Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN PRESSE - Von der westlichen Presse


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 48. 08.12.1981
       

FÜR EUCH GELESEN

Brief an einen Alt-Studenten ---------------------------- Lieber Herr Dr. Fertl, als wir uns vor elf Jahren kennengelernt haben waren sie im elf- ten Semester und der geistige Kopf der "Roten Zellen". Sie hatten einen ungewöhnlichen Zulauf an Studenten, und die Universität war Ihnen praktisch ausgeliefert. Gegen Ihre Störungen war die Uni- versität machtlos. Heute ist es wieder so. An die Stelle der "Roten Zellen" trat zwar die Marxistische Gruppe, doch wenn sie stört, dann müssen wieder Vorlesungen, Seminare und Zentralveranstaltungen ausfallen oder unter sehr erschwerten Bedingungen durchgeführt werden. Daß sie einen großen Zulauf unter den Studenten haben, kann nicht ge- leugnet werden. Das ist zweifellos Ihr Verdienst, wenn man so sa- gen kann. Dabei habe ich geglaubt, Sie hätten die aktive studentische Szene längst verlassen - das um so mehr, als ich Sie im November 1975 seriös gekleidet mit schwarzem Anzug und Krawatte in der U-Bahn getroffen habe. Damals waren Sie ja immerhin schon im 20. Seme- ster. Dann hörte ich heuer, Sie seien als Vertreter der 'Marxistischen Gruppe' in den studentischen Sprecherrat gewählt worden. Bei den Störungen der RCDS-Veranstaltung mit Helmut Kohl sah ich Sie im Lichthof der Universität. Bei Ihnen stand Ihr al- ter Mitkämpfer Theo Ebel der ebenfalls zu den "Roten Zellen" ge- hörte. Nach meinen alten Unterlagen halten Sie beide einen unglaublichen Rekord. Sie sind im 37. Lebensjahr und im 33. Semester, Ebel ist im 40. Lebensjahr und im 34. Semester. Ich frage mich neidvoll wer Ihr Studium bloß bezahlt. Etwas anderes macht mich aber ratlos. Vor zehn Jahren fragten Sie noch. "Warum ist die bürgerliche Wissenschaft so borniert wie sie ist?" Diese Frage dürften Sie doch heute nicht mehr stellen. Denn wenn man 33 Semester studiert, kann doch diese "bürgerliche Wis- senschaft" nicht so schlecht sein. Wenn sie aber nicht so schlecht ist, warum raten Sie Ihren Freunden von der "Marxistischen Gruppe" nicht von Störungen ab? Auf eine Antwort wartet Ihr Rudolf Reiser Brief an einen demokratischen Journalisten ------------------------------------------ Sehr geehrter Herr Reiser, in der "Süddeutschen Zeitung" vom 1. Dezember bemühen Sie in der Form eines Briefes eine eigenartige "Ironie", um Ihren Lesern mittels der Denunziation von Personen "Enthüllungen" über die "Hintergründe" von "Störungen" an der Universität zu servieren. In der bei Ihnen bekannten Manier, über die Politik der Marxisti- schen Gruppe vorsätzlich nichts mitzuteilen, verkürzt sich Ihre "objektive Hochschulberichterstattung" wie schon vor 11 Jahren über die Roten Zellen auf das Erstellen eines Steckbriefs, wofür ihnen die abgeschmacktesten "Argumente" gerade gut genug sind: Alter, Semesterzahl und der obligatorische Hinweis auf dunkle Fi- nanzquellen. Weil uns nur zu gut bekannt ist, wer Sie für was auf seiner Gehaltsliste stehen hat, hier ein paar Hinweise auf Infor- mationen, die die Leser der "Süddeutschen Zeitung" auch in den nächsten 11 Jahren von Ihnen garantiert nicht kriegen werden: Die Wissenschaft an der Universität halten wir nicht nur für bor- niert, wir weisen ihr vielmehr nach, daß sie falsch ist, weil Parteigänger der (Staats-)Gewalt. Auf diesen bislang nicht wider- legten Einwand hat die Universität noch stets mit der Macht rea- giert, über die sie verfügen kann - Polizei, Justiz und Ordnungs- recht der gegenüber Pfiffe gegen Herrn Kohl (dem Sie übrigens we- der Alter noch Semesterzahl vorzuwerfen haben) nichts sind als Demonstrationen einer ohn-mächtigen Opposition. Weil nun, wie ak- tuell der Fall, die Politik des Staates den Einsatz ihres furcht- barsten Mittels, den Krieg, nicht nur vorbereitet, sondern in al- ler Öffentlichkeit seine Modalitäten diskutiert, haben wir den verwegenen Vorschlag gemacht, eine Wissenschaft und Ausbildung, die sich diesem Staat nicht nur beamtenrechtlich verpflichtet weiß, sondern auch in ihren Urteilen für ihn Partei ergreift und die Studenten auf ihren Standpunkt zur aktuellen Politik zu be- fragen. Daß dies als Störung aufgefaßt und von Ihnen auch in die- sem Sinne kolportiert worden ist war zwar die militant vorgetra- gene Ablehnung unseres Diskussionsangebots - aber auch eine Ant- wort. Dies nehmen Sie zum Anlaß, Ihre Uuer ausgerechnet vor uns zu war- nen, Kritik an der Hochschule auf die Verführung Minderjähriger durch einen "Altstudenten", den Sie als asoziales Element zum Ab- schuß empfehlen, zurückzuführen und als "Krawall" zu kriminali- sieren. Ungefähr genauso stelle ich mir die Berichterstattung Ihres Kollegen in der "Münchner Neuesten Nachrichten" zu den "Störungen" der Geschwister Scholl vor, wenn sie erschienen wäre. Damals gab es allerdings keine demokratische Presse. Herbert Ludwig Fertl (Marxistische Gruppe) zurück