Quelle: Archiv MG - BRD KIRCHE - Vom Mißbrauch des Verstandes durch den Glauben


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       Münchner Hochschulzeitung Nr. 8, 27.01.1982
       
       "Hochschulwoche Rüstung und Unterentwicklung" von ESG und KHG
       

KRITISCHE EXERZITIEN

Man muß kein engagierter Christ sein, um Not und Elend in der "Dritten Welt" zu beklagen, ebensowenig, wie es typisch für die in Kirchen organisierten Menschen ist, massive Vorbehalte gegen Rüstung und Militär zu haben. Das genuin Pfäffische an der Hoch- schulwoche von ESG und KHG ist jedoch die Pose, beides zusammen als Entrüstungsexerzitien durchzuführen, die neben der morali- schen Selbstbestätigung nur einen Zweck verfolgen: Die Radikali- sierung der eigenen B e t r o f f e n h e i t, in der man sich gegenseitig in der Auffassung bestärkte, daß es i n d e r W e l t reichlich schlecht = böse zugeht. Der Erfolg der Veranstaltung ist so von vornherein gesichert: W i s s e n wurde zur Pflege schlechten G e w i s s e n s (weitgehend nicht) vermittelt. Bei aller Disparatheit der angebo- tenen Modelle und Meinungen kam es zur Kontroverse nur, als der Standpunkt überhaupt bestritten wurde, Rüstung sei die U r s a c h e von Not und Gewalt in der "Dritten Welt" und "wir" hätten dagegen sauber zu bleiben, daß sich unsere E i n s t e l l u n g dazu ändere. Gegen Diskutanten von der MG wurden folglich weniger Argumente laut, denn interne Überlegun- gen, wie für die Zukunft neue Formen solidarischen Sichzusammen- findens entwickelt werden könnten. Aufschlußreich für die gei- stige Lage studentischen Christentums war denn auch nicht, was bei ihm auf Zustimmung stieß - darunter fielen so unterschiedli- che Sachen wie BASTIANs Kritik an der NATO-"Nachrüstung" und die üblen Thesen des Soziologen LOCH über Gefahren und Chancen der Militarisierung in der "Dritten Welt" -, sondern weit mehr Was man nicht hören wollte -------------------------- "Schädlich sein können solche, die gewisse Übel beklagen, ohne ihre abstellbaren Ursachen zu nennen." (Brecht, Me-ti) Der Zusammenhang von Rüstung & Unterentwicklung, so wie er pro- grammatisch von der Studentengemeinde aufgemacht wurde, ist falsch: Ihr Argument, daß der Hunger in der III-Welt deswegen zu- nimmt, weil die Politiker h i e r das Geld in die Rüstung stec- ken, statt in die Entwicklungshilfe, unterstellt die Fiktion ei- nes Staatshaushaltskuchen, der in seiner Begrenztheit die Mög- lichkeiten des Staates einengt. Die in der gleichen Woche be- schlossene Neuverschuldung von 27 Mill. DM belegt, wie souverän sich der Staat das Geld für die Zwecke, die er vorhat durchzuset- zen, beschafft. Den Politikern das Problem abzunehmen, "mit einer begrenzten Geldmenge wirtschaften zu müssen", hat seine Grundlage in dem Opportunismus, sich nicht zu fragen, was die Politiker ma- chen, sondern sie mit einem Ideal zu konfrontieren. Zwar schimpft man über den "privatwirtschaftlich organisierten Kapitalismus", nimmt aber dem Staat, der diese Form von Reichtumsgewinnung erst ermöglicht, den guten Zweck ab, mittels Entwicklungshilfe den Hunger in der "Dritten Welt" zu bekämpfen, was jetzt schwer ge- fährdet sei. Nicht nur die R e s u l t a t e von 30 Jahren Entwicklungspoli- tik müßten diese Sorge nachgerade als zynisch widerlegen, auch die entsprechenden Erklärungen der zuständigen Herrn in Bonn, die auf "unsere weltweit verflochtenen Interessen" verweisen, bele- gen, daß die Entwicklungshilfidealisten mit ihrem I d e a l d e r H i l f e nicht nur von der Praxis, sondern mittlerweile auch von der Ideologie des Imperialismus vornehm absehen. Die Verweise christlicher Studenten auf vorbildliche Entwicklungspro- gramme, die