Quelle: Archiv MG - BRD KIRCHE - Vom Mißbrauch des Verstandes durch den Glauben


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       Von der Freiheit eines Christenmenschen
       

DIE MACHT DES GLAUBENS

Von Heilslehren und Ersatzreligionen wollen moderne Bürger - ob Politiker, Publizist, Wissenschaftler, Student oder sonstwas - nichts wissen. Da sind sie stolz und aufgeklärt; und anläßlich eines Flugblattes, das ihnen am Betriebstor oder auf öffentlichen Plätzen angeboten wird, faßt sich mancher ein Herz. Statt vorbei- zugehen, wird er einen kräftigen Kommentar los und verwünscht die Saubande, die ihm eine andere Meinung als seine eigene andrehen will. Dieselben Leute aus allen Ständen finden den Papst "nett", seine Lehren beherzigenswert bis mutig und seine religiösen Auftritte eindrucksvoll. Staatsmänner und Sportreporter, Professoren und Disk-Jockeys halten es für angebracht, sich in Schale zu werfen und den Predigten lebhaft Beifall zu spenden, die der Heilige Va- ter vorgelesen hat. Sie fanden es auch überhaupt nicht peinlich, erwachsene Menschen dabei zu beobachten, wie sie sich durch die Menge kämpften, um dem Papst am Ärmel zu zupfen. Die Aufgeklärtheit der modernen Bürger erteilt höchstoffiziell jedem Ersatz der Religion abschlägig Bescheid, aber von einem Rückgang des göttlichen Geschäfts selbst will sie nichts wissen. Dabei haben nicht einmal die dümmsten Ableger des Marxismus je gesegnet, das ewige Leben in Aussicht gestellt oder ihre Anhänger beten lassen. Der Dogmatismus-Vorwurf ist ihnen ganz ohne die Verkündung eines Unfehlbarkeitsdogmas in den Schoß gefallen, wäh- rend dem Papst noch bei freundschaftlichen Begegnungen mit ge- wöhnlich als Schlächtern behandelten Diktatoren die allerbesten Absichten zugebilligt werden. Der akademische Büchermarkt ist voll von Abrechnungen mit der "marxistischen Weltanschauung", aber eine dezidiert anti-christ- liche, atheistische Habilitationsschrift sucht man vergebens. Da- für viele säkularisierte, im Jargon der Sozio-, Psycho- und Poli- tologie verdolmetschte "christliche Grundideen", deren "Sinn" und "Wert" gerade mit Hilfe der modernen Wissenschaft erschlossen wird. Während die Marx'sche "Wertlehre", eine Theorie, die Ware und Geld, also bloß den begrenzten Bereich des Kommerz betrifft, mit dem vernichtenden Verdikt der "Metaphysik" belegt wird, erge- hen sich ganze universitäre Disziplinen in der Orientierung an Werten, nach denen sich dauerhaft leben läßt, weil sie "dem Men- schen" so grundsätzlich zusagen, daß sie ihm mit Gewalt beige- bracht werden müssen. Das alles kann unmöglich am Marxismus liegen, mag er eine noch so abgefeimte Scharlatanerie sein. Daß er mit der Religion vergli- chen wird, daß man ihn für ihren Ersatz hält, ihn wiegt und dann für entschieden zu leicht befindet, hat nach übereinstimmender Auskunft seiner Kritiker eben nur den einen Grund: e r l e i s t e t n i c h t d a s s e l b e wie der G l a u b e. Das macht aber unserer bescheidenen Meinung nach überhaupt nichts. Denn der Glaube ist umgekehrt ein feiner Ersatz für den Marxismus, er macht ihn also völlig überflüssig. Daran ist nicht zu rütteln, weshalb auch ein philologisch durchgeführter Ver- gleich - mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, versteht sich - unterbleiben soll. Das Ergebnis wäre für alle kompetenten Betrachter dasselbe wie bei allen bisherigen Vergleichen, und die Blamage des Marxismus ebenso unvermeidlich. Marx mit seinen küh- nen Behauptungen der Art "Wie die Produktion von Mehrwert der bestimmende Zweck der kapi- talistischen Produktion, so mißt nicht die absolute Größe des Produkts, sondern die relative Größe des Mehrprodukts den Höhe- grad des Reichtums." sieht nämlich ziemlich alt aus gegenüber Jesus, der auf die An- frage des ungläubigen Thomas "Herr, wir wissen nicht, wo du hin gehst; und wie können wir den Weg wissen?" die erschöpfende Auskunft gibt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." (Joh., 14,5/6) Den methodisch reflektierten und allen wissenschaftstheoretischen Ansprüchen genügenden Kategorien des selbstbewußten Buben von Na- zareth stünden die empirisch keineswegs abgesicherten Hypothesen eines Jung-Hegelianers gegenüber, der noch nicht einmal über das begriffliche Handwerkszeug verfügt, seinen Ansatz zu explizieren! Der Sache des Marxismus wäre damit überhaupt nicht gedient, würde man mit Marx- und Engelszungen eine Alternative zum Glauben her- beireden. Die gibt es nämlich gar nicht! Es ist an der Zeit, einmal vorurteilsfrei die Leistung des christlichen Glaubens darzustellen, ohne Blasphemie, also ganz ohne Rücksicht auf konkurrierende Weltanschauungen, die