Quelle: Archiv MG - BRD KIRCHE - Vom Mißbrauch des Verstandes durch den Glauben


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       Gemäß offiziell  bestätigten Gerüchten leben wir im Atomzeitalter
       und erfreuen uns einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation.
       Das sieht  man schon daran, daß es 200 Jahre nach einem Geschehen
       namens Aufklärung  keineswegs  als    S c h a n d e    gilt,  ein
       C h r i s t   zu sein. Im Gegenteil - der schon recht alte Glaube
       genießt auf  dem freien  Markt der  Meinungen sogar eine erklärte
       Sonderstellung.
       Einerseits steht  die im  Zeichen der Dreieinigkeit daherkommende
       Weltanschauung unter  dem besonderen  Schutze  des  Staates.  Die
       Pflege  des   Glaubens  findet   organisiert   statt,   und   die
       K i r c h e   hat ihren gesetzlich verbürgten Platz im System der
       weltlichen Macht. Über die historischen Leistungen und den heuti-
       gen Nutzen  dieser Institution  darf deshalb auch nach sämtlichen
       Gerechtigkeitsstandpunkten gestritten  werden, wie  eben über al-
       les, was  der Staat so anstellt. Man darf die Inquisition verach-
       ten und bedauern, daß Waffen für Kriege gesegnet wurden, die ver-
       loren  gingen.  Diskussionsfähig  sind  auch  Stellungnahmen  von
       Bischöfen in  bezug auf die guten Sitten der Marktwirtschaft, und
       die Geldfrage  ist auch in Kirchenangelegenheiten mit Zweifeln zu
       betrachten.
       Andererseits darf  man dem  Glauben selbst  und dem Herrn, dem er
       sich verschreibt,  nicht zu  nahe treten.  Denn gläubige Menschen
       legen in ihrer Bekenntnis ihre gesamte  E h r e.  Mit dem seltsa-
       men Hinweis  darauf, daß es sich um das allerinnerste und tiefste
       Anliegen handle,  das man in seinem Gott gewidmeten Gedanken ver-
       folge, verlangt  ein Christ,  von   G o t t e s l ä s t e r u n g
       Abstand zu nehmen. Christen lassen ihre Glaubensüberzeugung nicht
       schlecht machen,  und wenn es dennoch vorkommt, dann sind sie be-
       leidigt. So sehr hängt ihre Selbstachtung an der Achtung auch an-
       derer vor  dem lieben  Gott. Nicht ihre Weltanschauung fühlen sie
       sich zu  verteidigen gedrängt, sondern  s i c h  in der ganz dic-
       ken Bedeutung des Wortes  W ü r d e.
       Insofern erscheint ihnen sicher auch der Abdruck eines in der MSZ
       6/1980 erschienen  Artikels  über  den    c h r i s t l i c h e n
       G l a u b e n   als Blasphemie.  Denn die  Gleichbehandlung ihrer
       religiösen Lehre mit jedem anderen "Gedankengebäude", die Prüfung
       ihres Gehalts,  die immer  auch mit Ablehnung der gebotenen Weis-
       heiten "droht",   i s t   ja  schon die  Respektlosigkeit vor dem
       Höchsten.
       Dennoch wird  gebeten, von  den in solchen Fällen dere Ehrverlet-
       zung üblichen  Haßtiraden Abstand  zu nehmen.  Wir wissen nämlich
       nur allzugut,  warum das Gebot der Feindesliebe auch bei Christen
       nicht zur  Ausbildung dieser  höchst absurden  Kunst geführt hat.
       Ein paar  Argumente über  die friedliche Koexistenz von Demut und
       Selbstgerechtigkeit sind im folgenden nachzulesen.
       
       VOM CHRISTLICHEN GLAUBEN
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       1. Gott Vater
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       Wer mit  einem Christen  darüber Streit  führt, ob  es Gott  auch
       wirklich gibt; wer gar nach Beweisen seiner Existenz verlangt und
       sich dann  über die  aufgeführten Argumente empört, dem ist nicht
       zu helfen. Er verwechselt nämlich Glauben mit Wissen, legt ausge-
       rechnet an  ein   B e kenntnis die  Maßstäbe der  E r kenntnis an
       und feiert  den höchst  billigen Triumph,  in jedem  Hinweis  auf
       Gott, den  der Christ  geltend macht, die Erneuerung des "bloßen"
       Bekenntnisses zu  entdecken. Statt  sich Klarheit darüber zu ver-
       schaffen, worin der Glaube besteht, gibt er sich mit der ziemlich
       einfältigen  Auskunft   zufrieden,  daß   die  Anerkennung  eines
       höchsten Wesens mit Wissen nichts zu tun hat.
