Quelle: Archiv MG - BRD MEDIEN ALLGEMEIN - In Freiheit gleichgeschaltet
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Polen
FREIHEITLICH GEMUSTERT
Ausländische Staaten werden nicht nach den politologischen
Idealen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie gemustert, auch
nicht nach den praktischen Umgangsformen demokratischer Herr-
schaft, sondern nach den Ansprüchen an eine für die eigenen In-
teressen brauchbare stabile Herrschaft. Wenn der Einsatz von Ge-
walt gegen das Volk das Kriterium wäre, man käme aus dem Verur-
teilen nicht heraus. Aber da kommt es schon darauf an, wei sie
praktiziert und wie sie mit den eigenen nationalen Anliegen zu-
sammengeht.
Für solche Unterscheidungen stellen sich die demokratischen Ver-
gleichsmaßstäbe dann allerdings bereitwillig ein.
Die p o l n i s c h e n Generäle agieren auf der falschen
Seite, also finden sich an ihrer Regierung die Belege, die aus
der westlichen Rüstungsdiplomatie eine folgerichtige "Reaktion"
auf die polnischen "Ereignisse" machen. Bei Polen weiß inzwischen
ein jeder, daß er an der Führungsmannschaft so ziemlich alles zu
verabscheuen hat, während über die Militärdiktatur an der NATO-
Süd-Ost-Flanke gerade noch diskutiert wird, ob man sie wegen der
Glaubwürdigkeit westlicher Polenpolitik in einem Atemzug mit Po-
len nennen müßte, oder ob sie nicht unvergleichlich ist.
"Geduldet" wird sie - wie andere diktatorische Partner - auf je-
den Fall. Die Militärregierung in Polen nicht. Da gilt auf der
einen Seite "Solidarität mit Solidarnosc" von den höchsten Stel-
len, Solidarität also mit einer aufrührerischen Bewegung, die
sich durch Rücksichtslosigkeit gegenüber d e n Erfordernissen
d e r Wirtschaft ausgezeichnet hat, auf die man hierzulande im-
mer hören muß... Auf der anderen Seite werden Sanktionsmaßnahmen
beschlossen, wie sie sich gegen die Türkei und El Salvador als
"wenig hilfreich" verbieten; Sanktionen gegen eine Staatsgewalt,
die gegen Staatsgegner in den eigenen Reihen das laut Sozialkunde
allerheiligste Ziel jeder Herrschaft "die Ordnung", rettet... Daß
beides so volksfreundlich verstanden wird, die plötzliche Zunei-
gung zu Aufrührern wie die Bestrafung einer Ruhe und Ordnung
stiftenden Regierung, verdankt sich einem gut geschulten antikom-
munistischen Untertanenverstand, der die Himmelsrichtungen zu un-
terscheiden gelernt hat; der daher die Abweichungen der pol-
nischen Militärherrschaft vom gewohnten Muster einer "blutigen
Schreckensherrschaft" geflissentlich übersieht und die Prinzipi-
enfestigkeit der eigenen Staatsmänner schon gar nicht anhand ih-
rer eigenen Herrschaftsusancen überprüft.
Nachdem schon Außenminister Haig den Vergleich mit der Türkei
verboten hat, haben wir dem nichts mehr hinzuzufügen. Herrschaft
in Ost und West ist wirklich nicht zu vergleichen; schon gar
nicht Polen und unsere erfolgreiche demokratische Bundesrepublik
- wie ein Vergleich beweist.