ihm ohne- hin nicht das Wasser reichen können. Wenn es gelingt, die großar- tigen Ideen der Heiligen Schrift und das edle Gemüt der Gläubigen verständlich zu machen, so steht der Nutzen eines solchen Unter- fangens zumindest für die Christen außer Frage. Sie w i s s e n dann endlich, was sie an ihrem G l a u b e n haben! I. Das Bekenntnis ----------------- 1. Gott Vater ------------- Wer mit einem Christen darüber Streit führt, ob es Gott auch wirklich gibt; wer gar nach Beweisen seiner Existenz verlangt und sich dann über die angeführten Argumente empört, dem ist nicht zu helfen. Er verwechselt nämlich Glauben mit Wissen, legt ausge- rechnet an ein Bekenntnis die Maßstäbe der Erkenntnis an und fei- ert den höchst billigen Triumph, in jedem Hinweis auf Gott, den der Christ geltend macht, die Erneuerung des "bloßen" Bekenntnis- ses zu entdecken. Statt sich Klarheit darüber zu verschaffen, worin der Glaube besteht, gibt er sich mit der ziemlich einfälti- gen Auskunft zufrieden, daß die Anerkennung eines höchsten Wesens mit Wissen nichts zu tun hat. Es ist zu bezweifeln, daß ein auf- geklärter Geist von diesem Schlag je die moderne Wissenschaft den Maßstäben der Rationalität unterwirft und sie daraufhin befragt, ob es denn die von ihr behaupteten Größen wie Grenznutzen, Gleichgewicht, Rolle, Über-Ich, Wohlfahrtsstaat, System, Tiefen- struktur etc. überhaupt gebe! Wenn ein Christ umgekehrt G r ü n d e für die Existenz des Höchsten sucht, so findet er sie noch allemal durch die Indienst- nahme seines Verstandes für seine Glaubensgewißheit. Einmal kann (= will) er sich die "natürliche Ordnung" nicht ohne ein sie er- schaffendes und erhaltendes S u b j e k t vorstellen; ein an- deres Mal benötigt er dasselbe Subjekt für eine plausible Vor- stellung vom Anfang der Geschichte, vielleicht entdeckt er auch in seinem und seiner Nächsten Treiben keinen Sinn und Zweck, und weil es einen geben muß, kommt ihm Gott gerade recht. Ein Christ vermag solches sogar seiner eigenen Person zu entnehmen und von seinem Glauben an Gott direkt auf dessen Existenz zu schließen. Und moderne Christen bringen diesen "Schluß" auch schon ganz funktionell zuwege: dann führen sie die Leistung ihres Glaubens - Trost, Hilfe, Orientierung, Schutz vor Verzweiflung etc. - als Argument ins Feld, melden also ganz schlicht ihr Bedürfnis nach Gott an, weil dieser es erfüllt. Damit kommen sie der Sache schon ziemlich nahe, obgleich sie sich dem Verdacht aussetzen, einen "reinen" Glauben nicht zu haben und stattdessen recht konjunktur- gebunden auf die schützende Hand des Höchsten zu spekulieren. Was Leute mit einem echten, das ganze Leben lang gepflegten Glau- ben mit den "schlechten Christen", denen ihr Herrgott nur gele- gentlich einfällt, gemeinsam zustandebringen, ist die Mobilisie- rung ihrer Einbildungskraft einzig und allein zu dem Zweck, in der Vorstellung eines höchsten Schöpfers und Richters zu einem äußerst schlechten Urteil über sich selbst zu gelangen. Während Gott allmächtig und allwissend ist, ewig und allgegenwärtig den Lauf der Welt bestimmt, beschließt der Christ mit der Entschei- dung, an diesen Gott zu glauben und im Verhältnis der freiwilli- gen Knechtschaft zu ihm zu stehen, einiges über sich. Er legt sich seine Sterblichkeit zur Last, hält sich für ebenso ohnmäch- tig wie unwissend und bezichtigt sich allen Ernstes, nur ein Mensch zu sein. Dieses "nur" stellt keinen tatsächlichen Defekt, auch keine Wissenslücke und schon gar nicht die wirkliche Ohn- macht eines Individuums vor den sehr handgreiflichen Mächten die- ser Welt fest, sondern eine sehr absolute Verdammung der eigenen Menschen n a t u r wird da vollzogen, die ganz allein aus dem Verhältnis zu Gott stammt. Wer bemerkt, daß er etwas nicht weiß oder kann, wird in rationeller Weise s e l b s t k r i t i s c h und sucht die Mängel zu beheben, die ihn stören. Wer seine Mißer- folge seiner Unfähigkeit zuschreibt und sich ihrer schämt, läuft mit einem schlechten Gewissen, einem Minderwertigkeitskomplex oder Schlimmerem herum. Wer aber seine Menschennatur verdammt und deren Streben für vergeblich hält, weil er ohnehin nur als Ge- schöpf und Werkzeug Gottes eine Daseinsberechtigung besitzt, dem ist die S e l b s t b e z i c h t i g u n g a l s S ü n d e r als ein Weg eingefallen, mit seinem schlechten Gewissen zu leben. Alles, was er tut und läßt, alles was mit ihm und um ihn herum angestellt wird, löst sich entweder in eitel Menschenwerk auf - und des Menschen Dichten und Trachten ist nach Mose I.8,21 böse von Jugend auf - oder hat seinen Sinn in Gottes unergründlichem Ratschluß. Gewöhnlich beides. Geht es einem Sünder gut, so betet er zu