       Wenn ein  Christ umgekehrt   G r ü n d e   für  die Existenz  des
       Höchsten sucht, so findet er sie noch allemal durch die Indienst-
       nahme seines  Verstandes für seine Glaubensgewißheit. Einmal kann
       (= will)  er sich die "natürliche Ordnung" nicht ohne  e i n  sie
       ein erschaffendes und erhaltendes  S u b j e k t  vorstellen; ein
       anderes Mal  benötigt er dasselbe Subjekt für eine plausible Vor-
       stellung vom  Anfang der  Geschichte, vielleicht entdeckt er auch
       in seinem  und seiner Nächsten Treiben keinen Sinn und Zweck, und
       weil es  einen geben   m u ß,   kommt  ihm Gott gerade recht. Ein
       Christ vermag  solches sogar  seiner eigenen  Person zu entnehmen
       und von  seinem    G l a u b e n    an  Gott  direkt  auf  dessen
       E x i s t e n z   zu schließen. Und moderne Christen bringen die-
       sen "Schluß" auch schon ganz  f u n k t i o n e l l  zuwege: Dann
       führen sie  die Leistung ihres Glaubens - Trost, Hilfe, Orientie-
       rung, Schutz  vor Verzweiflung etc. - als Argument ins Feld, mel-
       den also ganz schlicht ihr Bedürfnis nach Gott an, weil dieser es
       erfüllt. Damit kommen sie der Sache schon ziemlich nahe, obgleich
       sie sich  dem Verdacht aussetzen, einen "reinen" Glauben nicht zu
       haben und stattdessen recht konjunkturgebunden auf die schützende
       Hand des Höchsten zu spekulieren.
       Was Leute mit einem echten, das ganze Leben lang gepflegten Glau-
       ben mit  den "schlechten  Christen", denen ihr Herrgott nur gele-
       gentlich einfällt,  gemeinsam zustandebringen, ist die Mobilisie-
       rung ihrer  Einbildungskraft einzig  und allein  zu dem Zweck, in
       der     V o r s t e l l u n g      e i n e s      h ö c h s t e n
       S c h ö p f e r s      u n d      R i c h t e r s      zu   einem
       ä u ß e r s t  s c h l e c h t e n  U r t e i l  ü b e r  s i c h
       s e l b s t   zu gelangen. Während Gott allmächtig und allwissend
       ist, ewig  und allgegenwärtig  den Lauf  der Welt  bestimmt,  be-
       schließt der Christ mit der Entscheidung, an diesen Gott zu glau-
       ben und  im Verhältnis  der freiwilligen  Knechtschaft zu  ihm zu
       stehen, einiges  über sich.  Er legt sich seine Sterblichkeit zur
       Last, hält  sich für  ebenso ohnmächtig wie unwissend und bezich-
       tigt sich allen Ernstes,  n u r  ein Mensch zu sein. Dieses "nur"
       stellt keinen  tatsächlichen Defekt,  auch keine Wissenslücke und
       schon gar  nicht die wirkliche Ohnmacht eines Individuums vor den
       sehr handgreiflichen  Mächten dieser Welt fest, sondern eine sehr
       absolute Verdammung  der  eigenen  Menschen n a t u r    wird  da
       vollzogen, die ganz allein aus dem Verhältnis zu Gott stammt. Wer
       bemerkt, daß  er etwas  nicht weiß oder kann, wird in rationeller
       Weise  s e l b s t k r i t i s c h  und sucht die Mängel zu behe-
       ben, die  ihn stören. Wer seine Mißerfolge seiner Unfähigkeit zu-
       schreibt und sich ihrer schämt, läuft mit einem schlechten Gewis-
       sen, einem  Minderwertigkeitskomplex oder  Schlimmerem herum. Wer
       aber seine  Menschennatur verdammt  und deren Streben für vergeb-
       lich hält,  weil er  ohnehin nur als Geschöpf und Werkzeug Gottes
       eine     Daseinsberechtigung     besitzt,     dem     ist     die
       S e l b s t b e z i c h t i g u n g   a l s  S ü n d e r  als ein
       Weg eingefallen,  mit seinem  schlechten Gewissen zu leben. Alles
       was er tut und läßt, alles was um ihn herum angestellt wird, löst
       sich entweder  in eitel Menschenwerk auf - und des Menschen Dich-
       ten und  Trachten ist nach Mose I 8,21 böse von Jugend auf - oder
       hat seinen Sinn in Gottes unergründlichem Ratschluß. Gewöhnlich
       beides.