inmitten der Armut einen dazupassenden Musterbetrieb errichtet haben, zeigen, daß die harmonische Zusammenarbeit des K o l o n i a l i s m u s mit den M i s s i o n a r e n eine aktuelle Fortsetzung in der Garnierung des I m p e r i a- l i s m u s mit der C a r i t a s erfährt. Der rigide Moralismus des Slogans "Die Bomben fallen jetzt!", wo- mit sich das imperialistisch produzierte Elend in der "Dritten Welt" als K r i e g der "Industrienationen" gegen die Habe- nichtse vorgestellt wird, will von der Ökonomie ebensowenig wis- sen, wie von der Politik: Not & Elend sind halt gerade die Ergeb- nisse der f r i e d l i c h e n Be- und Ausnutzung von Staaten deren ökonomische Abhängigkeit sie zum souveränen O b j e k t der Weltpolitik macht. Als Staatenmaterial dienen sie dem Weltge- gensatz zwischen O s t u n d W e s t, für den zu rüsten die Reagan und Schmidt offen erklären und unter den der sogenannte Nord/Süd-Konflikt immer schon subsumiert war. Die Beliebigkeit, mit der sich der Westen Staaten der "Dritten Welt" aussucht, um mit ihnen "Krisen" zu produzieren, die den Osten als "Störenfried" brandmarken, der sich da raushalten soll, und die Bereitschaft der Drittweltsouveräne, sich auch p o l i t i s c h zum Instrument der USA zu machen, damit sie aus ihrer ö k o n o m i s c h e n Funktion, Rohstoffquelle und Anlagesphäre des Kapitals zu sein, auch weiterhin die Spesen ih- rer Souveränität bezahlen können - das sollte doch die L ü g e vom Nord-Süd-Gegensatz endlich entlarven. Ihr liegt die Vorstel- lung zugrunde, es bestünde eine G e m e i n s a m k e i t im Interesse zwischen dem Kapital und seinem Arbeitsmaterial in den Metropolen gegen die Hungerleider und ihre Herrschaft in den "unterentwickelten" Ländern. In Wirklichkeit ist es haargenau das gleiche Interesse das einerseits in den "Industriestaaten" die Ausbeutung so lohnend macht, daß der Hungertod z.B. deutscher Wertarbeiter die Geschäftsgrundlage zerstört, und das anderer- seits für den Abtransport von Öl, Erz und Erdnüssen die eingebo- rene Bevölkerung nur zu einem sehr geringen Teil benötigt, wes- halb sich ihre ausreichende Ernährung nicht nur nicht lohnt, son- dern dem Geschäft die Grundlagen entzöge. Von diesem Zusammenhang profitieren natürlich auch die Herrschaf- ten des "Südens", die für die Verwaltung des Elends mit Geld & Waffen ausgestattet werden und nicht für seine Beseitigung, woran sie dementsprechend auch gar kein Interesse haben. Die Konsequenzen sind demzufolge auch gänzlich andere, als sich das der moralische Standpunkt ausmalt, wenn er seine Gewissens- ruhe durch gute Taten sicherstellen möchte: Der V e r z i c h t von "uns" allen (sogar ein "freiwilliger fleischfreier Tag" wurde vorgeschlagen) verringert allein die Kosten für den Unterhalt der arbeitenden Bevölkerung hierzulande, macht die Ausbeutung noch effektiver und bestreitet dem Imperialismus keines seiner Mittel, mit denen er auf dem Weltmarkt auftritt. Umgekehrt nützt die S t ä r k u n g der S t a a t e n in der "Dritten Welt" (mehr "Autonomie" wurde gefordert) keinem einzigen hungrigen Neger (übrigens ebensowenig, wie wenn man ihn nicht als solchen, son- dern als Afrikaner tituliert, was in einer Diskussion gefordert wurde) und die Alimentierung ausgesuchter - fast möchte man schon sagen - Exemplare unter den Verdammten dieser Erde" paßt zum Wir- ken des Imperialismus genauso brutal, wie die Militärseelsorge zum Krieg. Da man seitens der Veranstalter und der christlichen Teilnehmer nicht daran interessiert war, die politischen und ökonomischen Gründe für die beklagten Übel zu klären, um sich gegen die P o l i t i k und das K a p i t a l mit dem theoretischen Rüstzeug für praktische