Gott und dankt ihm für die unverdiente G n a d e, für den göttlichen Lohn; geht es ihm dreckig, so weiß er dies als gerechte Strafe für seine menschli- che Nichtsnutzigkeit zu würdigen und darum zu bitten, daß trotz allem auch ihm ein kleines Stückchen vom riesigen Kuchen der göttlichen Liebe zuteil werde. In jedem Wechselfalle des Lebens deutet er das, was er mitmacht, sehr selbstsicher aus dem Ver- hältnis zu Gott, das er sich eingerichtet hat. Und diese S e l b s t s i c h e r h e i t, jene Wirkung, die Christen dem Glauben so standhaft zuschreiben - Trost, Mut und Kraft statt Verzweiflung und Zorn über die irdischen Brüder, die ihm manches einbrocken - ist auch schon der Schlüssel zur S e l b s t g e r e c h t i g k e i t, deren Gläubige fähig sind. Im Unterschied zum selbstkritischen Individuum, das nach Gründen seines Scheiterns bei sich ebenso sucht wie um sich herum; im Unterschied auch zum psychologisch mit sich verfahren- den Typen, der sich für eine Flasche hält, verfährt ein Christ sehr gründlich. S e i n e Selbstbezichtigung will er als a l l e n übrigen Leuten ebenso a n s t e h e n d e Gesinnung verstanden wissen, und für diese Haltung geht er missionarisch hausieren. Und sooft er auf taube Ohren trifft, kann er sich der Genugtuung freuen, die Sündernatur, die allen zueigen ist, zumin- dest e x k l u s i v zu b e k e n n e n. Durch seine Selbst- erniedrigung weiß er sich a u s z u z e i c h n e n, und aus altem wie neuem Testamente sind ihm die Geschichten vertraut, in denen die Gottlosen das eine oder andere Ungemach härter und viel gerechter trifft als die Kinder Gottes. Christen, amtierende wie Amateure, verfügen also als Anhänger des rechten Glaubens über das gesamte Repertoire jener niedlichen G e h ä s s i g k e i t e n, die vom blanken Neid bis zur Scha- denfreude reichen: sie müssen sich lediglich die Mühe machen, ih- rem gläubigen Gottes- und Menschenbild entsprechende Übersetzun- gen anzufertigen - und schon hat Gottes Gerechtigkeit mit gutem Grund zugeschlagen. Christen, amtierende wie Amateure, verfügen aus demselben Grunde über jenes sagenhafte V e r s t ä n d n i s und Mitleid für alle geschundenen Kreaturen daheim und in der Ferne, also über die Gefühle, die ihnen die lästige Frage nach dem G r u n d von Not, Elend und Gewalt ersparen. Sie leiden selbst dann noch m i t, wenn ihnen gerade einmal größere Schicksalsschläge nicht beschieden sind. Nie würden sie sich anmaßen, "aus eigener Kraft" die sehr weltli- chen, ökonomischen wie politischen Ursachen klarzustellen, wenn ihnen etwas nicht paßt. Der Glaube an ihren Herrn, der keines Be- weises bedarf und auch keine Widerlegung zuläßt, e r s e t z t ihnen das W i s s e n wie den Willen, die vonnöten sind, den Machern dieser Welt auf die Finger zu hauen. Daß sie als s ü n d i g e Menschen nur Ausschuß zustandebringen, als g l ä u b i g e Sünder aber auf keinen Fall etwas verkehrt ma- chen können, solange sie sich nicht die Frechheit herausnehmen, höchstpersönlich und wegen ihrer menschlichen Anliegen etwas am Weltenlauf ändern zu wollen, ist Christen eine Selbstverständ- lichkeit. Eher bereichern sie die anderen aufgeherrschten Opfer um ihr eigenes, als daß sie ihren grenzenlosen Opportunismus ge- genüber der weltlichen Macht aufgeben, über die sie in Röm. 13,1 die passende Lektion empfangen: "Jedermann sei untertan der Ob- rigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verord- net." Und wenn demokratisch erzogene Christen in den Zentren des Imperialismus ihr Gewissen damit beruhigen, daß sie die "Theologie der Befreiung" aus fernen Ländern per edition suhrkamp bewundern, so ändert das gar nichts. Mit dem Entschluß, an Gott zu glauben, hat ein Christ seinen Ver- stand jedoch keineswegs aufgegeben; vielmehr beschäftigt er ihn damit, seiner gläubigen Weltsicht zu d i e n e n. Und deswegen sind all die alten und neuen aufklärerischen Versuche vergeblich, einem Christen die Widersprüche im Glauben vorzurechnen, um die Absurdität seines Gottes- und Menschenbildes herauszustellen. Der Verstand der Gotteskinder läßt sich nicht für die W i d e r l e- g u n g des Herrn Zebaoth bemühen, weil er von Anfang an damit beschäftigt ist, gerade das "Unglaubliche" faßbar zu machen. Wer also daherkommt und meint, Gott hätte sich in Myriaden von Sündern nicht gerade ein feines Ebenbild auf die Erde gesetzt; die Menschen seien nie so, wie er sie haben will, so daß der Höchste nie zufrieden mit ihnen ist, sie strafen und zurecht- biegen muß; die Menschen würden die gottgegebene Vernunft immer wieder f ü r s i c h einsetzen statt für ein gottgefälliges Leben, ihren Geist also als Mittel der Sünde mißbrauchen