       Geht es  einem Sünder  gut, so betet er zu Gott und dankt ihm für
       die unverdiente   G n a d e,  für den so göttlichen Lohn; geht es
       ihm dreckig, so weiß er dieses als gerechte Strafe für seine men-
       schliche Nichtsnutzigkeit  zu würdigen  und darum  zu bitten, daß
       trotz allem  auch ihm  ein kleines  Stückchen vom riesigen Kuchen
       der göttlichen  Liebe zuteil werde. In jedem Wechselfalle des Le-
       bens deutet  er das,  was er  mitmacht, sehr selbstsicher aus dem
       Verhältnis zu Gott, das er sich eingerichtet hat.
       Und diese   S e l b s t s i c h e r h e i t,  jene  Wirkung,  die
       Christen dem  Glauben so  standhaft zuschreiben  - Trost, Mut und
       Kraft statt  Verzweiflung und Zorn über die irdischen Brüder, die
       ihm manches  einbrocken  -  ist  auch  schon  der  Schlüssel  zur
       S e l b s t g e r e c h t i g k e i t,     deren  Gläubige  fähig
       sind. Im  Unterschied zum  selbstkritischen Individuum,  das nach
       Gründen seines  Scheiterns bei  sich ebenso  sucht  wie  um  sich
       herum; im  Unterschied auch zum psychologisch mit sich verfahren-
       den Typen,  der sich  für eine  Flasche hält, verfährt ein Christ
       sehr gründlich.    S e i n e    Selbstbezichtigung  will  er  als
       a l l e n   übrigen Leuten ebenso  a n s t e h e n d e  Gesinnung
       verstanden wissen,  und für  diese Haltung  geht er missionarisch
       hausieren. Und  sooft er auf taube Ohren trifft, kann er sich der
       Genugtuung freuen, die Sündernatur, die allen zueigen ist, zumin-
       dest  e x k l u s i v  zu  b e k e n n e n. Durch seine Selbster-
       niedrigung weiß  er sich  a u s z u z e i c h n e n,  und aus Al-
       tem wie  Neuem Testamente  sind ihm  die Geschichten vertraut, in
       denen die Gottlosen das eine oder andere Ungemach härter und viel
       gerechter trifft  als die Kinder Gottes. Christen, amtierende wie
       Amateure, verfügen  also als  Anhänger des  rechten Glaubens über
       das  gesamte   Repertoire  jener   niedlichen    G e h ä s s i g-
       k e i t e n,  die vom blanken Neid bis zur Schadenfreude reichen:
       Sie müssen  sich  lediglich  die  Mühe  machen,  ihrem  gläubigen
       Gottes- und Menschenbild entsprechende Übersetzungen anzufertigen
       -  und   schon  hat   Gottes  Gerechtigkeit   mit   gutem   Grund
       zugeschlagen.
       Christen, amtierende  wie Amateure, verfügen aus demselben Grunde
       über jenes  sagenhafte   V e r s t ä n d n i s   und Mitleid  für
       alle geschundenen  Kreaturen daheim  und in  der Ferne, also über
       die Gefühle, die ihnen die lästige Frage nach dem  G r u n d  von
       Not, Elend  und Gewalt  ersparen. Sie  leiden  selbst  dann  noch
       m i t, wenn  ihnen gerade  einmal größere Schicksalsschläge nicht
       beschieden sind.