Gegnerschaft auszustatten (im Gegenteil: gerade in der Versicherung, wie gut es doch uns im Vergleich zu denen da unten gehe, liegt doch das Einverständnis mit Demokratie und Imperialismus, wenn sie nur die moralischen Qualitäten, die man selbst hat, nicht nur propagieren, sondern auch praktizieren würden!), wollte man obiges nicht diskutieren, sondern sich von den Ausführungen geladener Dozenten Illustrationsmaterial dafür liefern lassen, daß man mit seiner Haltung zum Weltgeschehen richtig liege. Was man hören wolle ------------------- "Die bürgerliche Welt bemüht sich verzweifelt nachzuweisen, daß er (der Staat) sich irrt. Daß etwas Gewalt vielleicht nötig ist (der Ausnahmelage wegen), aber nicht so viel Gewalt, nur so und soviel Gewalt ... Daß kriegerische Vorbereitungen in vernünftigen Grenzen besser sind." (Brecht, Zur Politik und Gesellschaft) Dies der gemeinsame Tenor auf den Großveranstaltungen: G. BASTIAN zog zwar als einziger aus der Betrachtung der Waffen einen Schluß auf die Strategie, deren Zielsetzung er als Grund für die westliche Aufrüstung erkannt hat. Daraus folgert er je- doch, den maßgeblichen Politikern ausgerechnet eine "verfehlte" Rüstungspolitik zur Last legen zu müssen. In der Diskussion auf die Z w e c k e einer Politik hingewiesen, die sich das Rake- tenzeug zulegt, ließ er sich zu flammenden Bekenntnissen zur BRD- Demokratie hinreißen, deren Politiker er gerade dadurch lautere Absichten zugesteht, in dem er ihnen "Fehler" nachsagt. Die E h r l i c h k e i t dieses desillusionierten Offiziers recht- fertigt zwar nicht die dazugehörige N a i v i t ä t, sie stand jedoch noch auf einem anderen Blatt als die hochwissenschaftlich daherkommende intellektuelle Skrupellosigkeit, mit der die Herren LOCH und EBERT das ihnen vorgegebene Thema zur Ausbreitung ihrer persönlichen Marotten ausnutzten: - Der Soziologe LOCH befaßt sich "schwerpunktmäßig mit Militärli- teratur" und gelangte zu dem Ergebnis, daß der "extreme Verlust der Drittweltstaaten an Autonomie" dort zu "Verteilungskämpfen" führt, die das Militär ausweiten, das allerdings nationale Zwecke verfolge, weswegen es in Konflikte mit den "Trittbrettfahrern des Imperialismus" (= die Regierungen) gerate. - Der Friedensforscher EBERT trug einmal nicht sein "Konzept so- ziale Verteidigung" vor, sondern gab eine Geschichte der Frie- densbewegung, die er als Musterbeispiel für das Ideal kritischer Politologen, einer aktiven Bürgerbeteiligung an der Politik, wertschätzt. Weder wollte an LOCH auffallen, daß hier der im Thema der Hoch- schulwoche unterstellte negative Zusammenhang zwischen Entwick- lungspolitik und Rüstung auf den Kopf gestellt wurde, noch daß bei EBERT als Rezepte für die Friedensbewegung lauter Sachen aus- gestellt wurden, die diese "soziale Bewegung" wirkungsvoll von ihrem Ausgangspunkt wegbringt. Darauf kam es gar nicht an: Beides waren - wie auch die anderen, in den Arbeitsgruppen und Seminaren gehandelten - "kritische" Beiträge zu den beiden Stichworten des Wochenthemas und boten somit Möglichkeiten zur argumentativen Ausgestaltung der eigenen Stellung zu den aktuellen Weltübeln. Höhepunkte und auch schon die praktischen Konsequenzen der Veran- staltung waren dann auch ein "ökumenischer Gottesdienst" mit Dias von der Bonner Demonstration und ein "Friedensfest." Dies zu- recht: Der kritische Christstudent rechtfertigt seinen Glauben ans Jenseits durch sein Engagement für eine bessere Welt und ver- leiht seinen diesseitigen Freuden die höheren Weihen höheren En- gagements. So dient das Engagement seinem Seelenfrieden und die Erbauung wird schon zum Engagement. Kein Wunder, daß die Hoch- schulwoche weder engagiert noch erbaulich war. zurück