etc. etc. - der rennt beim gläubigen Menschen offene Türen ein. Mit den Z w e i f e l n dieses Kalibers ist nämlich der Glaube von Anfang an befaßt, und die gläubige Phantasie hat in der Heiligen Schrift die Antwort auf solche Fragen längst zur Hand. Schon im ersten Buch Moses wird die Sache mit dem "Baum der Erkenntnis", von dem der Mensch nicht essen soll, klargestellt. In Mose I.6,6 "reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen." Und überhaupt gehört der gläubige Umgang mit den Zweifeln zum Glauben vom ersten Tage an, da ein v e r s t ä n d i g e r Mensch eben seinen Entschluß, mit N i c h t - W i s s e n seine Lage zu deuten, r e c h t f e r t i g e n muß. 2. Gott Sohn: Die Offenbarung ----------------------------- Der Verstand eines gläubigen Menschen hat mehr zu leisten als der eines Heiden. Einerseits wird er genauso für die Abwicklung der irdischen Geschäfte benötigt wie der jedes anderen, der arbeiten muß und sich einteilen, heiraten und wählen, bisweilen auch Krieg führen darf; andererseits hat er die zusätzliche Aufgabe zu be- wältigen, all die mittelprächtigen Erfahrungen des irdischen Das- eins als Werk und Willen Gottes zu deuten. Und so sehr die Mühen seiner irdischen Wanderung bei einem Christen das Verlangen nach dem absoluten Geist wachhalten, bei dem er trotz allem gut aufge- hoben ist, so heftig beuteln sie ihn auch mit Zweifeln an der Si- cherheit seines Glaubens. Da vergeht mancher Tag, an dem einem Sünderlein statt eines Bekenntnisses die Frage einfällt, ob ihn Gott nicht vergessen habe; oder schlimmer noch: er gerät ange- sichts der Ungerechtigkeiten, die gerade rechtschaffenen Menschen wie ihm angetan werden, in Versuchung, zu lästern. Da trifft es sich gut, daß schon die Vorfahren der modernen Chri- sten dasselbe Problem hatten und seine Lösung dazu: Gott antwor- tet auf die quälenden Fragen der zweifelnden Geschöpfe mit der Einlösung des Versprechens, daß er sich offenbaren werde, wenn es an der Zeit sei. Der Glaube erfährt eine nicht zu unterschätzende Unterstützung vom zweifelnden Verstand, der die Logik von Gott dem Herrn und Mensch, dem Knecht fortspinnt, der mit der neute- stamentlich mehrfach verbürgten geschichtlichen Offenbarung alle Bedenken bezüglich der Existenz und des Wirkens Gottes zerstreut. Also hat Gott uns seinen eingeborenen Sohn gesandt... Leben und Lehre Jesu -------------------- sind zwar für die Stabilisierung der Glaubensgewißheit eine prächtige Sache, weisen aber einen nicht zu übersehenden Mangel auf: Man muß an sie glauben, an die Werke des Gottessohnes, der in Menschengestalt die c h r i s t l i c h e E n t s a g u n g und i h r G e l i n g e n vorführt! So angenehm es für ein christliches Gemüt auch sein mag, den "abstrakten Gott" - den er sich nicht vorstellen kann und von dem er sich keine Gipsabdrücke machen darf - um eine Figur ergänzen zu können, die seiner An- schauung zugänglich ist und eine detaillierte Biographie auf- weist, so unleugbar sind doch die zusätzlichen Anstrengungen, die dem Gläubigen aus der Geburt, den Teach-ins, den Wundern und der Passion Christi erwachsen. Die Evangelien sind nämlich via et ra- tione ausgetüftelt und bieten deswegen dem Verstand der Gläubigen auch manchen Stolperstein: - als Erlöser der Menschen, der ihnen zeigt, wie sich die schlechte Menschennatur besiegen läßt durch die freiwillige An- nahme der Knechtsgestalt, ist G o t t e s Sohn ein M e n s c h. Nur als solcher vermag er die Leiden auf sich zu nehmen, die als Vorbild der Selbstverleugnung dienen können, die sonst so schnell niemand zuwege bringt; - dies hat als erstes Konsequenzen für die Vorstellung, die sich die Gläubigen von der Geburt Christi zu machen haben: Das irdi- sche Dasein von Jesus fängt gleich mit einem Wunder an, das die Theologen zu ihren schönsten Geheimnissen zählen; - die nächste Konsequenz prüft den Verstand als Mittel des Glau- bens nicht minderhart; daß Jesus k e i n gewöhnlicher Mensch ist, sondern mit der Allmacht Gottes ausgestattet, will auch be- zeugt sein. Schließlich steht er seinen Mann für das anbrechende Reich Gottes, für die Bezwingung der Sünde und für die Erlösung von ihr. Also tut Jesus gelegentlich ein W u n d e r zum Beweis der Allmacht Gottes; - und wird prompt vom Zweifler im Gläubigen mißverstanden. Der nämlich hält die Wunder gern für einen guten Grund, zu glauben - und so sind sie überhaupt nicht gemeint. Wunder setzen Naturge- setze außer Kraft, sind also K r i t i k d e s M e n s c h e n g e i s t e s, der sich einbildet, sich ein biß- chen auszukennen in der Welt und davon profitieren zu können. Da ist es schon eine Ungeheuerlichkeit, wenn Menschen