nicht bewahren
können, wenn die Zarin Elisabeth ein oder zwei Jahre länger am
Leben geblieben wäre." (296/297)
Den großen Feldherrntitel mag der kritische Augstein ihm nicht
verleihen; da hätte er auf dem Gebiet des staatlich organisierten
Massensterbens schon mehr leisten müssen:
"Wäre Friedrich jener Kriegsgott, den der preußische Heroenkult
aus ihm gemacht hat und der Napoleon in der Tat war, so hätte ihm
vielleicht schon lange vor dem Krieg eine seine eigenen Fesseln
sprengende Aushilfe einfallen können, eine neue Heeresorganisa-
tion etwa oder sonst eine revolutionäre Neuerung." (326)
Glück oder nicht. Schlesien bleibt Schlesien. Die Frage ist nur,
ob er es überhaupt "für uns" erobert hat. Die Antwort ist ver-
nichtend: Subjektiv nicht und objektiv auch nicht! Subjektiv
fühlte er gar nicht als Deutscher, sondern als Franzose. Hämisch
zitiert Augstein den Alten selbst:
"Ich mache Ihnen (einem echten Franzosen MSZ) streitig, ein bes-
serer Franzose zu sein als derzeit ich." (93)
Natürlich stört den aufgeklärten Augstein nicht Friedrichs Fran-
zöselei. Schließlich versteht er es selbst pas trop mal, seine
Weltoffenheit französisch zur Schau zu stellen. Aber offensicht-
lich hält er es gegen die rechtsnationale Geschichtsschreibung
für ein schlagendes Argument, ihrem Heros das nationale Prüfsie-
gel zu verwehren. Bei aller Wertschätzung fremder Kulturen weiß
Augstein doch, daß ein Patriot die eigene auf keinen Fall gerin-
ger einschätzen darf. Und darum kann er Friedrich den Vorwurf
nicht ersparen, über der Förderung französischer Dilettanten die
deutschen Geistesleuchten vernachlässigt zu haben. Daß diese ihn
in ihren Werken nicht verewigt haben, belegt erst recht seine
mangelnde Tauglichkeit zum deutschen Helden:
"Weder Goethe noch Schiller, noch Kleist, weder Wieland noch Höl-
derlin, noch Büchner, noch Grabbe, noch Jean Paul haben der deut-
schen Nation ihren ersten und eigentlichen und einzigen Helden
vorgestellt, weder in einer Epopöe noch sonstwie, wiewohl doch
Wallenstein und Kurfürst Friedrich Wilhelm, Herzog Alba und Tell,
wiewohl Hannibal und Danton die deutschen Bretter betreten haben.
Schiller konnte 'diesen Charakter nicht liebgewinnen', er mochte
an ihm 'die Riesenarbeit der Idealisierung' nicht vornehmen; lie-
ber wollte er sich mit Gustav Adolf beschäftigen." (135)
Der Kulturnationale hält mit peinlichem Eifer dem König vor, daß
er den Duden nicht beherrschte, den es damals noch gar nicht gab:
"Friedrichs deutsche Grammatik freilich, wenn er keinen Sekretär
zur Hand hatte, war eines Kutschers würdig." (96)
Seitenweise mokiert sich der Autor über die "Rechtschreibfehler"
Friedrichs, indem er ihn - ganz im Gegensatz zu den "wahren" Grö-
ßen deutschen Geistes - ausgiebig in der damals üblichen willkür-
lichen Schreibweise zitiert. Ein Kutscher soll den Grundstein für
die deutsche Nation gelegt haben? Ein Hanseat darf doch bitten,
daß die Macht, die er repräsentiert, sich durch mehr Geist aus-
zeichne!
Wo sich die Augstein-Konkurrenz den Teufel drum schert, ob nun
Schlesien ganz bewußt für Deutschland oder nur für Preußen ero-
bert worden ist - ihr reicht der Erfolg und der daran geknüpfte
Rechtstitel als Ausweis der nationalen Großtat -, zitiert er den
historischen Mißerfolg, um dem Preußenchef die nationale Leistung
zu bestreiten:
"Ohne Friedrichs Preußen, schrieb der Populärbiograph Ludwig Rei-
ners 1952, wäre die Mitte Europas machtpolitisch leer geblieben,
wäre Europa gegen Asien nicht geschützt worden. Aber was Reiners
Asien heißt, das sitzt jetzt in Königsberg, wo das preußische Kö-
nigtum seinen Ursprung hat. 'Asien' hat Schlesien abgetrennt, das
nun weder zu Preußen noch zu Österreich gehört." (53)
Unser Königsberg in der Hand des Unaussprechlichen! Das ist, weiß
Gott!, wahrer Patriotismus: Friedrich am maßlos radikalisierten
Maßstab der Friedrich-Verehrer scheitern zu lassen mit dem Vor-
wurf, er habe unser Schlesien nicht nur nicht über den Tod hinaus
gesichert, sondern letztendlich den Russen in die Hände gespielt.
Wie der Herr, so's Gscherr!
---------------------------
Natürlich war Friedrich auch als Mensch nicht der erste Diener
seines Staates. Tapferkeit und Männlichkeit? Eine aufrechte Sol-
datennatur? Das glatte Gegenteil! Zum Beweis setzt Augstein Mut-
maßungen über die Homosexualität des Alten in die Welt, um sie
als "uninteressant" zurückzuweisen, damit dann die wahnsinnig
subtilen Anzüglichkeiten um so besser sitzen.