Eine Militärdiktatur mit Massenagitation
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In Polen werden die oppositionellen Anliegen mehr oder weniger
eines ganzen Volkes mit Gewaltandrohungen unterdrückt, und doch
bemüht man sich zugleich um (Mit-)Arbeit des ganzen Volkes bei
der Konsolidierung des Staates. Der Staat ist darauf aus, daß
seine Bürger für ihn arbeiten, und bemüht sich mit Drohungen und
Kompromißangeboten um die Unterstützung seines Volkes. Die Mili-
tärs wollen zur gesicherten Herrschaft auch wieder einen brauch-
baren, gehorsamen Volkswillen herstellen, auf den sie sich stüt-
zen können. Deshalb gehören in Polen Kriegsrecht und Zurückhal-
tung bei seiner Anwendung zusammen, während in der Türkei, Paki-
stan, Chile, Südkorea, Guatemala, Marokko, Ägypten und wie die
vielen Partner des Westens alle heißen, auf die Mitwirkung des
Volkes und einen darauf kalkulierten gebremsten Einsatz der
Machtmittel verzichtet wird. Dort erhält sich das Militär selbst
- und wird darin von außen gehalten. In einem ist die polnische
Junta wirklich glaubwürdig: Die jetzigen Zustände will sie nicht
beibehalten. Sie lügt nicht einmal, wenn sie die schlechte Ver-
sorgung beklagt: Hätten die Leute genug zu essen, würde auch Po-
len besser funktionieren, der Oppositionsgeist, den sie möglichst
nicht einfach ausräumen möchte, vielleicht geschwächt.
Solche Probleme bekommt die BRD erst gar nicht: Lebensmittel gibt
es aus Geschäftsgründen genug zu kaufen, so daß sich ein Helmut
Schmidt nicht um Fragen der Versorgung zu kümmern braucht, son-
dern um die Finanzierung des Staatshaushalts mit dem Geld, wovon
sich deutsche Arbeiter das Notwendige kaufen. Dafür wird fleißig
gearbeitet, so daß der nationale Reichtum wächst und die Zahl der
für seine Vermehrung überflüssig Gemachten wächst. Die haben dann
zwar noch weniger Geld, bringen aber nicht das System in Gefahr,
sondern warten darauf, daß es ihnen wieder Arbeit verschafft oder
auch nicht. Hier fehlt es nicht an Fleisch, sondern an
"Arbeitsplätzen". Deswegen wird allgemein von einer Krise geredet
und jeder setzt sich dafür ein, daß Staat und Wirtschaft voran-
kommen auch wenn das alles andere als Arbeitsplätze schafft.
Eine Militärdiktatur mit Arbeit unter Kriegsrecht
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Mit der Unterstellung der Schlüsselindustrien unter Militärauf-
sicht sollen Arbeitsboykott oder Bummelstreik ausgeschlossen und
der sachgemäße Einsatz der Arbeit sichergestellt werden, soweit
die lädierte Wirtschaft die sachlichen Bedingungen dafür zur Ver-
fügung stellt.
Hierzulande darf ein Arbeiter für den "Besitz" eines Arbeitsplat-
zes dankbar sein. Wer arbeiten will, weil er muß, für den ist al-
les zumutbar, weitere Gewalt erübrigt sich. Drüben muß man arbei-
ten, hier darf man müssen.
Eine Militärdiktatur auf der Suche nach einem DGB
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Dieselbe bundesdeutsche Regierung, die in aller Deutlichkeit das
Notwendige zu den englischen Teepausen und der italienischen
Streikfreude gesagt hat, will in Polen eine oppositionelle Ge-
werkschaft wieder eingesetzt sehen, eine Opposition, mit deren
Zulassung sich die Generäle gleich selber aufgeben könnten. Das
in der Staatenwelt allerordinärste und in Demokratien verfas-
sungsmäßig festgelegte Mittel zur Ausschaltung von praktischer
Opposition im Volk, den Notstand ausrufen und die Macht dem Mili-
tär übertragen, gilt in Polen aber als M i ß b r a u c h der
Staatsgewalt.
Dafür läßt der Westen die polnische Ordnungsmacht büßen, die ih-
rerseits die BRD um ihre Gewerkschaften beneidet und ein "Modell"
nach dem anderen diskutiert:
Manche favorisieren eine Gliederung der Gewerkschaften nach Indu-
strien, mit einem Dachverband nach deutschem Muster, Streiks sol-
len wieder zugelassen werden, aber bei strenger Einhaltung der
Verhandlungs- und Schlichtungsverfahren im Tarifstreit. Streik
als letztes Mittel also."