auf Wunder scharf sind zum Beweis dafür, daß Jesus g l a u b w ü r d i g ist, also ü b e r z e u g t sein wollen. Das mußte der Herr klarstellen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht" (Joh. 4,48) weist er die nur bedingt Gläubigen, die Rationalisten unter den Gotteskindern zurecht; - in seiner P a s s i o n führt er, ganz Mensch, den anderen Menschen den rechten Umgang mit ihrer Endlichkeit vor: die S e l b s t v e r l e u g n u n g ist der Weg zur Erlösung; so geht die überwindung des Fleisches durch den Geist! Freilich ver- setzt Gottes Sohn den Gläubigen als verständigen Leuten damit den nächsten Schock: statt einen Sieg über die Endlichkeit bemerken sie zunächst einmal eine Niederlage, Gottes Sohn ist tot - und das darf nicht sein. Also geht's in die Verlängerung, in der auf- erstanden wird: "Tod wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg!" - Der Glaube an die Auferstehung gehört also auch noch dazu, will man der göttlichen Liebe teilhaftig werden, was bei den berech- nenden Kreaturen, für die Jesus das alles durchsteht, zu allerlei irrigen Vorstellungen über das Leben nach dem Tode führt. Immer wieder vergessen sie, daß - Auferstehung des Fleisches hin und her - der gläubige Geist auf seine Kosten kommt und der Himmel kein Erholungscenter mit freiem Eintritt ist. Immer wieder lassen sich Christen, ungeübt in der Logik der Heilsgeschichte, von ih- rer materialistischen Phantasie leiten und malen sich das ewige Leben als Ansammlung sämtlicher irdischen Genüsse abzüglich des hienieden dazugehörigen Ärgers aus... Die Evangelien als Zeugnisse der Offenbarung tun auf jeden Fall gut daran, nicht nur das zu berichten, was zu glauben ist an Ta- ten und Leiden Christi; sie stellen in kundiger Weise, stets der Widerspenstigkeit des menschlichen Verstandes eingedenk, auch die Fehler klar, die man im Kampf zwischen Glauben und Zweifel so ma- chen kann. Da gilt es mancher Versuchung standzuhalten, mit der kleingläubigen Beweissucht fertigzuwerden usw., kurz: die Passion Christi hat als vorgemachte Selbstaufgabe ohne die Spur jeder Be- rechnung geglaubt zu werden, und nur das gläubige Schaf Gottes ist in der Lage, eine korrekte Interpretation des Weltgeschehens und seiner Stellung in ihm vorzunehmen, also ein c h r i s t l i c h e s L e b e n zu führen. Dieses spielt sich zuallererst im 3. Geist der Gemeinde --------------------- ab. Den Gläubigen, und nur ihnen, erscheint der Geist des Herrn. "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen...", da ist auch der Herr präsent. Das ist ausnahmsweise kein Wunder, sondern sehr (tauto-)logisch. Diejenigen, die sich unter Berufung auf die Offenbarung der Bewahrung des Glaubens annehmen, stehen für die Präsenz und, die Lehre Gottes, des Vaters und des Sohnes gerade, sind also vom Heiligen Geist erfüllt. Dessen Niederkunft, das Zeichen der Vollzugsmeldung, ist zwar auch wieder an die Voraus- setzung des Glaubens geknüpft, aber wen stört das schon? Die Exi- stenz der gläubigen Zeugen beweist den Glauben und tradiert den Beweis Gottes in der Welt und für sie. Das war von Anfang an klar, daß sich der Glaube s e l b s t beweist und seine Anhän- ger feierlich erklären, daß der Menschengeist das Ganze ohnehin nicht faßt. Und auf diesem Widerspruch sollte man auch nicht übermäßig herum- hacken, denn Menschen sind es schon, die unter Aufbietung ihres Geistes ihren G o t t e s d i e n s t abwickeln. Sicher, argu- mentiert und überzeugt durch richtige Gedanken über die Welt wird nicht in der Kirche, sondern die gläubige Einstellung wird gefei- ert und besungen, weil jeder froh ist, daß er seinen Glauben h a t. Aber selbst zum gemeinschaftlichen Genuß des Glaubens an die Dreifaltigkeit, zur selbstgerechten Demonstration, daß man im richtigen Verein ist, bedarf es einiger Verrenkungen geistiger Art. Christen müssen ja bei der Feier der Einsicht, daß ihre Men- schennatur nicht viel wert ist, sogar aufpassen, daß ihr Bekennt- nis nicht allzusehr mit dem kontrastiert, was sie außerhalb des Gottesdienstes tun und vor allem die Sünderhaltung ohne den of- fensichtlichen Wunsch, sich in aller Demut a u s z u z e i c h- n e n, vorführen (schon Jesus hat dazu kundig Stellung ge- nommen!). Wenn sie daran denken, dann dürfen sie sich aber auch kräftig im Gebet erniedrigen, in der Predigt beschimpfen und trösten lassen sowie am Gesang erbauen. In der Exekution der Sakramente laufen sie dann zu ihrer höchsten Form auf. Sie werden der Gnade Gottes teilhaftig - und müssen schon wieder höllisch aufpassen, daß sie sich nicht einbilden, s i e könnten s i c h qua Teilnahme an dem Hokuspokus irgendetwas v e r s c h a f- f e n. Wo