Über eine solche Unregelmäßigkeit im Sexualleben ist ein moderner
Mensch natürlich erhaben. Eine regelmäßige Aktivität wenigstens
in dieser Richtung soll nämlich für Preußen immer noch besser ge-
wesen sein als gar keine:
"Zu Preußens Unglück müssen wir sogar für möglich halten, daß der
König ziemlich früh geschlechtslos lebte." (206)
Was für Preußen rausgesprungen wäre, wenn Friedrich sein Sexual-
leben an Rudolfs Ordnungsgesichtspunkten ausgerichtet hätte,
bleibt im Dunkeln. Aber wie man die Liebe des Rudolf A. zu tief-
sinniger Symbolik so kennt, hält er vermutlich Stockhiebe, Spieß-
rutenlaufen und Kriege für (un-)königliche Formen der Masturba-
tion. Der Phallus steckt da im Detail! Friedrichs bekannter
M u t - "Er hat kein Pulver auf der Pfanne!" -: bloße Legende!
Beweis: Friedrichs Absicht, sich im Falle einer drohenden Nieder-
lage das Leben zu nehmen. Die vielen Belege dafür leben von der -
Demokraten und Faschisten gemeinsamen - Unterstellung, daß das
Leben des Bürgers dem Staat gehört: Suizid als Flucht vor der
Fahne oder aus der Verantwortung - kurz Feigheit vor dem Feind
und dem Vorgesetzten, was Friedrich sehr wohl wußte und sich doch
nicht schämte:
"Zwar, ein Selbstmordversuch wurde in der preußischen Armee als
schwerstes Verbrechen bestraft, oft, wenn der Täter sich verstüm-
melt hatte, mit einer solchen Menge Spießrutenlaufen, daß der De-
linquent einen 'anständigen' Tod sterben konnte. Erfolgreiche
Selbstmörder in der Armee des 'Soldatenkönigs' waren an den Füßen
aufgehängt und von den Pferden auf den Schindanger geschleift
worden. Derlei Skrupel fochten aber den König und seine Lieb-
lingsschwester nicht an." (81)
Im eifrigen Bemühen, dem König Mangel an Mut nachzuweisen, er-
scheint dann der Gedanke an Selbstmord wie auch das Abstandnehmen
davon gleichermaßen als Beleg der Feigheit. Er will Friedrichs
brutales Ideal, daß alles Volk, ihn - an der Spitze allerdings -
eingeschlossen, nur Staatsdienst zu leisten habe, ganz radikal
auch an ihm selbst wahr machen, weil er meint, daß es nur so an
den Untertanen verwirklicht werden könne. Diese wären dann keine
Untertanen mehr, sondern "mündige Bürger". Daß letzterer die per-
fekteste Form des ersteren ist, weil er die Unterwerfung unter
den staatlichen Zwang als freien Entschluß zum Dienst an der Ge-
meinschaft auffaßt, wird nirgends klarer als an Augsteins Ge-
mecker über die mangelnde Zivilcourage der preußischen Staats-
diener:
"Nur nicht auffallen, die Devise des preußischen Beamten und Sol-
daten, war gefunden." (260)
"...hier und nicht später, wurde Preußens Beamten das Rückgrat
gebrochen." (274)
Die Praktizierung der Beamten- und Soldatenpflicht durch die Un-
terwerfung unter den Apparat und das Kommando erscheint dem Kri-
tiker schäbig. Was ihm ganz offensichtlich vorschwebt, ist der
Beamte, der ohne Rücksicht auf eigene Verluste das Staatswohl pur
im Auge hat, und der Soldat, der ohne Zwang zu den Fahnen eilt
und selbstbewußt Disziplin statt bloßen Gehorsam übt. Eine Armee,
die funktioniert, aber ohne beständige Desertion, drastische
Strafen und dauernde Bewachung - das ist zweifellos die Wunschar-
mee für den, der solche Wünsche hat. In der sächsischen Armee
entdeckt er diesen Traumsoldaten, der ohne Zwang fürs "Vaterland"
kämpft und tapfer fällt. Das Ideal des "Bürgers in Uniform"
dürfte hier Pate gestanden haben in Absehung davon, daß seine Re-
alität ohne Bestrafung der Fahnenflucht nicht auskommt, obwohl
ihr erheblich weniger Erfolgsaussichten beschieden sind als zu
Friedrichs Zeiten. Alle Kritik an Friedrichs Staat löst sich
schießlich auf in den Vorwurf, daß er nicht demokratisch gewesen
sei und so seinen Zweck, staatliche Unterwerfung, bloß als Unter-
werfung und nicht als freiwillige Unterordnung verfolgt und damit
verfehlt habe:
"Preußen hat sich nicht 'hochgehungert',... Es wurde hochgeprü-
gelt." (158)
Wo die Opfer genehmigt sind, wenn sie nur aus freien Stücken er-
bracht wurden, wo Freiheit und Unfreiheit so grundsätzlich als
Alternativen sach- und menschengerechter Ordnung behandelt wer-
den, kann die welthistorische Generalabrechnung nicht ausbleiben:
"Aber Bo-Russien wurde unter Friedrich, wenn man die französische
Politur abkratzt, mehr als östlicher, denn als europäischer Staat
behandelt. ... Russische Knutengesinnung wurde hier, diszipli-
niert von preußischer Pedanterie, effektiv." (155 f.)
Die Bo-Russen als fünfte Kolonne - und das seit mindestens 250
Jahren. Wenn nicht andere dasselbe schon von Hitler gesagt hät-
ten, müßte man dem Augstein glatt noch den Vorwurf der Originali-
tät machen.
zurück