       Nie würden sie sich anmaßen, "aus eigener Kraft" die sehr weltli-
       chen, ökonomischen   wie politischen Ursachen klarzustellen, wenn
       ihnen etwas nicht paßt. Der Glaube an ihren Herrn, der keines Be-
       weises bedarf  und auch  keine Widerlegung zuläßt,  e r s e t z t
       ihnen das   W i s s e n   wie  den Willen, die vonnöten sind, den
       Machern dieser  Welt  auf  die  Finger  zu  hauen.  Daß  sie  als
       s ü n d i g e    Menschen  nur  Ausschuß  zustande  bringen,  als
       g l ä u b i g e   Sünder aber  auf keinen Fall etwas verkehrt ma-
       chen können,  solange sie  sich nicht die Frechheit herausnehmen,
       höchstpersönlich und  wegen ihrer  menschlichen Anliegen etwas am
       Weltenlauf ändern  zu wollen,  ist Christen  eine Selbstverständ-
       lichkeit. Eher  bereichern sie  die anderen aufgeherrschten Opfer
       um ihr  eigenes, als daß sie ihren grenzenlosen Opportunismus ge-
       genüber der  weltlichen Macht aufgeben, über die sie in Röm. 13,1
       die passende  Lektion empfangen:  "Jedermann sei untertan der Ob-
       rigkeit, die  Gewalt über  ihn hat.  Denn es ist keine Obrigkeit,
       ohne die  von Gott;  wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott ver-
       ordnet." Und  wenn demokratisch  erzogene Christen in den Zentren
       des Imperialismus  ihr Gewissen  damit  beruhigen,  daß  sie  die
       "Theologie der Befreiung" aus fernen Ländern per edition suhrkamp
       bewundern, so ändert das gar nichts.
       Mit dem Entschluß, an Gott zu glauben, hat ein Christ seinen Ver-
       stand jedoch  keineswegs aufgegeben;  vielmehr beschäftigt er ihn
       damit, seiner  gläubigen Weltsicht zu  d i e n e n.  Und deswegen
       sind all die alten und neuen aufklärerischen Versuche vergeblich,
       einem Christen  die Widersprüche   i m   Glauben vorzurechnen, um
       die Absurdität seines Gottes- und Menschenbildes herauszustellen.
       Der  Verstand   der  Gotteskinder   läßt  sich   nicht  für   die
       W i d e r l e g u n g  des Herrn Zebaoth bemühen, weil er von An-
       fang an  damit beschäftigt  ist, gerade das "Unglaubliche" faßbar
       zu machen.  Wer also daherkommt und meint, Gott hätte sich in My-
       riaden von  Sündern nicht gerade ein feines Ebenbild auf die Erde
       gesetzt; die Menschen seien nie so, wie er sie haben will, so daß
       der höchste nie zufrieden mit ihnen ist, sie strafen und zurecht-
       biegen muß;  die Menschen  würden die gottgegebene Vernunft immer
       wieder   f ü r   s i c h   einsetzen statt für ein gottgefälliges
       Leben, ihren  Geist also  als Mittel  der Sünde  mißbrauchen etc.
       etc. -  der rennt  beim gläubigen  Menschen offene Türen ein. Mit
       Z w e i f e l n   dieses Kalibers  ist nämlich der Glaube von An-
       fang an  befaßt, und  die gläubige  Phantasie hat in der heiligen
       Schrift die  Antwort auf  solche Fragen längst zur Hand. Schon im
       ersten Buch  Moses wird  die Sache mit dem "Baum der Erkenntnis",
       von dem der Mensch nicht essen soll, klargestellt. In Mose I. 6,6
       "reute es  ihn, daß  er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und
       es bekümmerte ihn in seinem Herzen."
       Und überhaupt  gehört der  gläubige Umgang  mit den  Zweifeln zum
       Glauben vom  ersten Tage  an,  da  ein    v e r s t ä n d i g e r
       Mensch eben seinen Entschluß, mit  N i c h t - W i s s e n  seine
       Lage zu deuten,  r e c h t f e r t i g e n  muß.