sie sich einbilden, daß sie sich das nicht einbilden, da hebt ein fröhlich Taufen von Babies an, aber nicht von u n s c h u l d i g e n Kindern, denn die "Erbschaft", die sie übernommen haben, können sie nicht ausschlagen. Da wird aus dem Verhältnis der Geschlechter ein Gottesdienst, und nur so steht ein Christ voll zu dieser peinlichen Sache des Fleisches. In der Beichte erreichen Christen die Spitze ihrer Heuchelei, indem sie durch Reue und Buße ihre bösen Taten auf innerliche Weise ungeschehen machen, was freilich nur die Leistung Christi ist. Sonst wäre man ja auch nicht im A b e n d m a h l der unio mystica fähig, durch die man den Geist des Herrn auf sehr natürliche Weise Einzug bei sich halten läßt. So sind gläubige Christen das lange schöne Kirchenjahr über mit dem Repetitorium von Leben und Lehre Christi beschäftigt und re- den sich an dessen Vorbild die Verachtung des Materiellen, welt- lichen und Natürlichen ein, daß einem schlecht davon werden kann. Selbstverständlich werden auch Christen die Welt, und was sie in ihr tun, nicht los. Aber dazu reicht ihr Geist schon aus, daß sie von ihrem stinknormalen Leben abstrahieren, es als bloße Durch- gangsstufe und Bewährung im Glauben auffassen und alles ein biß- chen anders betrachten. II. Die Versöhnung der Christen mit der Welt -------------------------------------------- Wenn nicht gerade der Papst zugegen ist oder ein Kirchentag abge- wickelt wird, fallen Christen kaum auf. Auch bei ihnen bestimmt ihre Weltanschauung nicht das, was sie tun, wie man zu arbeiten hat, an Geld kommt und seinen Haushalt führt, ist nämlich von ge- ringeren und sehr weltlichen Instanzen entschieden worden, und denen unterwirft sich ein Christ praktisch genauso, wie er sich theoretisch dem Höchsten verpflichtet weiß. Der Bauer, der abends betet, muß anderntags ebenso auf das Vieh merken und etwas für die Fruchtbarkeit seines Bodens tun wie der, welcher Karten spielt; die Schülerin, die in die Jugendstunde beim Herrn Vikar wässert, kommt ums Vokabellernen auch nicht herum; und um die Wirkung der "Betenden Hände", die über dem Kochzeug hängen und von der Hausfrau bei Tische gefaltet werden, auf den Schweinebra- ten sollte man nicht streiten. Christen unterscheiden sich von ihren Zeitgenossen eigentlich nur darin, daß sie sich über ihren Alltag eine aparte, aus ihrem gläubigen Verhältnis zu Gott ent- lehnte Meinung zurechtlegen. Sooft ihre jeweilige Tätigkeit - im Bett, im Wirtshaus oder an der Maschine - nicht ihre ganze Auf- merksamkeit erheischt, fällt ihnen eben ein, daß sie nur Menschen sind und daher in einem nicht zu vergessenden Schuld- und Pflichtverhältnis stehen. Die Notwendigkeit eines anständigen Be- nehmens auf der Welt, von der auch die übrigen Bürger überzeugt sind, haben sie sich halt mit Hilfe ihres Glaubens zurechtgelegt. Und wenn's hoch kommt, pflegen sie ihre besondere Variante, mit einem guten Gewissen durch die Welt zu rennen, bei einem sonntäg- lichen Kirchgang und regelmäßigem Gebet. Und dennoch nehmen die Christen eine Sonderstellung ein in der freien Konkurrenz, die ein freiheitlicher Staat in Sachen Gewis- sen bzw. Weltanschauung gewährt. Sie vertreten ihre Moral nämlich organisiert und ihr vereinsmäßiges Auftreten geht nicht so von- statten wie bei anderen gleichgesinnten Individuen, die ihrer Vorliebe für Briefmarken oder -tauben eine gesellige Verlaufsform geben. Die Geschichte hat in ihrer gnadenlosen Gerechtigkeit die Verdienste der Christenmenschen ums Abendland gewürdigt und ihnen einen Platz im Staate eingeräumt, so daß sich die Dreieinigkeit der Protektion durch die weltliche Gewalt erfreut. Diese behan- delt alle Bürger wie selbstverständlich als Mitglieder einer der großen Konfessionen, aus der auszutreten wenig üblich ist, so daß sich der Eintritt neuer Erdenbürger per Geburt von Kindern Nicht- Ausgetretener regelt. Das Komische an der bevorzugten Stellung des christlichen Glaubens liegt darin, daß die Kirche ihre Mit- glieder mit staatlicher Hilfe zu Spenden animiert, die korrekt auf jedem Lohnstreifen verbucht werden. Auffällig auch, daß die Klagen über Karteileichen sich in Grenzen halten. Irgendwie scheinen die geistlichen Herren gemerkt zu haben, daß die leeren Gotteshäuser weiter keinen Schaden anrichten für die Sache Jesu. Dennoch: noch viel auffälliger ist die Tatsache, daß sich Millio- nen "nicht praktizierender" Christen nicht die Freiheit heraus- nehmen, die Kirche auch höchstoffiziell zu verlassen, und ihre Kinder in den Religionsunterricht lassen, ohne zwei Wochenstunden Marxismus zu fordern! Der Grund dafür ist allerdings nicht schwer auszumachen. So wie sich die praktischen Konsequenzen