Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN BILD - Nationale Herzensbildung
zurück Jelzin gegen Gorbi"BILD" LÄSST IHREN LIEBLINGSRUSSEN FALLEN
Na sowas, da lernt man jetzt schon jahrelang, daß Gorbatschow "unser" Mann im "Reich des Bösen" ist, daß sich mit ihm und nur mit ihm dort allmählich Wandlungen im Sinn des Westens vollzogen haben. Und dann muß man unter dem Titel "Stürzt Jelzin Gor- batschow" folgendes lesen: "Gorbatschow orientiert sich immer mehr an den Wünschen der No- menklatura, also an den Bedürfnissen der alten Parteihierarchie ... Jelzin dagegen an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Deshalb ist der im Westen bewunderte Gorbatschow im eigenen Land unpopu- lär. Jelzin aber sehr beliebt." (Bild am Sonntag, 3.6.) Das ist ja rührend, wie sich die westdeutsche "Bildzeitung" auf einmal um die Bedürfnisse und den Geschmack der Sowjetmenschen kümmert. Nur: Was will sie denn mit ihrem Popularitätstest dem deutschen Leser sagen? Da kommen auf einmal ganz andere Bedürf- nisse und Maßstäbe ins Spiel: "Die Gefahr ist real, daß Gorbatschow nur machtloser Präsident eines gar nicht mehr existenten Staatsgebildes sein würde. ... Diese Forderungen" (gemeint sind Jelzins Parolen, u.a. die von der Regierung angekündigten Preiserhöhungen müßten unterbleiben, und sein Anspruch auf die Souveränität Rußlands innerhalb der So- wjetunion) "werden wohl Anklang in der Bevölkerung finden. Des- halb sollte Gorbatschow seinen Opponenten nicht unterschätzen. Auch der Westen sollte es nicht, angesichts der Wirtschaftsmisere der Sowjetunion sammelt der radikale Reformer Jelzin im Vergleich zum zaghaften Gorbatschow stetig Punkte." Gorbatschow "zaghaft", weil er radikal die Preise erhöhen läßt? Jelzin "radikal", weil er gegen Preiserhöhungen schimpft, die von sämtlichen Experten für "marktwirtschaftliche Reformen" für über- fällig erklärt werden - bei nächster Gelegenheit auch wieder von der "Bildzeitung" selbst -? Aber was kümmern "Bild" die materiel- len Folgen des Perestrojka-Unwesens in der Sowjetunion. Sie ta- xiert die Erfolgschancen der Figuren, die in Moskau um die Macht konkurrieren. Und dabei geht es ihr um die Chancen, die diese Fi- guren für westliche Erfolge bieten. "Popularität", das ist der schlichte Ausdruck dafür, wer "unser" Hoffnungsträger vor Ort ist. Und da hat Jelzin bei "Bild" momentan gute Karten. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens tut er sich als Gegner des Apparats hervor - er baut näm- lich kräftig an einem eigenen. Zweitens tritt er gegen die Ein- heit der sowjetischen Union an. Sein Anspruch auf r u s s i s c h e Souveränität bringt die Sowjetunion ungleich mehr in Gefahr als jeder baltische oder transkaukasische Separa- tismus. Und das eröffnet für den Westen überhaupt ganz neue Per- spektiven, wie er mit der Weltmacht Nr. 2 endgültig fertig werden könnte. Dagegen sieht "unser Gorbi" auf einmal alt aus, weil der ja irgendwie immer noch die Einheit seiner Union bewahren will. Jelzin: Mitten in Rußland ein noch nützlicherer Idiot der westli- chen Sache - der Mann m u ß ganz einfach populär sein. "Bild" mag ihn; dann wird ihn der Iwan schon auch mögen. Und unsere Po- litiker müssen aufpassen, daß sie nicht zu lange aufs falsche Pferd setzen und womöglich eine Chance zum Eingriff in den Zer- setzungsprozeß der Sowjetunion verpassen. zurück