       
       2. Gott Sohn: Die Offenbarung
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       Der Verstand eines gläubigen Menschen hat mehr zu leisten als der
       eines Heiden.  Einerseits wird  er genauso für die Abwicklung der
       irdischen Geschäfte  benötigt wie der jedes anderen, der arbeiten
       muß und sich einteilen, heiraten und wählen, bisweilen auch Krieg
       führen darf;  andererseits hat  er die zusätzliche Aufgabe zu be-
       wältigen, all die mittelprächtigen Erfahrungen des irdischen Das-
       eins als  Werk und Willen Gottes zu deuten. Und so sehr die Mühen
       seiner irdischen  Wanderung bei einem Christen das Verlangen nach
       dem absoluten Geist wachhalten, bei dem er trotz allem gut aufge-
       hoben ist, so heftig beuteln sie ihn auch mit Zweifeln an der Si-
       cherheit seines  Glaubens. Da  vergeht mancher  Tag, an dem einem
       Sünderlein statt  eines Bekenntnisses  die Frage einfällt, ob ihn
       Gott nicht  vergessen habe;  oder schlimmer  noch: er gerät ange-
       sichts der Ungerechtigkeiten, die gerade rechtschaffenen Menschen
       wie ihm  angetan werden,  in Versuchung  zu lästern. Da trifft es
       sich gut, daß schon die Vorfahren moderner Christen dasselbe Pro-
       blem hatten und seine Lösung dazu: Gott antwortet auf die quälen-
       den Fragen der zweifelnden Geschöpfe mit der Einlösung eines Ver-
       sprechens, daß er sich offenbaren werde, wenn es an der Zeit sei.
       Der Glaube  erfährt eine  nicht zu  unterschätzende Unterstützung
       vom zweifelnden  Verstand, der die Logik von Gott, dem Herrn, dem
       Mensch, dem  Knecht, fortspinnt,  der  mit  der  neutestamentlich
       mehrfach verbürgten christlichen Offenbarung alle Bedenken bezüg-
       lich der Existenz und des Wirkens Gottes zerstreut. Also hat Gott
       uns seinen eingeborenen Sohn gesandt...
       Leben und  Lehre Jesu  sind zwar für die Stabilisierung der Glau-
       bensgewißheit eine  prächtige Sache,  weisen aber  einen nicht zu
       übersehenden Mangel auf: Man muß an sie glauben, an die Werke des
       Gottessohnes, der  in Menschengestalt  die  c h r i s t l i c h e
       E n t s a g u n g   und  i h r  G e l i n g e n  vorführt! So an-
       genehm  es   für  ein  christliches  Gemüt  auch  sein  mag,  den
       "abstrakten Gott" - den er sich nicht vorstellen kann und von dem
       er sich  keine Gipsabdrücke  machen darf - um eine Figur ergänzen
       zu können,  die seiner Anschauung zugänglich ist und eine detail-
       lierte Biographie  aufweist, so unleugbar sind doch die zusätzli-
       chen Anstrengungen,  die dem Gläubigen aus der Geburt, den Teach-
       ins, den  Wundern und  der Passion Christi erwachsen. Die Evange-
       lien sind nämlich via et ratione ausgetüftelt und bieten deswegen
       dem Verstand des Gläubigen auch manchen Stolperstein:
       - Als  Erlöser der  Menschen,  der  ihnen  zeigt,  wie  sich  die
       schlechte Menschennatur  besiegen läßt  durch die freiwillige An-
       nahme  der   Knechtsgestalt,  ist     G o t t e s      Sohn   ein
       M e n s c h. Nur als solcher vermag er  d i e  Leiden auf sich zu
       nehmen, die  als Vorbild der Selbstverleugnung dienen können, die
       sonst so schnell niemand zuwege bringt.
       - Dies  hat als erstes Konsequenzen für die Vorstellung, die sich
       die Gläubigen von der Geburt Christ zu machen haben: das irdische
       Dasein von  Jesus fängt gleich mit einem Wunder an, das die Theo-
       logen zu ihren schönsten Geheimnissen zählen.
       - Die  nächste prüft  den Verstand  als Mittel des Glaubens nicht
       minder hart; daß Jesus  k e i n  gewöhnlicher Mensch ist, sondern
       mit der  Allmacht Gottes  ausgestattet, will  auch bezeugt  sein.
       Schließlich steht  er seinen  Mann für das anbrechende Reich Got-
       tes, für  die Bezwingung  der Sünde und für die Erlösung von ihr.