Aber davon kann der polnische Staat nur träumen. Es ist eben ein
entscheidender Unterschied, ob man sich eine staatstreue Gewerk-
schaft erst einrichten, ob man einer ungehorsamen Arbeiterklasse
ein Loyalitätsbekenntnis per Kriegsrecht erst einbleuen muß, be-
vor man ihre Vertretung wieder mitmachen läßt, oder ob man einen
DGB h a t. Einen DGB, der wegen der Nation Lohnverzicht durch-
setzt, der Streik als Recht verehrt, das man durch Benutzung nur
schädigt, der für die Tarifautonomie jedes Arbeiterinteresse
freiwillig schon längst geopfert hat, einen DGB also, der seinen
Staat davor bewahrt, auch nur jemals veranlaßt zu sein, die guten
Notstandsgesetze anzuwenden.
Das Verständnis westlicher Politiker für einen gewerkschaftlich
geführten Volksaufstand hat seine Grenze an der Mauer, aber es
wird westlich davon auch erst gar nicht in Versuchung geführt.
Eine Militärdiktatur, die ihre Feinde mit Kalorien foltert
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Weil die Militärs sich darum bemühen, daß sich ihr Volk zu einer
zivileren Methode des Mitmachens bereitfindet, sind sie sehr
skrupulös in ihrem Einsatz von Gewalt und sehr rücksichtsvoll in
der Behandlung ihrer Feinde - nach wie vor die Adressaten für
eine neue nationale Lösung. Ein Walesa wird nicht verknackt oder
unterwegs aus dem Flugzeug verloren, sondern interniert. Beim be-
sten Bemühen sind keine Folterspuren zu entdecken, stattdessen
bekommt er zuviel zu essen. Aus dem Gefängnis dementiert der ka-
tholische Berater der "Solidarität", Mazowiecki, westliche Mel-
dungen, er habe bei seiner Verhaftung Selbstmord begangen. Mich-
nik will nicht einmal verprügelt worden sein und läßt sich ebenso
wie Kuron in seiner Publikationstätigkeit durch die äußeren Um-
stände nicht behindern. Sie sind interniert als Staatsfeinde, die
der polnische Staat nicht als solche behandeln mag, in der Be-
rechnung, sie vielleicht doch noch zur konstruktiven Mitwirkung
an einem Polen in seinem Sinne zu bewegen. Die er aber auch, wenn
sie nicht wollen, nicht einfach abservieren kann.
Die BRD und ihre Staatsfeinde? Kein Problem, weil so gut wie alle
mitmachen. Dafür dürfen sie auch zwischen CDU und SPD wählen und
öffentlich über beide meckern, und wer nicht bloß oder zu häßlich
meckert, ist ein Feind der Freiheit und wird nach allen Regeln
des Grundgesetzes verknackt. Nicht daß Polizei und Verfassungs-
schutz unterbeschäftigt wären, Berufsverbote, Hausbesetzer,
Startbahngegner und ähnliches Gelichter halten den Justizapparat
am Laufen, aber doch deshalb, weil sie sich a u ß e r h a l b
unserer FDGO stellen! Und wer kommt und sagt, daß der Umgang mit
solchen nicht rechtens wäre, wer das Wort "Isolationsfolter" be-
nutzt, der beleidigt un-rechtskräftig unsere Republik. Wer wollte
da von Gewalt reden, wo doch alle verantwortlichen Parteipoliti-
ker bloß den Definitionsproblemen und Verhaltensunsicherheiten
der Vollzugsorgane Rechnung tragen und eine neueröffnete Geset-
zeslücke nach der anderen schließen, damit die Freiheit wirklich
über jede mißbräuchliche Verwendung erhaben ist!