des Glaubens an Gott und Jesus für das gewöhnliche Leben darin erschöpfen, daß der Christ brav, tüchtig, bescheiden und freundlich bleiben will - und das an dem Platz, an den es ihn nun einmal verschlagen hat -, so läßt sich umgekehrt auch ganz ohne die biblische Geschichte die Ein- stellung erwerben, daß man sich nichts zuschulden kommen lassen darf. Ob sich die Selbstbeherrschung eines Menschen als Grundsatz seines G l a u b e n s vorführt oder ob einer seine Mäßigung und Ohnmacht anders und genauso verkehrt legitimiert, läuft durchaus auf dasselbe hinaus. Die Besonderheit derer, die mit Gott operieren, wenn sie ihren bescheidenen Willen zum Zurecht- kommen mit 'Gründen' versehen, hat einzig den Vorzug, daß das Ar- rangement mit den Mächten d i e s e r Welt, die einem zu schaf- fen machen, als i n n e r s t e s von keinerlei wirklichen Zwängen getrübtes A n l i e g e n vertreten werden kann. Gläu- bige Menschen gehorchen den Geboten der irdischen Gewalt in der Einbildung, dabei voll und ganz auf die Stimme ihres Herzens zu hören. Und Leute, denen die Bewältigung des Kirchenjahres ziem- lich egal ist, wissen daran herzlich wenig auszusetzen: Solange sie sich selbst als rechtschaffene Bürger in Szene setzen wollen, ist ihnen das, was mit dem Christentum "g e m e i n t" ist, al- lemal vertraut und genehm. So wie viele Christen mit den Stories vom See Genezareth nichts anzufangen wissen, mit deren "S i n n" aber schon - die Predigt in der Kirche macht ihnen den ebenso klar wie das Wort zum Sonntag -, erfassen auch Leute, die vom Konfirmandenunterricht und von der Messe nichts halten und ihre Zeit anders nutzen, die Prinizipien des O p f e r s, das sich gehört und lohnt! Nur deswegen sind nicht nur "aktive" Gläubige in der Kirche organi- siert, weil die "passiven" an der Haltung, welche die Pfaffen empfehlen, nichts Schädliches entdecken. Allerdings verhelfen sie dadurch den Profis der göttlichen Liebe zu einer Sonderstellung, von der die Amateure nur träumen neben ihrem sehr gewöhnlichen Werktagsleben. Die Verkündung und Verwaltung des Glaubens ist ein B e r u f, und die Könner der studierten Heuchelei bringen es bis zum politisch-taktischen Umgang mit ihrer Gemeinde. Von kei- nem Politiker werden sie einfach hinausgeworfen, weil ihr Wort etwas gilt beim Wählervolk; weil es in ihrer Macht liegt, aus dem Glauben heraus zu "begründen", welcher Politik ein Christ sein Vertrauen zu schenken hat. Daß die Kirche von der Herrschaft lebt, heißt eben nicht, daß sie der jeweiligen Regierung vorbe- haltlos ihren Segen gibt: Schließlich verfügt sie in der Unter- werfungsbereitschaft der Massen, sobald diese sich religiös ver- klärt, über ein Mittel, ihren Nutzen zu maximieren. Christ und Welt --------------- werden sich deshalb immerzu handelseinig, weil die schlechte Mei- nung, die Christen vom Weltlichen und Materiellen haben, aus- drücklich dazu erfunden wurde, daß man sich in der Welt mit ihren "sinnvollen" wie "sinnlosen" Einrichtungen zurechtfindet. Und weil gerade in der modernen Demokratie die Herrschaften, die "Verantwortung tragen", Leute über alles schätzen, die nach Sinn suchen, um mitmachen zu können. Kirche und Staat ---------------- verstehen sich blendend. Die Organisatoren der göttlichen Liebe berufen sich auf das Bedürfnis nach Religion und erhalten den staatlichen Auftrag, diesem Bedürfnis durch religiöse Erziehung und Propaganda der christlichen Weltanschauung nachzukommen. Daß ein Papst oder eine Bischofskonferenz die Politik am Glauben mißt, führt zwar bisweilen zur Verurteilung von staatlichen Maß- nahmen (Abtreibung, Ehescheidung, Staatsschulden etc.), relati- viert sich aber auch wieder sehr schnell an der Tatsache, daß das gläubige Gewissen nur e i n e Art ist, die Probleme zu sehen. So wird der Kirche bedeutet, sie solle sich um ihre Schafe küm- mern, ansonsten aber nicht die weltliche Herrschaft stören - was sie dann auch einsieht. Für ihre Gläubigen mit Tatendrang hat sie caritative Berufe eingerichtet, die sie "der Gesellschaft" zur Verfügung stellt, was allerseits geschätzt wird. Manche Leute glauben sogar, die Caritas sei der eigentliche Zweck der Kirche, was ebenso wenig stimmt wie die Auffassung, Entsagung und Opfer- mut von gläubigen Idealisten seien dasselbe wie Hilfe. Seltsam, wie Christen sich auf die vernarrten Einzelgänger in ihren Reihen b e r u f e n und sich ein gutes Gewissen per Mutter Teresa ver- schaffen! Kirche und Glaube ----------------- sind tatsächlich nicht dasselbe, was aber die "echten" Christen noch lange nicht dazu berechtigt, sich in einem Gegensatz zu ih- ren Oberhirten zu wähnen. Der Zynismus der Macht, den mancher