Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN BILD - Nationale Herzensbildung
zurück "Bild" jubelt:ENDLICH WELTMACHT!
Neulich, am Tag der deutschen Einheit, gab es große Zufriedenheit auf allen Kanälen. Der "Bild"-Kommentar bot zur Feier des Tages eine Sammlung der gängigsten Lügen darüber, was an der Vergröße- rung Deutschlands so toll ist. "DIE GNADE DER STUNDE NULL Weizsäcker hat gesprochen. Brandt hat geweint. Kohl hat ge- strahlt. Das deutsche Volk hat gejubelt. Der Alltag hat uns wie- der. - Alltag? Alles ist anders. Wir erleben die Gnade der Stunde Null. Gleiche Verantwortung, gleiches Glück, gleiche Chancen zwi- schen Oder und Rhein. Es gibt keine Fehler mehr, die nur in Ost oder West gemacht werden. Jeder Fehler trifft uns alle. Und jede richtige Entscheidung auch." Weizsäcker spricht heute immer noch, Brandt weint wohl weiter und Kohl strahlt auf jeden Fall unvermindert fort. Für das deutsche Volk aber ist der Feiertag vorbei. Es geht wieder arbeiten, teilt sich sein Geld ein, so wie es sich für ein Volk eben gehört. Daß diese Alltagspflichten sich plötzlich ganz anders anfühlen sol- len, bloß weil jetzt ein paar Millionen mehr Leute als bisher da- für vorgesehen sind - da müßte der "Bild"- Leser laut lachen. Es war ja bislang auch schon so schön, mit den 60 Millionen West- deutschen gleiche Chancen zu teilen und einer gemeinsamen Herr- schaft unterworfen zu sein - wenn man mal "Alltagspflichten" so ausdrücken will. Und das soll eine gnädige "Stunde Null" sein, wenn die sowieso längst zur Großmacht aufgestiegene BRD ihre Macht auf ein neues Territorium ausweitet - bloß, weil sie immer behauptet hat, sie wäre furchtbar unfertig ohne diesen Land- strich? "Es gibt auch Ängste, drinnen und draußen. Im Ausland fürchten manche die deutsche Weltmacht. Viele Menschen in den neuen Bun- desländern haben Angst vor der wirtschaftlichen Zukunft. Zum Aus- land: Wir sind eine Macht in der Welt, aber keine Weltmacht. Eine Weltmacht will herrschen, bestimmen, wo es langgeht. Deutschland aber, auch das neue größere, ist Teil Europas und des Westens. Wie recht hat Kohl: Nur Frieden soll von deutschem Boden ausge- hen." Wie billig ist das doch zu haben, daß der Machtgewinn Deutsch- lands überhaupt keiner ist! Man braucht offenbar nur daran zu erinnern, daß Deutschland T e i l von größeren Gebilden ist - als hätte das einer bestritten! -, und vornehm darüber hinwegzu- sehen, w a s Deutschland in diesen Gebilden inzwischen für eine Rolle spielt. Zufällig b e n u t z t die BRD nämlich die EG und das westliche Bündnis für i h r nationales Fortkommen schon länger mit einigem Erfolg. I n der EG bestimmt sie schon längst, wo's lang geht und läßt sich das auch von niemandem streitig machen. Mit der NATO im Rücken ist die BRD immerhin zur stärksten Militärmacht Europas geworden. Und warum soll der "Frieden" eigentlich immerzu "von deutschem Boden ausgehen"? Es ist ja nett, daß Deutschland seinen Nachbarn verspricht, sie nicht zu überfallen, aber es gibt ja noch andere Methoden, zu "herrschen" und zu "bestimmen" - Diplomatie, Verträge, Genscher- Verständigung und Weizsäcker-Besonnenheit. Und was den Frieden betrifft: Wäre dem Kanzler und "Bild" ein Frieden recht, der von rumänischem Boden oder von Frau Thatcher ausgeht? "Weltmacht? Unsere