       Also tut Jesus gelegentlich ein  W u n d e r  zum Beweis der All-
       macht Gottes
       - und  wird prompt vom  Z w e i f l e r  im Gläubigen mißverstan-
       den. Der  nämlich hält  die Wunder  gern für einen guten Grund zu
       glauben -  und so sind sie überhaupt nicht gemeint. Wunder setzen
       Naturgesetze  außer   Kraft,  sind   also    K r i t i k    d e s
       M e n s c h e n g e i s t e s,  der sich einbildet, sich ein biß-
       chen auszukennen  in der Welt und davon profitieren zu können. Da
       ist es  schon eine  Ungeheuerlichkeit, wenn  Menschen auf  Wunder
       scharf sind  zum Beweis  dafür, daß  Jesus  g l a u b w ü r d i g
       ist, also   ü b e r z e u g t   sein  wollen. Das  mußte der Herr
       klarstellen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet
       ihr nicht"  (Joh. 4,48)  weist er  die nur bedingt Gläubigen, die
       Rationalisten unter den Gotteskindern, zurecht.
       - In  seiner   P a s s i o n   führt er, ganz Mensch, den anderen
       Menschen den  rechten  Umgang  mit  ihrer  Endlichkeit  vor:  die
       S e l b s t v e r l e u g n u n g   ist der  Weg zur Erlösung; so
       geht die Überwindung des Fleisches durch den Geist! Freilich ver-
       setzt Gottes Sohn den Gläubigen als verständigen Leuten damit den
       nächsten Schock: Statt eines Sieges über die Endlichkeit bemerken
       sie zunächst  einmal eine  Niederlage, Gottes  Sohn ist tot - und
       das darf  er nicht  sein. Also geht's in die Verlängerung, in der
       auferstanden wird:  "Tod, wo  ist dein Stachel, Hölle wo ist dein
       Sieg!"
       - Der Glaube an die Auferstehung gehört also auch noch dazu, will
       man der  göttlichen Liebe  teilhaftig werden, was bei den berech-
       nenden Kreaturen, für die Jesus das alles durchsteht, zu allerlei
       irrigen Vorstellungen  über das  Leben nach dem Tode führt. Immer
       wieder vergessen  sie, daß  - Auferstehung  des Fleisches hin und
       her -  der gläubige   G e i s t   auf  seine Kosten kommt und der
       Himmel kein Erholungscenter mit freiem Eintritt ist. Immer wieder
       lassen sich  Christen, ungeübt von der Logik der Heilsgeschichte,
       von ihrer  materialistischen Phantasie  leiten und malen sich das
       ewige Leben als Ansammlung sämtlicher irdischer Genüsse abzüglich
       des hienieden dazugehörigen Ärgers aus...
       Die Evangelien  als Zeugnisse  der Offenbarung tun auf jeden Fall
       gut daran,  nicht nur das zu berichten, was zu glauben ist an Ta-
       ten und  Leiden Christi; sie stellen in kundiger Weise, stets der
       Widerspenstigkeit des menschlichen Verstandes eingedenk, auch die
       Fehler klar, die man im Kampf zwischen Glauben und Zweifel so ma-
       chen kann.  Da gilt  es mancher Versuchung standzuhalten, mit der
       kleingläubigen Beweissucht fertigzuwerden usw., kurz: die Passion
       Christi hat als vorgemachte Selbstaufgabe ohne die Spur jeder Be-
       rechnung geglaubt  zu werden,  und nur  das gläubige Schaf Gottes
       ist in der Lage, eine korrekte Interpretation des Weltgeschehens
       und   seiner    Stellung   in    ihm   vorzunehmen,    also   ein
       c h r i s t l i c h e s  L e b e n  zu führen. Dieses spielt sich
       zuallererst im
       
       3. Geist der Gemeinde
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       ab. Den  Gläubigen und  nur ihnen  erscheint der Geist des Herrn.
