Quelle: Archiv MG - BRD KIRCHE - Vom Mißbrauch des Verstandes durch den Glauben


       zurück

       Evangelische Theologie
       
       H. E. Bahr: Alternativen zum Krieg
       

KOOPERATION MIT MORALISCHER KONFRONTATION

1. Es gibt wenige Ausnahmen unter den Lehrkräften der RUB, die die Aufrüstungspolitik der Nato für ein Thema halten, das im Lehrbe- trieb angesprochen gehört. Zu ihnen zählt Hans-Eckehard Bahr, der seinen Studenten anhand des Waffenarsenals des Westens vorführt, daß die offizielle Ideologie der "Nachrüstung" eine Lüge ist. Leider ist dies die einzige richtige Feststellung seiner Vorle- sung, ja sie dient ihm nur dazu, lauter Entschuldigungen für die Machthaber und Ratschläge zur Untertänigkeit an die Bürger loszu- werden. Seine zeitgemäße Version der Bergpredigt bringt er auf den Nen- ner: Man solle "Kooperation in der Konfrontation" suchen. Der Herr Theologe hat also durchaus gemerkt, daß die Kalkulation der Politik mit dem Krieg als eines ihrer Mittel den Bürgern nicht recht sein sollte, daß ein Interessengegensatz zwischen Politik und Bürgern gegeben ist; sogleich predigt er ihn aber hinweg: Die Herstellung einer militärischen Übermacht durch die Westmächte ist ein "Wahnsinn", womit ihr politischer Zweck als nicht exi- stent erklärt wird. "Sinnlosigkeit" wird ihr bescheinigt und gleichzeitig ihr die neue Qualität zugeschrieben, Ausdruck der Sünde - im modernen theologischen Sprachgebrauch: "dem Todes- trieb, Thanatos, verhaftet" - zu sein. Somit ist die Politik fein raus, ist sie doch nichts als die Teilhabe an dem allgemeinen Menschheitsschicksal, unvollkommen sein zu müssen. 2. Und aus der Behauptung, daß wir alle arme Sünderlein sind, ergibt sich der Schluß, man darf die Politiker nicht verurteilen, son- dern muß den guten Kern in ihnen suchen, ihnen helfen, die Sünde zu bezwingen, den Bann der Verblendung zu durchbrechen. Ja christliche Betrachtungsweise entdeckt in einem Staatswesen, daß über zigfache overkill-Kapazitäten und einen ansehnlichen Gewalt- apparat für die Selbstbehauptung nach innen verfügt, ausgerechnet eine Schwäche; die Schwäche derer, denen die Stärke des Glaubens fehlt, die Angst davor haben, gut sein zu können. Diese fromme Abgehobenheit heißt freilich einiges für die theologisch lizen- sierte Gegnerschaft, die hat vom Prinzip der Gewaltfreiheit aus- zugehen. Ganz locker unterwirft der Kirchenmann die Opposition Vorschriften, die prinzipiell dem Kriterium des Staates ver- pflichtet sind, der ja festlegt, was Gewalt (Verstöße gegen Ei- gentum und Personenrechte, ja seine staatliche Ordnung überhaupt) ist. Kaum erfährt der Bürger, daß die Staatsgewalt sehr lässig mit seinem Leben umzuspringen gedenkt, da wird seitens der Frie- densapostel gemahnt, er habe nach Gottes Ordnung lediglich Ver- weigerungsrechte und sein Ungehorsam dürfe nur symbolisch sein. 3. Heiter und phantasievoll soll der Protest sich vortragen, er soll die andere Seite nicht vor den Kopf stoßen, sondern für sich ein- zunehmen versuchen; vorbildliche Nachfolge Christi ist gefordert. Die Sünder durch die eigene Edelmütigkeit blamieren, ist die De- vise. Freilich weiß auch Bahr, daß ein noch so braver und phanta- sievoller Widerstand, wenn er als eine Behinderung des staatli- ches Zweck angesehen wird, vom Staat als Rechtsbruch erklärt und gewaltsam beendet wird. Nicht umsonst weiß er zu berichten, daß seine amerikanischen Kronzeugen für Gewaltfreiheit gut die Hälfte ihres Lebens im Knast verbringen müssen. Das bringt ihn aber nur dazu, um so mehr seinen Zuhörern christliche Opfergesinnung ans Herz zu legen. Daß die damit zu erringenden moralischen Siege höchstens die zynische Bewunderung der Mitmenschen einbringen und keineswegs die Machthaber zu einer anderen Politik nötigen (wie auch, wo doch bewußt der Wille zu eigener Ohnmacht demonstriert wird!), läßt einen Christenmenschen an seiner Strategie nicht irre werden. Er hat sich nämlich längst angewöhnt, sich jeglichen Urteils über die politischen Verhältnisse und Zwecke und einiger darauf basierenden Effizienzüberlegungen zu entheben, steht für ihn doch der Sieg des Guten über die Schlechtigkeit der Welt per Glauben fest. 4. Freilich ist der Theologe nicht unbescheiden und damit sehr glaubwürdig: Er weiß darum, wie schwer die Nachfolge Christi ist, daß nicht jeder ein Märtyrer sein kann, doch daraus soll er sich wenigstens ein Gewissen machen. Der christliche Kriegsgegner hat also vor seiner eigenen Tür zu kehren und sich beständig zu be- schuldigen, daß ja auch er zu wenig für den Frieden tut, und ge- rade deswegen darf er auch letztlich ein gutes Gewissen haben - nach der Logik: 1. wir sind alle zu ängstlich, 2. wir haben Grund, alle, ängstlich zu sein: unsere eigene Unvollkommenheit, 3. weil wir uns aber um einen Fortschritt gegenüber unserer Un- vollkonunenheit kümmern, haben wir auch keinen Grund, in all un- serer Unzufriedenheit mit uns und der Welt eine Gegnerschaft ge- gen die herrschende Politik aufkommen zu lauen. Und da hat Marx das häßliche Wort von der Schafsnatur des Chri- sten geprägt! zurück