Freunde draußen sollen wissen, daß die Dächer zwischen Rostock und Dresden endlich wasserdicht, die Häuser re- noviert, Fabriken modernisiert werden müssen. Das sind die Aufga- ben." Die BRD hat sich bekanntlich deswegen die DDR einverleibt, um den Menschen dort ein schöneres Zuhause und neue Fabriken zur Verfü- gung zu stellen. Sie will nichts weiter mit ihrer Einheit, als endlich einen gemütlichen Wohlstand bis zur Oder auszubreiten. Genauso, wie sie bisher all ihre Mittel dafür verwendet hat, den Westdeutschen Wohnungen und Fabriken hinzustellen, ohne je an ih- ren Rang in der Staatenkonkurrenz zu denken. Fragt sich nur: Warum muß das eigentlich dauernd beteuert werden? Vielleicht ist es ja doch nicht so offensichtlich, daß der Abzug von 400.000 Russen, der Einzug von Bankgewerbe und Bundeswehr, 100 Mrd. DM neue Staatsschulden - daß das alles bloß ein Dachdeckerprojekt ist? Und moderne Fabriken drüben sollen nichts damit zu tun ha- ben, daß der Exportweltmeister BRD alle Konkurrenten niederbü- gelt?! Das ist genau die Lüge der nationalen Bescheidenheit, mit der die BRD ihren bisherigen Aufstieg zur Großmacht immer so schön garniert hat und mit der sie jetzt sogar ihren Übergang zum ausgewachsenen Macher der Weltpolitik schmückt! "Weltmacht? Die Wiedervereinigungsfeiern sahen manchmal aus wie Gartenfeste einer Laubenkolonie. Und der Mann, der gestern das Mikrofon an sich riß, wollte keinen neuen Umsturz, sondern lobte den Frankenwein, Jahrgang 72." Was für eine harmlose Nation, deren Volk am nationalen Feiertag so nett feiert - anstatt etwa in das beanspruchte Land einzumar- schieren! Dabei haben die Feiernden nichts anderes gemacht, als was ihnen von oben verordnet war: die DDR als ein Volksgefängnis für die eigenen Brüder und Schwestern zu betrachten und sich über deren Umsturz zu freuen, als wäre dieser Gewinn ihres Staates ihr eigener. Das heißt: diese Leute stürzen wirklich nichts um, sie marschieren auch ein, wenn es sein muß. Und hinterher heben sie einen Humpen Frankenwein. "Den Menschen in den neuen Bundesländern aber sei gesagt: Habt Geduld, alles wird besser. Euch gehört die freie Zukunft. Krem- peln wir die Ärmel auf. Gemeinsam werden wir es schaffen." Gemeinsam werden wir es schaffen - da ist ausnahmsweise was dran. Denn was kann da schon schiefgehen? Erstens haben die östlichen BRD-Bürger gar keine andere Wahl, als sich auf die neuen Bedin- gungen einzustellen. Und zweitens ist ihnen ihre freie Zukunft auch sicher, womit nicht mehr versprochen ist, als daß sie auf dem freien Wohnungs-, Arbeits- und Warenmarkt schauen müssen, wo sie bleiben. Allerdings schaffen "wir" die östliche Ausdehnung des bundesdeutschen Staatswesens und Kapitals nicht "gemeinsam" in dem Sinne. Dafür sorgen schon die zuständigen Herren Politiker und Geschäftsleute - die anderen müssen tun, was ihnen ange- schafft wird. Und wenn die neuen Bundesländer endlich so weit sind wie die alten, werden "die Menschen" dort diese schönen Worte immer noch zu hören bekommen: "Habt Geduld, alles wird bes- ser. Krempeln wir die Ärmel auf. Gemeinsam werden wir es schaf- fen." Und zwar bei jeder Tarifrunde, bei jedem Staatsprogramm - immer dann eben, wenn das Volk für die Vorhaben unserer ge- mütlichen, bescheidenen Republik geradestehen soll. zurück