       "Wo zwei  oder drei  versammelt sind  in meinem Namen...", da ist
       auch der  Herr präsent.  Das ist  ausnahmsweise  k e i n  Wunder,
       sondern sehr (tauto-)logisch. Diejenigen, die sich unter Berufung
       auf die  Offenbarung der  Bewahrung des Glaubens annehmen, stehen
       für die  Präsenz und  die Lehre Gottes, des Vaters und des Sohnes
       gerade, sind also vom Heiligen Geist erfüllt. Dessen Niederkunft,
       das Zeichen  der Vollzugsmeldung,  ist zwar  auch wieder  an  die
       Vorraussetzung des  Glaubens geknüpft,  aber wen stört das schon?
       Die Existenz  der gläubigen  Zeugen beweist  den Glauben und tra-
       diert den  Beweis Gottes in der Welt und für sie. Das war von An-
       fang an klar, daß sich der Glaube  s e l b s t  beweist und seine
       Anhänger feierlich  erklären, daß der Menschengeist das Ganze oh-
       nehin nicht faßt.
       Und auf diesem Widerspruch sollte man auch nicht übermäßig herum-
       hacken, denn  Menschen sind  es schon, die unter Aufbietung ihres
       Geistes ihren   G o t t e s d i e n s t  abwickeln. Sicher, argu-
       mentiert und überzeugt durch richtige Gedanken über die Welt wird
       nicht in der Kirche, sondern die gläubige Einstellung wird gefei-
       ert und  besungen, weil  jeder froh  ist, daß  er seinen  Glauben
       h a t.   Aber selbst zum gemeinschaftlichen Genuß des Glaubens an
       die Dreifaltigkeit, zur selbstgerechten Demonstration, daß man im
       richtigen Verein  ist, bedarf  es einiger  Verrenkungen geistiger
       Art. Christen müssen ja bei der Feier der Einsicht, daß ihre Men-
       schennatur nicht viel wert ist, sogar aufpassen, daß ihr Bekennt-
       nis nicht  allzusehr mit  dem kontrastiert, was sie außerhalb des
       Gottesdienstes tun,  und vor allem die Sünderhaltung ohne den of-
       fensichtlichen Wunsch,  sich in aller Demut  a u s z u z e i c h-
       n e n,   vorführen (schon  Jesus hat  dazu kundig Stellung genom-
       men!). Wenn  sie daran  denken, dann dürfen sie sich auch kräftig
       im Gebet  erniedrigen, in  der Predigt  beschimpfen  und  trösten
       lassen sowie  am Gesang  erbauen. In der Exekution der Sakramente
       laufen sie  dann zu ihrer höchsten Form auf. Sie werden der Gnade
       Gottes teilhaftig  - und  müssen schon wieder höllisch aufpassen,
       daß sie  sich nicht  einbilden,   s i e   können   s i c h    qua
       Teilnahem an  dem Hokuspokus  irgendetwas  v e r s c h a f f e n.
       Wo sie  sich einbilden, daß sie sich das nicht einbilden, da hebt
       ein fröhlich    T a u f e n    von  Babies  an,  aber  nicht  von
       u n s c h u l d i g e n   Kindern, denn  die "Erbschaft", die sie
       übernommen haben,  können sie  nicht ausschlagen. Da wird aus dem
       Verhältnis der  Geschlechter ein  Gottesdienst, und  nur so steht
       ein Christ  zu dieser  peinlichen Sache  des  Fleisches.  In  der
       B e i c h t e   erreichen Christen  die Spitze  ihrer  Heuchelei,
       indem sie  durch Reue  und Buße  ihre bösen  Taten auf innerliche
       Weise ungeschehen  machen, was  freilich nur die Leistung Christi
       ist. Sonst wäre man ja auch nicht im  A b e n d m a h l  der unio
       mystica fähig,  durch die  man  den  Geist  des  Herrn  auf  sehr
       natürliche Weise Einzug bei sich halten läßt.
       So sind  gläubige Christen  das lange schöne Kirchenjahr über mit
       dem Repetitorium  von Leben und Lehre Christi beschäftigt und re-
       den sich  an dessen Vorbild die Verachtung des Materiellen, Welt-
       lichen und Natürlichen ein, daß einem schlecht davon werden kann.
       Selbstverständlich werden  auch Christen die Welt, und was sie in
       ihr tun  nicht los. Aber dazu reicht ihr Geist schon aus, daß sie
       von ihrem  stinknormalen Leben  abstrahieren, es als bloße Durch-
       gangsstufe und  Bewährung im Glauben auffassen und alles ein biß-
       chen anders betrachten.