Eine östliche Militärdiktatur mit westlichen Maßstäben
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erlaubt nicht nur Hunderttausenden, allfeiertäglich im Namen ei-
ner staatsgefährdenden Ideologie zu demonstrieren und arrangiert
sich mit den Glaubensrepräsentanten, sie behandelt auch verbotene
Demonstrationen am Tag der Arbeit nicht bürgerkriegsmäßig, son-
dern mit Polizeimethoden. Das beweist ihren Unterdrückungscharak-
ter. Hierzulande wird nämlich kommunistisches Gedankengut als
staatsgefährdend verfolgt und am ersten Mai die Einigkeit der na-
tionalen Arbeit von oben demonstriert. Das deutsche Fernsehen be-
richtet beiläufig und verständnissicher von den Polizeimethoden
bei der Startbahn West, hauptsächlich und umgekehrt verständnis-
gewiß über die Straßenschlachten in Warschau und Stettin. Denn
unser freies Staatsfernsehen bekommt noch vom unfreien polnischen
Staatsfernsehen und von zugelassenen französischen Teams die Bil-
der aus Polen überspielt. Ein Beweis der Überlegenheit des freien
Westens, der von der Erschießung türkischer Demonstranten weder
Bilder will, noch erhält. Einmischung in die inneren Verhältnisse
Polens heißt das nicht, nicht einmal von polnischer Seite; dort
herrscht nämlich
Eine Militärdiktatur, die um westliches Verständnis bemüht ist
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Schon die ersten Verlautbarungen der Generäle nach ihrer Macht-
übernahme klingen merkwürdig gemessen an der Bedrohung, die laut
der westlichen Öffentlichkeit von der "Weltkrise durch Polen"
ausgeht.
"Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß ein Fortdauern des
Kriegsrechts keinen Anreiz zur Zusammenarbeit mit Polen geben
kann."
Daß eine sozialistische Junta nach außen so wenig furchterregend
auftritt und als erstes um Verständnis wirbt, stellt die Abhän-
gigkeitsverhältnisse klar: Mit einem westlichen Handels- und Kre-
ditboykott läßt sich kein nationales Errettungsprograrnm in Polen
machen.
Über "Anreize zur Zusammenarbeit" braucht sich unsere erfolgrei-
che Herrschaft dagegen keine Gedanken zu machen. Schmidt und Gen-
scher ersuchen nicht um Zustimmung und Verständnis für innere
Ordnungsmaßnahmen, sie verlangen beides selbstverständlich. Sie
sind ja auch tatkräftig daran beteiligt, wenn der Westen darüber
befindet, wann ein Gewalthaber fehl am Platz ist und der CIA oder
andere Mittel zum Einsatz kommen müssen, und wann so einer genau
der Passende ist, weil seinem Volk die Reife fehlt.
Im Fall Polen genügt Zurückhaltung und schon gelangen nicht mehr
die Produktionsmittel ins Land, die die polnische Wirtschaft
braucht. Der demonstrativen östlichen Kompromißwilligkeit begeg-
net man mit Kompromißlosigkeit. Deswegen will man auch den Oppo-
sitionellen drüben die Segnungen der Unfreiheit keinesfalls er-
sparen, selbst wenn sie wollten. Denn
Eine Militärdiktatur, die ihre freiheitsliebenden Feinde
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in die Freiheit abschieben will
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ist ein Monstrum, denn sie nimmt ihnen damit die Heimat. Weshalb
die mildtätige BRD sich vorsorglich weigert, solche aufzunehmen.
Das Auswanderungsangebot der Militärs ist ein übler Trick, und
die Menschenfreundlichkeit der BRD besteht darin, keine solchen
Menschen zu übernehmen.
"Gewalt darf kein Mittel der Politik sein", ist nämlich das Credo
von Schmidt, Genscher und Konsorten; damit wollen sie sich vom
Osten unterschieden haben und werden dabei nicht rot, genausowe-
nig wie ihrem Publikum dabei etwas auffallen will.
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