An- hänger Jesu am offiziellen Verkehr zwischen Kirche und Staat be- merkt, ist schon die richtige Ausnützung der christlichen Fügsam- keit; und wenn kritische Christen vom "Verändern" reden, kommt eine Kritik von Herrschaft nie zustande, eher ein Betteln um An- erkennung der menschlichen Knechtsnatur. Kirche und Wissenschaft ----------------------- haben sich nichts vorzuwerfen, weil sie sich ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft wechselseitig mit Argumenten bestätigen, die auf der friedlichen Koexistenz von Glauben und Wissen beruhen, weil sie sich ergänzen. Die Wissenschaftler gestehen ganz freimü- tig, daß sie eine Wahrheit nicht haben, dafür viele Zweifel und etwas absolut Gültiges nie behaupten möchten; die Glaubensmen- schen füllen diese Lücke lässig aus, eben mit der Glaubens-Wahr- heit! Die Arbeit ---------- ist aus christlicher Sicht in Ordnung, weil dem Menschen angemes- sen; höchstens wenn sie einem Menschen verweigert wird, geht es ihm schlecht - und wenn die christliche Philosophie des "im Schweiße deines Angesichts" einmal eine Unmenschlichkeit ent- deckt, so ist mit dieser Deutung der Ausbeutung ein Argument für Glaube und Sinn gefallen, nicht aber gegen Das Kapital ----------- das in der christlichen Soziallehre, ev. wie kath., schon seinen Platz hat: was ist mit Kapital nicht alles gut zu machen? Und was könnte erst an guten Taten vollbracht werden, wenn es sinnvoll und verantwortlich...? Die Gewalt ---------- erschreckt in ihren erlesenen Formen weit unten in Südamerika manchen gläubigen Menschen, weil sie gar nicht gut ist und doch glatt zu Gewalttätigkeit führt. Bei uns ist sie schon in Ordnung, hier kann man sich ihr getrost anvertrauen. Darauf, daß man ihr hier das Handwerk legt, kommt ein Philosoph der schlechten Men- schennatur so schnell nicht, so daß in aller Welt ihre Opfer der christlichen Mildtätigkeit ein weites Feld und gutes Gewissen er- schließen. Der Krieg --------- und die für ihn nötigen Geräte erschrecken einen Christen nicht übermäßig. Denn das Subjekt größerer Schlächtereien ist für einen gläubigen Christen - d e r Mensch. Gebete um den Frieden sind die schärfste Waffe der Gemeinde, neben der Dankbarkeit für jeden Tag, an dem Gott u n s den Krieg erspart. Wenn er dann doch nicht sein Veto einlegt, der Herr, so sind Not und Elend gute Gründe für den Glauben und seinen unterwürfigen Opportunismus ---------------------------------------------- der uns Sterblichen viel mehr gibt, als wir rechtens verlangen können. Außer zum Glauben bietet die Welt doch für nichts einen Grund, oder? Das walte Gott, der Dicke! *** 1888. christianus "christlich", "Christ". Rum. crestin, (it. cri- stiano, log. kristianu, engad. cristiaun, frz. chretien, prov., kat. crestia, sp. cristiano, pg. christao). Das Wort ist mehrfach für Homo eingetreten: sublac-. kristianu, obw. karstiaun, und hat dann verächtliche Bedeutung angenommen: tess. kristian, wallis. krete 1 (> frz. cretin, it. cretino) "Kretin"; afrz. gent cresti- enor, irp. kresteyanoria "Leute" Vidossich, Zs. 27, 758. - (Mayer-Lübke, Romanisches Etymologisches Wörterbuch, p. 179) *** Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung ------------------------------------------------------ "Die Religion ist ein Ausdruck für die Möglichkeit des Menschen, sich selbst und die Welt sinnerfüllt zu erfahren. Ehrfurcht vor Gott bedeutet eine Haltung, in der der Mensch eine seinem Zugriff entzogene, letzte Instanz anerkennt. Die Bayerische Verfassung zählt diese Haltung ausdrücklich zu den obersten Bildungszielen, 'angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesell- schaftsordnung ohne Gott geführt hat' (Präambel)." "Für die schulische Erziehung folgt aus dem Gebot der Toleranz unter allen Umständen der Verzicht auf Indoktrination. Die Schule darf religiöse Überzeugungen nicht aufdrängen. Sie muß jedoch die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach Gott stellen, weil dem Schüler die Chance geboten werden soll, die Sinnerfüllung seines Lebens aus einer Glaubenshaltung heraus zu gewinnen." "Der Junge Mensch soll - erkennen, daß der menschlichen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind; - erkennen, daß der Mensch in der Religion Sinnerfüllung seines Lebens finden kann; - verstehen, daß die Frage nach Gott der Vernunft nicht wider- spricht; - offen sein für religiöses Erleben; - verstehen, daß der Name Gottes nicht zur Durchsetzung eigener Zwecke mißbraucht werden darf; - begreifen, daß Ehrfurcht vor Gott vor Selbstüberhebung be- wahrt;..." (aus: Oberste Bildungsziele in Bayern, Art. 131 der Bayer. Verfassung in aktueller pädagogischer Sicht) zurück