       
       4. Christ und Welt
       ------------------
       
       Die Distanzierung  von der  Kirche, die Anklage gegen ihre Werte,
       die lockeren Späße über Pfaffen und Nonnen - all das taugt nichts
       ohne die  Kritik am  Glauben. Christen, die sich um die Verbesse-
       rung ihrer  weltlichen Glaubensbüros  dann schwer engagiert bemü-
       hen, sind  die einschlägigen  Vorwürfe  keineswegs  fremd.  Warum
       sollten sie  auch die  professionelle Verwaltung  ihres gläubigen
       Opportunismus -  die schließlich  "Menschenwerk" ist  - in  jeder
       Hinsicht gut  finden? Es  kann ihnen gar nicht verborgen bleiben,
       daß ihre Ideale von einem gottgefälligen Miteinander, von carita-
       tiver Hilfe  und friedlich-gewaltloser  Politik  Ideale  bleiben.
       Insofern ist  es keineswegs verwunderlich, wenn sie zur endgülti-
       gen Rettung  ihres gläubigen Gewissens gelegentlich kritisch wer-
       den.  Sie  wollen  nämlich  den  mit  ihrer  Glaubenskonstruktion
       erdachten Sinn,  jenen ideellen  Ertrag des  Mitmachens unbedingt
       erhalten.
       Leider müssen  wir ihnen  bezüglich dieser Seite ihres guten Wil-
       lens einen  Irrtum zur Last legen. Er besteht in der Annahme, daß
       die   O r g a n i s a t i o n  einer "privaten" Demutshaltung et-
       was anderes  sein könnte  als ihre   B e n ü t z u n g.  Mehr als
       amtlich vertretene  Aufrufe zu eben der Haltung, auf die Christen
       ansonsten so merkwürdig viel Wert legen, kommt da nie heraus. Und
       der zynische Opportunismus der Kirche gegen alle möglichen Sorten
       weltlicher   Macht    ist   nur    die      k o n s e q u e n t e
       V e r t r e t u n g   der untertänigen  Ansprüche auf  ein  sinn-
       volles Leben  im Geiste  Jesu. Zwischen der  P o l i t i k  d e r
       K i r c h e   und dem   "e i g e n t l i c h e n   G l a u b e n"
       besteht nicht  der geringste Gegensatz - die  a m t i e r e n d e
       Moral ist  nämlich nur die Durchsetzung des Menschenbilds, zu dem
       sich die  Gläubigen erniedrigen. Über die damit verbundenen Opfer
       sollten sich  diejenigen nicht  aufregen, die  ansonsten auf kein
       Opfer verzichten  wollen. Die   K o s t e n    d e r    M o r a l
       brauchen den doch nicht zu erschrecken, der die Moral  h a t.
       
       Also:
       Nach einem  glaubensgemäßen Miteinander  in  Familie,  Beruf  und
       Staat zu   s t r e b e n,   ist  die eine Sache. Daß es sich auf-
       grund massenhafter  Bereitschaft zur  harmoniestiftenden Beschei-
       denheid nicht  einstellt, ist eine ganz andere. Christliche Poli-
       tiker tun da unser Bestes.
       Die von den weltlichen Mächten geschaffenen Opfer um sein eigenes
       ergänzen, diese sehr praktische Caritasübung, wird auch weiterhin
       erlaubt und  genehm sein.  Ob dadurch ein Opfer - in der "Dritten
       Welt" oder  sonstwo -  v e r h i n d e r t   wird, ist schon auf-
       grund der Reihenfolge des Tatablaufs äußerst zweifelhaft.
       Und  in   der  Frage   der  Raketen,   die  verantwortungsbewußte
       P o l i t i k e r   aufstellen lassen,  brauchen Leute garantiert
       keine häßlichen Töne verlauten zu lassen, die meinen "der Mensch"
       habe nicht  das Recht  zu töten  und schon gleich gar nicht in so
       großem Ausmaß.  "Der Mensch" bestellt ja gar nicht das Tötungsge-
       rät, so daß ihm Zeit bleibt, für den Frieden zu beten.
       

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